Ein übler Menschenschlag

Was Wissenschafter, die wie Julia Shaw ihre Binsenweisheiten an die große Glocke hängen, zu Pseudowissenschaftlern macht, ist die Art, mit der sie alle und jeden über einen Kamm scheren und so tun, als gäbe es 1. keine Menschen mit außerordentlich zuverlässigem Erinnerungsvermögen, die hierfür eine spezielle Begabung besitzen, 2. als könne man die Zuverlässigkeit beim Erinnern (bei der es sich um einen Aspekt der Ehrlichkeit handelt) nicht erfolgreich üben und verbessern, 3. als sei die tägliche Übung redlicher Zuverlässigkeit nicht unsere Pflicht (was auch Verantwortlichkeit gegenüber unserem Unbewussten und unserer Neigung zum Verdrängen miteinschließt).
Dass ausgerechnet eine Gedächtnisforscherin übersieht, dass es auch Menschen gibt, die der enthropischen Wirkung, die das Wunschdenken und die Verdrängung auf unser Gedächtnis haben, entgegenwirken und die ihr Erinnerungsvermögen aus persönlicher Neigung zu Wahrhaftigkeit hegen und trainieren und dass diese mnemonische Redlichkeit durch die verallgemeinernde, soziologistische Kaltschäuzigkeit moderner Dogmen, wie der von ihr postulierten, mit Füßen getreten wird, ist eine der besonders gravierenden Konsequenzen der Überspezialisierung. Für Julia Shaw gibt es nur hoi polloi.

Diese Art von „Wissenschaftlern“ sind ein übler Menschenschlag. Ihre Vorläufer waren die marxistischen Pädagogen, die nur noch Augen für Massenphänomene hatten und über die Existenz von Genies herablassend hinwegsahen, wenn sie nicht gar deren Existenz als illusorisches, soziales Konstrukt bezeichneten. Schlimmer noch als die marxistischen Pseudowissenschaftler von einst, die immerhin noch versuchten, in gesamtgesellschaftlichen Zusammenhängen zu denken, sind die heutigen brillanten, überspezialisierten Fachidioten, die die Prämissen ihrer Vorläufer so gründlich verinnerlicht haben, dass sie sie nicht mehr benennen und sich nun schon in jungen Jahren anmaßen, aus ihrem Fachwissen blindlings allgemeingültige Weisheiten abzuleiten.