Stationen

Dienstag, 7. Februar 2017

In dubio pro duriore


Der Umgang mit kritischen Stimmen ist bei uns schon lange kein guter. Einer meiner ersten prägenden Erinnerungen an Politik war eine Rede von Kurt Biedenkopf Mitte der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderst zum Thema Rentenproblematik. Biedenkopf war damals Generalsekretär der CDU und legte schlüssig dar, dass und warum aufgrund des Pillenknicks das Rentensystem so nicht funktionieren könne. Seine Ausführungen waren korrekt, Handlungsbedarf war selbst für mich als Kind klar erkennbar. Ob sein Lösungsansatz der beste war, konnte ich nicht beurteilen, dass aber eine Reform nötig war, stand außerhalb jeden Zweifels.

Wie Kinder nun einmal sind, erwartete ich, dass die Erwachsenen jetzt vernünftig handeln würden und das Problem lösen. Das aber entpuppte sich als eine wahrhaft kindische Vorstellung. Tatsächlich war Helmut Kohl stinksauer und Biedenkopfs Karriere als Generalsekretär nahm ein abruptes Ende. Die „Lösung“ des Problems war Norbert Blüm, dessen Satz "Die Rente ist sicher" in die Annalen Deutschlands eingegangen ist (bitte abheften unter „fake news“). Hätte man die Rentenproblematik damals noch mit Aufwand, aber verträglich lösen können, ist das heute deutlich schwieriger. Das ist so ähnlich wie mit Krebs: Rechtzeitig erkannt, lassen sich viele Arten gut behandeln. Das ist zwar nicht angenehm, aber je früher, desto weniger belastend ist die Therapie und desto besser sind die Heilungschancen. Hat sich der Krebs erst einmal ausgebreitet, dann wird es ernsthaft schwierig, oft unmöglich.
Um die Umstellungsprobleme bei der Rente abzufedern, braucht man Geld. Das aber hat man nicht, es wurde an anderer Stelle verbraten. Lassen wir einmal die Euro-Problematik außer acht, darauf hat nicht nur Hans-Werner Sinn, sondern diverse Ökonomen ausführlich hingewiesen. Einer hat aus lauter Verzweiflung sogar mal eine Partei gegründet, genau betrachtet sogar zwei. Diese Gefahren sind dem Volk aber ziemlich wurscht.
Wenden wir uns demgegenüber spaßeshalber nicht so augenscheinlichen Ausgaben zu. Da hat man zum Beispiel automatisch laufende Kostensteigerung durch die Arbeit der Parlamentarier. Wir bezahlen unsere Abgeordneten schließlich, um Gesetze zu machen. Dabei gibt es keinerlei Bedarfskontrolle, erlaubt ist, was gefällt. Also arbeiten sie fleißig und regeln was das Zeug hält. Gesetze müssen aber umgesetzt werden, das heißt, der Staatsapparat benötigt mehr Beamte, je mehr Gesetze er macht. Gesetze müssen auch kontrolliert werden, auch dafür bedarf es zusätzlichen Personals. Für Personal  braucht man Büros, Sitzungsräume, Besprechungszimmer. Die Gebäude müssen nicht nur gebaut, sondern auch instand gehalten werden, also benötigt man ein Gebäudemanagement, das wiederum Personal benötigt. Da Behörden möglichst zentral gelegen sein sollen, ist der Baugrund gerne auch teuer. Zudem muss das Personal verwaltet werden, Urlaub, Krankeit, Abmahnungen – man kennt es zur Genüge. Dafür benötigt man wieder Personal. Das Büros braucht. Und Geld kostet. Selbst dann, wenn es in den Ruhestand geht.
Und so wird aus einem klitzekleinen Gesetz eine Lawine an Neben- und Folgekosten, die sich mit jeder „Umdrehung“ um ein Vielfaches vergrößert. Die Idee von Herrn Trump, dass für ein neues Gesetz zwei gestrichen werden müssen, ist nett, aber er unterschätzt die Kreativität von Parlamentariern und Juristen bei weitem. Wer deutsche „Vereinfachungsgesetze“ kennt, weiß, dass es so nicht funktioniert.
So haben wir schon das systematische Problem der Staatsaufblähung, das strukturell darin verankert liegt, dass wir staatliches Handeln nicht begrenzen. Eine objektive Bedarfskontrolle oder ein ultima ratio-Prinzip staatlichen Handelns gibt es nicht. Schade eigentlich.
Dann ist Deutschland nach unserem Grundgesetz ein sozialer Staat, was gut ist. Nicht zwingend bedeutet dieses, dass wir ein Sozialstaat sind. Sind wir aber. Die Kosten des Sozialstaats umfassten im Jahr 2015 41,6 Prozent der Staatsausgaben.
Damit wird klar, dass in Deutschland die Kernaufgaben des Staates wie äußere Sicherheit und Herstellung/Erhaltung einer Rechtsordnung als Organisationsstruktur eines gedeihlichen Zusammenlebens und vernünftige Außenbeziehungen nicht mehr Schwerpunkt der staatlichen Tätigkeit sind, sondern die ursprünglich nicht staatliche Aufgabe als Versicherung zum Schutze gegen die Unwägbarkeiten des Lebens.
Auf der für die innere Sicherheit zuständigen Länderebene läuft es parallel, die Ausgaben für die Polizei und Feuerwehr sowie Justiz sind „peanuts“ im Vergleich zu den Sozialausgaben, wobei sich versteckte Sozialausgaben auch in vielen Ressort verbergen, zum Beispiel die Suchtprävention und Suchthilfe im Ressort Gesundheit und Verbraucherschutz (siehe etwa hier).
In einem säkularen Land ist es nicht mehr der Herr, der uns schützt und behütet, es ist der Staat. Die Ersetzung der Religion durch Staatsideologien gibt es seit der Aufklärung, ein gewisser Karl Marx war in der Folge eine der treibenden Kräfte. Man erinnert sich an seinen Satz der Religion als Opium für das Volk. Dieses Suchtmittel wurde ersetzt durch politsche Ideologien als Kokain für das Volk.
Die Verschiebung des Staates zum Versicherungsinstitut bei gleichzeitiger Begrenzung der finanziellen Möglichkeiten hat als zwangsläufige Folge zum Ausverkauf bei den Kernaufgaben geführt. Dass die Bundeswehr niemanden gegen nichts mehr verteidigen kann, wissen wir doch nicht erst, seitdem die Panzer mit Besenstielen bewaffnet wurden. Oder hätten es wissen können, wenn es uns interessiert hätte. Da aber Soldaten bekanntlich Mörder sind, ist es ja gut, dass sie keine richtigen Waffen haben, oder? Die völlig unzureichenden Zustände bei der Polizei sind auch seit langem bekannt, waren der Bevölkerung aber völlig egal. Gegen die „Bullenschweine“ darf man ja auch kämpfen, gerne am 1. Mai als eine Art Folkoreveranstaltung. Eine Gesellschaft, die unsere Garanten der Sicherheit derart beleidigt und in den Schmutz zieht, wird niemals sicher sein.
Die Staatsanwaltschaften sind ebenfalls ein sehr schönes Thema, da kann man nur Wikipedia zitieren:
Kritiker bemängeln zudem eine Abschaffung des Legalitätsprinzips, da einige Staatsanwaltschaften heutzutage derart überlastet und unterfinanziert sind, dass zumindest bei vermeintlich kleineren Straftaten häufig überhaupt keine Ermittlungen mehr stattfinden oder aber sich der Aufwand nur darauf beschränkt, Gründe für eine Einstellung des Verfahrens zu finden. Dadurch werde das Opportunitätsprinzip von der Ausnahme zur Regel, das Legalitätsprinzip hingegen zur bloßen Farce und fast vollständig dem Opportunitätsprinzip geopfert – mit fatalen Folgen für den Rechtsfrieden und die Justiz im Allgemeinen. Durch die einigen Staatsanwaltschaften vorgeworfene Praxis, Verfahren wegen vermeintlicher Kleindelikte ggf. standardmäßig einzustellen, entstehen langfristige Probleme. Dagegen folgte aus dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit, dass bei hinreichendem Tatverdacht Straftaten grundsätzlich verfolgt werden. Durch die aktive Einstellung von Verfahren, um Arbeit durch Unterbesetzung zu sparen, würden rechtsstaatliche Grundsätze entwertet (in dubio pro duriore).
Wer häufiger einmal mit Staatsanwaltschaften zu tun hat erlebt, dass nicht nur kleinere Straftaten eingestellt werden. Die Liste der Unzulänglichkeiten lässt sich beliebig fortsezten, sowohl im Bereich der Jusitz wie auch der Verwaltung bis herunter auf die Gemeindeebene.

Alles das ist seit langem bekannt und die zwingende Folge von begrenzten Ressourcen. Geld kann man nur einmal ausgeben, das weiß jeder aus eigener Erfahrung. Entgegen weit verbreiteter Ansicht fällt auch beim Staat Geld nicht wie Manna vom Himmel. Besteuert man „die Reichen“ (eine oft gehörte Forderung), sind diese schleunigst weg. Wer Geld hat, ist mobil.
Nun verursachten jene, "die neu dazugekommen sind" plötzlich und unerwartet ein neues Sicherheitsbedürfnis, das vorher nicht da war. Ganz überrascht stellten wir fest, dass wir dem Ganzen nicht gewachsen sind. Wie kann das sein? Ja wie denn nur? Der Souverän, das Volk, ist unzufrieden. Zum einen, weil auf einmal unheimlich viel Geld da ist, dass man selber gut hätte gebrauchen können, zum anderen, weil es echt unangenehm wird so mit Kriminalität und Terror und so. Deutschland als Wellness-Rundum-Sorglos-Package (gerne auch als Angebot mit 3 für den Preis von 2) ist momentan nicht mehr so paradiesisch, wie es mal war. Und das Paradies hier und jetzt auf Erden können wir doch nun erwarten, oder etwa nicht?
Die Regierenden sind in einer Zwickmühle. Geld ist zwar reichlich da, aber noch reichlicher ausgegeben. Auch die DDR fing schwungvoll an, erst nach und nach zeigte sich die Unfinanzierbarkeit des Systems. Die Zukunft haben wir leider schon verfrühstückt, wir haben nicht nur selber hohe Schulden, sondern bürgen auch noch für die Schulden anderer. Man kann also ein paar kosmetische Aufhübschungen machen, aber viel Spielraum ist nicht. Um diesen wieder zu bekommen, müsste man den ganzen Rahmen ändern, Reformen durchführen, die schmerzhaft wären – aber das geht ja gar nicht.

Kanzler wie Schmidt und Schröder, die das gemacht haben, hat es den Kopf gekostet, daraus hat der gemeine Politiker als solcher schließlich gelernt. Deshalb kam ja auch die überraschende Energiewende, man wollte Volkes Wallungen nicht standhalten, hätte den Kopf kosten können. Dito bei den Flüchtlingen. Man stelle sich die Bilder von verzweifelt schluchzenden Müttern mit hungernden Kindern auf den Armen an der undruchdringlichen deutschen Grenze vor – kein Kanzler wird nach solchen Bildern gewählt. Man muss als Retter auftreten, egal bei welchen Fluten, sei es Oder oder Flüchtlinge. Das weiß doch jeder.
Die Politik sieht derzeit also keinen Ausweg, jedenfalls keinen, bei dem sie Chancen auf einen Wahlsieg hätte. Das Geld, dass wir bräuchten, um alle unsere mittlerweile zahlreichen Leckagen auch nur ansatzweise in den Griff zu bekommen, haben wir schlicht nicht. Übrigens auch nicht für ernsthafte Abschiebungen, die extreme Summen kosten. Unseren Verschuldungsspielraum haben wir bereits als Joker in einem anderen Spiel eingesetzt. Selbst für den Satz „We are running out of options“ ist es zu spät, denn die Verlaufsform trifft nicht mehr den Kern. Es ist das typische Phänomen der 3. Generation, die den Reichtum, den die Großeltern aufbauten und die Eltern erhielten, leichtsinnig und gedankenlos verspielt. Zu lange an sorgenfreies Wohlleben gewöhnt und dabei unbeweglich geworden, sind wir nicht mehr in der Lage, uns wirklich am Riemen zu reißen.

Folgerichtig gibt es auch keine einzige Persönlichkeit, die den Hut in den politischen Ring wirft. Keiner will wirklich Kanzler werden, denn jeder, der sich ein wenig auskennt, weiß, dass er Kapitän auf einem lecken Schiff ist. Das überlässt man doch lieber Mutti.
Und diese nebst ihren Kumpanen machen das einzige, was man dann noch machen kann: Die Kritik eindämmen, die Lämmer zum Schweigen zu bringen. Nichts zeigt deutlicher die Rat – und Hilflosigkeit des „Establishments“ als die Konzentration auf das Thema, wie man kritische Stimmen verhindert/sperrt/relativiert. Sei es das Vorgehen gegen die Achse, sei es die Ahndung von „hatespeech“ und „fake news“, sei es die persönliche Diskreditierung Andersdenkender oder der Versuch, schlicht „Maulkorberlasse“ zu verhängen.
Wer zu diesen Mitteln greift, beweist damit, dass er die Kontrolle verloren hat. Was noch schlimmer ist: Es ist keiner da, der sie kompetent übernehmen könnte oder wollte. Nicht für jeden gibt es eine Alternative und damit steht ein erheblicher Teil des Volkes im Regen.   Annette Heinisch

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