Stationen

Freitag, 27. Januar 2017

Der Philosoph und Schriftsteller Paul Mongré

... ist heute vor fünfundsiebzig Jahren, am 26. Januar 1942, in den Tod gegangen. Paul Mongré? Nun: das war bloß ein Pseudonym für seine literarischen Werke; als Wissenschaftler, als Mathematiker und als einer der Väter der Topologie und Mengenlehre trug er den Namen Felix Hausdorff, und wirkte als — seit 1935 emeritierter — Ordinarius für Mathematik an der Universität Bonn.

 Als er den Befehl erhalten hatte, sich mit Frau und deren Schwester im Kloster „Zur ewigen Anbetung“ in Endenich einzufinden, aus welchem die Nonnen vertrieben worden waren, das als Deportations-Sammelstelle für die in Bonn lebenden Juden diente, beschloß er gemeinsam mit diesen beiden seinem Leben ein Ende zu setzen, denn, wie er in seinem menschlich zutiefst anrührenden Abschiedsbrief an einen befreundeten Rechtsanwalt illusionslos schrieb:
Das Gefühl der Geborgenheit, das Sie uns vorausgesagt haben, wenn wir erst einmal die Schwierigkeiten des Umzugs überwunden hätten, will sich durchaus nicht einstellen, im Gegenteil:
 auch Endenich
 Ist noch vielleicht das Ende nich!
 Was in den letzten Monaten gegen die Juden geschehen ist, erweckt begründete Angst, dass man uns einen für uns erträglichen Zustand nicht mehr erleben lassen wird.
 Der blinde Rassenhaß der Nazis hatte damit einen der bedeutendsten Mathematiker seiner Zeit in den Tod getrieben; von der Familie überlebte nur seine mit einem Nichtjuden verheiratete einzige Tochter Leonore, die 1991 hochbetagt in Bonn verstarb.


 Doch nicht dem Mathematiker, den gebührend zu würdigen mir die Fachkenntnis fehlt, gelten diese Zeilen, sondern dem Philosophen und Aphoristiker, auch dem Lyriker Paul Mongré, wie er sich bereits 1897 in seinem ersten nicht-fachwissenschaftlichen Werk „Sant' Ilario. Gedanken aus der Landschaft Zarathustras“ nannte.

 Zwar mochte der Titel den Verdacht auf einen Nietzsche-Epigonen wecken, zumal das Werk in Form einer Aphorismensammlung geschrieben war, aber schon eine kurze Lektüre dieses Buches macht klar: hier wandelt ein durchaus unabhängiger Geist durch, zugegeben, eine Landschaft Zarathustras. Nicht jeder, der einem Vorgänger nachgeht, ist bloß schattenhafter Wiedergänger! Wie es in einer Rezension des Werkes richtig heißt: „Von Nietzsche-Nachahmung keine Spur“.

 Nahezu unheimlich prophetisch ist ein Satz, den der junge Philosoph über Nietzsches Nachlaßwerk „Der Wille zur Macht“ schrieb:
In Nietzsche glüht ein Fanatiker. Seine Moral der Züchtung, auf unserem heutigen Fundamente biologischen und physiologischen Wissens errichtet: das könnte ein weltgeschichtlicher Skandal werden, gegen den Inquisition und Hexenprozeß zu harmlosen Verirrungen verblassen.

 Sicher: manche Gedanken schließen an Nietzsche an, doch auch diese sind durchwegs originell entwickelt und verblüffen oft durch die paradoxe Brillanz ihrer Stilisierung, wenn Mongré etwa ausruft:
Auch das perpetuum immobile ist noch nicht erfunden, ihr Herren Reactionäre!
 oder kritisch gegen die Schulphilosophie und ihr wichtigtuerisches Brimborium ironisch anmerkt:
Beweise sind, bei allen Philosophen, das Verdächtige und überdies Langweilige, eine bloße Stubenhockerei aus mißverstandener Gewissenhaftigkeit, ein gelehrt sein sollender Formalismus, den der Autor sich so wenig schenken zu dürfen glaubt, so gern ihn der Leser schenken würde. Geistreich, unterhaltend, bisweilen grandios sind höchstens die philosophischen Gedanken, die aufblitzenden und schon wieder verschwindenden Perspektiven, jene Plötzlichkeiten und Abgrundsblicke, die uns mitten im Nebel etwas vom Hochgebirge verraten; aber der Nebel — die sogenannten Beweise — taugt nichts.  
 Literarisch-stilistisch sind diese Gedanken irgendwo zwischen Nietzsche und Karl Kraus „verortet“, und damit ist einem Aphorististiker nun wahrlich keine niedrige Vergleichslatte gelegt!

 Ein vorzüglicher Einführungs-Essay zum Band VII der großen Hausdorff-Edition, die vor einigen Jahren erschienen ist, und die das gesamte mathematische, aber eben auch philosophisch-essayistische und literarische Werk des Autors umfaßt, sei jedem zur Lektüre empfohlen, der sich mit der Gedankenwelt dieses ebenso originellen wie kritischen Denkers näher befassen will.

 Als Schriftsteller verfaßte Hausdorff-Mongré eine Reihe von Essays, ein satirisches Theaterstück („Der Arzt seiner Ehre“), das in den 1920er-Jahren mehrfach erfolgreich aufgeführt wurde, und neben den in  den Sant' Ilario eingestreuten Gedichten veröffentlichte er noch einen Lyrikband Ekstasen, aus welchem bspw. der junge österreichische Komponist Joseph Marx zwei Gedichte vertonte. Es ist die durchaus zeittypische Auseinandersetzung mit der Welt des Eros, mit „dem Weibe“, und mag heute in mancher Wendung epigonal und phrasenhaft erscheinen; doch damals hätte ein selbst literarisch so feinsinnig wählender (und bisweilen selbst dichtender) Komponist wie Marx wohl nicht etwas vertont, das es ihm nicht wert erschienen wäre, vertont zu werden. So sei eines dieser Gedichte, ein Sonett, an den Schluß des Gedenkartikels gesetzt:

Dein Blick

 Dies Augenpaar von dunklem Glanz betaut,
 Zu dem mich Liebe so erschütternd faßte,
 Daß ich verdorrt gleich blitzgetroff'nem Aste:
 Was ist's, das mir aus ihm entgegenschaut?

 Das war kein Gruß, wie Gast ihm beut dem Gaste,
 So glühend innerlich, so tief vertraut,
 Ein Blick, der auf geheimstes Bündnis baut,
 Erkennungszeichen der verwandten Kaste.

 Denn eh' ich lebte, hatt' ich Brüder, Schwestern:
 Wärst deren eine du mir beigegeben
 Und weckt dem Blick mir ein verschollnes Gestern?

 Ach, oder strahlt aus ihm ein fernes Morgen
 Und eines Ungebor'nen Drang zu leben
 Quält mich aus deinem Blick mit Liebessorgen?     lepenseur.blogspot

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