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Sonntag, 16. Oktober 2016

Geschwister Grün

Markus Vahlefeld: Zeige mir dein Klo, und ich sage dir, wer du bist!
Kürzlich hat die Evangelische Kirche eine Forderung der Grünen übernommen, öffentliche Toiletten zu gender-mainstreamen, was nichts anderes bedeuten soll, als die Bezeichnung für Männlein und Weiblein an den Toilettentüren abzuschaffen, auf dass alle ein gemeinsames Klo besuchen sollen. Von wegen Vielfalt und Antidiskriminierung und so.
Nun kann man sich fragen, was eine Kirche auf den Scheißhäusern dieses Landes verloren hat, sollte dabei aber im Hinterkopf behalten, dass das Programm des Gender-Mainstreaming offiziell als Europäische Richtlinie von der EU verabschiedet wurde und ergo alle Nationalregierungen und ihre staatlich subventionierten Interessensverbände dazu aufgerufen sind, die Richtlinien in die Tat umzusetzen. Dass sich die evangelische Kirche wiederum besonders herzhaft mit dem Thema befasst, liegt offensichtlich daran, dass der mehrmalige tägliche Klogang zu einer religiösen Befreiungstat umgedeutet werden soll.
So wie sich der Moslem fünfmal am Tag gen Mekka verneigt, soll der Protestant fünfmal am Tag das Wasserlassen mit einem religiösen Bekenntnis zu mehr Toleranz und Antidiskriminierung verbinden. Auch eine Art religiöses Ritual, dem man anhängen mag.
Mich persönlich erinnert die Videobotschaft der Evangelen an eine der legendärsten Discotheken meiner Adoleszenz in New York. Ich erinnere mich noch sehr gut an einen Klogang im berühmten Limelight, das vormals eine Kirche gewesen war und im New York der 80er Jahre zu einem Tanztempel umfunktioniert wurde, wo ebenfalls die korrekte Zuordnungsbeschilderung abgeschafft worden war und man, egal durch welche der beiden Türen man hindurchschritt, in einen großen Raum kam, in dem sich Frauen, Männer, Transvestiten, Transsexuelle und was es sonst noch in der New Yorker Nachtwelt so geben mochte, prächtig amüsierten. Meist stand ein Fotograf mit einem Papagei an einer der Toilettenwände und lichtete die Partywütenden auf Wunsch gegen eine Gebühr von 5 Dollar auf Polaroid ab. Über den Rest des Geschehens decke ich aus Jugendschutz den Mantel des Schweigens.
Sodom und Gomorrha hieß es damals in der öffentlichen Meinung über das Limelight und machte selbstredend den großen Reiz dieser drogengeschwängerten Undergroundhöhle aus. Zum Wasserlassen und anderer Geschäfte eignete sich diese Art des Treffpunkts selbstredend nur wenig. Wie sich die Zeiten ändern.
Die Videobotschaft der Evangelen ist klar: zwischen arbeitender Bevölkerung und Partypeople soll es nie wieder einen Unterschied geben. Nur so kann nach all den Entzauberungen der Welt die herbeigesehnte Verzauberung wieder eintreten. Dass die Transe tagsüber zu unauffälliger Bürokleidung gezwungen wird, ansonsten ein Kündigungsgrund vorliegt, ist ein offensichtlicher und eklatanter Verstoß gegen den Gleichstellungsgrundsatz. Hier besteht Handlungsbedarf, auf den die Evangelen eindrücklich im Bewegtbild hinweisen.
Aber ist das wirklich so? Die wenigen Transsexuellen, die mir bekannt sind, pflegen sehr bewusst und mit Hingabe ihr Doppelleben. Tagsüber genießen sie es, unauffällig im Mainstream zu schwimmen, des Nachts jedoch amüsieren sie sich köstlich darüber, wenn sie in Clubs ihre neuesten Damenstiefel der Größe 46 zur Schau tragen oder bei Fahrzeugkontrollen in die ratlosen bis perplexen Gesichter der Ordnungshüter blicken.
Doppelleben ist ein Phänomen, dessen Reiz oftmals in der Tatsache besteht, eben nicht auf nur ein ineinandergefügtes Lebensmodell hin auflösbar zu sein. Gerade die nach Lust und Laune erfolgte Wahl der Toilette ist ein weiterer Punkt des Amüsements. Hier die nach Männlein und Weiblein getrennte Beschilderung aufzuheben, würde den Spaß deutlich reduzieren. Das mag den Evangelen in ihrer Weltfremdheit aber gar nicht aufgefallen sein. Tolerant zu tun, hilft meist nur der eigenen schuldhaften Einbildung und wird von denen, in dessen Namen man so tolerant sein möchte, weder gefordert noch gewünscht.
Das Phänomen des Doppellebens ist für die Vernunft und Logik inkongruent. Diesen Umstand machen sich die Gender-Philosophen um Judith Butler zu eigen und fordern die Aufhebung aller Schranken und Bezeichnungen, ganz so als würde jeder Mensch ein geschlechtliches Doppelleben führen und die einheitlichen Begriffe Mann und Frau auf das Individuum nicht passen. Gründe dafür kann man viele ins Feld führen, warum Begriffe und Kategorien zur Ungenauigkeit neigen. So wie es neuerdings eine philosophische Schule der Tierethiker gibt, die jede Unterscheidbarkeit zwischen Mensch und Tier leugnet und die Grenzziehung als willkürlich geißelt (natürlich um schließlich mindestens Veganismus als einzig ethisch korrekte Möglichkeit der Ernährung zu fordern), so lehnen die Gender-Philosophen die Unterscheidung zwischen Mann und Frau ebenfalls als willkürlich ab (hier würde ich gerne ebenfalls eine Klammer öffnen und auf den eigentlichen Sinn dieser Aufhebung aller Unterschiede hinweisen, allein ich weiß nicht, was ich schreiben soll, weil es mir weiterhin ein Rätsel bleibt).
Nun könnte man es sich leicht machen und einfach behaupten, diese ganze Gender-Philosophie haben sich frustrierte Lesben oder mit ihren eigenen Perversionen konfrontierte Sexualwissenschaftler ausgedacht. Dieser Verdacht ist, betrachtet man die Urheber dieser Schule von Simone de Beauvoir über John Money bis Judith Butler, begründet, erklärt aber nicht, wieso die Gender-Philosophen vor allem im akademischen Betrieb so viel Zulauf haben und von diesem Betrieb aus auf einmal politische Richtlinien mitbestimmen dürfen. Irgendein geistiger Nährboden hat es den Genders leicht gemacht, ihre Wirksamkeit zu entfalten. Die Befreiung der Sexualität und der scheinbar aufklärerische Duktus ihrer Ansichten haben ihnen sicher in die Hände gespielt.
Etwas komplizierter wird es schon, wenn man den Gender-Philosophen Begriffsverwirrung unterstellen möchte, nach dem Motto: wenn ihr den Unterschied zwischen Mann und Frau nicht versteht, dann haltet besser die Klappe. Um ehrlich zu sein, neige ich manchmal dazu. Aber die Hinterfragung der Begriffe ist eine der wesentlichen Aufgaben der Philosophie, auch wenn sie denen, die die Begriffe tagtäglich naiv und als gegeben benutzen, nicht einleuchten mag. Wir haben sehr viel über den Begriff von Gott erfahren, als wir endlich frei waren, ihn hinterfragen zu können. Das gleiche gilt für den Begriff des Ich. Für manch philosophische Schule war das Ich sogar der Dreh- und Angelpunkt aller Erkenntnisse. Nun also sind Mann und Frau an der Reihe.
Die Genders stehen deutlich in der Tradition der Strukturalisten, die behaupten, dass Begriffe auf nichts anderes hinweisen als auf ihren Gebrauch innerhalb der Sprache. Um an einem ganz konkreten Beispiel zu bleiben: das Ich ist für Strukturalisten nur die Summe der Beziehungen, die der Begriff Ich in der Sprachverwendung eingeht. Das Ich als integralen Bestandteil der Individualität leugnen sie. So ähnlich sehen es auch die Genders mit Mann und Frau. Mann und Frau werden in einem sprachlichen Rahmen benutzt, ohne dass dem Rahmen abbildende Funktion oder eine Realität unterstellt werden könnte.
Es ist ein uralter Streit, der bereits im Mittelalter zwischen den Scholastikern und den Nominalisten ausgefochten wurde. Während die Scholastiker behaupteten, die menschlichen Begriffe wiesen auf Wesenhaftes (Geist) hin, waren die Nominalisten der Überzeugung, dass Sprache und Wesenhaftes keinerlei Verbindung miteinander hätten. Die aristotelische Liebe zu Begriffen und Kategorien, die nach Aristoteles eben mit Geist gefüllte Gefäße seien, warfen die Nominalisten über Bord und leiteten ihre Anschauungen nicht mehr aus Allgemeingültigkeiten ab. Es waren die Nominalisten, die die moderne Naturwissenschaft prägten und nicht das Allgemeine oder die Theorie in den Vordergrund rückten, sondern die Summe der Einzelwahrnehmungen, die sich mitunter heftig widersprachen und daher keinen sie verbindenden Überbau zuließen. Noch immer befindet sich der menschliche Geist auf der Suche nach der alle Einzelwahrnehmungen umspannenden Erkenntnisklammer.
Man mag zu diesem Streit stehen, wie man will, deutlich ist, dass die Genders deswegen Sprachregelungen und Binnen-Is wie einen Fetisch betrachten, weil die Sprache mit ihren verschiedensten Bezügen in ihren Augen das wirksamste Instrument ist, die menschliche Wahrnehmung zu verändern. Ein Scholastiker würde sich entspannt zurücklehnen und sagen, dass die Sprache ein göttliches Instrument sei und die Vielfalt der geistigen Erscheinungen abzubilden imstande ist. Ändern sollten wir Menschen an der Sprache nichts, das macht der Weltgeist schon von ganz allein.
Es ist ein wenig wie der Streit zwischen den Protestanten und den Katholiken um die Eucharistie. Während die Protestanten die Worte des Abendmahls als symbolhaft verstehen - das Brot steht als Symbol für den Leib und der Wein für das Blut Christi -, verstehen die Katholen an genau diesem Punkt keinen Spaß. Im Abendmahl, dem christlichen Mysterium, wird für sie der Wein wirklich zum Blut und das Brot wird wirklich zum Leib Christi. Es würden Welten wanken, daran zu rütteln.
Während sich in den beiden christlichen Konfessionen der Streit zwischen Scholastikern und Nominalisten weiter tradiert, scheint der Streit in der Philosophie zugunsten der Nominalisten entschieden. Die Genders sind sozusagen die Protestanten unter den Philosophen, die jetzt den Ton angeben. Alles nur Worte und Symbole, nirgends Wesenhaftes oder Geist. Sprache ist ihrer Abbildfunktion beraubt und wird als Herrschaftsinstrument verstanden. So ist es nur konsequent, wenn mal wieder die Protestanten in vorauseilendem Gehorsam vorpreschen, wenn es um einheitliche Toilettenbeschilderungen geht.
Am pointiertesten jedoch wird das Verschwimmen zwischen Realität und Surrealität, das sich die Genders auf die Fahnen geschrieben haben, wenn man ein literarisches Beispiel bemüht. Der große spanische Dichter Calderón de la Barca hatte es bereits in seinem Drama „La vida es sueño“ (Das Leben ein Traum) thematisiert. Sehr verkürzt zusammengefasst lautet die Hauptfrage dort: was ist der Unterschied zwischen einem Bettler, der 12 Stunden am Tag träumt, er wäre ein König, und einem König, der 12 Stunden am Tag träumt, er wäre ein Bettler? Auf die Genders übertragen müsste die Frage modern lauten: welches Geschlecht hat der Mensch, der 12 Stunden am Tag in Männerkleidung seiner Bürotätigkeit nachgeht, während er die anderen 12 Stunden träumt, in Nachtclubs eine aufreizende Frau zu sein?
Wenn Sie nun meinen, diese Frage eindeutig beantworten zu können, dann stehen Sie, so leid es mir tut, auf der Verliererseite der Philosophie. Denn es gibt nichts, was momentan so mega-out ist wie die scholastische Denktradition. Damit hätten Sie’s selbst in den 80er Jahren nicht mal am Türsteher vorbei ins New Yorker Limelight geschafft.
Mehr dazu: http://www.der-gruene-wahn.de

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