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Samstag, 22. April 2017

Anarchische Härte

Der Terror ist auch in Europa mit voller Wucht angekommen und die Regierungen erscheinen dagegen hilflos. In seinem soeben erschienenen Buch „Wir Weicheier – Warum wir uns nicht mehr wehren können und was dagegen zu tun ist“ geht der renommierte Militärhistoriker Martin van Creveld, emeritierter Professor für Geschichte an der Hebräischen Universität Jerusalem, der Frage nach, ob sich Europa heute überhaupt noch politisch und militärisch verteidigen könnte. Er äußerst sich dazu skeptisch und bezieht die ganze westliche Welt in seine Analyse ein. Das Interview führte Bernd Kallina.

PAZ: In Ihrem jüngsten Buch befassen Sie sich kritisch mit gesellschaftlichen Fehlentwicklungen westlicher Demokratien. Verstehen Sie es als Warnruf, den Ernst der Stunde endlich zu begreifen?
Martin van Creveld: Ja, eindeutig. Um eine der Kapitelüberschriften in meinem Buch zu zitieren: „Hannibal intra portas“. Entweder der Westen legt seine Schwäche ab und lernt wieder zu kämpfen, oder er ist dem Untergang geweiht.

PAZ: Ihr Vorwurf lautet: „Weicheier“! Wen meinen Sie damit genau, welchen Defizit-Typus haben Sie im Auge?
Creveld: Alle Bereiche der Gesellschaft sind mit schuld. Eltern, die zu alt, zu sicherheitsorientiert sind und oft auch zu hohe Anforderungen an die Kinder stellen; Streitkräfte, die von einer ekelerregenden Mischung aus Bürokratie, Regelungswut und „political correctness“ geplagt werden; Soldatinnen, die in Wirklichkeit nur halbe Soldaten sind und den Streitkräften viel mehr Probleme als Nutzen bringen; die weit verbreitete Akzeptanz des Gedankens, dass der Krieg notwendigerweise zu posttraumatischen Belastungsstörungen führt und es für einen Soldaten nicht nur „in Ordnung“, sondern beinahe geboten ist, daran zu erkranken; und der unaufhaltsame Aufstieg der Rechte zulasten der Pflichten. Suchen Sie sich’s aus.

PAZ: Der islamistische Terror ist unübersehbar in Europa angekommen und überfordert die klassischen Armeen bei der Abwehr. Weshalb?
Creveld: Weil sie sich jahrzehntelang darauf vorbereitet haben, gegeneinander anstatt gegen anders geartete Organisationen zu kämpfen.

PAZ: Wenn die klassischen Armeen bei der Abwehr asymmetrischer Partisanenangriffe versagen, was hilft dann?
Creveld: Lassen Sie mich diese Frage im Lichte des britischen Erfolgs in Nordirland beantworten. Drei Dinge sind notwendig: Erstens ein starker politischer Wille, der aber den meisten westlichen Ländern zu fehlen scheint. Zweitens eine sehr gute Ausbildung, Disziplin, Professionalität und Korpsgeist. Drittens die Fähigkeit zum Maßhalten, damit man sich die Bevölkerung nicht noch mehr entfremdet als unbedingt notwendig. Auch wenn es Tote kostet, so wie in Nordirland, wo weit mehr Soldaten als Terroristen starben.

PAZ: In Ihrer Schwäche­analyse bei fast allen westlichen Armeen – Sie führen als Paradebeispiel ja die „US-Streitkräfte“ an – verweisen Sie vor allem auf eine dort zu beobachtende Femininisierung. Warum stören Soldatinnen die Kampfkraft einer Armee?
Creveld: Es gibt vier Hauptprobleme: Erstens behaupten die Frauen, dass sie zu den gleichen Bedingungen wie männliche Soldaten zum Heer wollen. Sind sie erst einmal aufgenommen, verlangen sie unweigerlich alle möglichen Privilegien – und bekommen sie auch, angefangen von den Vorrechten rund um Schwangerschaft, Geburt und Mutterschaft über eine weniger fordernde Ausbildung bis hin zum leichteren Zugang zum Offiziersrang. Das Ergebnis sind Hass und Neid bei den männlichen Soldaten und periodisch wiederkehrende „Skandale“ wie jener, der vor Kurzem die Gebirgsjäger der Bundeswehr erschüttert hat.

PAZ: Das war Punkt eins, und die weiteren Hauptprobleme?
Creveld: Zweitens ist die Situation entstanden, dass männliche Soldaten sich vor dem unberechtigten Vorwurf der sexuellen Belästigung mehr fürchten als vor dem Feind. Und mit sehr gutem Grund: Die US-Streitkräfte haben derzeit mehr „sexual assault res­ponse coordinators“ als Musterungsoffiziere. Drittens: Wenn es Frauen bei den Streitkräften gibt, dann fällt einer der Hauptgründe weg, warum ein Mann Soldat wird und kämpft – der Wunsch, sich als Mann zu bewähren. Dann sagen Männer ganz zu Recht: Wenn eine Frau das auch kann, warum sollte ich das machen? Und schließlich gilt für die Streitkräfte aller westlichen Länder: Jeder, der es wagt, auch nur im Flüsterton über diese und ähnliche Probleme zu sprechen, wird unverzüglich und hart bestraft. Daher sind diese Streitkräfte auf einer Lüge aufgebaut. Und ein Haus, das auf einer Lüge aufgebaut ist, hat keinen Bestand.
PAZ: Nicht nur die Feminisierung der Armee ruft Ihre Kritik hervor, generell wenden Sie sich gegen einen Erziehungsstil des „Überbehütens“. Woran machen Sie diese Entwicklung beispielhaft fest und welche negativen Auswirkungen zeitigt ein solcher Stil?
Creveld: Das, was Sie „Überbehüten“ nennen, ist sehr leicht nachzuweisen. Sogar ein quantitativer Nachweis ist möglich. Der Prozentsatz der Kinder, die zu Fuß oder mit dem Fahrrad in die Schule kommen und nicht mit dem Schulbus oder mit dem Auto hingefahren werden, sinkt. Die durchschnittliche Strecke, die sich unsere Kinder ohne erwachsene Begleitung von zu Hause entfernen dürfen, wird immer kürzer. Das Durchschnittsalter, in dem junge Menschen die Schule oder die Universität verlassen und den Schritt ins „wirkliche Leben“ tun, nimmt hingegen zu. Das Alter, in dem sie berufstätig werden, heiraten und Kinder bekommen, nimmt ebenfalls zu. Das Ergebnis ist eine Gesellschaft, deren Mitglieder nicht fähig und oft nicht willens sind, sich zu verteidigen.

PAZ: Wäre denn eine Form von „anarchischer Härte“ als pädagogische Prämisse sinnvoller?
Creveld: Der Gedanke ist mir noch nie gekommen. Aber „anarchische Härte“ ist eine ziemlich treffende Beschreibung für die Art und Weise, wie junge Israelis etwa zwischen 1948 und 1982 aufgewachsen sind – also genau in der Zeit, als die israelischen Streitkräfte wegen ihrer Tapferkeit bewundert wurden und als die beste Armee der Welt galten.

PAZ: Die Bundeskanzlerin hat im Herbst 2015 die Einfallstore für illegale Masseneinwanderung geöffnet, was zu großen gesellschaftlichen Verwerfungen führte. Wie bewerten Sie diese Art von „Willkommenskultur“ unter Sicherheitsgesichtspunkten?
Creveld: Ich mag Frau Merkel. Aber ich glaube, sie hat einen sehr, sehr schweren Fehler begangen, für den Deutschland teuer bezahlt und in Zukunft noch teurer bezahlen wird.

PAZ: Sie leben in Israel und damit in einem Staat, der fast täglich mit Terroranschlägen zu kämpfen hat. Was kann Europa in dieser Beziehung von Israel lernen?
Creveld: Alles. Israelische Sicherheitsexperten sind auf der ganzen Welt tätig, auch in einigen arabischen Ländern, wo sie die entsprechende Ausrüstung installieren und als Ausbildner tätig sind. In ihrer jahrzehntelangen Erfahrung mit dem Terrorismus haben sie gelernt, mit diesen Problemen umzugehen. Auch von der israelischen Bevölkerung lässt sich lernen, mit diesen Dingen zu leben und mit ihnen fertig zu werden.

PAZ: Sind die vom „Weichei-Establishment“ so geschmähten „populistischen Bewegungen“ in Europa ein Hoffnungsschimmer in Richtung Realismus?
Creveld: Meiner Meinung nach ja. Obwohl es mir persönlich gar nicht recht wäre, wenn die EU zerfällt.

PAZ: In den USA agiert seit Jahresbeginn der neue US-Präsident Donald Trump, der als Gegenpol zum alten Establishment gilt. Erwarten Sie von ihm positive Impulse?
Creveld: Ich habe Trump unterstützt. Ich hatte die Hoffnung, dass er der von Hillary Clinton symbolisierten „political correctness“, die uns alle zu Idioten macht, ein Ende setzen würde. Nach zwei Monaten Präsidentschaft kommt es mir allerdings so vor, als wenn der Mann selbst ein Idiot ist, und zwar nicht nur im Hinblick auf die Sicherheitspolitik. Alles, was er anfasst, endet in einer Katastrophe. Wenn es so weitergeht, werden die meisten Menschen bald gar nichts mehr von ihm erwarten – außer vielleicht seinen Rücktritt.  PAZ

 Hannibal intra portas?? Creveld variiert den bekannten Slogan "Hannibal ante portas", um zu veranschaulichen, wie ernst die Lage ist. Aber "intra portas" ergibt keinen Sinn. Wenn schon, dann "intra moenia" (aber wir haben ja per Merkeldekret keine moenia mehr) oder "post portas" oder "ultra portas" oder "trans portas" oder "uls portas". Siehe auch...

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