Stationen

Sonntag, 31. Dezember 2017

Gärtner


Highgrove Gardens

Poundbury


Warum wird dieser Mann seit einem halben Jahrhundert verhöhnt? Seit den 80-er Jahren ist er die einzige prominente Persönlichkeit, die den Mut hat, die moderne Architektur öffentlich zu kritisieren, herabzusetzen und zu verurteilen. Dadurch hat er natürlich den Hass der hemmungslosesten Gruppe auf sich gezogen, die es in den westlichen Demokratien gibt und die sich tagtäglich wie eine überhebliche Priesterklasse im alten Ägypten aufspielt: die sogenannten Künstler und deren "Kritiker" und Historiker.

Aber Charles wurde bereits lange vorher verhöhnt, als er noch nicht einmal volljährig war. Es hat mit seinem Aussehen zu tun. Er sah schon als Jugendlicher lächerlich aus. Er ist nicht, wie man es nennt, sexy. Eigentlich wird er nur deshalb verhöhnt. Sähe er so gut aus wie Emanuele Filiberto Di Savoia, wäre er längst Idol, Ikone und Superstar einer konservativistischen Bewegung, weil er im Gegensatz zu dem unsäglichen Savoia seit Jahrzehnten mit hartnäckigem Idealismus durchdachte Konzepte entwickelt.

Der einzige, der noch mehr verhöhnt wird (und zwar aus demselben Grund) ist Björn Höcke. Hässlichkeit ist eine schwere Last.

Samstag, 30. Dezember 2017

Semantische Verzerrung

Für alle, die mit dem hebräischen Originaltext der Bibel vertraut sind, herrscht kein Mangel an Gelegenheiten, Ungenauigkeiten und mißverständliche Ausdrücke in den von Nichtjuden verwendeten Übersetzungen zu beklagen. Vielen dieser Unstimmigkeiten liegen eindeutig theologische Motive zugrunde, da christliche Übersetzer Passagen des Alten Testaments neu schrieben, um aus ihnen Vorhersagen oder Urbilder des Lebens Jesu zu machen. Einige der Fehlübersetzungen sind hingegen schwieriger zu erklären.
Einer der ärgerlichsten Fälle war für mich immer die Übersetzung des Sechsten Gebotes: „Du sollst nicht töten“. In dieser Form wird das Zitat in den Dienst der unterschiedlichsten Anliegen gestellt: des Pazifismus, der Tierrechte, des Kampfs gegen Todesstrafe oder Abtreibung.
Gewiß ist „töten“ auf deutsch ein umfassendes Verb, das alle Arten, jemanden ums Leben zu bringen, beinhaltet und für alle Arten von Opfern gilt. Diese allgemeine Bedeutung wird im Hebräischen durch das Verb „harag“ ausgedrückt. Das Verb jedoch, das in der Tora für das Gebot verwendet wird, ist ein ganz anderes, nämlich „ratsah“, das mit „morden“ übersetzt werden sollte. Diese Wurzel bezieht sich nur auf verbrecherische Tötungshandlungen.
Selbstverständlich ist es nicht bloß eine Frage der Etymologie. Alle Ideologien, die das Gebot für ihre menschenfreundlichen Anliegen ins Feld führen, sehen sich gezwungen, alle jene Stellen in der Bibel zu ignorieren, die den Krieg, das Schlachten von Opfertieren und eine ganze Reihe von Methoden, die Todesstrafe zu vollstrecken, entschuldigen oder gar gebieten.
Die gute alte englische King-James-
Bibel, durch die diese Formulierung in die englische Standardsprache gelangte, ist normalerweise viel genauer in ihrem gelehrten Umgang mit dem hebräischen Original. Und viele Jahre wunderte ich mich, wie den gebildeten Philologen, die diese ausgezeichnete Übersetzung anfertigten, bei einem so einfachen Ausdruck – den jedes jüdische Schulkind verstanden hätte – ein solcher Fehler unterlaufen konnte.
Wie sich herausstellt, hat die Verwirrung ihren Ursprung nicht in der englischen Übersetzung des 16. Jahrhunderts. Aus den Schriften jüdischer Exegeten des Mittelalters, die in Frankreich lebten, erfahren wir, daß auch die Nichtjuden in ihrer Umgebung das biblische Gebot falsch übersetzten.
Zwei der bedeutendsten Kommentatoren ihrer Zeit, Rabbi Samuel ben Meir (Raschbam) und Rabbi Joseph Bekhor-Schor, zum Beispiel erkannten die Notwendigkeit, außergewöhnlich ausführlich zu erläutern, daß sich der hebräische Text nur auf ungesetzliches Töten bezieht. Beide Gelehrte arbeiteten den Unterschied zwischen den hebräischen Wurzeln für „töten“ und „morden“ klar heraus und belegten mit zahlreichen Beispielen, daß die Tora andere Arten des Tötens toleriert.
Raschbam schließt seine Abhandlung über das Thema mit folgenden Worten: „Und dies ist eine Widerlegung der Häretiker, und sie haben es mir zugestanden. Wenn ihre eigenen Bücher sagen: ‚Ich bin es, der tötet und der lebendig macht’ (5. Buch Moses 32,39) – und dafür dieselbe lateinische Wurzel gebrauchen wie für ‚Du sollst nicht morden’ – sind sie nicht exakt.“
Den Worten dieser französischen jüdischen Gelehrten entnehmen wir, daß die Übersetzung „Du sollst nicht töten“ auf der lateinischen Bibelübersetzung beruht, wie sie die römisch-katholische Kirche im Mittelalter verwendete.
In der Tat gebraucht die Vulgata – wie diese Übersetzung genannt wird – das lateinische Verb occidere, das eher der Bedeutung von „töten“ und nicht von „morden“ entspricht. Indem er darlegt, daß die Vulgata im Deuteronomium die Wurzel occidere gebraucht, wenn der Allmächtige selbst von Seiner Macht über das Leben seiner Geschöpfe spricht – in einem Kontext, in dem es unter gar keinen Umständen mit „morden“ übersetzt werden könnte –, weist Raschbam offensiv den Fehler im traditionellen christlichen Verständnis des Sechsten Gebotes nach. Daher überrascht es nicht, zu hören, daß seine christlichen Gesprächspartner ihren Irrtum kampflos zugaben.
Dies wirft einige zusäzliche schwierige Fragen zur Lateinübersetzung der Vulgata auf. Der Verfasser dieser Übersetzung, der heilige Hieronymus (gestorben 420 u. Z.), verbrachte viele Jahre im Land Israel, wo er sich häufig mit jüdischen Gelehrten beriet, deren Deutungen er mit großem Respekt zitierte. Selbst die Septuaginta, die alte griechische Übersetzung der Bibel, übertrug das Gebot mit einem Wort, das nicht „töten“, sondern „morden“ bedeutet. Der heilige Augustinus, der sich auf die Standard-Übersetzungen stützt, läßt keinen Zweifel daran, daß das Gebot sich nicht auf Kriege oder die Todesstrafe bezieht, die ausdrücklich von Gott bestimmt sind.
Doch die Tatsache bleibt bestehen, daß auch die jüdischen Übersetzer bei der Unterscheidung der verschiedenen hebräischen Wurzeln nicht immer einer Meinung waren.
Don Isaac Abravanel und andere heben hervor, daß „ratsah“ im 4. Buch Moses (35, 27-30) gebraucht wurde, wo es um einen berechtigten Fall von Blutrache und um die Todesstrafe geht – beides fällt nicht unter die Kategorie von „morden“.
Auch einige bedeutende jüdische Philosophen waren der Überzeugung, daß „Du sollst nicht töten“ eine exakte Übersetzung des Sechsten Gebotes ist. Maimonides (Rabbi Moshe ben Maimon) beispielsweise schrieb, daß sich bei der Tötung eines Menschen in jedem Fall um eine Verletzung des Gebotes handelt, auch dann wenn mildernde Umstände die Übertretung gegenstandslos machen. Manche haben behauptet, daß diese Tradition der faktischen Aufhebung der Todesstrafe im rabbinischen Gesetz zugrunde liegt.
Aus diesem Blickwinkel betrachtet, fällt es uns nicht schwer, einzugestehen, daß „Du sollst nicht töten“ nicht einfach nur das Ergebnis von Unwissenheit auf Seiten von Hieronymus oder der Übersetzer der King-James-Bibel ist. Sondern daß sich darin die legitime Entscheidung ausdrückt, die ganze Skala möglicher Bedeutungen der hebräischen Wurzel abzudecken.
Wie so oft lehrt uns eine genauere Untersuchung, daß das, was zunächst lachhaft offenkundig ist, in Wahrheit viel komplexer ist, als es beim ersten Blick zu sein scheint. Wir müssen sehr vorsichtig sein, bevor wir über einen scheinbaren Patzer ein voreiliges Urteil fällen.  Eliezer Segal

Der Autor ist Dozent an der Universität von Calgary/Kanada

Häisd'n'däisd

Der 10. November war ein schöner Spätherbstsonntag: „Die Bürger gingen in Massen wie gewöhnlich im Grunewald spazieren. Keine eleganten Toiletten, lauter Bürger, manche wohl absichtlich einfach angezogen. Alles etwas gedämpft wie Leute, deren Schicksal irgendwo weit in der Ferne entschieden wird, aber doch beruhigt und behaglich, daß es so gut abgegangen war. Trambahnen und Untergrundbahn gingen wie sonst, das Unterpfand dafür, daß für den unmittelbaren Lebensbedarf alles in Ordnung war. Auf allen Gesichtern stand geschrieben: Die Gehälter werden weiterbezahlt.“
Wohlgemerkt: Hier ist vom 10. November 1918 die Rede, dem zweiten Tag einer Revolution, die offenbar gar keine war. Die scharfsinnige Beobachtung wurde am 30. November 1918 niedergeschrieben und einige Monate später in der Münchner Zeitung Der Kunstwart veröffentlicht. Als Autor zeichnete ein Anonymus, der sich „Spectator“ nannte. Hinter dem Pseudonym verbarg sich Ernst Troeltsch, ein renommierter Professor für Religionsphilosophie und Kirchengeschichte an der Unversität Berlin, seit März 1919 Unterstaatssekretär im preußischen Kultusministerium.
Im Winter 1918 hatte ihn der Herausgeber des Kunstworts, Ferdinand Avenarius, eingeladen, für seine Zeitschrift regelmäßig Essays über die politische Lage zu verfassen. Vom Februar 1919 bis zum Juli 1920 schrieb Troeltsch alle vierzehn Tage, danach bis zum Oktober 1922 nur noch unregelmäßig. Eine Auswahl der sogenannten, „Spektator-Briefe“ erschien bereits 1924, ein Jahr nach Troeltschs Tod. Jetzt ist in der von Hans Magnus Enzensberger betreuten Reihe „Die Andere Bibliothek“ eine weitere Auswahledition herausgekommen unter dem Titel „Die Fehlgeburt einer Republik“. Ein begrüßenswertes Unternehmen, denn zweifellos zählen Troeltschs politische Essays zu den gescheitesten Analysen jener turbulenten Jahre, die auf die Niederlage des Kaiserreichs und den Sturz der Hohenzollern folgten.
Ernst Troeltsch gehörte zu den wenigen Gelehrten, die sich ohne Vorbehalte zur jungen Weimarer Republik bekannten. Zusammen mit Friedrich Naumann, Max Weber, Walther Rathenau und anderen engagierte er sich in der liberalen Deutschen Demokratischen Partei (DDP) für den Aufbau der Demokratie. In seinen „Spektator-Briefen“ warb er unermüdlich für den Gedanken eines Ausgleichs zwischen den gemäßigten Kräften des Bürgertums und dem reformerischen Flügel der Arbeiterbewegung. Nur durch eine Stärkung der demokratischen Mitte – so sein Appell – könne die unter so ungünstigen innen- und außenpolitischen Bedingungen ins Leben getretene Republik auf Dauer gefestigt werden. Doch gerade an einer solchen Bereitschaft zur pragmatischen, die ideologischen Gräben überwindenden Zusammenarbeit mangelte es, und zwar auf allen Seiten des politischen Spektrums.
Früh erkannte Troeltsch, welche Gefahren der Republik von der radikalen Linken, noch mehr aber von der reaktionären Rechten drohten. „Daß die Rechte auf Restauration, Rache und Rechthabenwollen verzichten lernen könnte, das wäre eines der wichtigsten Mittel der Rettung. Aber derartiges scheint in unserem Deutschland unmöglich zu sein“, notierte er bereits im Mai 1919. Sorgfältig registrierte Troeltsch, wie sich das Lager der Gegenrevolution, mit Schwerpunkt in Bayern, formierte, wie der Haß auf das „System von Weimar“ geschürt wurde und Antisemitismus und Dolchstoßlegende immer größere Resonanz fanden, besonders an den Universitäten. In einem Artikel, überschrieben „Die Welle von rechts“, vom Dezember 1919 berichtete er: „Sprach man vor einem Jahre vor Studenten, so mußte man sich auf wilde pazifistische, revolutionäre, ja idealistisch-bolschewistische Widersprüche gefaßt machen; heute muß man auf antisemitische, nationalistische, antirevolutionäre Einsprüche sich einrichten. In manchen juristischen Kollegien wird gescharrt, wenn das Wort ‚Reichsverfassung‘ fällt.“
Der Kapp-Putsch vom März 1920 war für Troeltsch keine Überraschung; er hatte ihn längst kommen sehen: „Es ist die alte ,militaristische‘ Gesellschaft, die um ihr Dasein und ihre Wiederherstellung kämpft und die zu diesem Zweck keine neuen Mittel finden kann und will, sondern lediglich die alten militaristischen der Gewalt ausreichend und geeignet glaubt.“



Daß die Abwehr des Kapp-Putsches nicht zur Festigung der Republik genutzt, daß – im Gegenteil – diese zusätzlich geschwächt wurde, als in den Reichstagswahlen vom Juni 1920 die Parteien der „Weimarer Koalition“, SPD, Zentrum und DDP, ihre parlamentarische Mehrheit verloren, dies war für Troeltsch eine bittere Enttäuschung. Bis zu seinem Tode kreisten seine Überlegungen um das Kernproblem: die Bildung einer stabilen, mehrheitsfähigen Regierung der Mitte. Denn die einzige Alternative dazu war, wie er klar sah, eine Diktatur von rechts, mit der Reichswehrgeneräle, preußische Junker und Industriebarone liebäugelten.
Im September 1921, nach der Ermordung Matthias Erzbergers, berichtete Troeltsch, was ihm ein Großindustrieller mit schöner Offenherzigkeit anvertraut hatte: „Das Blut müsse fließen, das am 9. November nicht geflossen sei, und zwar diesmal das Blut der Linken, während damals das der Rechten in Gefahr war. Die Industrie werde den Wiederaufbau schaffen, aber vorher müsse der Sozialismus niedergeworfen werden, mit dem der Aufstieg unmöglich sei. Ein entscheidender Bürgerkrieg und eine deutsche Faszistenbewegung seien unvermeidlich, um wieder klare Verhältnisse zu schaffen.“ Sie mußten allerdings noch zwölf Jahre warten, bis klare Verhältnisse in ihrem Sinne geschaffen wurden.
Troeltsch verkannte nicht, daß es der Weimarer Demokratie an Attraktivität mangelte, daß die meisten Parteipolitiker von höchst mittelmäßiger Statur waren, und dennoch war er nicht bereit, in den allgemeinen Chor der Parteienverdrossenheit einzustimmen: „Parteien müssen sein“, so mahnte er. „Sie sind das einzige Mittel der Regierungsbildung, ob sie einem gefallen oder nicht.“
Schwer getroffen wurde Troeltsch durch die Nachricht von der Ermordung seines Freundes Walther Rathenau im Juni 1922. Für ihn stand die neuerliche Mordtat in ursächlichem Zusammenhang mit der konstitutionellen Blindheit der Weimarer Justiz gegenüber dem rechten Terror: „Trotz aller Revolution regieren im Grunde die alten Beamten, urteilen die Gerichte im Sinn des alten Systems, werden die Vertreter der Linken ermordet, wird denen der Rechten kein Haar gekrümmt. Die Mörder können mit Hilfe der breiten und reichen Organisationen stets verschwinden, die Helfershelfer finden die Gunst des Gesetzes und werden freigesprochen.“
So hellsichtig Troeltsch die innenpolitischen Gefahrenmomente diagnostizierte, so borniert zeigte er sich als Beobachter der außenpolitischen Szenerie. In den Friedensbedingungen, die der Versailler Vertrag dem besiegten Land auferlegte, vermochte er – wie die meisten seiner Zeitgenossen – nur den Ausdruck unbändiger Rachsucht auf seiten der ehemaligen Kriegsgegner zu erkennen – eine „imperialistische Ungeheuerlichkeit, ähnlich wie einst das Vorgehen Roms gegen Karthago“. Unaufhörlich geißelte er das „Dogma von der deutschen Kriegsschuld“, ohne sich jemals ernsthaft die Frage zu stellen, ob daran nicht auch etwas Wahres sein könne. „Jedenfalls hat der damalige Generalstab alles eher getan, als den Krieg zu betreiben“, schrieb er im Juni 1919. Heute wissen wir, daß es gerade der deutsche Generalstabschef Helmuth von Moltke war, der im Mai 1914 auf einen Präventivkrieg drängte und die deutsche Reichsleitung damit in eine hochriskante Konfrontationsstrategie hineintrieb, die Ende Juli 1914 zum Weltkrieg eskalierte.
Gewiß – die Archive waren damals noch nicht allgemein zugänglich, aber mußte Troeltsch USPD-Politikern wie Karl Kautsky und Kurt Eisner, die sich um die Aufdeckung der Wahrheit bemühten, der „hysterischen Selbstbeschuldigung des deutschen Volkes“ bezichtigen? Und: Mußte er sich unbedingt stark machen für ein „neues Nationalgefühl“, das nur Wasser war auf die Mühlen der Rechten?
Im Nachwort des Herausgebers Johann Hinrich Claussen ist allerdings von den Grenzen des politischen Publizisten Ernst Troeltsch nicht die Rede. Überhaupt ist die Edition zu bemängeln: Die Auswahlkriterien werden nicht offengelegt; ein Sachregister fehlt; das kommentierte Personenregister enthält zum Teil fragwürdige Wertungen. Nicht ein Wort verliert der Herausgeber auch über die Edition von 1924 und über deren Herausgeber: Hans Baron, einen jungen Schüler Friedrich Meineckes, der sich später zu einem der bedeutendsten Renaissance-Forscher entwickelte. 1933 mußte der Berliner Privatdozent, wie viele andere gerade der begabtesten deutschen Historiker, emigrieren. Er wurde vertrieben durch eine rechte Diktatur, deren Heraufkunft Ernst Troeltsch schon 1921 prophezeit hatte.  Volker Ullrich

Ernst Troeltsch: Die Fehlgeburt einer Republik  - Spektator in Berlin 1918 bis 1922
Zusammengestellt und mit einem Nachwort versehen von Johann Hinrich Claussen; Eichborn Verlag, Frankfurt am Main


Dieses Pendeln von einem Extrem ins andere kennen natürlich auch andere Nationen, denn es ist ein allgemeinmenschlicher Zug. Aber bei uns ist die Amplitude unerbittlicher.
Andernorts fließt sogar schneller Blut als bei uns. Aber bei uns steigern sich durch Zurückhaltung die Spannungen ins Übermaß, dem schließlich keiner mehr Herr wird. Und so wird Botho Strauss am Ende recht behalten.

Freitag, 29. Dezember 2017

Nana Akufo-Addo



 (Kommentar hier).

Naturliebe und Wahrheitsliebe

„Wir Menschen verursachen das größte Artensterben seit Ende der Dinosaurier“, gab dieser Tage Eberhard Brandes, Vorstand des WWF Deutschland, bekannt. Mit rund 25.800 bedrohten Tier- und Pflanzenarten sei im zu Ende gehenden Jahr ein neuer dramatischer Höchststand erreicht worden. „Wilderei, Lebensraumverlust, Klimawandel und die dauerhafte Übernutzung natürlicher Ressourcen vernichten biologische Vielfalt“, erklärte der WWF-Vorstand.
Die dramatische Botschaft verfehlte ihre Wirkung nicht und bescherte dem WWF die begehrten Schlagzeilen. Die sind wichtig für das Spendenaufkommen aber auch für den politischen Kampf, in dem es dann wiederum um Ideologien geht, etwa zur Durchsetzung der „Energiewende“ oder der „Landwirtschaftswende“.

Doch trotz der Instrumentalisierung haben die Meldungen zur Bedrohung der Artenvielfalt einen realen Kern: Nach wie vor sind Wildtiere und Pflanzen teilweise stark gefährdet, vornehmlich durch die Umwandlung von Wildnis in Agrarland und durch Wilderei. Dafür verantwortlich sind aber nicht unbedingt Reichtum und Industriegesellschaft, sondern oft das genaue Gegenteil: Vielfach plündern Menschen aus purer Armut die Natur, etwa wenn die letzte Vegetation als Feuerholz verheizt wird, weil es keine andere Möglichkeit gibt, um sich ein warmes Essen zu bereiten.
Der WWF-Satz „Wir Menschen verursachen das größte Artensterben seit Ende der Dinosaurier“ ist allgemein genug gefasst, um nicht falsch zu sein, erweckt allerdings den Eindruck, die menschliche Rücksichtslosigkeit gegenüber anderen Geschöpfen sei aktuell größer denn je. Doch das stimmt nicht. Längst gehört es zum zivilisatorischen Konsens, zumindest in den wohlhabenden Ländern, dass der Verlust einer Art verwerflich und nicht wieder gut zu machen ist. Die berühmten Fälle kompletter Auslöschung – von Auerochse bis Dodo – fanden zwischen dem 17. und dem 20. Jahrhundert statt – und nicht, wie die meisten Menschen glauben, in jüngster Zeit.

Zwei Ursachen machten die erwähnten 300 Jahre zur Epoche der Ausrottungen. Die Eroberung der Welt durch europäische Auswanderer. Überall wo sie hinkamen, ob Australien, Südafrika oder Nordamerika, knechteten sie nicht nur die dort lebenden Menschen, sondern massakrierten auch die Tierwelt.
Die andere Ursache war die steigende Nachfrage nach Öl, das – weil Erdöl noch unbekannt war – von Walen, Robben und Seevögeln stammte, denen man auf allen Meeren nachstellte und sie zu Millionen abschlachtete.

Die Geschichte der großen Naturausbeutung ist in Vergessenheit geraten, weil sie nicht ins zeitgeistige Narrativ passt, dass die Natur noch nie so schlecht behandelt wurde wie von uns Heutigen.
Der letzte Bericht über die Sichtung eines lebenden Dodo auf Mauritius stammt beispielsweise aus dem Jahre 1690. Die truthahngroßen, mit den Tauben verwandten Vögel (auf Deutsch auch Dronte genannt) hatten mangels Feinden das Fliegen verlernt. So wurden sie zu einer leichten Beute für Seefahrer, die sie in Massen erschlugen und als Proviant mitnahmen. Parallel dazu fraßen von Schiffen eingeschleppte Ratten und andere Tiere Eier und Küken der Dodos.
Zwischen dem 17. und dem 20. Jahrhundert wurden die meisten Tiere ausgerottet. Es war die Zeit, als die Europäer andere Kontinente und Inseln für sich entdeckten und eroberten. Das World Conservation Monitoring Centre (WCMC) kann für die vergangenen 400 Jahren das Verschwinden von etwa 700 Tierarten nachweisen. Bekannte Arten, die von Menschen bis zum letzten Exemplar vernichtet wurden, sind neben dem Dodo die Wandertaube (1914), das Quagga-Zebra (1887), die Stellersche Seekuh (1768) und der Auerochse (1627).

Auch Naturvölker untergruben bereits ihre eigenen Lebensgrundlagen. Die weisen Indianer, sanften Südseeinsulaner und andere edle Wilde entspringen leider mehr europäischen Wunschphantasien als der Realität. Die tausendfach zitierte Rede des Indianerhäuptlings Seattle („Erst wenn der letzte Baum gefällt ...“) stammt in Wirklichkeit aus der Feder des amerikanischen Drehbuchautors Ted Perry, der sie in den 1970er Jahren für einen Film über Umweltschutz verfasst hat. Seattles rote Brüder benahmen sich aber mitunter wie die Axt im Walde. Der Anasazi-Stamm beispielsweise, der im heutigen New Mexico lebte, baute ein riesiges fünfstöckiges Wohnhaus: hundert Meter lang und hundert Meter breit. Der Bau- und Brennholzbedarf der Anasazis verwandelte die ehemals bewaldete Region in eine Wüste.
Was wir heute dank der Naturwissenschaften als selbstverschuldete ökologische Fehler erkennen können, erschien den archaischen Gesellschaften als Fluch der Götter. Die Maori, Ureinwohner Neuseelands, schlachteten die dortige Tierwelt in einer Weise ab, die an die Büffelmassaker der amerikanischen Siedler erinnert. Zu Tausenden erschlugen sie die straußenähnlichen Moa-Vögel, die bei der Ankunft der ersten Weißen schon lange ausgerottet waren.
Die Sorge um die Vielfalt der Geschöpfe treibt Biologen und Naturfreunde schon seit Jahrzehnten um. Die sich ausdehnende Zivilisation, Landwirtschaft und Abholzungen verkleinern den Lebensraum vieler Tiere und Pflanzen. In jüngster Zeit wird nun der Klimawandel immer öfter als „Artenkiller“ ins Feld geführt. Das liegt auch daran, dass es für die Biologen leichter ist, Forschungsmittel zu erhalten, wenn der Antrag das Wort „Klimawandel“ enthält.

Immerhin: Die Biodiversitätsforschung – lange Zeit ein Stiefkind der Forschungsförderung – hat es jetzt leichter, die dringend notwendigen Gelder einzusammeln. Die Erforschung der Artenvielfalt steht nämlich nicht am Ende, sondern erst am Anfang. Ein Großteil der Lebewesen in Regenwäldern, Tiefsee und anderen schwer zugänglichen Örtlichkeiten blieb bis heute den Augen der Wissenschaftler verborgen. Zwar sind den Biologen etwa 1,75 Millionen Tier- und Pflanzenarten bekannt. Doch selbst diese Zahl ist unsicher, weil bisher nicht alle Melderegister der Naturkundemuseen miteinander abgeglichen wurden.
Schätzungen über die Zahl der noch unbekannten Arten kommen hingegen einem wissenschaftlichen Offenbarungseid gleich: Sie schwanken zwischen drei und 100 Millionen. Der größte Teil davon sind – so wird vermutet – noch unentdeckte Käfer im tropischen Regenwald. Weil der Mensch den Inhalt der Schatztruhe des Lebens nicht kennt, weiß er naturgemäß auch nicht genau, was daraus verschwindet.

Als wäre das alles nicht schon spekulativ genug, werden jetzt die Spekulationen und Hochrechnungen über aussterbende Arten auf Spekulationen und Hochrechnungen über unser künftiges Klima draufgesattelt. Kombiniert man die jeweiligen Modellrechnungen, ist der Weg ins wissenschaftliche Chaos vorprogrammiert. Wer in diesen Untersuchungen nach einer belastbaren empirischen Datengrundlage sucht, stochert alsbald nur noch im Nebel.

Wie überraschend die tatsächlichen Vorgänge in der Natur oft sind, erklärt Evolutionsbiologe Josef H. Reichholf: „Meine eigenen Langzeituntersuchungen, insbesondere an der sehr artenreichen Gruppe der nachts fliegenden Schmetterlinge, zeigen für die letzten vierzig Jahre bei uns genau das Gegenteil des Erwarteten: Arten, die warmes, trockenes Klima brauchen, haben zum Teil sehr stark abgenommen oder sind verschwunden.“
Ursache sei die Überdüngung des Landes mit Nährstoffen, vor allem mit Stickstoffverbindungen. Die Bodenvegetation wächst dank dieser überreichen Versorgung viel früher und viel dichter auf als in der Vergangenheit. Das schafft im bodennahen Bereich kälteres und feuchteres Mikroklima. Viele Insekten, aber auch am Boden brütende Vögel kommen mit diesem nasskalten Milieu nicht zurecht. Das verursacht einen großen Teil der Artenrückgänge und -verluste und wirkt den für diese Arten eher günstigen Effekten wärmerer Sommer und milderer Winter massiv entgegen.

Warme Sommer haben andererseits etliche Arten nach Deutschland gelockt, die unsere heimische Natur bereichern. Eine davon ist der Bienenfresser, ein bunt gefiederter Schönling, der von Insekten lebt und es gern warm und trocken hat. Mit seinem gelb-schwarz-grün-blau-braunen Federkleid sieht er wie ein tropischer Vogel aus. Doch eigentlich ist er kein wirklicher Neuzugang in Deutschland, sondern ein Rückkehrer.
Auf mittelalterlichen Gemälden sind Bienenfresser häufig zu sehen, ebenso Blauracken, Wiedehopfe und andere Arten, die heute im Mittelmeerraum verbreitet sind. Denn damals ­– zur Zeit des mittelalterlichen Kimaoptimums – war es in Mitteleuropa wärmer als heute. Dann kam die sogenannte kleine Eiszeit, und die gefiederten Sonnenfreunde wanderten nach Süden. Für das Saaletal in Sachsen-Anhalt ist belegt, dass dort bis ins 17. Jahrhundert Bienenfresser vorkamen. Seit 1990 sind sie wieder da.
Es kommt eben immer auf die Perspektive an: Aus Sicht der Bienen ist die Rückkehr der Bienenfresser natürlich ein Übel.

Auch mediterrane Wanderschmetterlinge wie Taubenschwänzchen und Totenkopfschwärmer kommen immer häufiger über die Alpen geflattert, um in Deutschland Nektar zu saugen.
Mitteleuropäische Vögel dringen unterdessen immer weiter nach Norden vor. So nisten seit Mitte der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts Graureiher in Tromsø. Manche Zugvögel ziehen nicht mehr, da sie mit Hilfe der von Menschen bereitgestellten Futterhäuschen gut über die mitteleuropäischen Winter kommen. Besonders die anpassungsfähigen Kurzstreckenzieher korrigieren ihre Reiserouten. So überwintern viele Mönchsgrasmücken nicht mehr wie früher in Südeuropa oder Nordafrika, sondern im südlichen England. Höchst erstaunlich ist dabei, wie schnell der neue Flugplan in den genetischen Code der Tiere eingebaut wird.

Dass wärmere Temperaturen zu einem Rückgang der Artenvielfalt führen, ist prinzipiell keine sonderlich plausible Prognose. Zwei einfache Befunde sprechen dagegen. Erstens nimmt die Artenvielfalt der Erde zum Äquator hin immer mehr zu. Die geringste Artenvielfalt herrscht an den Polen und in der Kälte der Hochgebirge, die höchste im tropischen Regenwald (und wieviel von diesem Tropenwald erhalten bleibt, ist für die Artenvielfalt des Planeten wahrscheinlich entscheidender als alles andere). Zweitens waren die Warmzeiten der Erdgeschichte immer die artenreichsten, während in den Eiszeiten die Vielfalt abnahm. Warum sollte es diesmal anders sein – falls es wirklich zu einer starken Klimaerwärmung kommt?

Global gesehen verschieben Klimaänderungen die großen Gürtel der Vegetation bei Erwärmung polwärts und bei Abkühlung äquatorwärts. Bedroht sind bei diesem seit rund zwei Millionen Jahren laufenden Wechsel von Warm- und Kaltzeiten solche Arten, die mit kleinen Verbreitungsgebieten „geographisch festsitzen“, insbesondere Insel- und Gebirgsarten. Auf Mitteleuropa bezogen, wird es keine echten Gewinner und Verlierer geben, denn es stellt ein Überlagerungsgebiet von Arten aus verschiedenen Klimazonen dar.

Und damit sind wir wieder beim Aussterben der Dinosaurier: Die Äonen in denen sie lebten, waren überwiegend deutlich wärmer als unsere heutigen Zeiten. Wenn ein klimatischer Einfluss zu ihrem Verschwinden beitrug, dann die Tatsache, dass es plötzlich kälter wurde.  Dirk Maxeiner

Donnerstag, 28. Dezember 2017

Stockholmsyndrom als Staatsräson

Es hat bekanntlich einige Empörung ausgelöst, dass auf der offiziellen Gedenkfeier von Bundesregierung und Berliner Senat für die Opfer des islamistischen Terroranschlags auf dem Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz ein äußerst zweifelhafter Imam auftreten durfte.
Dass Mohamed Matar von der Neuköllner Dar-as-Salam-Moschee in der Gedächtniskirche, also einem christlichen Gotteshaus, friedliche Worte sprach, ist für den Berliner Senat offenbar Ausweis genug für gelungene Integration. Es war schließlich nicht die erste Veranstaltung, auf der beispielsweise der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) gemeinsam mit diesem Imam auftrat. Dessen Gemeinde wird vom Verfassungsschutz wegen vermuteter Nähe zur islamistischen Muslimbruderschaft beobachtet, doch das ficht den Berliner Senat nicht an.

Offenbar ist diese Auftritts- und Einladungspraxis aber auch ein Statement zum Umgang mit dem Islam. Lieber unterwirft man sich der Deutungshoheit der Radikalen, als die von diesen bekämpften liberalen Muslimen wenigstens in gleichem Maße anzuerkennen.
Seyran Ates, die bekanntlich in Berlin eine liberale Moschee gegründet hat und wegen zahlreicher ernstzunehmender Todesdrohungen unter Polizeischutz leben muss, wurde nicht einmal eingeladen, wie sie selbst jetzt auf Facebook mitgeteilt hat:
Außerdem sollte die Öffentlichkeit erfahren, dass wir/die Ibn Rushd - Goethe Moschee „bewusst“ nicht eingeladen wurden. Zu keiner der Gedenkfeiern!!
Darin sehe ich eine klare Positionierung gegen uns, gegen die liberalen und säkularen Bestrebungen innerhalb der muslimischen Community. Pfarrer Germer hatte sich ja eh schon gegen die Aktion unseres Gesellschafters, der seine Thesen zu Reformen im Islam an die Tür der besagten Moschee geheftet hat, geäußert.
Ich bin um 18:30h aus eigenem Antrieb zum Gottesdienst und zur anschließenden Gedenkveranstaltung. Darüber waren sicher nicht alle begeistert.
Leider habe ich ziemlich wenige Muslime wahrgenommen. Ich habe die vielen Muslime vermisst, die sonst gerne auf die Straße gehen und Fahnen schwingen. Dies wäre eine Gelegenheit gewesen, ein anderes Gesicht vom Islam, unserer Religion, zu zeigen. Schließlich starben 12 Menschen im Namen des Islam. Die Leugnung, dass diese Attentate was mit dem Islam zu tun haben, wird für mich immer unerträglicher.
Schämt euch! Alle, die immer noch verharmlosen und lieber wegschauen als die Verantwortlichen zu benennen.
Eine Art „Stockholmsyndrom“ macht sich breit. Das macht mir Sorge.
Siehe auch hier und hier     Peter Grimmb

Andreas Dexheimer

Ein mysteriöses Frauensterben hält die Republik in Atem. Meistens stechen "Männer" auf sie ein, bevorzugt in aller Öffentlichkeit, und irgendwie kannte man sich in der Regel schon vorher. In Halle ist jetzt ein "49jähriger" verhaftet worden, weil er dingend verdächtig ist, in einem Einkaufszentrum eine Frau umgebracht zu haben, mit der er in irgendeiner rätselhaften Beziehung stand. Eine Nacht vor der Geburt des Propheten Īsā ibn Maryam hat ein "16jähriger" in Darmstadt seine Freundin niedergestochen. Am 20. Dezember versuchte ein junger Afghane in Berlin, seine 17jährige Ex-Freundin in der Havel zu ertränken, wobei er selbst fast umkam (was nicht witzig ist!).

Am meisten beschäftigt die Öffentlichkeit mit Ausnahme der Öffentlich-Rechtlichen derzeit aber der Einzelfall, der sich im südpfälzischen Kandel zutrug. Ein, wie ich vorgestern schrieb, 15-jähriger Afghane hat in einem Supermarkt ein gleichaltriges Mädchen erstochen. Wie man an einem inzwischen überall kursierenden Foto des Jünglings sieht, sind verhaltensauffällige 15jährige Afghanen körperlich ungefähr so entwickelt wie 20jährige Deutsche, was sie aber mit ihrer geistigen Entwicklung oft zu kompensieren wissen. Polizei und Staatsanwaltschaft haben bekanntgegeben, dass es sich um einen unbegleiteten minderjährigen Asylsuchenden und um den Ex-Freund des Mädchens handelt.

Hat irgendwer etwas falsch gemacht? Gehen wir den Fall durch.

Auf Focus online fand sich ein Experte, der auf die Frage: "Könnte das Frauenbild, das er aus seiner Heimat mitgebracht hat, eine Rolle spielen?", folgendes kund und zu wissen gab: "Ich denke nicht, dass es irgendeine Rolle gespielt hat. Denn grundsätzlich ist das Frauenbild von jungen Afghanen von Wertschätzung geprägt. Die Mutter hat in der Familie die Hosen an. Diese Wertschätzung gilt ebenfalls jüngeren Frauen oder Gleichaltrigen."

Ich zitiere, was ich an dieser Stelle schon einmal zum Ruhme des afghanischen Mannes und seines Mutterbildes zitiert habe (am 17. Dezember 2016): "In spite of major achievements, women remain one of the most marginalized segments of the Afghan population. (...) Violence against women and girls is exceptionally high in Afghanistan and is almost at a pandemic level, with up to 87.2 percent of women having experienced some form of violence (Hervorhebung von mir – M. K.) such as physical, psychological, sexual, economic violence, social abuse as well as forced and early marriage." Also sprach Phumzile Mlambo-Ngcuka, seit 2013 Präsidentin von "UN Women".
Mohammad Musa Mahmodi, geschäftsführender Direktor der Unabhängigen Menschenrechtskommission für Afghanistan, erklärte: "Diskriminierung von Frauen und die Gewalt gegen sie sind seit Jahrhunderten in der afghanischen Gesellschaft verankert." Amnesty International gab bekannt: "Seit über einem Jahr werden vor allem aus den ländlichen Regionen Afghanistans wieder vermehrt Fälle gemeldet, in denen Frauen und Mädchen geschlagen, verstümmelt, entführt oder getötet werden." Nochmals Amnesty International: "Nach einer Statistik des afghanischen Gesundheitsministeriums wurden für das Jahr 2014 offiziell 4466 Selbstmordversuche durch Gifteinnahme und 2301 durch Selbstanzünden erfasst. (...) Als wichtigster Grund für die Selbstmordversuche bei Frauen galt geschlechtsspezifische Gewalt." (Inzwischen soll sich die Situation dort durch Abwanderung der Agilsten etwas, aber kaum merklich entspannt haben.)

Der Experte für Asylbetrugsbegleitgeschwafel, Abwiegelung und Anbiederung heißt übrigens Andreas Dexheimer. Merken Sie sich den Namen.

Hat vielleicht das Mädchen etwas falsch gemacht? Aber hatte die Kleine eine Wahl? Nachdem unsere Sonnenkanzlerin erst Hunderttausende junger Männer aus vormodernen Kulturen ins Land gelassen und "Wir schaffen das!" als Tagesparole und Endsiegsverheißung ausgegeben hatte, hat sich eben das eine oder andere Landeskind auf einen der temperamentvollen Schutzsuchenden eingelassen, die naturgemäß nach Frauen Ausschau halten, und, da sie kaum Partnerinnen der gleichen Artung finden, sich mit deutschen Mädchen zu paaren suchen. Die wiederum haben von Kika und Schule und Tagessthemen und Kirchen und Merkel und Grünen nichts anderes als fromme Gauckiaden über die Zugelaufenen zu hören bekommen, sie wissen nicht, dass sie mit dem ersten Kuss quasi in den Besitz des männlichen Neubürgers übergehen, dessen Ehre es nicht zulässt, dass die Frau eigene Entscheidungen trifft und ihm wieder davonläuft. Tja, und dann kommt es eben zu interkulturellen Missverständnissen, die sich aber in den nächsten hundert Jahren moderieren werden, vielleicht sogar schneller, je nachdem, welches Frauenbild die Oberhand behält. Die Zahl der Opfer bleibt überschaubar; der Blogger Oliver Janich hat soeben ein Buch über Ausnahmefälle wie in Kandel veröffentlicht, und das ist 765 Seiten dick (ich sagte ja: überschaubar). Im Grunde müsste sich die Bundeszentrale für politische Bildung dafür interessieren, doch dort ist man noch nicht so weit, Deutsche als Opfer ins Programm zu nehmen; müssen sie erst noch lernen.   

Hat die Polizei etwas falsch gemacht? Medienberichten zufolge "stalkte" der abservierte Stolze sein abspenstiges Besitztum. Der Mannheimer Morgen berichtet: "Die Eltern des Opfers hatten den mutmaßlichen Täter bereits vor zwei Wochen wegen Beleidigung, Nötigung und Bedrohung angezeigt. (...) Nach der Anzeige sei der Jugendliche der Vorladung der Polizei mehrfach nicht gefolgt. Daraufhin hätten Polizisten ihm noch am Tattag die Vorladung am Vormittag persönlich ausgehändigt. Bereits zuvor hatte die Polizei eine sogenannte Gefährderansprache gemacht – und den Jugendlichen auf sein Verhalten angesprochen und ihn gewarnt. 'In aller Regel fruchten solche Ansprachen auch', sagte der Ludwigshafener Polizeivizepräsident Eberhard Weber." 

"In aller Regel" meint: bei Zivilisierten. Bei einigen von Merkels Gästen haben die rührenden Behörden mit dem Instrumentarium des Rechtsstaates offenkundig das sogenannte Ende der Fahnenstange erreicht. Eine gewisse Klientel ist davon nicht beeindruckbar. Diese fidelen Kreaturen werten die Bemühungen um ihre Sozialisation als Eingeständnis von Schwäche. Bewährungsstrafen interessieren sie nicht, sondern ermuntern sie eher, Geldstrafen können sie eh nicht bezahlen, Haftstrafen bringen keinen Imageverlust, weil sie kein bürgerliches Image kennen und es meist keinen Arbeitgeber geben wird, der nachschaut. Wie man mit ihnen ein gedeihliches Zusammenleben organisiert, darüber sollten Sie den Jürgen Habermas befragen, der in migrationsfreundlichen Kreisen als bedeutendster lebender deutscher Denker gilt und 1995 in seiner Paulskirchenrede verkündet hat: "Aus den gewiß konfliktreichen und schmerzhaften Prozessen des Übergangs zu multikulturellen Gesellschaften geht eine bereits über den Nationalstaat hinausweisende Form der sozialen Integration hervor". Die "gemeinsame Bindung an historisch errungene republikanische Freiheiten" sowie "eine im historischen Bewußtsein verankerte Loyalität zu einer überzeugenden politischen Ordnung" seien es, die "über alle subkulturellen Differenzen hinweg das wechselseitige Einstehen der Bürger füreinander motivieren". 

Keiner hat etwas falsch gemacht. Auch die Medien nicht. Die Tagesschau erklärte auf anscheinend vielfache Anfrage: "Nach allem, was wir bisher wissen, handelt es sich um eine Beziehungstat. So schrecklich sie gewesen ist, vor allem für die Eltern, Angehörigen und Bekannten – aber tagesschau und tagesschau.de berichten in der Regel nicht über Beziehungstaten."

Stimmt. Es handelt sich um eine Beziehung: die deutsch-afghanische nämlich.  MK am 29. 12. 17

Kurze Ergänzung zu dem Beitrag von Alexander Wendt: "Krieg gegen Frauen".
Nach dem Mord an einer 15jährigen gibt ein Pädagoge Einblick in die Psyche des Täters. Auf die Frage, ob das Frauenbild, das der Täter, ein Afghane, aus seiner Heimat mitgebracht hat, bei der Tat eine Rolle gespielt haben könnte, sagt er Folgendes:
Ich denke nicht, dass es irgendeine Rolle gespielt hat. Denn grundsätzlich ist das Frauenbild von jungen Afghanen von Wertschätzung geprägt. Die Mutter hat in der Familie die Hosen an. Diese Wertschätzung gilt ebenfalls jüngeren Frauen oder Gleichaltrigen. Das zeigt auch die Erfahrung unserer Mitarbeiterinnen, die mit jungen afghanischen Männern keine besonderen Probleme haben...
Auch sonst sagt der Sozialpädagoge, der in den vergangenen Jahren weit über 10.000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge betreut hat, viele lustige Sachen, welche die Tat als Folge einer "posttraumatischen Belastungsstörung" erscheinen lassen und den "mutmaßlichen Täter" als "Pubertierenden", der "eine narzisstische Kränkung" nicht verarbeitet hat.
Und jetzt warten wir gespannt auf ein forensisches Gutachten zum Alter  des Messerstechers. Sollte er bereits seit mehreren Jahren 15 sein, wird der Experte seine Expertise vermutlich dahingehend ändern, dass der Afghane aufgrund der narzistischen Störung emotional auf dem Niveau eines 15jährigen verblieben ist.  HMB

Vor kurzem bin ich auf Bild.de auf das Foto eines sympathischen, geschätzt Mitte 30-jährigen Flüchtlings gestoßen. Als ich in der Bildunterschrift gelesen habe, dass Muhammad 18 Jahre alt sein soll, musste ich erst einmal lachen. Dann habe ich mir als angehende Medizinerin natürlich eine ganz naive Frage gestellt: Kann man das Alter von Flüchtlingen, die auffällige Altersangaben nicht mit Ausweisdokumenten belegen können, nicht einfach medizinisch bestimmen? Antwort: Ja, man kann – jedenfalls wenn man darf.

Im Januar 2016 gab es nach Angaben des Bundesfachverbands unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge e. V. etwa 60.000 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (UMF) in Deutschland. Da UMF eine besondere Betreuung zukommt und sie seltener abgeschoben werden, ist es grundsätzlich denkbar, dass sich Flüchtlinge ohne Ausweisdokumente bei der Einreise nach Deutschland als minderjährig ausgeben. Weil die Betreuung von sogenannten UMF erhebliche Kosten verursacht und Ressourcen in einem Sozialstaat gerecht verteilt werden sollten, stellt die Überprüfung verdächtiger Altersangaben von Flüchtlingen eine besondere gesellschaftliche Verpflichtung dar.

Wann darf man das Alter eines Flüchtlings medizinisch bestimmen?

Welche Untersuchungen bei einer forensischen Altersbestimmung zum Einsatz kommen können, hängt, wie Rechtsmediziner der Arbeitsgemeinschaft für forensische Altersdiagnostik (AGFAD) der Deutschen Gesellschaft für Rechtsmedizin in einem Übersichtsartikel schreiben, von der Rechtsgrundlage zur Durchführung von Röntgenuntersuchungen ab. Diese sind für eine zuverlässige Altersdiagnostik notwendig. Allerdings bedarf der Einsatz von Röntgenstrahlung am Menschen nach der sogenannten „Verordnung über den Schutz vor Schäden durch Röntgenstrahlen (Röntgenverordnung - RöV)“ entweder einer medizinischen Indikation oder einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage. Die Rechtsmediziner der AGFAD geben an, dass es zwar verschiedene Ermächtigungsgrundlagen für Röntgenuntersuchungen zur Altersdiagnostik ohne medizinische Indikation gibt, dass allerdings die Rechtsprechung zur Zulässigkeit von Röntgenuntersuchungen außerhalb von Strafverfahren uneinheitlich ist.
Hauptargument gegen Röntgenuntersuchungen zum Zweck der Altersschätzung im Anwendungsbereich des Aufenthaltsgesetzes ist die Strahlenbelastung. Aus juristischer Sicht muss gewährleistet sein, dass die untersuchte Person gesundheitlich nicht gefährdet wird. Die Rechtsmediziner sehen durch eine einzelne Röntgenuntersuchung keine unverhältnismäßige Gesundheitsgefährdung. Die effektiven Strahlendosen der zur Altersdiagnostik eingesetzten Röntgenverfahren liegen nämlich mit 0,0001 bis 0,4 mSv weit unterhalb der natürlichen effektiven Dosis in Deutschland von durchschnittlich 2,1 mSv pro Jahr. Damit, so die Autoren, liegt die Risikozunahme durch die Röntgenuntersuchung zur Altersdiagnostik im Bereich anderer Alltagsrisiken, zum Beispiel der Teilnahme am Straßenverkehr; damit ist eine besondere Gesundheitsgefährdung nicht anzunehmen.

Wie forensische Altersdiagnostik funktioniert

Liegt eine Rechtsgrundlage für Röntgenuntersuchungen ohne medizinische Indikation vor - also wenn man darf -  empfiehlt die Arbeitsgemeinschaft folgende Methoden zur Altersbestimmung:
  • eine körperliche Untersuchung,
  • eine Röntgenuntersuchung der Hand und
  • eine zahnärztliche Untersuchung inklusive einer Röntgenaufnahme der Kieferregion.
Ergibt die Röntgenaufnahme, dass die Handskelettentwicklung abgeschlossen ist, kann das ein Hinweis darauf sein, dass der Untersuchte bereits volljährig ist. Zur weiteren Absicherung wird dann eine zusätzliche Röntgen- oder CT-Untersuchung der Schlüsselbeine empfohlen um deren Entwicklungsstand zu prüfen. Umgekehrt verzichtet man darauf, die Schlüsselbeine zu röntgen, wenn die Untersuchung der Hand bereits auf ein jüngeres Alter hindeutete.
Bei der körperlichen Untersuchung wird die körperliche Entwicklung u. a. anhand der Geschlechtsteile beurteilt. Entwicklungsstörungen, speziell auch hormonelle Störungen, die zu einer beschleunigten Skelettreifung führen, sowie die Einnahme von Medikamenten, die das Wachstum beeinflussen, müssen im Rahmen der Untersuchung ausgeschlossen werden.

Wie aussagekräftig sind die Ergebnisse der forensischen Altersdiagnostik?

Die Aussagekraft der forensischen Altersdiagnostik ist nach Meinung der Rechtsmediziner groß, weil die Ärzte sich auf Referenzstudien stützen können, in denen alterstypische Varianten der Entwicklung der untersuchten Merkmale gelistet sind. Dadurch lässt sich ein Mindestalter bestimmen:
„Das Mindestalter ist das Alter der jüngsten Person der Referenzpopulation, die die jeweilige Merkmalsausprägung aufweist. Bei der Untersuchung mehrerer Merkmalssysteme ist das höchste festgestellte Mindestalter maßgeblich. Die Anwendung des Mindestalterkonzepts stellt sicher, dass das forensische Alter der begutachteten Person keinesfalls zu hoch angegeben wird, sondern praktisch immer unter dem tatsächlichen Alter liegt. Liegt das ermittelte Mindestalter oberhalb der juristisch relevanten Altersgrenze, ist das Überschreiten dieser Altersgrenze mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen. Liegt das ermittelte Mindestalter oberhalb des von der untersuchten Person mitgeteilten Alters, kann dieses praktisch ausgeschlossen werden. Liegt das mitgeteilte Alter oberhalb des ermittelten Mindestalters, ist das mitgeteilte Alter mit den erhobenen Befunden vereinbar.“
In der Publikation präsentieren die Rechtsmediziner das Fallbeispiel eines Somaliers, der angibt 17,5 Jahre alt zu sein und dessen Mindestalter anhand der medizinischen Befunde auf 17,3 geschätzt wird. Sein Maximalalter wird auf 22 und sein wahrscheinliches Alter auf 19 geschätzt. Da das geschätzte Mindestalter unter 18 liegt, es also Personen in einer Vergleichsgruppe gab, die die Merkmalsausprägung des Somaliers in einem Alter von unter 18 noch gezeigt haben, wurde er nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ als minderjährig anerkannt.
Die Arbeitsgemeinschaft erklärt überzeugend, dass durch die forensische Altersdiagnostik das Mindestalter einer Person tendenziell zu niedrig geschätzt wird und so Fälle, in denen minderjährige Flüchtlinge fälschlicherweise als nicht minderjährig geschätzt werden, praktisch ausgeschlossen sind.  Lässt sich zum Beispiel nicht mit Sicherheit feststellen, ob jemand 17 oder 18 ist, wird im Interesse des Flüchtlings entschieden. Die Mindestalterbestimmung eignet sich vor allem dafür, Personen zu identifizieren, die schon einige Jahre älter als 18 sind.

Angst vor politisch instrumentierbaren Aussagen?

Die Arbeitsgemeinschaft für forensische Altersdiagnostik konzentriert sich auf rechtliche und medizinische Aspekten der forensischen Altersdiagnostik. In einer aktuellen Stellungnahme bespricht die Ethikkommission der Bundesärztekammer differenziert und gründlich wichtige ethische Aspekte einer Altersbestimmung. Dazu zählen u. a. Fragen der körperlichen Unversehrtheit, der informierten Einwilligung, der Wahrung der Intimsphäre und der potenziellen Verletzung religiöser Gefühle. Etwas abrupt kommt die Ethikkommission danach zu dem Schluss, dass Röntgen- und Genitaluntersuchungen zum Zweck der Altersdiagnostik – also genau die Untersuchungen, mit denen sich das Alter überhaupt medizinisch bestimmen lässt - abzulehnen sind:
„Aufgrund der gesundheitlichen Risiken bestimmter Verfahren der medizinischen Altersschätzung sind besondere Anforderungen an die wissenschaftlichen Grundlagen der Verfahren zu stellen. Die Verfahren der medizinischen Altersschätzung sollten systematisch evaluiert werden. Soweit möglich sollten auf dieser Basis interdisziplinäre Standards entwickelt werden, die ethische und rechtliche Aspekte angemessen berücksichtigen. Solange solche Standards nicht vorliegen, kann sich die medizinische Altersschätzung im Asylverfahren an den 2004 publizierten Empfehlungen der Arbeitsgemeinschaft für Forensische Altersdiagnostik (AGFAD) außerhalb von Strafverfahren orientieren. Danach sind Röntgenuntersuchungen ausgeschlossen. Darüber hinaus sind Genitaluntersuchungen zum Zwecke der Altersschätzung abzulehnen.“
Stattdessen empfehlen die Medizinethiker sozialpädagogische Tests zur Feststellung der psychischen Reife der Flüchtlinge und schreiben: „Eine medizinische Untersuchung sollte nur in besonderen Ausnahmefällen auf Antrag des Flüchtlings oder – bei Verdacht auf Missbrauch – auf gerichtliche Anordnung vorgenommen werden.“

Ideologisch beeinflusste Kritik an der forensischen Altersdiagnostik

Wer die Website der Arbeitsgemeinschaft für forensische Altersdiagnostik studiert, wundert sich nicht, dass die Bundesärztekammer mit solch „vorsichtigen“ Aussagen in die Öffentlichkeit tritt. Die AGFAD steht wegen der angeblich fehlenden Aussagekraft der forensischen Altersdiagnostik schon seit längerer Zeit in der öffentlichen Kritik. So hat etwa das ZDF in einer Reportage die Methoden der forensischen Altersdiagnostik kritisiert. Die Rechtsmediziner haben sich in einer ausführlichen Stellungnahme gegen die dabei getroffenen Aussagen gewehrt. Darin heißt es:
„Seit Jahren agitiert eine bestimmte, ideologisch motivierte Interessengruppe gegen die amtswegige Sachverhaltserhebung zur Altersbeurteilung fraglich unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge inklusive der Beauftragung eines medizinischen Sachverständigenbeweises. Mittels unzutreffender Behauptungen und einer diskreditierenden Wortwahl wird versucht, öffentlichen Druck auf politische Entscheidungsträger, die Rechtsprechung, die ärztliche Standesvertretung und auch auf Gutachter auszuüben. Ämtern und Behörden wird unterstellt, die forensische Altersdiagnostik als Abwehrstrategie gegen ‚Kinderflüchtlinge‘ zu missbrauchen. Sachverständige werden aufgefordert, sich nicht als „Erfüllungsgehilfen ordnungspolitischer Maßnahmen“ zu betätigen und sich entsprechenden behördlichen Gutachtensaufträgen zu verweigern, andernfalls solle die Bundesärztekammer „berufsrechtlich“ gegen sie vorgehen. Für diese Zwecke wurde zuletzt eine ZDF-Sendereihe instrumentalisiert, was zum Anlass genommen wird, wiederholt gemachte Aussagen dieser Lobby zu kommentieren und ihnen die tatsächlich bestehende Faktenlage gegenüberzustellen.“
Auch auf einer Fachkonferenz “Best Practice for Young Refugees” haben die Wissenschaftler ihre Methoden gegen vermeintliche Kritiker verteidigt.  Ebenso mussten sie sich gegen Falschbehauptungen der Caritas wehren.
Forensische Altersdiagnostik wird in der Öffentlichkeit mit fragwürdigen Behauptungen als „flüchtlingsfeindlich“ diffamiert: sie sei ein unzumutbarer Eingriff in die Privatsphäre und die religiösen Gefühle der Flüchtlinge, eine unzumutbare Gesundheitsschädigung – und vor allem aber ein hinterlistiges Mittel, um minderjährige Flüchtlinge älter zu machen, als sie sind, um ihnen Leistungen zu verweigern, die ihnen eigentlich zustünden.
Die Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit durch die forensische Altersdiagnostik wird in meinen Augen aufgrund einer falschen political correctness überinterpretiert, die Aussagekraft der Untersuchungen in ein schlechtes Licht gerückt (obwohl die Untersuchungen das Alter tendenziell zu niedrig, also im Sinne des Flüchtlings, feststellen) – alles um bloß nicht als ein „Flüchtlingsfeind“ zu gelten.
Forensische Altersuntersuchungen sollten selbstverständlich nach medizinethischen Grundsätzen nur nach einer ausführlichen Information über die möglichen Konsequenzen und nur durch einen Dolmetscher erfolgen und medizinisch sorgfältig und sensibel (gerade wenn es um Genitaluntersuchungen geht) durchgeführt werden. Ist es aus ethischer Sicht vertretbar, einen Flüchtling, der verdächtige Altersangaben macht, aufzufordern, eine Röntgenuntersuchung seiner Hand und seines Kiefers anfertigen zu lassen, wenn davon keine akute Gesundheitsgefährdung ausgeht? Wenn die Altersbestimmung dem höheren Ziel der gerechten Ressourcenverteilung unter Flüchtlingen dient? Und wenn das System der Mindestalterbestimmung nicht die Gefahr birgt, dass der Flüchtling fälschlicherweise als zu alt geschätzt wird? Würden Sie in dieser Situation eine solche Untersuchung an sich vornehmen lassen? Wenn Sie mich fragen: Ich halte das für ethisch vertretbar und würde es tun.
Marisa Kurz, geboren 1988, hat zwar im Doppelstudium Biochemie und Philosophie studiert und abgeschlossen, will aber  Ärztin werden. Deshalb studiert sie seit 2014 Humanmedizin in München und promoviert in Medizinethik. Ihr vollintegrierter bosnischer Straßenhund hat seit kurzem einen EU-Haustierausweis. Marisa schreibt nebenbei Texte und versucht sie bei namhaften Blättern zu veröffentlichen.  Marisa Kurz


Abdul D., der seine 15 Jahre alte Ex-Freundin in einem Drogeriemarkt in Kandel (Rheinland-Pfalz) mit mehreren Messerstichen getötet hat, soll aus Afghanistan stammen und angeblich 15 Jahre alt sein. Ein Foto von ihm in der Zeitung im weißen Hemd mit schwarzer Fliege zeigt indes einen jungen Mann, der eindeutig über 20 ist. Schon als der junge Afghane Hussein K. – nach eigenen Angaben 17 Jahre alt – in Freiburg die Studentin Maria L. vergewaltigte und – wie er einem Mithäftling erzählt – wie ein Tier getötet hatte, kam erst während des laufenden Gerichtsprozesses heraus, wie alt er wirklich ist: Dessen Vater sagte fernmündlich aus, sein Sohn sei 33. Es macht natürlich einen Unterschied, ob ein Mörder nach Jugendstrafrecht verurteilt wird oder nach dem, was man hierzulande unter drakonischer Strafe versteht. Hussein K., ein Muslim, auf dessen Computer man Hunderte Pornobilder fand, ist auch nach Erkenntnissen der Gutachter Anfang 30. Das ergab eine Zahnzementanalyse.
Wenn im Januar die Sondierungsgespräche zwischen Union und SPD über eine neue Große Koalition beginnen, wird auch die Frage der standardisierten Altersfeststellung von „unbegleiteten minderjährigen Migranten“ eine Rolle spielen. Selbst in der CDU, die die Hauptschuld am fahrlässigen, die Innere Sicherheit Deutschlands gefährdenden, Massenzuzug Hunderttausender Menschen aus Afghanistan, dem Irak, Syrien und Nordafrika trägt, fordern neuerdings Abgeordnete, daß man von jedem, wirklich jedem „Flüchtling“, der hier einreist, feststellen muß: Wer ist diese Person? Wie heißt sie? Von woher kommt sie und wie alt ist sie? Wenn nicht wenigstens das erfüllt ist, müsse die Tür in unser Land zu bleiben.
Großparteien: Nichts begriffen, nichts gelernt
Aber ist das durchzusetzen zwischen zwei sozialdemokratischen Parteien und der CSU? Erste Stimmen aus der SPD warnen schon jetzt vor einem Verstoß gegen die im Grundgesetz garantierte Menschenwürde eines jeden, wenn man einem Flüchtling in den Mund schaut. Und im Wahlprogramm 2017 der SPD steht zu lesen: „Außerdem werden wir eine Altfallregelung schaffen, so daß Menschen, die seit mindestens zwei Jahren in Deutschland leben, hier nicht straffällig geworden sind und Arbeit haben oder zur Schule gehen, nicht abgeschoben werden.“
Die stark schrumpfenden Großparteien haben nichts begriffen, nichts gelernt aus dem desaströsen Abschneiden ihrer Parteien bei der Bundestagswahl. Wir wissen, was gut für Euch ist – wer das nicht kapiert, wie besonders die AfD, ist halt rechtsradikal. Diese simple Masche funktioniert nicht mehr. Der Mord vergangenes Jahr in Freiburg und der aktuelle Mord an einer Schülerin in Kandel zeigen wirklich jedem Bürger die Folgen dieser fahrlässigen Vorgehensweise des Staates.  Klaus Kelle



Tagesschau.de kommentierte Palmers Vorstoß mit den weder als Kommentar noch überhaupt namentlich gezeichneten Sätzen:
„Sollte es bei der Altersfeststellung von minderjährigen Flüchtlingen eine Umkehr der Beweispflicht geben? Das bringt der Grünen-Politiker Palmer jetzt ins Gespräch.“
Schon die Formulierung „Altersfeststellung bei minderjährigen Flüchtlingen“ ist agitatorisch und obendrein faktischer Unsinn:  Es geht ja gerade um Fälle, in denen die Minderjährigkeit zweifelhaft ist.
Und „Umkehr der Beweispflicht“? Ernsthaft? Wenn jemand eine staatliche Leistung beziehen möchte, die an eine ganz bestimmte Voraussetzung gebunden ist – in diesem Fall an eine Altersgrenze – dann besteht also nach Ansicht der Tagesschau eine Pflicht des Staates, dem Betreffenden nachzuweisen, dass er nicht berechtigt ist. Und es ist eine Beweislastumkehr, wenn derjenige, der etwas von den Steuerzahlern finanziert haben möchte, seine Anspruchsberechtigung nachweisen soll?
Nach dieser Logik könnte auch jeder einen Antrag auf Hartz IV stellen und gleichzeitig erklären beziehungsweise von Unterstützern erklären lassen, es sei ein unzumutbarer Eingriff in die Privatsphäre, seine eigene Arbeits- und Vermögenssituation offen zu legen.
Dass eine routinemäßige Altersfeststellung in Zweifelsfällen nicht zumutbar ist, dass ein junger und überhaupt ein illegal Eingereister gar nichts nachweisen muss – so lautet seit Jahren die Meinung von Migrationslobbyisten, etwa von Pro Asyl. ARD-Redakteure können das natürlich auch so sehen. Aber dann sollten sie einen Kommentar auf tagesschau.de veröffentlichen oder sich um einen Kommentarplatz in den Tagesthemen bemühen. An- und abmoderiert.

Dort müssten allerdings auch Kommentatoren zu Wort kommen, die den Streitpunkt so sehen wie die große Mehrheit der Gebührenzahler.
Auch gern von außen, wenn sich im Sender selbst niemand findet.   Alexander Wendt

Deutsche Kinderärzte im "Wir-schaffen-das"-und-haben-auch-Bock-dazu-Modus



Leser *** weist darauf hin, dass das Fraunhofer-Institut im Oktober 2017 ein nebenwirkungsfreies Ultraschall Screening-Verfahren zur Altersbestimmung Minderjähriger vorgestellt hat. "Meine Meinung als Arzt für Allgemeinmedizin", schreibt ***: "Die kürzlich von nahezu allen maßgeblichen überregionalen Zeitungen verbreiteten Einlassungen des Ärztekammerpräsidenten Montgomery über eine angebliche 'Beinträchtigung des Menschenwohls' durch medizinische Altersbestimmung bei vorgeblich Minderjährigen Flüchtlingen/Migranten belegen entweder medizinische Inkompetenz des Ärztepräsidenten, oder aber einen böswilligen Täuschungsversuch der Öffentlichkeit. Und außerdem die offenbare Rechercheunwilligkeit (oder eher -unfähigkeit) der gesamten führenden Presseorgane. Da die Ethikkommision vor einiger Zeit auf gleicher Basis argumentiert hat, sollte auch sie ihre Kenntnisse schleunigst auf den neuesten Stand bringen." (Den Link zum besagten Verfahren finden Sie hier.)

Grenzenlose Geduld

Für Spiegel, Stern und Focus vermeldet Meedia ein historisches Verkaufstief im Einzelhandel im November. Der Verkaufs-Flop des Spiegels war leider ein interessanter und nicht unbedingt trendkonformer Titel namens: "'Wer bist du Ratte, dass du der Türkei drohst' – Mitten in Deutschland: Hetze und Einschüchterung im Namen Erdogans" (47/2017), mit 165.354 Einzelverkäufen der historisch schwächste Wert des Spiegels überhaupt. Das konkurrierende Hamburger Blödenblatt lassen wir hier souverän aus, um uns dem Focus zuzuwenden, der weit unten aufschlug mit dem Titel: "Die Leber. Das unterschätzte Organ". Nur 49.374 Leberunterschätzer griffen zu, um sich belehren zu lassen. Wenn es unterschätzte Organe gibt, muss logischerweise auch den überschätzten (Klitoris!) mehr journalistische Aufmerksamkeit eingeräumt werden. Naheliegenderweise sollten sie es beim Focus mal mit dem Titel "Das Gehirn: ein überschätztes Organ" versuchen. (Gern läse ich überdies: "Angeberin Prostata: Es geht auch ohne", "Mythos Milz: Forscher bezweifeln ihre Bedeutung" oder "Faszination Schließmuskel: Der hidden Champion unter den Verschlüssen").


                                ***


Unter der Überschrift "Als Ägypterin kämpfst du ein Leben lang mit sexuellen Übergriffen" berichtet Spiegel online über die alltägliche sexuelle Belästigung von Frauen in Nordafrika (hier). Vergewaltigungen gehören dort zur Folklore. Nicht gestellt wird in dem bedrückenden Text die für unsere Zivilisation bedeutende Frage: Warum importieren wir das?


                               ***


Ein 15 Jahre alter Afghane hat im rheinland-pfälzischen Städtchen Kandel ein gleichaltriges deutsches Mädchen erstochen (hier). Den Namen des Mädchens werden wir nie erfahren, es wird für sie weder eine Lichterkette noch einen #aufschrei noch einen "Stolperstein" geben, denn es handelt sich um einen Zu- und Einzelfall, für den niemand verantwortlich ist, Deutschland ist sicherer geworden, und nur Rechtsextremisten finden einen Zusammenhang mit diesem Fall oder diesem. Der Bub wird vergleichsweise rasch wieder auf freiem Fuß sein.
 MK am 27. 12. 2017

Mittwoch, 27. Dezember 2017

Diskurshoheit & Diffamierung

Die Frankfurter Buchmesse im Oktober war bekanntermaßen von Diebstählen, Zerstörungsaktionen und Brüll-Attacken gegen die Verlage Antaios und Manuscriptum begleitet. Die Übergriffe waren politisch begründet.

Der Manuscriptum Verlag zum Beispiel hat Rolf Peter Sieferles Buch „Das Migrationsproblem. Über die Unvereinbarkeit von Sozialstaat und Masseneinwanderung“ herausgebracht, den Klassiker zum aktuellen Massenansturm auf Europa. Mit der genauen Positionsangabe der Verlagsstände und dem Aufruf zu „aktiver Auseinandersetzung“ hatte die Messeleitung die exakte Zielvorgabe geliefert.
Gegen diese Praktiken legte die Dresdner Buchhändlern Susanne Dagen unter dem Titel „Charta 2017“ öffentlichen Protest ein. Die „Charta“ kritisiert, daß „unter dem Begriff der Toleranz Intoleranz gelebt“ und „zum scheinbaren Schutz der Demokratie die Meinungsfreiheit ausgehöhlt“ würden. Wenn der Börsenverein einen „Gesinnungskorridor“ akzeptiere, sei die „Gesellschaft nicht mehr weit von einer Gesinnungsdiktatur entfernt“.

Gewalt statt Widerspruch
Der Text endet mit der Aufforderung: „Wehret den Anfängen – für gelebte Meinungsfreiheit, für ein demokratisches Miteinander, für respektvolle Auseinandersetzungen!“ Das war eine maßvolle und konsensorientierte Erklärung, die unter anderem von den Schriftstellern Jörg Bernig, Ulrich Schacht und Uwe Tellkamp sowie den Publizisten Cora Stephan, Jörg Friedrich, Matthias Matussek und Heimo Schwilk unterschrieben wurde.
Anfang Dezember wurde ein Gegenaufruf aus dem Dresdner Erich-Kästner-Museum veröffentlicht: „Als Tätige im Literatur- und Kulturbereich mahnen wir zu einer angemessenen Sprache“, heißt es im gestelzten Ton. Der Aufruf zur Kritik an „Autoren, Texten und ihren politischen Botschaften“ dürfe nicht als „Gesinnungsdiktatur“ verunglimpft werden, weil „die Freiheit, sich zu äußern“, kein Recht begründe, „sich unwidersprochen zu äußern. Denn ebenso gilt diese Freiheit für jene, die widersprechen. Abzulehnen ist gleichwohl Gewalt als Mittel des Meinungsstreits.“

Die Feststellung ist richtig, doch als Einwand geht sie ins Leere, weil sich die „Charta“ nicht gegen den Widerspruch, sondern die implizite Anleitung zur Gewalt richtete. Denn so mußte aufgrund einschlägiger Erfahrungen die Aufforderung der Messeleitung verstanden werden.

Der „Gegenaufruf“ stellt eine Verharmlosung und Rechtfertigung der Blockaden, Drohungen, Brand- und Säureanschläge, der körperlichen Attacken und Boykottmaßnahmen dar, denen Autoren, Verlage, Publikationsorgane rechts von der weit nach links verschobenen „Mitte“ durch linksextreme Täter ausgesetzt sind.
Eine Mitunterzeichnerin des Aufrufs äußerte im Börsenblatt des deutschen Buchhandels treuherzig, daß „Gewalt und Zerstörung in diesem Zusammenhang natürlich nicht zu tolerieren, wenngleich durchaus zu verstehen“ seien. Aus der Belustigung über den „Opferhabitus“, den die Opfer der Übergriffe einnehmen, sprechen der Zynismus und das Machtgefühl der Unterzeichner. Damit fällt freilich auch ihr Gestus der moralisch überlegenen Demokratieverteidiger in sich zusammen.

„Das emphatische Einfordern von Demokratie und Toleranz gerät dort zum Widerspruch, wo dadurch Autorinnen und Autoren sowie Texte verteidigt werden“, die „demokratiefeindliche, antipluralistische und rassistische Ideologien“ vertreten, heißt es weiter. Es ist das alte Lied: Positionen, die sachlich nicht widerlegt werden können, werden als moralisch verwerflich diffamiert. Die Verfasser geben so genau jenen „Gesinnungskorridor“ vor, dessen Existenz sie im selben Text bestreiten.

Deshalb liegt es ihnen auch fern, den mißbräuchlichen Einsatz des Volksverhetzungs-Paragraphen 130 StGB, das Netzdurchwirkunggesetz des Heiko Maas oder das Überwachungs-Outsourcing des Staates an eine Agentur zu kritisieren, die von einer ehemaligen Stasi-Informantin geleitet wird. Unterzeichnet wurde der Aufruf unter anderem von den Schriftstellern Marcel Beyer, Durs Grünbein, Thomas Rosenlöcher und Ingo Schulze.

Flankierend veröffentlichte der Sekretär der Klasse Literatur und Sprachpflege der Sächsischen Akademie der Künste einen Artikel in der Sächsischen Zeitung. Er deutet an, daß die geschädigten Verlage die Bücher vielleicht eigenhändig ausgeräumt hätten, denn: „Ein von Büchern entleerter Messestand, der symbolisch auf den abwesenden Signifikanten verweist, ist durch die Projektionsoffenheit für den Betrachter von ungleich wirksamerem Eindruck als ein normal bestückter Bücherstand unter Tausenden anderen Ständen.“ Solche albernen Sprachspiele sind die verzweifelten Zuckungen eines Kultur-Establishments, das zur Situation nichts Sinnvolles mehr beizutragen hat.
Unterzeichnet hat den Gegenaufruf auch Marina Münkler, Literaturprofessorin an der TU Dresden, die 2016 mit ihrem Ehemann Herfried das Buch „Die neuen Deutschen“ verfaßte. Die Deutschen werden darin aufgefordert, die Migrationswelle, die Hunderttausende Bildungsferne und Analphabeten ins Land gespült hat, als den „Jungbrunnen“ einer „offenen und leistungsorientierten Gesellschaft“ zu betrachten, die „offener und wohl auch noch leistungsorientierter werden muß“.

Einer der zahlreichen Jungbrunnen sprudelt gerade in der Gemeinschaftsschule Bruchwiese in Saarbrücken, wo 86 Prozent der Schüler einen Migrationshintergrund haben. In einem Brief an die Landesregierung berichten verzweifelte Lehrer von psychischem und physischem Terror, von übelsten Beschimpfungen durch Migranten-Eltern, von verbrannten Klassenbüchern, Polizeieinsätzen, von Pfefferspray gegen Lehrkräfte und von großen und kleinen Geschäften, die jenseits der dafür vorgesehenen Sanitärschüsseln verrichtet werden, und überhaupt von einem Klima der Angst.
Trotz offenkundiger Realitätsferne war das Münkler-Werk zum „Debattenbuch des Jahres“ (Welt am Sonntag) erhoben worden, während das Sieferle-Buch in keinem großen Medium besprochen wurde. Sein Durchbruch verdankt sich den alternativen Medien. Die „Neuen Deutschen“ wurden von Amazon-Kunden meistenteils verrissen. So kann der Sieferle-Erfolg auch als ein Sieg der nonkonformen über die staatsnahen Medien und den Kulturbetrieb sowie als Symptom einer allmählichen kulturellen Machtverschiebung gedeutet werden.

In diesem Kontext erhält der Aufruf aus Dresden seine eigentliche Bedeutung. Den Unterzeichnern soll die Nähe zur Macht ersetzen, was ihnen an begrifflichem und weltanschaulichem Kapital verlorengeht. Dabei spekulieren sie ungeniert auf formelle und informelle Repressionsmittel gegen Andersdenkende.

Ihr emphatisches Beschwören „liberaler, pluralistischer Gesellschaftsentwürfe“, der Verweis auf die „offene Gesellschaft und ein demokratisches Miteinander“, wird konterkariert durch die realen Beschädigungen, die dem Land und seinen Menschen unter Berufung auf die hehren Begriffe zugefügt werden. Außerstande, die Erklärungslücke zu schließen, sind diese Kultur- und Geistesschaffenden zu faktischen Akteuren einer Indoktrinationsmaschinerie geworden, die nun hörbar ins Stottern gerät.
Wenn dieses gräßliche Geräusch nach wie vor den öffentlichen Diskurs bestimmt, hat das keine sachlichen, sondern ausschließlich instrumentelle Gründe. Die Instrumente sind das Zugriffsmonopol auf finanzielle und institutionelle Ressourcen, auf Subventionen, große Medien, auf Akademien, Preisgremien, Verlage, Universitäten, Stiftungen, Parteien.
Man kann von keiner kulturellen Hegemonie mehr sprechen. Wir haben es nur noch mit einer Kulturbetriebshegemonie zu tun, und selbst diese wird durch das Wirken alternativer Medien, Verlage, sozialer Netzwerke brüchig. Um sie zu verteidigen, suchen ihre Nutznießer die Nähe zur Macht.

Die Auseinandersetzung muß deshalb neben der argumentativen verstärkt auf der instrumentellen und materiellen Ebene stattfinden. Das hegemoniale Kulturbetriebs-Establishment wird schließlich auch von denen finanziert, die Zielscheibe seiner Verachtung sind.
Wenn zum Beispiel die feministische Knallcharge Stefanie Sargnagel am 13. Oktober zur Buchmesse twitterte: „warum um himmels willen steht der antaios stand noch?“, mag das als Meinungsfreiheit durchgehen. Etwas anderes ist es, wenn der öffentlich-rechtliche Sender 3sat sie mit einer Moderation der Sendung „Kulturzeit“ betraut und durch Zwangsgebühren subventioniert.
Das Schreibproletariat, das auf Spiegel– oder Zeit Online die Tretmühle der täglichen Meinungsproduktion bedient, ist ärgerlich, wird aber wenigstens privat finanziert. Hier mögen Angebot und Nachfrage entscheiden.

Der Hauptstoß muß sich gegen öffentlich finanzierte Institutionen wie die GEZ-Medien richten, zumal man mit der Forderung, die finanzielle Belastung der Bürger zu senken, auch in anderen politischen Lagern Verbündete finden kann.
Sollen die Anjas, Mariettas, die Klebers und die Lanzens erzählen, was sie wollen. Das schärfste Argument zu ihrer Delegitimierung lautet: Wir wollen euch nicht länger bezahlen müssen! Ist die Kulturbetriebshegemonie gebrochen und sind die materiellen und institutionellen Ressourcen gerecht verteilt, ist die geistig-kulturelle Auseinandersetzung zur Hälfte entschieden.  Thorsten Hinz

Wenn es so einfach wäre, würde Hinz sicherlich eine Lobeshymne auf die Privatfernsehsender anstimmen bzw. darauf vertrauen, dass auch diese sich wie der SPIEGEL an die Nachfrage anpassen oder durch Nichtanpassung zugrunde gingen. Tut er aber nicht.

GEZ-Boykott ist nicht verkehrt, wenn er mit politischen Forderungen verknüpft wird. Völlig verkehrt wäre, die Abschaffung der GEZ-Gebühren zu fordern, wie es von Seiten der AfD bereits geschieht zumindest von einigen Abgeordneten. Das öffentliche Fernsehen muss reformiert werden! Aber an den GEZ-Gebühren darf nicht gerüttelt werden. Wichtig ist, dass so schnell wie möglich eine Eurovisions-Talkshow nach dem Vorbild von "Hart aber fair" eingerichtet wird, aber eine, die auch wirklich fair ist: alle drei Monate ein anderer Moderator (jedes Mal aus einem anderen Land) und mit europäischen Journalisten und Politikern (einschließlich Regierungschefs: Merkel im Verhör südeuropäischer Journalisten) als Gästen.
Nur so kann eine EU entstehen, die diesen Namen verdient.

Frohsinnige Botschaft


Wie lautet die Weihnachtsbotschaft für Nicht-Christen?

"Das Verhängnis des Evangeliums entschied sich mit dem Tode, – es hieng am 'Kreuz' ... Erst der Tod, dieser unerwartete schmähliche Tod, erst das Kreuz,, das im Allgemeinen bloß für die Canaille aufgespart blieb, – erst diese schauerlichste Paradoxie brachte die Jünger vor das eigentliche Räthsel: 'w e r  w a r  d a s?  w a s  w a r  d a s?'– (...) Man empfand sich von diesem Augenblick im Aufruhr gegen die Ordnung, man verstand hinterdrein Jesus als im Aufruhr gegen die Ordnung. Bis dahin fehlte dieser kriegerische, dieser Nein-sagende, Nein-thuende Zug in seinem Bilde; mehr noch, er war dessen Widerspruch. Offenbar hat die kleine Gemeinde gerade die Hauptsache  n i c h t  verstanden, das Vorbildliche in dieser Art zu sterben, die Freiheit, die Überlegenheit  ü b e r  jedes Gefühl von ressentiment: – ein Zeichen dafür, wie wenig überhaupt sie von ihm verstand! An sich konnte Jesus mit seinem Tode nichts wollen, als öffentlich die stärkste Probe, den  B e w e i s  seiner Lehre zu geben ... Aber seine Jünger waren ferne davon, diesen Tod zu  v e r z e i h e n, – was evangelisch im höchsten Sinne gewesen wäre; oder gar sich zu einem gleichen Tode in sanfter und lieblicher Ruhe des Herzens anzubieten... Gerade das am meisten unevangelische Gefühl, die  R a c h e, kam wieder obenauf. Unmöglich konnte die Sache mit diesem Tode zu Ende sein: man brauchte 'Vergeltung', 'Gericht' (– und doch, was kann noch unevangelischer sein, als 'Vergeltung', 'Strafe', 'Gericht-Halten'!)."
Nietzsche, Der Antichrist, 40

Bei der Wiederlektüre fiel mir peinlich berührt auf, dass ich diesen Passus überlesen hatte oder er mir entfallen war; ich habe an dieser Stelle zu Weihnachten 2015 den erheblichen Unsinn verbreitet, Nietzsche habe sich nicht bis zu der Erkenntnis durchgerungen, dass Jesus nicht nur frei von Ressentiments, sondern vielleicht sogar der ressentimentfreieste Mensch gewesen ist. Ich bitte hiermit um Pardon.

Möge also die Weihnachtsbotschaft lauten: Haltet euch vom Ressentiment fern, lasst es nicht in eure Herzen!

PS: Im Mundes der Journalisten ist es ein Plapperbegriff geworden, der oft völlig sinnfrei verwendet wird, wie "Tragödie", wie "Ikone", um zwei meiner Favoriten zu nennen, und es gibt kein Mittel dagegen. Gleichwohl erlaube ich mir, auf diese kleine hilfreiche Fingerübung hinzuweisen.    MK an Sankt Stephan

Dienstag, 26. Dezember 2017

Fatihs Gespenster

Der neue Film von Fatih Akin ist ein aufregender Thriller, der eine „brisante Geschichte von braunem Terror“ erzählt – so die Stuttgarter Nachrichten – und dabei die Befangenheit der deutschen Justizbehörden aufzeigt. Er basiert auf „realen NSU-Morden“.
Ich habe mich aufgeregt. Wenn auch nicht so, wie es erwünscht war. Doch ich kann nicht anders: Ich bin im Kinosessel zugleich Zuschauer, Filmkritiker, Schauspieler, Regisseur und Drehbuchautor – vor allem Drehbuchautor. Ich habe eine gewisse Erfahrung auf dem Gebiet und kann daher ... um es kurz zu machen: Das Drehbuch ist missraten. Es ist so schlecht, dass es sich lohnt, darauf näher einzugehen. Der Fehler ist verräterisch.
Es handelt sich nicht um eine Schwachstelle, über die man großzügig hinwegsehen kann, der ganze Film hängt an dem Fehler wie ein Bild, das an einem wackeligen Nagel hängt und jederzeit runterkrachen kann. Es ist erstaunlich, dass bei der Herstellung des Films keiner was gemerkt hat.
Hark Bohm und Fatih Akin sind Profis. Womöglich liegt darin das Problem. Sie sind so erfolgsverwöhnt, dass sie die Tücken des Drehbuchschreibens nicht mehr reflektieren, aber sehr wohl in der Lage sind, routiniert Meterware mit imposanten Bildern abzuliefern, von denen der Zuschauer so überrumpelt wird, dass er nicht merkt, dass die Geschichte gar nicht stimmen kann.
Was passiert? Die blonde Deutsche Katja, – gespielt von Diane Kruger –, die mit einem wegen Rauschgift verurteilten Türken verheiratet ist und mit ihm einen gemeinsamen Sohn hat, spricht eines Tages ahnungslos eine junge Frau an, die ihr Fahrrad vor dem Übersetzungsbüro ihres Mannes abstellt, ohne es abzuschließen. Sie müsse es abschließen, sagt sie, es würde sonst geklaut.
Wenig später kehrt sie zum Tatort zurück, der inzwischen tatsächlich zu einem Tatort geworden ist. In der Satteltasche des Fahrrads steckte eine Streubombe, es gab eine Explosion, die zielgenau ihren Mann und ihr Kind in den Tod gerissen hat. So fängt es an. Der Film konzentriert sich nun ganz darauf, den „Schmerz der Hinterbliebenen“ zu zeigen – so Fatih Akin in der ZEIT.

Der zweite Teil des Dramas

Die Polizei vermutet, dass die Drogenmafia dahinter steckt. Katja hat einen anderen Verdacht: Die Nazis waren es. Doch diese Spur wird zunächst nicht verfolgt. So war es auch bei den NSU-Morden, wie der Spiegel erklärt. Da war zunächst nur von „Döner-Morden“ die Rede, einen rechtsradikalen Hintergrund mochte man sich nicht vorstellen.
Katja will sich umbringen, sie liegt mit aufgeschnittenen Pulsadern in der Wanne, als eine Stimme auf dem Anrufbeantworter sie in letzter Minute ins Leben zurückruft. Der Kinozuschauer kriegt den Text gleich vier Mal hintereinander zu hören: „Du hattest recht“, sagt die Stimme, „es waren die Nazis“. Sie sind auch schon geschnappt.
Nun beginnt der zweite Teil des Dramas unter der Überschrift „Gerechtigkeit“. Katja ist jetzt nicht mehr nur das bedauernswerte Opfer, das Mann und Kind verloren hat, sie ist obendrein Zeugin und Nebenklägerin und trifft im Gerichtsaal auf die Frau, die ihr Fahrrad nicht abschließen wollte.
Die ist eine der beiden Nazis, die inzwischen identifiziert und auch durch Fingerabdrücke überführt sind. Der zweite Nazi ist ihr Freund. Beide sind vergleichsweise jung, eigentlich ganz sympathisch und wirken irgendwie durchschnittlich; man sieht ihnen auf den ersten Blick nichts an. Sie sagen nichts, sie küssen sich nur.
Hier deutet sich schon der Fehler an. Die beiden haben keine Sprechrolle. Der Drehbuchautor hat an der falschen Stelle gespart. Fatih Akin sagt selber, dass er nicht die Täter zeigen wollte, sondern das Opfer: „... alle wollen nur wissen: Wer ist der Täter? Von den Opfern und Hinterbliebenen erfährt man kaum etwas. Deshalb wollte ich ihnen meinen Film widmen.“
Das geht nicht. Indem er nichts über die Täter sagt, sagt er auch etwas über sie.

Ersatzweise kommen Experten zu Wort

Der Nazi hat einen Vater. Der redet. Immerhin. Er belastet seinen Sohn. Das mag ungewöhnlich wirken, doch der Vater betont, dass er sich von seinem Sohn aufgrund von weltanschaulichen Differenzen losgesagt hätte. Was für Differenzen?, will der Richter wissen. Der Vater sagt es knapp und deutlich: Sein Sohn verehre Hitler. Ich verrate es jetzt schon: Das ist alles, was wir über die Motive der Bombenleger erfahren sollen.
Der beklagte Sohn sagt nichts. Seine Freundin auch nicht. Ersatzweise kommen Experten zu Wort, die in quälenden Details die Wirkung einer Streubombe erklären. Es sind Details, unter denen Katja offensichtlich leidet, die Kinozuschauer leiden auch ... um es kurz zu machen. Die Nazis werden freigesprochen und küssen sich erneut.
Wie kommt es zu dem überraschenden Fehlurteil? Die Aussage von Katja wird wegen ihres Drogenkonsums in Zweifel gezogen, und die Verteidigung präsentiert ein überzeugendes Alibi: Ein Eintrag in einem Gästebuch belegt, dass die beiden Nazis in der fraglichen Zeit in Griechenland im Urlaub waren. Der Einwand, dass der Eintrag so aussieht, als wäre er nachbearbeitet worden, verfängt nicht. Auch nicht der Hinweis, dass es sich bei dem Hotelbetreiber, der sogar persönlich als Zeuge erscheint und schon auf den ersten Blick als übelster Fiesling zu erkennen ist, um jemanden handelt, der zu einer rechtsradikalen Partei in Griechenland gehört. Also: Freispruch. In dubio pro reo.
Haben Sie den Fehler bemerkt? Wenn nicht, dann haben Sie früher wahrscheinlich keine Kinder-Rate-Krimis gelesen. Ich meine Krimis, bei denen man ein bisschen nachdenken muss, um einem Täter auf die Spur zu kommen, und um zu erkennen, wo etwas nicht stimmen kann.
Na?

Im dritten Teil nach Griechenland

Ich sage erst einmal, wie es weitergeht. Im dritten Teil bricht die Frau im Alleingang nach Griechenland auf. Was sucht die da? Rache? Gerechtigkeit? Will sie sich etwa mutwillig in Gefahr begeben? Erholen will sie sich jedenfalls nicht. Sie sucht die Höhle des Löwen auf, das Hotel des Rechtsradikalen, und fragt die Frau an der Rezeption nach den beiden Nazis, von denen sie auf ihrem Handy ein Foto hat, auf dem sie zusammen mit dem Oberschurken abgebildet sind. Als der persönlich auftaucht, nimmt sie vor Schreck Reißaus und fährt mit ihrem Leihwagen querfeldein.
Zufällig entdeckt sie die beiden freigesprochenen Nazis, die sich ganz in der Nähe in einem Campingmobil am Strand erholen. Katja schleicht sich an, versteckt sich im Gebüsch und lauscht.
Ich fand es schon bei Karl May bewundernswert, wie gut die Helden im Wilden Westen ihre Ohren spitzen konnten. Katja kann das auch. Nun kommt der oberfiese Grieche und überreicht dem deutschen Nazi eine Eisenstange. Damit soll Katja beseitigt werden. Hier hat der Nazi seine erste und einzige Textstelle, er sagt: „Türkenschlampe“. Weil selbst Winnetou das auf die Entfernung nicht richtig verstanden hätte, werden an dieser Stelle Untertitel eingeblendet.
Es wirkt alles sehr bedrohlich, bleibt aber auch unverständlich, falls man sich Fragen nach der Motivation der handelnden Personen stellt, was aber vermutlich niemand tut, der sich den Film bis hierhin angesehen hat. Im Ernst: Warum sollten die Bösen, die gerade freigesprochen wurden, die Türkenschlampe Katja umbringen wollen? Warum sehen sie Katja als Bedrohung?
Katja bastelt nun eine Streubombe mit Fernzündung, die man in jedem griechischen Supermarkt kaufen kann. Im Gerichtsverfahren hat sie schließlich gelernt, wie man eine Bombe baut, außerdem haben wir schon in einer Rückblende gesehen, dass sie in der Lage ist, Spielzeug zu reparieren. Nun also eine Bombe. Den ersten Versuch, die Streubombe mit Fernzündung hochgehen zu lassen, bläst sie wieder ab. Beim zweiten Versuch steigt sie direkt zu den Nazis in den Campingbus und sprengt sich selbst, die Nazis und den Campingbus. Der Film endet mit dem Hinweis auf die NSU-Morde; da mussten Menschen sterben, weil sie „keine Deutschen“ waren.

Wie kann eine Verteidigung auf so ein schmales Brett kommen?

Wo war der Fehler? Wir erinnern uns: Wir hatten die schweigsame Frau, die ihr Fahrrad nicht abschießen wollte, mit eigenen Augen gesehen und dann im Gerichtssaal wiedererkannt. Wir wussten also, dass Katja recht hatte, und dass das Alibi getürkt war – besser gesagt: gegriechischt. So kam die Ungerechtigkeit zustande, die sie im dritten Teil durch Selbstjustiz bereinigen wollte.
Der Fehler: Beim Drehbuchschreiben nennt man das Engführung. Man versucht, mit möglichst wenig Personal auszukommen und konzentriert sich auf wenige Personen. Katja ist gleichzeitig die große Heldin und Kämpferin für Gerechtigkeit, sie ist das tragische Opfer, sie ist die mutige Nebenklägerin und die wichtige Zeugin – mehr noch: sie ist die einzige Zeugin, die einzig mögliche Zeugin. Es wird so getan, als käme alles nur auf die Glaubwürdigkeit ihrer Aussage an. Es ist eine Filmidee, in die wir hineingezogen wurden, weil wir aus ihrer Perspektive die Eingangsszene gesehen hatten und damit auf ihrer Seite stehen.
So wurden wir geblendet. Für die Rekonstruktion der Tat, die das Gericht versucht, ist es völlig unerheblich, dass Katja die Nazi-Frau ohne Fahrradschloss persönlich gesehen und angesprochen hat. Das ganze Drama um die Frage, ob sie irgendwann Kokain genommen hat, spielt gar keine Rolle, das hätte man weglassen können.
Bei Gericht kommt es nicht auf die Aussage von Katja an, sondern auf die Aussagen der Beklagten. Von denen kommt aber nichts. Der Film zeigt, wie Katja in die Mangel genommen wird, wie ihre Aussage in Frage gestellt wird, als wäre sie die Angeklagte. Die Angeklagten selber werden nicht gefragt. Wir wissen nicht, ob sie geständig sind, ob sie leugnen, womöglich agitieren, nach Ausflüchten suchen oder sich in Widersprüche verwickelt. Sie küssen sich nur und umarmen sich erleichtert beim Freispruch.
Nur unter dieser Voraussetzung funktioniert das Alibi mit der gefälschten Gästebucheintragung. Es ist so unwahrscheinlich, dass es weh tut. Wie kann eine Verteidigung auf so ein schmales Brett kommen? Wie kann ein Gericht darauf reinfallen? Die Behauptung, dass sich die beiden zur Tatzeit in Griechenland aufgehalten haben, lässt sich dermaßen leicht widerlegen, dass mir das fast schon peinlich ist, darauf hinzuweisen. Bei einem Kinder-Rate-Krimi wäre das nicht durchgegangen. Es ist so dumm, dass es auf keine Ziegenhaut geht (ich hoffe, das war jetzt nicht griechen- oder türkenfeindlich).

Das Gericht hätte ja mal den Vater fragen können

Man muss nur ein paar Zeugen finden (Nachbarn, Freunde ...), die bestätigen können, dass die beiden zur fraglichen Zeit nicht in Griechenland sondern in Hamburg waren. Das Gericht hätte ja mal den Vater fragen können, wo sich sein missratener Sohn in der Zeit aufgehalten hat. Man könnte leicht Belege dafür finden, dass sie in Hamburg waren – auch ohne Katjas Hilfe – und würde andererseits keine weiteren Belege dafür finden, dass sie in Griechenland waren. So einfach.
Aber genau das ist es. Es gibt keine anderen Zeugen, weil es keine anderen Zeugen geben darf. Hier zeigt sich, wie zutreffend der Titel „Aus dem Nichts“ ist. Die beiden Nazis kommen aus dem Nichts. Sie haben kein Umfeld, keine Freunde, keine Nachbarn, keine Arbeitskollegen oder – falls sie studieren – keine Kommilitonen. Keine Familien (nur der eine hat einen Vater).
Es gibt sie sozial überhaupt nicht. Sie sind Gespenster. Sie haben keine Sympathisanten. Es gibt keine Gruppierung, die hinter ihnen steht, es gibt keine Organisation, die sie unterstützt (es gibt nur den griechischen Bösewicht, der den einsamen deutschen Nazis, die sonst niemanden haben, mit einem stümperhaften Prozessbetrug beistehen will). Es gibt keine Presse, die auf der Seite der Nazis ist. Da ist niemand, der für sie demonstriert oder eine Mahnwache abhält. Niemand, der ihren Freispruch feiert. Das müssen sie alles selber machen.
Nicht nur der Vater hat sich losgesagt. Alle haben sich losgesagt. Niemand ist auf ihrer Seite. In so einem Umfeld können Nazis gar nicht überleben. Gibt es sie überhaupt?
Diane Kruger gewann in Cannes für ihre schauspielerische Leistung den Preis als beste Schauspielerin. Bei der Pressevorführung wurde der Film laut beklatscht. „Aus dem Nichts“ ist nominiert als bester fremdsprachiger Film bei den Golden Globes.  Bernhard Lassahn

Montag, 25. Dezember 2017

Gaudete Christus est natus


Die völkischen Israelis und die deutschen Maulhelden


Erinnern Sie sich noch an die gebremste Empörung, die Alexander Gauland vor drei Monaten mit seinen Extemporationen zum Existenzrecht Israels auslöste? – Gebremst deshalb, weil sich zwar von der Springerpresse bis zu V. Beck, dem Statthalter der Staatsräson auf Erden, unwilliges Gegrummel ausbreitete, die Linkspresse aber ausnahmsweise schwieg, denn das Interesse unserer rotgrünen Humanisten gilt speziell toten Juden, weil die im Kampf gegen "rechts" und Dunkeldeutschland besser zu gebrauchen sind als patriotische, quicklebendige, in ihrem Beharren auf Grenzen, Staatlichkeit und ethnischen Zusammenhalt geradezu völkische Israelis.

Am 25. September sagte Gauland auf einer Pressekonferenz im Wortlaut: "Entschuldigung, wenn ich es mal so deutlich sage, weil ich immer das Gefühl hatte, hier wird etwas ausgedrückt, was sehr toll klingt und wohinter man auch stehen kann, aber wenn es wirklich zum Schwur kommt, wird es schwierig. Sie müssen ja dann, wenn sie sagen, das Existenzrecht Israels gehört zur Staatsräson Deutschlands, dann müssen wir auch bereit sein, deutsche Soldaten zur Verteidigung des jüdischen Staates einzusetzen. Wenn Sie das unsere Politiker fragen, dann bekommen Sie auf die Frage nämlich keine klare Antwort. Deshalb habe ich ein gewisses Problem damit. Ja natürlich ist das Existenzrecht Israels für uns ein ganz wichtiger Punkt, und natürlich stehen wir auch an der Seite Israels. Nur das zur Staatsräson zu machen, wissen Sie, das klingt so einfach, aber in Israel gibt es dauernd Krieg. Zur Staatsräson müsste dann gehören, dass wir auch wirklich bereit sind, unser Leben für den Staat Israel einzusetzen, und das spüre ich nicht."

In einem Interview präzisierte der AfD-Vorsitzende später: "Ich habe meine Probleme damit, mir vorzustellen, dass diese deutsche Gesellschaft wirklich weiß, was das bedeutet. Nämlich dass deutsche Soldaten an der Seite von israelischen Soldaten kämpfen und sterben müssten."

Die meisten Deutschen würden schließlich nicht einmal für das Land kämpfen, in dem sie schon länger gut und gerne leben und in dem die Welt zu Gast bei Freunden ist. In einer Gallup-Umfrage anno 2015 erklärten nur 18 Prozent der befragten Krauts, dass sie bereit wären, ihr Land zu verteidigen (ein paar Vergleichszahlen: Marokkaner 94 Prozent, Pakistanis und Vietnamesen 89 Prozent, Finnen 74 Prozent, Türken 73 Prozent, Israelis 66 Prozent, Russen 59 Prozent, Amis 55 Prozent; nur Japaner und Niederländer zeigten sich noch verteidigungsunwilliger). Es handelt sich bei den offiziellen deutschen Schutzbekundungen für Israel um symbolpolitisches Kikeriki, für das sich die Israelis nicht weiter interessieren, denn sie besitzen im Gegensatz zu ihren deutschen Maulwerksverteidigern sowohl Atomwaffen (im Megatonnenbereich) als auch eine der passabelsten Armeen der Welt. Netanjahu könnte sich im Gegenzug den Scherz gönnen, das Existenzrecht von old Germany zur Staatsräson des Judenstaates zu erklären. Allerdings haben die Israelis längst kapiert, dass die Staatsräson dieser moralisierenden Narren im Herzen Europas inzwischen die ethnisch-kulturelle Selbstauflösung einschließt – in der zugegeben grandiosen Hoffnung, der gesamte Gesellschaftsbau werde, unter täglich neu auszuhandelnden Bedingungen sowie mit sukzessive ausgetauschtem und in Rütli-Schulen veredeltem Personal, einfach weiterbestehen, sogar auf dekarbonisierter Energiebasis – und man besser Distanz zu ihnen hält. 

Immerhin bleibt ein welthistorisches Kuriosum festzuhalten: Das Land, zu dessen militärischer Niederringung im dreißigjährigen Krieg 1914 - 1945 sich zweimal praktisch die gesamte Welt verbünden musste und das im Rücken der besten Soldaten die übelsten Schlächter aufmarschieren ließ, die unter anderem mehrere Millionen Juden ermordeten, dieses Land ist heute, trotz zehnfach größerer Bevölkerungszahl, dem Judenstaat militärisch eindeutig unterlegen, erklärt aber dessen Sicherheit zur eigenen Staatsräson. Der Eunuchen garantiert dem Priapos die Erektion – welch ein Schauspiel!

Wie ernst es den Eunuchen damit ist, ließ sich seit jeher an den Fingern abzählen. Wir durften zuletzt erfahren, dass zwar das Existenzrecht Israels, aber nicht jenes der Hauptstadt Jerusalem zur deutschen Staatsräson gehört. Nicht zur deutschen Staatsräson gehört es ferner, gegen aufgebrachte Moslems vorzugehen, die auf öffentlichen Plätzen im Land der Täter Israel-Fahnen oder den Davidstern verbrennen und die Vernichtung des Judenstaates wünschen. Der Grund dafür ist simpel: Deutschland hat leider weder Personal, solche Veranstaltungen gewaltsam aufzulösen, noch den politischen Willen dazu. Hierzulande leben inzwischen um die sechs Millionen Muslime, aber keine hunderttausend Juden. Das politische Personal hat sich innerlich auf die Seite derer geschlagen, die mehr Wählerstimmen versprechen und außerdem viel plausibler drohen können. Warum diesen Personenkreis mit der Anerkennung Jerusalems gegen sich aufbringen? Das täte doch kein verantwortungsvoller, vertrauenswürdiger, prinzipientreuer, verlässlicher Politiker.   MK am 25. 12. 17