Stationen

Samstag, 10. Dezember 2016

11 Minuten Applaus


Angela Merkel nahm die Zeremonie sichtlich ungerührt zur Kenntnis, diese Gelassenheit kannte sie noch vom ehemaligen Staatsratsvorsitzenden, der den langwierigen und enthusiastischen Applausen stets gelassen beiwohnte.



Der Essener Bundesparteitag habe das Ende der Ära Merkel als CDU-Vorsitzende eingeleitet, verkünden namhafte Kommentatoren. Wieder einmal, möchte man einwenden, denn von „Merkel-Dämmerung“ war schon öfters die Rede, doch die Chefin blieb.
Dennoch waren diesmal drei bemerkenswerte Beobachtungen zu machen, die neu waren. Nicht nur, dass die Vorsitzende mit einem denkbar schlechten Wiederwahlergebnis abgestraft wurde. Auch inhaltlich tat sich ein Riss auf: Die Mehrheit der Delegierten hat sich gegen die doppelte Staatsbürgerschaft als Dauerlösung für in Deutschland geborene Ausländerkinder ausgesprochen. Stattdessen sollen sie wieder zwischen dem 18. und dem 23. Lebensjahr wählen müssen, welche Staatsangehörigkeit sie wünschen, genannt das „Optionsmodell“.
Was dann geschah, ist spektakulär: Unbeeindruckt von dem Beschluss gab Merkel zu Protokoll, dass dieser Beschluss keine Chance in der Koalition habe und dass sie ihn selber auch nicht unterstütze. Eine solche Einlassung der Parteichefin hätte eine Welle der Empörung an der Basis auslösen müssen. Der Vorsitzende einer demokratischen Partei hat für die Beschlüsse seiner Basis zu kämpfen, selbst wenn er in der Abstimmung unterlegen war. Merkels Äußerung war in ihrer Arroganz ein Skandal.
Nun geschah etwas noch Verblüffenderes: Die Empörung blieb aus. Nicht nur sind Angela Merkel die Beschlüsse ihrer Partei egal; die Partei scheint es gar nicht zu kratzen, dass sie der Chefin egal ist − wie in einer eingefrorenen Ehe, in der die Partner nur noch aus Angst vor der Einsamkeit beisammen bleiben. Merkels Signal an die Basis lautet: Wenn ich meine Politik nicht mit euch durchbekomme, dann eben mit der SPD und später vielleicht mit den Grünen.
Ansonsten hat sich die Kanzlerin abermals herausgeredet. Mit Hinblick auf die unkontrollierte Asylflut sagte sie, sie habe der Partei einiges zugemutet, weil „wir tun müssen, was die Zeiten von uns fordern“. Eine perfide Irreführung: Die „Zeiten“ waren in England, Polen oder Dänemark die gleichen im Herbst 2015. Nur die Regierungspolitik gestaltete sich dort anders. Es war Merkel, welche mit ihrer Politik die „Zumutungen“ über Deutschland brachte, die sie nun zum unabwendbaren Schicksalsschlag umdeuten will, samt „alternativloser“ Reaktion.
Dass ihr das nicht mehr nahezu alle Delegierten (wie noch auf dem Karlsruher Parteitag vor einem Jahr) abkaufen, setzt ein Zeichen der Hoffnung. Indes: Auch in Essen hat sich niemand gefunden, der Merkel offen Paroli bieten wollte. Eine solche Persönlichkeit aber muss sich herausschälen, will die Partei nicht in eine noch tiefere, existenzielle Krise stürzen. Findet sich nicht rechtzeitig jemand für diese Rolle, dürfte die Zeit für die CDU als große Volkspartei ablaufen.     Hans Heckel

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