Stationen

Samstag, 10. Dezember 2016

Tagesordnung



Ein taktisches Zugeständnis der Etablierten bedeutet noch keinen Dammbruch, und eine punktuelle Annäherung der Mediensprache an die Wirklichkeit verweist nicht zwingend auf einen Paradigmenwechsel.

Aber das Knirschen im gesellschaftlichen Gebälk ist unüberhörbar und die Verunsicherung der Funktionseliten mit Händen zu greifen. So ist zu erklären, daß Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) sich zu einem vom Theater Magdeburg initiierten, öffentlichen Streitgespräch mit dem Verleger und Rechtsintellektuellen Götz Kubitschek bereit erklärt hat.
Stahlknecht gibt sich damit als einer der elastischeren Funktionäre zu erkennen, die begriffen haben, daß die Interessen, Analysen und Positionen, die rechts von der amnesierten „Mitte“ formuliert werden, nicht länger ignoriert werden können. Denn erstens treffen sie den Nerv der Zeit, und zweitens sickern sie sonst auf anderen als den offiziellen Kanälen, also unkontrolliert in die Gesellschaft ein.

Weiterhin pflegen CDU-Politiker in mehreren Landtagen gute Kontakte zu den Kollegen von der AfD. Denn abgesehen von taktischen Überlegungen gibt es in der Union noch immer Leute, die  geistig in der Prä-Merkel-Ära verharren und nicht einsehen, warum ihre politischen Standpunkte, die kürzlich noch im eigenen Parteiprogramm standen, nun plötzlich nach und nach des Teufels sein sollen, nur weil die vermeintlich Falschen sie adoptiert haben.
Die vorsichtigen Öffnungsversuche rufen Gegenkräfte auf den Plan. Das ARD-Magazin „Report Mainz“, das über die Kontakte zwischen Unions- und AfD-Politikern berichtete, verfiel in den typischen alarmistisch-denunziatorischen Tonfall. In Sachsen-Anhalt hat Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) dem Innenminister den Disput mit Kubitschek untersagt.

Seinen Regierungssprecher ließ er ausrichten, die Auseinandersetzung mit rechten Ideologien müsse sicherlich offensiv geführt werden, aber das Format der Podiumsdiskussion erscheine dafür weniger geeignet.
Der Christdemokrat schwenkte damit auf die Linie der Linkspartei ein, die die Weltsicht der „Neuen Rechten“ wegen ihrer Gefährlichkeit durchaus diskutieren will, „(aber) nicht mit ihren Vertretern selbst“, denn diese, fügte ein Grünen-Vertreter hinzu, wollten „den freien Diskurs überwinden“. Nun, diese Stufe der politisch-intellektuellen Regression, die sie den Rechten unterstellen, haben Rot, Grün und Schwarz längst erklommen.

Wie einst im real-existierenden Sozialismus läßt sich zwischen Reformern und Betonköpfen unterscheiden. Die einen wollen manches verändern, damit alles beim alten bleibt, während die anderen jede Veränderung ablehnen, weil sie fürchten, daß damit das Ganze – worunter sie vor allem die eigene Dominanz verstehen – ins Rutschen kommt. Es geht ihnen um Machterhalt, nicht um Wahrheit.Ein nur ansatzweise herrschaftsfreier Diskurs würde sie als Kaiser ohne Kleider entlarven und ihre privilegierte Stellung unterspülen.
So wird bereits im vorpolitischen Raum ein Redeverbot verhängt und nötigenfalls durch Androhung oder Anwendung von Gewalt durchgesetzt. Selbst überzeugte Anhänger des liberalen Systems wie die Publizistin Birgit Kelle oder der Historiker Jörg Barberowski, die sich Kritik an der Gender- und Willkommenspolitik erlauben, haben zunehmend Schwierigkeiten, öffentlich aufzutreten.
Kürzlich hat der Journalist Jens Jessen, kein antirechter Kampfpinscher, sondern ein wirklich kluger Kopf, sich in der Zeit namens der Betonfraktion zum Sprecher des „elementaren Wir der Menschheit“ aufgeschwungen und den „Rechtspopulisten“, welche den „humanen Konsens“ aufgekündigt haben, den Krieg erklärt: „Sie sind unsere Gegner. Wir müssen (…) sie klein halten.“

Wer Menschheit sagt, betrügt bekanntlich, und auch Jessen unterscheidet nicht zwischen abstrakten Menschen- und konkreten Bürgerrechten. Aus solchen Äußerungen spricht blanker Gruppenegoismus, das heißt die Angst davor, Rechenschaft ablegen zu müssen über das von ihnen Angerichtete. Bei nahezu jedem Thema: Rente, Europa, Bildung, innere Sicherheit, Finanzen haben die Funktionseliten das Land in ein Abbruchunternehmen verwandelt.

Jetzt sind sie außerstande, den Menschen eine lebenswerte Perspektive zu offerieren. Die Aussichten lauten: Arbeiten bis 70 bei steigenden Steuern und Abgaben, aus denen das Schutzgeld an kaum integrier-, daher leicht erregbare Zuwanderer abgezweigt wird. Im übrigen winkt die Unterwerfung unter eine politische Korrektheit, die mehr und mehr von der islamischen Umma bestimmt wird.

Apropos Zukunft: Laut TIMSS-Test 2015 erreichen in Deutschland nur noch 5,3 Prozent der Viertkläßler die höchste Kompetenzstufe im Fach Mathematik. In Singapur sind es 50 Prozent, in Rußland immerhin noch knapp 20 Prozent. Es handelt sich – wohlgemerkt! – um diejenige Leistungskohorte, welche die Innovationen hervorbringt, auf denen die wirtschaftliche Stärke und soziale Stabilität Deutschlands beruht.

Eine bemerkenswerte Bilanz der bundesdeutschen Bildungs- und Migrationspolitik!
Um sie auf die Tagesordnung zu setzen, braucht es andere, frische Kräfte als diejenigen, die die Misere zu verantworten haben. Paradigmenwechsel sind fällig, wenn die Faktizität sich partout nicht mehr in die vorgegebenen begrifflichen und institutionellen Muster einfügen will. Das ist zweifellos der Fall. Trotzdem sind sie keine Selbstverständlichkeit, denn wer über die Begriffe und Institutionen herrscht, räumt seinen Platz selten freiwillig.

Die Verweigerung oder Denunziation des Gesprächs ist nicht nur ein Zeichen argumentativer Schwäche, sondern auch eine Demonstration institutioneller Macht.   Thorsten Hinz

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