Stationen

Freitag, 10. März 2017

Weshalb Höcke "eigentlich" recht hat

Björn Höcke sprach gestern auf Einladung der Jungen Alternative vor 500 Hörern in Dresden unter anderem über geschichtspolitische Fragen. Die Empörung darüber ist groß. Warum?
Die Holocaustforschung, die Aufarbeitung der deutschen Verbrechen zwischen 1933 und 1945, die Frage, wie eines der gebildetsten und zivilisiertesten Völker es zu einem solchen Zivilisationsbruch habe kommen lassen können – dies alles hat breiten Raum eingenommen in der deutschen Forschung, Politik und Erziehung nach 1945.
Es ist über den geradezu pathologischen Umgang der Deutschen mit ihrer eigenen Geschichte alles gesagt worden, was es zu sagen gibt. Der Selbsthaß der Deutschen ist keine Erfindung, die Verachtung des Eigenen auch nicht, und für Leute, die sonst bloß Individuen sehen wollen, ist es in dieser Frage keine Frage, daß »wir« das taten.
Was hat das mit uns Deutschen gemacht, was macht es noch immer mit uns? Unstrittig ist, daß aus der notwendigen Erinnerung jene politisches Kapital zu schlagen begannen, die sich davon einen moralischen Vorsprung versprachen: Man kann bis heute Debatten dadurch beenden, daß man einen Konservativen oder Rechtsintellektuellen beispielsweise zu einer Rechtfertigung seiner kritischen Haltung zur Einwanderungsfrage vor dem Hintergrund von Auschwitz zwingt.
Dabei hat das eine mit dem anderen nichts zu tun. Aber die geschichtspolitische Macht ist nun einmal vorhanden, sie befindet sich in der Hand derjenigen, die unser Volk nicht mögen und die es lieber heute als morgen in seiner Eigenart umgebaut und in seinem Bestand ausgedünnt sähen.
Der Historiker Karlheinz Weißmann hat diesen Mechanismus vor knapp fünf Jahren in der Wochenzeitung Junge Freiheit als Verwendung und Durchsetzung »politisch-theologischer Formeln« beschrieben:
Es handelt sich bei den Bezugnahmen auf „Gründungsmythos“ und „Staatsräson“ um theologische, genauer: politisch-theologische, Formeln. Darüber kann auch die Rede von der Staatsräson nicht hinwegtäuschen, denn der liegt die Behauptung zugrunde, daß die Verantwortung der Deutschen (heute) für Israel (heute) aus den Taten von Deutschen (damals) an Juden (damals) resultiere. Solche Sinnkonstruktion ergibt sich nicht zwingend aus der Vergangenheit, sondern als Folge einer bestimmten Deutung, vorgenommen und durchgesetzt von denen, die die Macht dazu haben, als Ersatz früherer Deutungen und in Abwehr konkurrierender.

Allerdings muß ein politisch-theologischer Satz auch Glauben finden, und seine Verfechter müssen auf Gerngläubigkeit hoffen. Die fördert nichts so sehr wie eine große Erzählung, ein Mythos eben, eine möglichst bildhafte, in klaren Antagonismen gehaltene, dramatische und in einem Entscheidungsakt zwischen Gut und Böse aufgipfelnde Geschichte.

Die Erzählung von „Auschwitz“, von der untilgbaren Schuld, die Wir in der großen Schlacht zwischen Gut und Böse auf uns geladen haben, als Wir auf die Seite des Bösen traten gegen die Guten und die Juden der Vernichtung preisgaben, bevor sie durch eine Fügung Gottes oder der Vorsehung vom bewaffneten Arm der Menschheit im letzten Moment gerettet und Wir niedergeworfen wurden, woraufhin Wir zur Erkenntnis kamen und dem Bösen absagten, weshalb Wir nicht vollständig ausgetilgt wurden, aber das Kainsmal tragen, auf daß jeder sieht und Wir selbst nie vergessen, was Wir getan haben, daß Wir nichtswürdig sind weil Nachkommen von Nichtswürdigen.
Es war Joschka Fischer, der Auschwitz zum Gründungsmythos der Bundesrepublik Deutschland erklärte, mithin den Abgrund der eigenen Geschichte zu dem, worauf nun etwas gebaut werden solle, und dieser Gründungsmythos bekam – das ist konsequent – in Berlin, im Zentrum der Hauptstadt, ein Denkmal gesetzt. Das Holocaust-Mahnmal, das riesige Stelenfeld, liegt ein paar Gehminuten vom Brandenburger Tor, dem Reichstagsgebäude und dem Bundeskanzleramt entfernt – räumlich wie erinnerungspolitisch zentral.
Gegen diese Zentralität hat sich Björn Höcke in seiner Rede gewandt. Er hat das Holocaust-Mahnmal als »Denkmal der Schande« bezeichnet und ausgeführt, daß man auf einen Negativmythos nichts Gedeihliches würde gründen können. Er forderte eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad und kann sie dreifach begründen:
  • Zum einen mit dem Verweis auf die schlichte Tatsache, daß kaum ein Volk in der Weltgeschichte so gründlich bezahlt habe für einen verlorenen Krieg und die darin begangenen Verbrechen wie das deutsche Volk (Zerstörung der Städte, Vertreibung, Gebietsverluste, Millionen Tote noch nach dem Waffenstillstand), und daß kaum eines so hart mit sich selbst ins Gericht gegangen sei.
  • Zum anderen damit, daß die deutsche Geschichte in der Tat nicht zu reduzieren sei auf jene zwölf Jahre, auf die man es immer wieder stoße, wenn es geschichtspolitisch opportun erscheine.
  • Drittens mit dem politischen Anspruch, die Geschichtserzählung jenen aus der Hand zu nehmen, die sie verzerren und gegen die Zukunft des eigenen Volkes richten.
»Denkmal der Schande«: Aus der Verwendung dieses Begriffes soll seit heute früh Höcke ein Strick gedreht werden. "Denkmal der Schande" bedeutet nicht, es sei eine Schande, daß es dieses Denkmal gebe, sondern ist schlicht die Beschreibung dafür, daß die Schandtat Deutschlands in einem Denkmal dauerpräsent sei.
Denn dies ist wiederum einmalig: Keine andere Nation hat dem negativen Anteil seiner Geschichte im Herzen seiner Hauptstadt den zentralen Erinnerungsort zugeteilt.
Höcke befindet sich mit dieser Bestandsaufnahme und seiner Forderung nach einer ins Positive gewendeten Erinnerungs- und Geschichtspolitik in bester Gesellschaft, und zwar bis in die Begrifflichkeiten hinein. Es ist da zunächst die Initiative »Freiheits- und Einheitsdenkmal« zu nennen, zu deren Initiatoren unter anderem Lothar de Maizière gehört. Man liest in der Beschreibung der Idee zu einem solchen Nationaldenkmal folgende Passage:
Den Initiatoren ist von Anfang an klar, dass es nicht leicht sein wird, die Denkmalinitiative in Deutschland umzusetzen: „Wir Deutsche tun uns schwer mit Denkmälern und Gedenkstätten. Es wird auch um ein Denkmal der deutschen Einheit Streit geben.“ Trotzdem sind sie der Überzeugung, dass für ein Denkmal zu „streiten“ sich lohnt: „Denkmäler der Schande und der Trauer, des Stolzes und der Freude sind notwendige Grundstein des neuen Deutschland und der neuen Bundeshauptstadt.“
Im Grunde könnte die AfD ihre erinnerungspolitische Wende damit beginnen, die erst im Frühsommer 2016 endgültig verworfene Idee dieses Freiheits- und Einheitsdenkmals aufzugreifen und seine Finanzierung und Umsetzung jetzt erst recht zu fordern.

Beinahe zum Allgemeinwissen gehören einige Passagen aus Martin Walsers Paulskirchenrede von 1998:
Kein ernstzunehmender Mensch leugnet Auschwitz; kein noch zurechnungsfähiger Mensch deutelt an der Grauenhaftigkeit von Auschwitz herum; wenn mir aber jeden Tag in den Medien diese Vergangenheit vorgehalten wird, merke ich, daß sich in mir etwas gegen diese Dauerpräsentation unserer Schande wehrt. Anstatt dankbar zu sein für die unaufhörliche Präsentation unserer Schande, fange ich an wegzuschauen.  […] In der Diskussion um das Holocaustdenkmal in Berlin kann die Nachwelt einmal nachlesen, was Leute anrichteten, die sich für das Gewissen von anderen verantwortlich fühlten. Die Betonierung des Zentrums der Hauptstadt mit einem fußballfeldgroßen Alptraum. Die Monumentalisierung der Schande. Der Historiker Heinrich August Winkler nennt das »negativen Nationalismus«. Daß der, auch wenn er sich tausendmal besser vorkommt, kein bißchen besser ist als sein Gegenteil, wage ich zu vermuten. Wahrscheinlich gibt es auch eine Banalität des Guten.
Rudolf Augstein setzte sich damals im Spiegel mit Walsers Rede auseinander und notierte unter anderem folgenden Gedanken:
Nun soll in der Mitte der wiedergewonnenen Hauptstadt Berlin ein Mahnmal an unsere fortwährende Schande erinnern. Anderen Nationen wäre ein solcher Umgang mit ihrer Vergangenheit fremd. Man ahnt, daß dieses Schandmal gegen die Hauptstadt und das in Berlin sich neu formierende Deutschland gerichtet ist. Man wird es aber nicht wagen, so sehr die Muskeln auch schwellen, mit Rücksicht auf die New Yorker Presse und die Haifische im Anwaltsgewand, die Mitte Berlins freizuhalten von solch einer Monstrosität.
Wer Höckes gestrige Rede skandalisiert, instrumentalisiert die noch immer wirkmächtige erinnerungs- und geschichtspolitische Deutungsmacht eines unter Druck geratenen politisch-medialen Komplexes, der seine Politik und sein Wirken gegen unser Volk ausgerichtet hat. Höckes Rede und die Reaktionen darauf werden zeigen, wo diese Deutungsmacht ihre Risse bekommen hat oder bekommen wird.
Dies unter anderem ist die Aufgabe einer Partei, die alternative Politik betreiben will.

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