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Dienstag, 16. Mai 2017

Chinesische Weisheit

Auf der Webseite von openDemocracy widmet sich ein Beitrag dem in chinesischen online-Foren vagabundierenden Terminus baizuo (白左), "or literally the 'white left'" (ich danke Leser *** für den Hinweis). Der Begriff sei erstmals vor etwa zwei Jahren aufgetaucht und gehöre inzwischen zu den am meisten gebrauchten "derogatory descriptions for Chinese netizens to discredit their opponents in online debates". In China kann also jemand geschmäht werden, indem man ihn als "weißen Linken" bezeichnet – ist das nicht skurril? – bzw. diesem Menschen vorwirft, wie ein solcher zu argumentieren. Aber selbstredend findet die für Langnasen ungewöhnliche Verbindung eines schlimmen Wortes mit einem Gutwort vornehmlich auf sie selber Anwendung, insofern sie eben der Kategorie "white left" zugeordnet werden.

Doch wer gehört in diesen edlen Kreis? Eine online-Portal stellte die Frage und bekam zur Antwort, das Wort baizuo werde gemeinhin verwendet, um diejenigen zu beschreiben, die sich um "Themen wie Immigration, Minderheiten, LGBT und Umwelt" kümmerten und "keinen Sinn für die wirklichen Probleme in der Welt" besäßen; "heuchlerische Humanitaristen", die sich für Frieden und Gleichheit einsetzten, "um ihr Gefühl moralischer Überlegenheit zu befriedigen". Wer "white left" sage, referiert der Autor des Artikels, insistiere auf ein Symptom "westlicher Schwäche". Texte des Tenors "The white left are destroying Europe" seien im chinesischen Netz weit verbreitet.

Im Mai 2016 bezeichnete Amnesty International China als "the most welcoming country for refugees". Die Pekinger Global Times fragte ihre Leser, was sie von dieser Aussage hielten, und das Ergebnis war das genaue Gegenteil: 90,3 Prozent sagten "Nein" zu der Frage "Würden Sie Flüchtlinge in ihrem eigenen Haushalt akzeptieren?", 79,6 Prozent lehnten "Flüchtlinge in ihrer Stadt oder Nachbarschaft" ab. Viele Netizens hielten die Amnesty-Behauptung für den "Teil einer ausländischen Verschwörung mit dem Ziel, die chinesische Regierung unter Druck zu setzen, mehr Flüchtlinge aufzunehmen".

Die Karriere des Begriffs, heißt es weiter, hänge mit der europäischen "Flüchtlingskrise" zusammen, und Angela Merkel "was the first western politician to be labelled as a baizuo for her open-door refugee policy. Hungary, on the other hand, was praised by Chinese netizens for its hard line on refugees, if not for its authoritarian leader." Ein zweiter – ebenfalls abfälliger – Titel, der neben baizuo benutzt werde, sei shengmu (圣母), was soviel wie "heilige Mutter" bedeute. (Die Chineser blicken durch; in Deutschland beschreibt diese Chiffre praktisch die einzige Alternative zur Realpolitik.) Doch auch Obama und Mrs. Clinton habe man den Ehrentitel baizuo verliehen. Trump indes "was taken as the champion of everything the ‘white left’ were against, and baizuo critics naturally became his enthusiastic supporters".

Bezeichnend ist folgender Passus: "Viele chinesische Studenten und Jobsucher in Europa halten es einfach für unfair, dass sie 'so hart arbeiten müssen, um bleiben zu dürfen, während diese Flüchtlinge einfach kommen und Asyl beanspruchen'." Aus der innenpolitischen Perspektive liege die Anti-baizuo-Haltung auf einer Linie mit dem brutalen Pragmatismus im postsozialistischen China, wo Darwins "logic of 'survival of the fittest'"gelte (ich will freilich nicht müde werden, darauf hinzuweisen, dass Darwins Modell keineswegs so simpel angelegt ist und eben auch "the choice of beauty", die für ihn quasi schon im Vogelreich beginnende Kulturfähigkeit, einschließt). In China gelte der Grundsatz, dass jeder für seine Misere verantwortlich sei und jeder sich selber helfen müsse.

Beim online-Dienst Weibo – quasi dem chinesischen Pendant zu Facebook – wurde ein akademischer Essay mehr als 7000mal geteilt, dessen Verfassers, ein "fantasy lover Mr. Liu", die europäische Philosophie "von Voltaire und Marx zu Adorno und Foucault" mit den "white left" als Abschluss eine "geistige Epidemie auf dem Weg zur Selbstvernichtung" nennt. So nah ist uns das Reich der Mitte!
(Den gesamten Artikel finden Sie hier.)

Wenn man jetzt einen Kameraschwenk auf das chinesische Engagement in Afrika macht, offenbart sich das europäische Dilemma in aller Deutlichkeit. Die Chinesen investieren, kaufen Land und Rohstoffe, beschäftigen die Einheimischen zu niedrigen Löhnen, treiben also eine Art Kolonialkapitalismus zum eigenen Nutzen, bei dem für die Einheimischen einiges abfällt. Die (West-)Europäer haben zuerst jahrzehntelang mit ihrer Entwicklungshilfe vor allem afrikanischen Diktatoren deren Schweizer Bankkonten gefüllt, jetzt importieren sie im großen Stil und unter Beteiligung z.B. der Bundeswehr als staatliche Schlepperorganisation sogenannte Flüchtlinge aus Afrika und dem Orient, für deren Versorgung die einheimische Bevölkerung aufkommen muss. Statt auf dem schwarzen Kontinent zu investieren und Afrikanern dort, wo sie leben und in einem gewissen Sinne auch hingehören, Jobs zu verschaffen, holen europäische Regierungen mit shengmu an der Spitze afrikanische Analphabeten nach Europa, damit die Europäer für sie arbeiten. Praktisch findet ein umgekehrter Kolonialismus statt, die Europäer penetrieren nicht mehr, sondern lassen sich penetrieren, was sich hierzulande am besten mit dem Personalwechsel von Bismarck, Moltke oder Hindenburg zu Mutti, Flinten-Uschi und Volker Beck verdeutlichen lässt.

China aber, das Land in dem vor hundert Jahren an den Parks von Shanghai noch Schilder standen "Zutritt für Hunde und Chinesen verboten!" – wer hat’s erfunden? Die Deutschen waren's nicht –, das in den Opiumkriegen kolonialiserte, von den Angelsachen tief gedemütigte China ist augenscheinlich nicht schulddurchglüht und willens, denselben Weg zu gehen. Vielleicht, Genossen, ist es an der Zeit, das alte Kampflied neu zu intonieren: "Der Osten erglüht, China ist jung!" Auch wenn dort keine Kulturrevolutionen und Massenmorde mehr stattfinden, sondern nur die "Kompetenzfestungen" (Gunnar Heinsohn) der Zukunft errichtet werden. Niemand soll meinen, ich wünschte, in eine davon einzuziehen. Aber das Epöchlein des Optativs, die bundesrepublikanische Märchenwelt der Wünschbarkeiten, könnte bereits weit hinter uns liegen.


                  ***

Leser *** bemerkt zu meinem Beitrag vom 11. Mai:

"Sie zitieren dort den Text des Songs 'Kill all the white man' der Punk-Götter meiner Jugend (in den guten alten 1990igern).
Nun muss man deren Musik nicht mögen, kann über den künstlerischen Wert streiten und das Werk dieser Rüpel gerne auch gar nicht erst als Musik, sondern als Krach einordnen (letzteres tue ich nicht – zu viele Jugenderinnerungen sind damit verbunden!). Erst recht muss man die politischen oder gesellschaftlichen Ansichten der Krachbrüder nicht teilen (was ich nie getan habe).
Dennoch möchte ich zur Ehrenrettung der Band darauf hinweisen, dass der besagte Song ganz offensichtlich Satire ist, was schon der grammatikalisch falsche Titel ('man') und der Gesang mit aufgesetztem jamaikanischem Akzent nahelegt. Es gibt von der Band verschiedene antirassistische Songs (bei Linken ja sehr beliebt), diese geraten aber m.E. nie auf die anti-weiße (= rassistische) Schiene, sondern wenden sich schlicht gegen einen Stolz auf die eigene Rasse (egal welche), z.B. in 'Jaundiced Eyes' (1989):

'Black is beautiful, white is so pure
Can you see a difference? all I see's a blur
Is one color a virtue how can you be sure
Ignorance the disease education the cure

So how can you say that your proud of your race
Proud of your gender
Or proud of your faith'

Als weiteres Beispiel möchte ich 'Don't call me white' (1994) anführen, dessen Botschaft im Kern lautet:
'So go ahead and label me
An asshole cause I can
Accept responsibility, for what I've done
But not for who I am'

Der langen Rede kurzer Sinn: Der Imperativ 'Kill all the white man' ist natürlich keinesfalls wörtlich gemeint – ganz im Gegenteil! Eine andere Frage ist, welches Textverständnis die mitgrölenden Festivalbesucher gehabt haben mögen."


                        ***


"SPD stellt zweiten Martin Schulz auf" ("mit 200 Prozent Zustimmung"); "Neuer Skandal-Vorfall bei der Bundeswehr: Xavier-Naidoo-Brille in Yassir-Arafat-Kaserne gefunen": Bernd Zeller bleibt verlässlich auf kathartische Weise komisch (hier).


                       ***


Bezugnehmend auf das heutige Zitat aus openDemocracy: "Viele chinesische Studenten und Jobsucher in Europa halten es einfach für unfair, dass sie 'so hart arbeiten müssen, um bleiben zu dürfen, während diese Flüchtlinge einfach kommen und Asyl beanspruchen'.” schreibt Leser ***:

"Das gilt nicht nur für Chinesen. Ich hab viel mit Japanern zu tun (meine Frau ist Japanerin), und alle, mit denen ich darüber gesprochen habe, denken genau so. Das böseste Beispiel: ein Japaner hat in DE eine Schreinerei eröffnet und Leute eingestellt, Deutsche. Er hat Arbeitsplätze geschaffen. Er zahlt Steuern und Abgaben bis zum Abwinken. Dennoch muss er seine Aufenthaltserlaubnis jährlich verlängern lassen, ohne einen Rechtsanspruch darauf zu haben. Falls sein Betrieb mal nicht mehr läuft und er auf Transferleistungen angewiesen sein sollte, droht ihm die Ausweisung. Und natürlich wird das Land NRW eher ihn ausweisen statt irgendwelche kriminellen Libanesen, einfach weil von ihm dabei keinerlei Gefahr ausgeht."

Und schickt diesen sowie jenen erläuternden Link.   MK am 16. 5. 2017

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