Stationen

Sonntag, 5. März 2017

Die Preisgabe des Landes

In einem nachgelassenen Text schrieb der im September 2016 von eigener Hand gestorbene Universalhistoriker Rolf Peter Sieferle, daß Angela Merkel der Platz in den Geschichtsbüchern sicher sei: Mit der Grenzöffnung von 2015 sei sie zu einer unserer „großen Katastrophengestalten“ geworden.

Am vergangenen Wochenende hat die Kanzlerin den Anspruch auf Unsterblichkeit bekräftigt, als sie auf der CDU-Landesvertreterversammlung von Mecklenburg-Vorpommern erklärte: „Das Volk ist jeder, der in diesem Land lebt.“
Von der prekären Grammatik abgesehen, enthält der Satz offenkundigen Unsinn und darüber hinaus eine Ermutigung an kriminelle Schleuserbanden. Jeder IS-Terrorist, der mit einem hinausgezögerten Asylverfahren ein Bleiberecht erwirkt, würde zum deutschen Volk zählen, dem er als einer Ansammlung „Ungläubiger“ den Garaus machen will. Auch mit dem Grundgesetz, dem Staatsangehörigkeitsgesetz und dem Bundesverfassungsgericht gerät die Kanzlerin in Konflikt.
Selbst wenn man „Volk“ nicht mehr ethnisch-kulturell, sondern ausschließlich staatsrechtlich bestimmt, hat sie schlechte Karten: So stellte Karlsruhe in seinem Urteil zum NPD-Verbotsantrag zwar fest, das Konzept einer „ethnisch definierten ‘Volksgemeinschaft’“ sei „mit dem Demokratieprinzip unvereinbar“, weil es sich gegen die „gleichberechtigte Teilhabe aller Staatsangehörigen an der politischen Willensbildung“ richte. Doch es geht eben um „alle Staatsangehörigen“ und nicht um alle, die hier leben.
Gewiß, nicht jedes Politikerwort gehört auf die juristische Goldwaage, denn ein Politiker muß noch andere Horizonte aufzeigen, historische, gesellschaftliche, politische, und das Recht auf einen unbedachten Satz hat jeder! Nur leitet Merkel ihre Erkenntnis von der „wunderbaren Zeit“ her, als der „eiserne Vorhang“ fiel: „Und deshalb gibt es auch keinerlei Rechtfertigung, daß sich kleine Gruppen aus unserer Gesellschaft anmaßen zu definieren, wer das Volk ist.“
Die Logik dieser Sätze mag sich einer CDU-Konferenz erschließen, die Merkel fast einstimmig zur Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl bestimmt, doch für einen klar denkenden Menschen bleibt sie ein Rätsel. Die Völker im Osten wollten das kommunistische Staatsgefängnis aufbrechen und die „kleinen Gruppen“ der Parteioligarchen entmachten, um sich als freie Völker in freien Staaten zu konstituieren. Das ist das genaue Gegenteil von staatlicher und nationaler Selbstabschaffung!
Wenn Merkels tapsiger Vorvorgänger Helmut Kohl sagte, Ziel der Bundesregierung sei „die Beseitigung der Arbeitslosen“ oder in der Politik sei wichtig, „was hinten rauskommt“, dann mußte man sich nichts Böses denken. Bei Merkel ist das anders. Sie redet unverständlich, verdruckst und peinlich – das aber konsequent.
Erst vor einigen Monaten reduzierte sie das Volk von einer rechtlichen, historischen, kulturellen Qualität zu einer zeitabhängigen Quantität, indem sie die Deutschen als diejenigen bezeichnete, „die schon länger hier leben“. Mit der neuesten Aussage knüpft sie daran an und überbietet das aktuelle Papier der Friedrich-Ebert-Stiftung „Miteinander in Vielfalt. Leitbild und Agenda für die Einwanderungsgesellschaft“, das unter Leitung der Integrationsbeauftragten Aydan Özoğuz erarbeitet wurde. Die Masseneinwanderung wird darin zum naturhaften Prozeß erklärt, den man nicht verhindern, nur gestalten könne.

Das Leitbild ist eine innovative „Vielfalt“, die aus dem Zusammenspiel freier, selbstbestimmter, kreativer Individuen gleich welcher Herkunft entstehe. Reaktionäre Querulanten sollen nötigenfalls in die multikulturelle Disziplin gezwungen werden. Solche Leitbilder werden von keinerlei historischer und empirischer Erfahrung gedeckt.
Was sich abzeichnet, ist die Verwandlung Deutschlands in einen Vielvölkerstaat, in dem archaische und gewaltaffine Kulturen die gleichberechtigte Teilhabe beanspruchen. Daß damit der Rechtsstaat und mit der unkontrollierten Einwanderung von Analphabeten in ein High-Tech-Land auch der Sozialstaat zerstört wird, liegt auf der Hand.
Merkel interessiert daran nur die Behauptung der unabänderlichen Prozeßhaftigkeit. Die Kanzlerin als begnadete Machttaktikerin setzt sich an die Spitze dieses apolitischen Mainstreams, dem die gesamte politisch-mediale Klasse folgt. Als Funktionärin eines natürlichen Prozesses macht sie sich unangreifbar und ist zugleich der Notwendigkeit enthoben, ihr Handeln politisch zu begründen.
Dieses Handeln ist geeignet, den Bestand der Bundesrepublik entscheidend zu ihrem Nachteil zu verändern und die verfassungsmäßige, kulturelle, soziale, lebensweltliche Ordnung umzustürzen. Die fortschreitende Tribalisierung kann auf mittlere Sicht sogar zu Sezessionsbestrebungen von Einwanderern führen, die von auswärtigen Mächten unterstützt werden. Alles läuft auf eine Preisgabe des Landes hinaus. Der Sieferle-Text, in dem Merkel als „Katastrophengestalt“ bezeichnet wird, trägt den Titel: Vom gesinnungsmäßigen Rausch in den Untergang.

Finden sich in Deutschland noch genügend Widerstandskräfte, die die vorgebliche Unabänderlichkeit der Entwicklung aus Überzeugung und mit Klugheit bestreiten und ihr energisch entgegenwirken? Innerhalb des etablierten Parteiensystems und der politisch-medialen Klasse sind solche Kräfte zumindest unsichtbar. Von der Union bis zur Linkspartei hat sich eine Merkel-Front formiert, die sich vom Blockparteien-System der DDR bloß noch äußerlich unterscheidet. Die Alternative kann sich nur außerhalb der etablierten Strukturen herausbilden.
Tatsächlich waren dezidierte Gegenstimmen fast ausschließlich aus der AfD zu vernehmen. Die Worte der Kanzlerin müssen als der definitive Weck- und Mahnruf verstanden werden: Es geht um mehr als um Posten, Befindlichkeiten, taktische Vorteile. Es geht um alles!  Thorsten Hinz

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