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Montag, 19. Dezember 2016

Die Altersverzweiflung derer, die bald nicht mehr schon länger hier sind

Manche Programmänderungen im Fernsehen werden mit großem Aplomb kenntlich gemacht, andere geschehen still und leise. So hat der Kultursender 3sat jetzt zwei Gesprächssendungen eingestellt, die jenseits des großen Talkshow-Getrommels Akzente schon allein dadurch setzten, dass es sich um Zwiegespräche im Sinne des Interview-Großmeisters Günter Gaus handelte. Da sitzen sich zwei gegenüber und reden zur Sache. So war das bei dem Schweizer Publizisten Frank A. Meyer, dessen „Vis-à-vis“ am vorvergangenen Sonntag zum letzten Mal lief, und auch bei Peter Voß, der jetzt am Sonntag einen letzten Gast empfing, zu dem das Motto der Sendung passt wie zu kaum einem Zweiten: „Immer gegen den Strom?“ Henryk M. Broder schwimmt immer gegen den Strom, und das ist auch gut so. Es ist notwendiger denn je.

Wie notwendig, das zeigte sich in den letzten Tagen, da es eine Werbeboykott-Aktion gegen „Rechts“ gab, die sich schnell auf Broders Portal „Achse des Guten“ und auf die Webseite des früheren „Wirtschaftswoche“-Chefredakteurs Roland Tichy konzentrierte. Sie zeigte, wie verquer Debatten verlaufen können. Boykottieren kann jeder jeden, doch wenn jemand, der dann auch noch ausgerechnet für eine führende Werbeagentur arbeitet, dazu aufruft, bestimmte Publikationen zu meiden, und das Ganze über Facebook und Twitter den üblichen Online-Swing bekommt, herrscht bald Freund-Feind-Rhetorik, und es ist mit dem pluralen Meinungsdiskurs vorbei.

Das vollzog sich offenbar, bevor die letzte Ausgabe der Sendung „Peter Voß fragt ...“ aufgezeichnet wurde, sonst wäre die Episode garantiert zur Sprache gekommen, schließlich wollte der ehemalige SWR-Intendant Voß von seinem Gegenüber gerne so ziemlich alles in Erfahrung bringen – von der Kindheit bis zum Hier und Jetzt. Doch mit Henryk M. Broder ist das nicht so leicht zu machen. Privates bleibt privat, es geht um das Politische. Und mit dem beschäftigt sich Broder nicht der Frage von Voß gemäß in „Altersmilde“, sondern eher mit „Altersverzweiflung“. Der Grund hat einen Namen: Angela Merkel.

Dank der Bundeskanzlerin, so ist Broder der Ansicht, gehe es mit diesem Land den Bach runter. Weil sie die Tore geöffnet und gar nicht begriffen habe, was sie der Gesellschaft mit der Einwanderung einer großen Zahl muslimischer Flüchtlinge zumute. Zwanzig Prozent der Menschen in Deutschland, sagt Broder, hätten einen Migrationshintergrund, Deutschland habe Erfahrung mit Einwanderung, in keinem anderen Land hätten die Bemühungen um Integration ein solches Maß wie bei uns. „Die Gesellschaft kommt Migranten wahnsinnig entgegen. Die Quittung ist, dass diejenigen, die davon profitieren, uns sagen, dass wir bei der Integration versagt haben.
Broders zentraler Satz fällt irgendwann im Lauf der halben Stunde bei Peter Voß: „Der Islam setzt bei uns die politische Agenda.“ Zahlreiche Beispiele fallen ihm dafür ein, und alle sind unangenehm für die Bundesregierung und diejenigen, die glauben, es sei mit einer „Willkommenskultur“ getan, die den willkommen Geheißenen nicht abverlangt, sich an die Maßstäbe des sie aufnehmenden Landes zu halten. Das mache sich – noch – nicht überall im Land direkt bemerkbar. Aber wer, zum Beispiel, würde gerne nach Duisburg-Marxloh ziehen? Es würden gerade Verhältnisse geschaffen, die „irreversibel“ sind, sagt Broder und wünscht sich die idyllischen Zeiten zurück, in denen man sich noch über so harmlose Themen wie das Flaschenpfand aufregen konnte. Heute aber lebten wir in Verhältnissen, in denen sein Freund Hamed Abdel-Samad sich nicht mehr frei bewegen kann und eine Leibwache mit drei bis fünf Personenschützern braucht, weil er es wagt, den Islam zu kritisieren. Solche Zustände seien ein Skandal, würden aber einfach hingenommen, und an ihnen werde unsere Gesellschaft zerbrechen, fürchtet Broder.

Man muss seine Diagnose und seinen Pessimismus – der die EU übrigens genauso trifft – nicht teilen, darf es aber schon für ziemlich beunruhigend halten, wie, um es zurückhaltend zu sagen, unengagiert bis aggressiv ignorant ein großer Teil der Politik und der sie stützenden Publizistik auf solche Befunde reagiert. Derweil lädt Anne Will eine Frau im Niqab in ihre Sendung ein, die den Islamismus verharmlost und lehnt die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung das „pauschale Verbot“ von Kinderehen ab. So schnell verschieben sich die Maßstäbe.

Allzu viel Grund für Frohsinn gab es in der letzten Ausgabe der Sendung „Peter Voß fragt ...“ bei 3sat am Sonntag also nicht. Aber das war ja auch nie der Sinn der Sache in den rund zwanzig Jahren, in denen Peter Voß Diskurspflege betrieb. Mit dieser kehrte der frühere SWR-Intendant, der maßgeblich für die Fusion des Süddeutschen Rundfunks und des Südwestfunks sorgte, zu seinen Ursprüngen als Journalist zurück. Bevor er an die Spitze erst des Südwestfunks (1993), dann des Südwestrundfunks (1998) rückte, war er beim ZDF Chef des „heute journals“ und stellvertretender Chefredakteur gewesen, davor hatte er unter anderem beim Bayerischen Rundfunk als stellvertretender Leiter des Magazins „Report München“ gewirkt.   FAZ

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