Stationen

Montag, 21. November 2016

Im Taumel




Am 22. November 2005 wurde die CDU-Vorsitzende Angela Merkel zur Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland gewählt. Elf Jahre danach, an diesem Sonntag, ließ sie ihr Volk wissen, dass sie 2017 noch einmal als Kanzlerkandidatin zur Verfügung steht. Anlass, eine wirtschaftspolitische Bilanz zu ziehen, die vernichtend ausfallen muss.

Hatte das Programm der Christlich Demokratischen Union noch im Jahr 2003 („Leipziger Parteitag“) den Wählern eine grundlegende Erneuerung des Sozialstaats angekündigt mit Steuersenkungen und -vereinfachungen, die den Bürgern mehr Freiheit versprachen, so ist davon nach drei Regierungsperioden - darunter eine mit den Liberalen - bis heute nichts eingelöst.
Im Gegenteil: Anstelle von Steuersenkungen kam eine satte Erhöhung der Mehrwertsteuer um drei Prozentpunkte. Anstelle von mehr Freiheit und Eigenvorsorge wurde der interventionistische Wohlfahrtsstaat teuer ausgebaut: Rente mit 63 und Mütterrente, vermarktet als Kitt zur Füllung angeblicher Gerechtigkeitslücken, kosten bis 2020 das Sozialsystem zusätzlich 60 Milliarden Euro. Die Gerechtigkeitslücke, die das Finanzierungsproblem für die jüngere Generation reißt, wird verschwiegen. Üppige Zahlungsversprechen hieven Deutschlands implizite und explizite Staatsschulden auf insgesamt 212 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Wenn es einen roten Faden der „Merkelnomics“ gibt, eigentlich ein Euphemismus, dann diesen: Die Bürger werden von ihrer Kanzlerin im Stile einer Gouvernante erzogen und müssen dafür die Rechnung übernehmen. Gleich nach dem üppigen Ausbau des Sozialstaats kommt der Energiewende genannte plötzliche Ausstieg aus der Atomstromerzeugung, dessen Kosten noch lange zu spüren sein werden; ein Vorgang übrigens, der den Mythos der „gelernten Physikerin“, die alles „vom Ende her denkt“, nachhaltig dementiert: Aus der Atomkanzlerin war die Wendekanzlerin geworden.
Es zeigt sich bei Angela Merkel ein Zug zur anpasserischen Sprunghaftigkeit, verbunden mit einem Übereifer, der abermals die Bürger teuer zu stehen kommt, wie vor allem die „Willkommenskultur“ der Flüchtlingspolitik zeigt. Nicht zuletzt Merkels Merksatz „Scheitert der Euro, scheitert Europa“ wird sich als Kostentreiber erweisen, wenn einmal alle fiskal- und geldpolitischen Rettungsprogramme aufaddiert sind.

Dass durch diese Aktionen Europa wirklich gerettet würde, wird angesichts des grassierenden Populismus und Neonationalismus heute vermutlich noch nicht einmal Merkel selbst behaupten.
Wenn sich angesichts dieses wirtschaftspolitischen Versagens der Unions-Kanzlerin nicht mehr Missmut bei den Bürgern regt, mag das ihrer merkwürdigerweise mütterlich genannten Art zu danken sein, die verunsicherten Menschen Sicherheit schenkt. Maßgeblicher aber ist vermutlich der Umstand, dass es den Deutschen - trotz Merkel - wirtschaftlich ganz ordentlich geht: Die Beschäftigung ist so hoch wie noch nie.
Dafür sind die Agenda 2010 des sozialdemokratischen Bundeskanzlers Gerhard Schröder und die lange Jahre maßvolle Tarifpolitik der Gewerkschaften verantwortlich. Und auch der deutschen Exportwirtschaft geht es recht passabel, ein Kollateralnutzen, verursacht von der Geldpolitik im Euroraum, die den Wechselkurs für Deutschland unterbewertet und nebenbei den Schuldendienst für den deutschen Staat seit 2008 um 122 Milliarden Euro reduziert hat.

Dass Merkel noch nicht einmal diese günstige Ausgangslage für Reformen nutzt, ist der eigentliche Skandal.
Als die „fünf Weisen“ dies kürzlich in aller Höflichkeit anzumerken wagten, konnten sie erfahren, wie es sich anfühlt, mit der Arroganz der Macht konfrontiert zu werden.
Fazit: Würden die Bürger am heutigen Sonntag Angela Merkel an ihrem wirtschaftspolitischen Ertrag messen, müssten sie auf das Ende dieser Kanzlerschaft setzen. Doch wen schert schon die stupide Wirtschaft in Zeiten, in denen offenbar eine Anführerin der freien Welt gesucht wird.   Rainer Hank



Nach bald zwölf Jahren Angela Merkel können sich viele Deutsche nur noch schwer einen anderen Bundeskanzler vorstellen. Zwar gibt es Leute, für die sie nicht alternativlos ist. Doch in Umfragen möchte die Mehrheit das Land weiter von ihr geführt sehen. Lange zögerte Merkel ihre Entscheidung hinaus. Nach dem Paukenschlag in Amerika war das nicht mehr möglich.

Nun gilt die Parteivorsitzende der Christdemokraten sogar in New York als „letzte Verteidigerin des liberalen Westens“. Das sind jene Kreise, die voller Begeisterung für die (sozial)demokratische Führung Amerikas waren, denen Globalisierung und Migration nicht schnell genug gehen konnten, was die Umverteilung nach oben beschleunigte – und die sich jetzt über den Willen der amerikanischen Wähler empören.
Zwar kommt vom außenpolitischen Glanz Angela Merkels in den Niederungen deutscher Innenpolitik nur wenig an. Die schönen Bilder vom Abschiedsbesuch des amerikanischen Präsidenten kann sie nicht bis zur Wahl konservieren. Doch hilft ihre internationale Erfahrung in einer Zeit, in der die Welt aus den Fugen gerät und in der sich die Menschen nach Sicherheit sehnen.

Allerdings hat Merkels Flüchtlingspolitik durch den zeitweisen Kontrollverlust an den Grenzen den Markenkern der CDU als (ehemaligen) Garanten für innere und äußere Sicherheit erschüttert. Bis heute trägt der fehlende Wille oder die Unfähigkeit, abgelehnte Asylbewerber wieder nach Hause zu schicken, zum Eindruck allgemeiner Verunsicherung bei, so wie auch die Ohnmacht des Staates gegenüber osteuropäischen Diebesbanden.
Merkels Niederlage im Ringen mit dem SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel beim ausschließlich parteitaktisch motivierten Auskungeln des nächsten Bundespräsidenten wird noch länger nachwirken, nicht nur wegen der Frage, mit welchem Kanzlerkandidaten die Sozialdemokraten ihrerseits in den Wahlkampf ziehen wollen. Viel wichtiger für die Zukunft der Union ist, ob sich die Bruchlinien zwischen den Schwesterparteien CDU und CSU noch kitten lassen. Merkel wollte gegen den ausdrücklichen Willen der CSU ein grünes Staatsoberhaupt durchsetzen. Nur die peinliche Absage ihrer Kandidatin verhinderte das. Wenn man so mit der „Schwester“ umgeht, deren Vormachtstellung in Bayern durch das Aufkommen der AfD auf Dauer bedroht ist, wird die CSU überlegen müssen, ob sie künftig andere Wege geht.

Eine Woche nachdem die Grünen beschlossen haben, eine „Vermögensteuer für Superreiche“ einzuführen und alle Sanktionen für Empfänger von Hartz-IV-Leistungen abschaffen zu wollen, offenbarte Angela Merkel, dass sie in der angestrebten vierten Amtszeit als Kanzlerin am liebsten eine schwarz-grüne Regierung führen möchte.

Es dürfte ihr in wirtschaftlich schwierigeren Zeiten schwerfallen, den Leuten zu erklären, warum jemand, der arbeitslos wird und sein Leben lang in die deutschen Sozialkassen eingezahlt hat, nach einem Jahr nicht mehr bekommt als ein Migrant, dem es gelungen ist, die deutsche Grenze zu überschreiten.

Wirtschaftspolitisch hat Merkel bislang nur geerntet, was ihr Vorgänger Gerhard Schröder (SPD) mit der Agenda 2010 gesät hatte. Obwohl Merkel etwa mit der Frührente einige dieser Reformen zurückdrehte, geht es Deutschland wirtschaftlich besser als den meisten Nachbarn. Dazu trugen die maßvollen Tarifabschlüsse in den Finanzkrisenjahren durch die Gewerkschaften mehr bei als die Politik, die sich auf zusätzliche Regulierungen und das Ausgeben von Steuermehreinnahmen konzentrierte. Den größten Schub bekam die deutsche Exportwirtschaft aber durch den Euroabwertungswettlauf der Europäischen Zentralbank. Indem Angela Merkel den EZB-Präsidenten Mario Draghi gewähren ließ („whatever it takes“), wurde nicht nur Griechenlands Schuldenkrise mit Geld zugeschüttet, sondern auch der deutsche Schuldendienst durch den Nullzins extrem entlastet.
Wer weiß, vielleicht muss Merkel sich in ihrer vierten Amtszeit wieder mit der Euro-Krise auseinandersetzen? Denn unter dem scheinbar ruhigen See aus Notenbankbillionen schwelt diese Krise weiter. In Italien könnte sie wieder aufbrechen, in Griechenland sowieso, aber auch in Frankreich oder den Niederlanden wird gewählt. Wenn der neue amerikanische Präsident macht, was er angekündigt hat, werden die Europäer viel mehr Geld für ihre Sicherheit ausgeben müssen, vor allem aber dürften durch ein großes Infrastrukturprogramm nicht nur in Amerika die Zinsen steigen, was das Kartenhaus der „Euro-Rettung“ zum Einsturz bringen könnte.

Im nächsten Bundestag dürften mehr Parteien vertreten sein als jemals zuvor. Ob es da für eine schwarz-grüne Mehrheit reicht? Doch bis dahin dürfte Merkel die CDU noch grüner machen. In der Flüchtlings- und in der Energiepolitik ist man sich schon ganz nah. Manche in der SPD sehen in der eigenen Vergrünung den Grund für die Schrumpfung der ehemals großen Arbeiterpartei. Eine Kopie dieser Strategie könnte Merkel zwar den Machterhalt sichern, aber was folgt auf eine Vergrünung der CDU? Droht dann ebenfalls die Verzwergung, weil sich dort dann immer mehr Bürgerliche immer weniger zu Hause fühlen?   Holger Steitzner




Huffington Post: Herr Maaz, Sie haben im Oktober davon gesprochen, dass Angela Merkel "von allen guten Geistern verlassen" sei. Die Flüchtlingskrise und die Kritik an Merkels Politik haben sich seitdem extrem zugespitzt. Wie lautet Ihr Urteil heute?

Hans-Joachim Maaz: Mittlerweile ist es noch deutlich schlimmer geworden. Ich würde ihr Verhalten als vollkommen irrational bezeichnen, weil sie die realen Schwierigkeiten in Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise nicht zur Kenntnis nimmt.

Die Überforderung der Behörden, die Isolierung in Europa, die Spaltung der Gesellschaft, die Kritik aus der eigenen Partei - all das scheint sie nicht zu kümmern. Sie beharrt auf ihrem Standpunkt. Ihr Verhalten wird immer trotziger. Wie Merkel sich derzeit verhält - irrational und nicht einsichtig - lässt befürchten, dass sie den Bezug zur Realität verloren hat.

Wie erklären Sie sich das?

Merkel ist der Prototyp eines Menschen der hochgelobt und hochgepusht wurde. Gleichzeitig gibt es bei ihr eine narzisstische Grundproblematik ...

... was bedeutet?

Merkel wurde lange als mächtigste Frau der Welt bezeichnet. Ihre eigene Partei bewunderte sie, weil sie es gewagt hat, gegen Kohl aufzubegehren. Sie war die "Mutter der Nation". Manche wollten ihr gar den Friedensnobelpreis geben.
All diese Einschätzungen beruhen nicht auf einer realen Führungsstärke oder einer Kompetenz von Merkel. Sie hat ganz lange keine schwierigen Entscheidungen getroffen. Sie war nie ein Leader, sie hat immer reagiert und nicht agiert. Das zeugt von Unsicherheit und einem Selbstwertdefizit, das es übrigens bei vielen Mächtigen gibt.
Das Problem ist: Man muss fürchten, dass Merkel selbst glaubt, sie sei die mächtigste Frau der Welt. Durch dieses künstlich aufgeblasene Selbstbild kommt eine sture Haltung zustande wie derzeit in der Flüchtlingskrise.

Woran machen Sie fest, dass Merkel das Lob zu Kopf gestiegen ist?

Daran, dass sie emotionale Entscheidungen trifft. Das hat sie jahrelang nicht getan. Und die Deutschen haben sie dafür mehrheitlich geliebt. Ihre erste emotionale Entscheidung war der Atomausstieg nach Fukushima. Da wusste sie einen Großteil der Bürger hinter sich. Die zweite emotionale Entscheidung war die Grenzöffnung für die Flüchtlinge im Herbst. Das wurde weltweit als große humanitäre Geste gefeiert. Durchdacht war das allerdings nicht, wie sich im Nachhinein zeigt.

Mit diesen zwei Ereignissen hat sie ihre Selbstüberschätzung noch einmal bestätigt. Allerdings hat sich die Situation mittlerweile völlig verändert. Aber das sieht sie wohl nicht mehr.

Also ist sie blind für die Realität. Könnte sich das nicht wieder ändern?

Ich glaube nicht. Und das narzisstische Problem hat meist unschöne Folgen. Menschen, die ein Selbstwertdefizit, eine Minderwertigkeit und eine Unsicherheit haben, vollbringen häufig übermäßige Leistungen, um erfolgreich zu sein und Anerkennung zu finden. Wenn andere das dann bestätigen, ist das Ziel erreicht.
Problematisch wird es, wenn die Anerkennung plötzlich wegfällt und in Kritik umschlägt, wie jetzt bei Frau Merkel. Wir kennen das auch von Stars im Showbusiness: Dann kommt die Einsamkeit, vielleicht der Alkohol und ein psychischer Zusammenbruch.

Diese Gefahr sehen Sie bei Merkel?

Ja, warum sollte es bei ihr anders sein als bei vielen anderen Menschen in mächtigen Positionen? In der aktuellen Situation ist tatsächlich zu befürchten, dass ein psychischer oder psychosomatischer Zusammenbruch bevorsteht.

Auch Horst Seehofer scheint der Machtkampf mit der Kanzlerin im Übrigen zuzusetzen. Er erlitt erst kürzlich einen Schwächeanfall. Eigentlich ist das kein Wunder, wenn man bedenkt, was auf dem Spiel steht: seine Macht, die der Kanzlerin und die historische Koalition von CDU und CSU.

Aber was hält Merkel davon ab, auf die Kritik zu reagieren? Schließlich hat sich mittlerweile das halbe Land gegen sie gewendet - ganz zu schweigen von der eigenen Partei. Wie hält sie das aus?

Psychotherapeuten sprechen in so einem Fall von seelischer Verpanzerung. Menschen, die eine tiefe innere Bedürftigkeit oder Not haben, müssen Kritik radikal aus der Wahrnehmung verdrängen. Man lässt keine Kritik von außen zu und man schottet sich auch von der Innenwahrnehmung und den eigenen Gefühlen ab.

Die Folge sind Gefühls- und Emphatielosigkeit, um sich zu schützen. Ein Mensch, der weniger verpanzert ist, reagiert auf Kritik. Merkel aber bleibt stur bei ihrem "wir schaffen das".

Und noch ein weiterer Begriff deutet auf eine Verpanzerung hin. Merkel verwendet sehr häufig das Wort alternativlos. Das ist natürlich Unsinn, denn es gibt keine Situation, die alternativlos ist. Dass sie das Wort benutzt, ist aber ein Hinweis auf ihr Seelenleben. Sie lässt keine Bedenken zu, es gibt keine Ambivalenz.

Spiegelt sich das Seelenleben von Angela Merkel auch in der Körpersprache?

Es ist viel über die Merkelraute spekuliert worden. Ich sehe sie als ein Zeichen von Unsicherheit. Sie hält sich daran fest, eine Dynamik lässt diese Geste nicht zu. Die Raute ist eine rigide Haltung. Als mächtigste Frau der Welt darf man keine Unsicherheit zeigen.

Nach all dem, was Sie beschrieben haben, wird Merkel ihren Kurs eher nicht ändern. Halten Sie die momentane Situation und Merkels "Narzissmus" deshalb für gefährlich für Deutschland?

Ja, das Verhalten von Frau Merkel ist gefährlich, denn es trägt sehr dazu bei, dass sich die Gesellschaft spaltet, weil sie auf Positionen beharrt, die eine wachsende Zahl der Bürger nicht mehr akzeptiert.

Und glauben Sie, dass Merkel am Ende ihre Position aufgibt oder freiwillig aus dem Kanzleramt auszieht?

Ich glaube es nicht. Der Vergleich ist vielleicht hart, aber mich erinnert Merkel gerade an Erich Honecker als er in das Flugzeug nach Chile steigt und zum Abschied die Rotfrontfaust erhebt. Zu sagen man irrt sich, stellt das ganze bisherige Leben in Frage. Das können Narzissten nicht. Huffington Post

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