Stationen

Sonntag, 13. November 2016

Das produktive Viertel

In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom Freitag finden sich auf der 1. Seite des Kulturteils „Neun Bemerkungen am 9. November“ aus der Feder des New Yorker Schriftstellers Joshua Cohen. Sein Beitrag handelt vom Schock eines bestimmten und bestimmenden Großstadt-Milieus über Donald Trumps Wahlsieg und ist in seiner Sprache, seinem Aufbau und seinem Urteil Bemerkung für Bemerkung ein schlagender Beweis für die Entkoppelung dieser Schicht vom Normalbürger.

In Bemerkung 1 entschuldigt sich Joshua Cohen. Er entschuldigt sich, daß er und seine linken Freunde und Kollegen falsch lagen, daß er selbst keinen einzigen Trump-Wähler kenne, daß das amerikanische Wahlmännersystem leider sei, wie es sei, und außerdem werde er sich – sofern er amerikanischer Staatsbürger bleibe – ab sofort und in den nächsten vier oder acht Jahren ständig für Trump entschuldigen.

Cohens Entschuldigungen sind dort, wo er sein eigenes prognostisches Versagen und das seiner Schicht anführt, nichts weiter als ein billiger rhetorischer Trick. Ein bißchen Ehrlichkeitsbonus abgreifen, danach in die Opferrolle schlüpfen und die große Moralkeule auspacken, das ist die alte Masche.
Cohan zeichnet sich als einer, dem das Wahlsystem übel mitgespielt hat und der (als tapferer Gegner) unter Trump wohl so viel Bedrohliches zu befürchten haben werde, daß der Gedanke an Auswanderung gefaßt werden müsse. Denn bloß aus Jux wandert doch keiner aus, dessen Kandidatin gerade eine Wahl verloren hat! Was wäre dann nämlich mit der Tugend des Verlierenkönnens, die ja eine Demokratie erst zu einer solchen macht? Was mit dem Glauben an die Mündigkeit, die vernünftige Mündigkeit der Wähler, die den wählbaren Trump von einem sehr gefährlichen Trump wohl zu unterscheiden gewußt hätten, zumal in einer Zeit, in der es nicht nur den Idahoer Landboten gibt, sondern vermutlich ein ganzes Atomkraftwerk in den USA  Tag und Nacht nur dafür heißläuft, daß mittels des Dauerstroms von Twitter- und Facebook-Textchen jeder alles wissen kann, was er für seine Wahlentscheidung benötigt?
Joshua Cohen stellt also Wahlsystem und Mündigkeit in dem Moment infrage, in dem es für ihn und seinesgleichen nicht mehr so glatt laufen könnte wie unter Obama, und bereits Bemerkung 1 zeigt, daß Leute wie Cohen stets nur auf eine Art und Weise auf den Impact der Wirklichkeit reagieren können: geschwätzig, gefühlig und zugleich arrogant. Solche Leute bringen in solchen Fällen immer das rhetorisch-moralische Großkaliber in Stellung, natürlich auch diesmal, das zeigt (wir greifen vor),
Bemerkung 9: die Schlußbemerkung, die Klammer ums Auswandern, vollständig zitiert:
Heute, am 9. November 2016, jährt sich die „Kristallnacht“, jenes Ereignis, das meine Großmutter dazu gebracht hat, Deutschland zu verlassen und nach Amerika zu gehen. Wir Amerikaner kürzen dieses Datum als „11/9″ ab, was, wie meine europäischen Freunde wissen, nur ein weiterer Ausdruck unserer Rückwärtsgewandtheit ist, denn heute haben wir ein weiteres 9/11 erlebt.
Ganz am Ende des Artikels kommt also Hitler kurz vorbei und zwinkert Trump zu, und Cohen, der – wir werden das noch sehen – in seinem Beitrag ständig völlig falsch liegt, hat dieses Zwinkern gesehen und deutet an, daß er, falls er (wie so viele US-Promis, die das vor der Wahl ankündigten) auswandere, im Grunde wiederhole, was seine Großmutter schon tun mußte: sich in Sicherheit zu bringen. Die Frage ist, ob Cohens Großmutter diesen damals zweifelsohne notwendigen Schritt zuvor auch im wichtigsten Feuilleton Deutschlands erwägen konnte. Dies als Enkel nun selbstverständlich zu können, bedeutet: Cohan wird bleiben, zumal ja Ivanka Trump höchstpersönlich zum Judentum konvertiert ist.
Aber weiter, Bemerkung 2: Sie illustriert Cohens Arroganz und historische Blindheit auf eine so grelle Art, daß man über soviel Gefangenheit im eigenen Weltbild nur noch den Kopf schütteln kann. Es geht nochmals ums Wahlmänner-System:
Und so hat Trump jetzt das höchste Amt in diesem Staat und der Welt gewonnen, dank jenes Mechanismus, der dazu gedacht war, eine solche Art von Kandidatur zu verhindern – eine Kandidatur, die nicht auf Politik, sondern auf Zerstörung setzt.
Man kann so einen Satz getrost unkommentiert stehenlassen, sollte ihn aber kurz spiegeln mit dem, was man Obama vor und nach seiner Wahl alles zuschrieb und was in der vorauseilenden Verleihung des Friedensnobelpreises an ihn gipfelte. Seither: kein Krieg beendet, neue angefangen, und in Guantanamo sitzen immer noch Männer in orangefarbenen Overalls und einem nahezu rechtsfreien Raum herum, als Opfer jener grausam-weichen Mentalität, die sich das Leid lieber aus dem Gesichtsfeld schaufelt und den Feind verrotten läßt, als ihn an die Wand zu stellen und mit aller Siegerhärte den Dingen ein Ende zu bereiten.

Diese Mentalität findet sich übrigens in allen Lebenslagen und Abstufungen wieder: Anderthalb Millionen jungen Männern Willkommensklopapier zu reichen und ihnen ein Leben auf dem Niveau einer deutschen Mittelstandsfamilie in Aussicht zu stellen, sie danach aber in ihren Unterkünften wie Kleinkinder zu halten, mit Essensgutscheinen, elektronischem Spielzeug und ein bißchen Traumatherapie, während man selbst wieder sein moralisch eingedicktes Leben führt – das ist viel härter für diese lebenshungrigen Migranten, als das harte Wort an der Grenze: nicht Euer Land, nicht Eure Zukunft, sucht sie dort, wo Ihr herkommt, erkämpft sie Euch, und wir wissen, daß ein Teil von Euch dabei kein Glück haben wird, aber dennoch ist es angemessener, weil stolzer als das, was wir Euch bieten könnten.
Cohan und sein Milieu: das sind Leute, die jeden an der Grenze zum Greuel vermuten, der jagen geht oder Hausschlachtung betreibt – selbst also kein Blut sehen wollen, aber bedenkenlos konsumieren, was in der Anonymität der modernen Nahrungsmittelproduktion um sein letztes Restchen tierischer Würde gebracht wird.

Bemerkung 3 und 4 ziehen aus der arroganten Wahlsystembeurteilung die arroganten Rückschlüsse auf Trumps Wähler, also auf rund 60 Millionen US-Bürger, und führen nebenbei vor, was wir in Zukunft in wachsendem Ausmaß als Ethnowahl oder Ethnoplebiszit werden beschreiben müssen: Trump hat unter den weißen, christlichen Männer aus der Provinz die wesentlichen Stimmen geholt, und Clinton hatte auf die mehr und mehr anwachsende hispanische Wählerschaft gesetzt und verloren. Cohen konstatiert das nicht nur, sondern wertet es sofort und spricht von der alten Furcht der Trump-Wähler vor den anderen (Schwarze, Hispanos, Muslime, emanzipierte Frauen) und der modernen Furcht vor der Globalisierung, die natürlich allesamt irrational seien.
Dies sind Sätze und Maßstäbe der Entkoppelung: Cohen weiß nichts über jene Schicht, die ein Land trägt. In Deutschland – das schreibt Thomas Hoof in Sezession 74 („Zeit für pragmatische Reaktionäre“, hier nachlesen) – sind es von 42 Millionen Erwerbstätigen rund 12 Millionen, die tatsächlich etwas herstellen. „Der Rest, also 30 Millionen, bestreitet seinen Lebensunterhalt damit, die Hervorbringungen des produktiven Viertels zu verwalten, zu verregeln, zu besteuern, zu verteilen, zu bewerben, zu bereden und ansonsten einander gegen die Zumutungen ihres Büroalltags rück- und seelentherapeutisch beizustehen.“
Dieses produktive Viertel wird in Amerika ebenso wie in Deutschland ausgequetscht wie eine Zitrone und muß sich nebenbei auch noch die Maßregelung durch die quasselnde Klasse gefallenlassen und sich deren Gesellschaftsexperimenten unterziehen. Daß dies in den USA zur Entkoppelung führte und in Deutschland dazu führen wird, ist keine Zwangsläufigkeit, sondern Ergebnis der harten metapolitischen Vorarbeit und der politischen Umsetzung neuer Kräfte – dort verkörpert in Trump, hier (hoffentlich nimmt sie den Ball auf!) in der AfD.

Bemerkung 5 ist dann das weinerliche Eingeständnis Cohens, mit dem eigenen Anschreiben gegen Trump niemanden außerhalb der ebenfalls anschreibenden Clique erreicht zu haben:
Meine eigenen Worte während dieses Wahlkampfs waren folgenlos. Resonanz fanden sie nur in einem Echoraum von der Größe meines eigenen Schädels.
Am Ende des Abschnittes steht die bittere Erkenntnis, als Wähler auch bloß eine einzige Stimme gehabt zu haben, und diese weinerliche Fermate muß – so will es der rhetorische Bogen Cohens – nun in
Bemerkung 6 und 7 münden: in die Entlarvungsabschnitte, die zuerst den Geschäftsmann Trump als Scharlatan und dann seine Geste der Versöhnlichkeit mit Clinton nach der Wahl als Schauspielerei abtun. Obama und Clinton hingegen hätten wahrhaft tapfer den Rest nationaler Würde gewahrt und mit ihrer gewahrten Fassung nicht zuletzt gegen die fallenden Aktienkurse weltweit angekämpft. Gegen einen imaginären Feind also? Weltweit sprangen die Kurse nach oben.
Bleibt Bemerkung 8, Cohens Ringkampf mit dem eigenen Demokratieverständnis. Als legitim könne man die Wahl nur ansehen, wenn man ab sofort auch sexuelle Übergriffe, Haßreden und Massendeportationen für legitim halte – oder aber, wenn Trump nur geblufft hätte und eigentlich eine Clinton im Trump-Pelz sei, seine Sprüche also nur geklopft hätte, um die weißen, doofen Rassisten einzufangen. „Faschismus ohne Überzeugungen“ ist Cohens Wort dafür.

Es bleibt einem die Spucke weg, aber nur für ein Momentchen. Dann notiert man, was man schon immer vermutete, seit ein paar Jahren immer deutlicher sieht und nun – nach diesem Sieg – noch einmal in aller Klarheit sagen darf:
Die Entkoppelung ist vollständig, die Facebook- und Jungleworld-Linke hat keine Berührungspunkte mehr mit der staatstragenden und produktiven Schicht, und diese Schicht hängt den Party-Waggon nun hoffentlich endgültig ab, stellt ihn aufs Abstellgleis, emanzipiert sich von ihm und entschlackt sowohl die Sprache als auch die wesentlichen politischen Entscheidungen der nahen Zukunft von aller Hypermoral.
Es wird nicht gefährlich für Cohan, Augstein undsoweiter, dies zu behaupten ist deren letzte Patrone, und Cohan wird nicht auswandern, ganz sicher nicht. Er wird weiterleiern, und den zukünftigen Resonanzraum hat er mit dem Umfang seines Schädels und seiner Clique ja präzise genug beschrieben. Endlich eine treffende, hoffnungsvolle Prognose!  Götz Kubitschek

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