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Montag, 1. Mai 2017

1. Mai

Heute ist ein guter Tag für DDR-Erinnerungen. Zwar waren es die Nazis, die den 1. Mai zum Feiertag erklärten, doch an keinem anderen Datum außer vielleicht dem 7. Oktober ("Tag der Republik") wähnten sich die DDR-Genossen so sehr in ihrem Element wie am "Kampf- und Feiertag der Werktätigen", an welchem man gehalten war, Fahnen aus den Fenstern zu hängen und mit sogenannten Winkelementen wedelnd an den von ihren Tribünen zurückwinkenden führenden Genossen vorbeizudefilieren, um sich danach auf diversen Volksfesten die Kante zu geben oder einer FDJlerin aus dem blauen Fummel zu helfen.

Mit dem 1. Mai hat meine Reminiszenz aber nicht zu tun. Sondern:

Als ich vor ein paar Tagen erstmals im Arbeitsamt vorstellig wurde, um mich, der ich seit meinem Beitritt zur Bundesrepublik weit über eine Million Mark und später Euro in die Steuer- und Sozialkassen eingezahlt habe, für ein kurzes Verschnaufpäuschen an die Brüste des Sozialstaates sinken zu lassen, fiel mir schlagartig ein, dass ich ja doch schon einmal davor auf einem Arbeitsamt gewesen bin, nämlich im Sommer 1991 in Ostberlin. Dieses Arbeitsamt nun befand sich – oder befindet sich noch – an einem sehr exklusiven Ort, nämlich in einem Flügel der ehemaligen Stasi-Zentrale Normannenstraße. Als ich von dort aus dem Fenster sah, blickte ich auf das Hans-Zoschke-Stadion, ein Fußballstadion mit knapp 10.000 Plätzen, benannt nach dem 1944 hingerichteten kommunistischen Widerstandskämpfer Johannes Zoschke. Diese Perspektive entzückte mich insofern, als ich sie in umgekehrter Richtung schon einmal genießen durfte, nämlich drei Jahre früher. Damals war ich als Platzwart im Zoschke-Stadion tätig beziehungsweise untätig, das heißt, ich lief jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit an den mit Maschinenpistolen bewaffneten Wächtern des Stasi-Hauptquartiers vorbei, die Haltung annahmen und salutierten, wenn die Generäle in ihren schwarzen, wenn ich mich recht entsinne, Citroen-Limousinen hineinfuhren, und während ich die Kreidekarre schob, um die Strafraumlinien nachzuziehen, starrte mich der ummauerte Moloch, der das Stadion von drei Seiten einschloss, aus seinen aberhundert Fenstern an. Am liebsten hätte das MfS dieses Stadion einfach geschluckt, doch die Witwe Zoschke war wohl noch sehr kregel und verhinderte mit ihrer schieren Existenz die Umwandlung des Fußballplatzes in eine Stasi-Betriebssportanlage.

Ich kann mich noch entsinnen, dass einmal der BFC Dynamo dort spielte, entweder die Junioren oder die zweite Mannschaft, und zwei Herren aus dem Ministerium inspizierten vorher die Umkleideräumlichkeiten mit dem Resultat, dass sämtliche Poster von westlichen Fußballmannschaften entfernt werden mussten. Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass die tausendohrigen Nachbarn ergriffen mithörten, wenn die anderen Sportplatzangestellten vom Diensttelefon aus Westberliner Prostituierte anriefen, deren Nummern sie einer Ausgabe der BZ entnahmen, die irgendwer mitgebracht hatte, und sich nach deren Repertoire erkundigten, um danach bittere Klage über die Mauer anzustimmen.

Eines schönen Sommertages, um nun zu der Anekdote zu kommen, die ich eigentlich zum Besten geben will, legte ich mich also in den Mittelkreis des Fußballplatzes in die Sonne, und während vor meinem inneren Ohr Debussys Prélude à l’après-midi d’un faune lief, entschlummerte ich sanft. Nur wenige Minuten später rief der Direktor des Sportstättenbetriebs im Zoschke-Stadion an. Die Genossen des Ministeriums für Staatssicherheit hatten sich beschwert, dass der Platzwart nicht arbeite. Auf die Jungs war eben Verlass.

Und ihr Geist ist noch quicklebendig. MK am 1. 5. 2017




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