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Freitag, 13. Oktober 2017

15. Oktober 2017



Autobahn A7, Ländergrenze Hessen-Niedersachsen. Früher fiel der Blick aus dem Fenster fast unweigerlich auf ein großes Betonbauwerk am Rande der Autobahn, auf die Friedland-Gedächtnisstätte auf dem Hagenberg. Heute, 50 Jahre nach dessen Errichtung, sieht das ganz anders aus. Die Vegetation hat sich ausgebreitet und verhindert den freien Blick auf den Bau. Die Autofahrer werden nur noch durch ein Schild auf das „Tor zur Freiheit“ aufmerksam gemacht, das mit der Zeit immer mehr in Vergessenheit geraten ist. Kaum einer dürfte heute noch wissen, daß es sich hierbei um das sogenannte Heimkehrer-Denkmal handelt.
Friedland: Eine kleine Gemeinde im niedersächsischen Landkreis Göttingen mit bewegter Nachkriegsgeschichte. 1945 hatten die Briten hier, direkt an der Grenze zur sowjetischen (und zur amerikanischen) Besatzungszone ein „Grenzdurchgangslager“ eingerichtet.
Es diente fortan der Aufnahme von Vertriebenen und Flüchtlingen aus den deutschen Ostgebieten und zunehmend auch von Rückkehrern insbesondere aus der sowjetischen Kriegsgefangenschaft, sowie (später) von Spätaussiedlern. Über vier Millionen Menschen durchliefen es im Laufe der Zeit – bis heute. Es wurde zur Zufluchtsstelle für traumatisierte Zivilisten und zum „Tor zur Freiheit“ für kriegsgefangene Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg.
Adenauers Projekt
Besonders bekannt wurde das Lager, als der erste deutsche Bundespräsident, Theodor Heuss, 1955 die letzten deutschen Rückkehrer aus der sowjetischen Gefangenschaft in Friedland willkommen hieß. Bundeskanzler Konrad Adenauer hatte deren Freilassung zuvor auf seiner Moskaureise in Verhandlungen mit den Sowjets um Parteichef Nikita Chruschtschow erwirkt. Die „Heimkehr der Zehntausend“ gilt noch heute als eine der größten politischen Leistungen Adenauers. Sie band ihn besonders eng an das Schicksal der Heimkehrer.
Nicht verwunderlich also, daß es insbesondere „der Alte“ war, der seit 1957 die Pläne zur Errichtung eines Heimkehrerdenkmals in Friedland maßgeblich vorantrieb. Bereits 1958 wurde zu diesem Zweck ein fünf Hektar großes Gelände auf dem nahegelegenen Hagenberg angekauft – finanziert durch private Spenden. Doch bis zur Errichtung des Denkmals sollte es noch zehn Jahre dauern.
Und so konnte Adenauer den Grundstein der Friedland-Gedächtnisstätte erst zu einem Zeitpunkt legen, als er sich schon nicht mehr im Amt des Bundeskanzlers befand. Am 15. Mai 1966 begann der Bau der vier Betonstelen von Friedland. Gut ein Jahr später, am 15. Oktober des Folgejahres, also heute vor 50 Jahren, konnte das langwierig geplante Projekt in Anwesenheit des damaligen Ministerpräsidenten von Niedersachsen, Georg Diederichs (SPD, schließlich eingeweiht werden.
Einmalige Gedächtnisstätte
Entstanden ist eine Gedächtnisstätte, die in ihrer Art einmalig ist: Ein fast schon monumentales Gebilde, vier offene Tore darstellend, das sich nahezu ausschließlich dem Schicksal der deutschen Opfer in Folge des zweiten Weltkriegs widmet. Auf zwölf Tafeln lenkt es den Blick in die Vergangenheit, beziffert die Zahl der getöteten Soldaten, der Kriegsgefangenen, Verschollenen, Vertriebenen und Verschleppten, um schließlich als „Mahnung an die Nachwelt, Freiheit und Menschenwürde niemals aufzugeben“, zu dienen: „Völker versöhnt euch!“, „Völker entsaget dem Hass – versöhnt euch, dienet dem Frieden – baut Brücken zueinander!“
Trotz dieses zentralen humanistischen Appells ist es um die vier 28 Meter hohen Betonstelen auf dem Hagenberg nun recht einsam geworden. Zwar ist Friedland selbst immer wieder eine beliebte Anlaufstelle für Politiker. 2016 etwa eröffnete Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) hier ein neues Museum über Flucht und Vertreibung, nur um anschließend festzustellen, daß es in Friedland stets das gegeben habe, was heute „Willkommenskultur“ sei. Ein persönlicher Besuch am mit der Geschichte von Flucht und Vertreibung in unmittelbarer Verbindung stehenden Heimkehrerdenkmal schloß sich an seinen Museums-Aufenthalt jedoch nicht an.
Kaum eine bundespolitische Rolle
Und dennoch: Ganz ohne Besuche politischer Prominenz muß das Heimkehrerdenkmal nicht auskommen. Alljährlich veranstaltet die Landsmannschaft der Deutschen aus Rußland an der Friedlandgedächtnisstätte eine Gedenkfeier mit anschließender Kranzniederlegung. Bereits mehrmals übernahm der Ministerpräsident hier die Schirmherrschaft und nicht selten ist der niedersächsische Landtag durch seinen Präsidenten oder einen seinen Vizepräsidenten selbst bei diesen Veranstaltungen vertreten. Bundespolitisch spielt das Heimkehrerdenkmal – trotz seines Anspruches, als zentrales Denkmal zu dienen, trotz auch seiner Entstehungsgeschichte – jedoch inzwischen kaum eine Rolle mehr.
Wohl auch, weil es das Schicksal der deutschen Vertriebenen – politisch völlig unkorrekt, anders auch als das von Weil eröffnete Museum – als singulär herausstellt und sich damit nicht für Vergleiche mit der heutigen Flüchtlingslage und zur Rechtfertigung der aktuellen Politik vereinnahmen läßt. Ein Denkmal, das den Fokus ganz bewußt auf die deutschen Opfer richtet – das paßt schlichtweg nicht zur Erinnerungskultur im Deutschland des 21. Jahrhunderts.
Erinnerung an das Unrecht ist verpönt
Daß der Blick auf das Denkmal durch eine sich ausbreitende Vegetation heute stark erschwert wird, steht dabei gewissermaßen sinnbildlich für den Umgang der Deutschen mit der Geschichte der Vertriebenen und Heimkehrer – und wie dieser sich im Laufe der Zeit gewandelt hat. Die Erinnerung an das Unrecht, das Deutschen in Folge des Zweiten Weltkrieges widerfahren ist, hat man, wie auch das Heimkehrerdenkmal – ob absichtlich oder einfach nur durch Untätigkeit hervorgerufen – über die Jahre hinweg einfach „zuwachsen“ lassen. Heute gilt sie in großen Teilen von Politik und Gesellschaft sogar regelrecht als verpönt.
Die Friedländer selbst werden sich aber wohl auch weiterhin nicht nur im Allgemeinen mit dem Schicksal der deutschen Vertriebenen, sondern auch im Speziellen mit ihrer Gedächtnisstätte auf dem Hagenberg verbunden fühlen. Immerhin prägen die Pfeiler als zentrales Symbol auch heute noch das Dorf-Wappen der kleinen Gemeinde im Landkreis Göttingen – auch wenn die Betontore von Friedland in der bundesweiten Erinnerungskultur keine Rolle mehr spielen. Sandro Serafin


Früher - in den 70er Jahren, als ich mit den Eltern ab und zu von Würzburg nach Hannover fuhr - sah ich dieses Denkmal kein einziges Mal, denn meine altbackenen Eltern übersahen, wenn möglich, alle Bekenntnisse zu abstarkter Kunst, selbst wenn sie angemessen einem guten Zweck dienten oder sogar - wie im Fall des Kriegerdenkmals auf dem Futapass - ästhetisch überzeugend waren.

Aber jedesmal, wenn wir auf dieser Autobahn fuhren, besonders auf dem Rückweg von Hannover kommend, wurde ich von meinen Eltern mit vorwurfsvollem Ton auf den Herkules aufmerksam  gemacht, der oberhalb Kassels von der Wilhelmshöhe auf uns herabsah, wobei meine Eltern mir jedes Mal erklärten, dieses Denkmal stelle Herrmann den Cherusker dar und sich darüber ärgerten, dass ich noch nie von ihm gehört hatte.

Diese Anekdote ist bezeichnend für die bundesrepublikanische Erinnerungskultur und Vergangenheitsüberwältigungsgehirnwäsche und für die hilflose Ignoranz, mit der man versuchte, ihr in konservativen bürgerlichen  Familien entgegenzutreten. Und für die Angst, die dadurch in den Adressaten der beiden zueinander in Widerspruch stehenden Sinnangebote geweckt wurde: den Kindern.
Jedes Mal, wenn wir uns Kassel näherten, bekam ich Herzklopfen. Was mir Angst machte, war der vorwurfsvolle Ton meiner Eltern. Sie hassten die "sozialdemokratischen Historiker" und die erst recht sozialdemokratischen Lehrer, die uns - wie ich heute weiß - tatsächlich vieles verschwiegen. Aber meine Eltern halfen mir nicht nur nicht, mir das Geschichtswissen anzueigen, das mir vorenthalten wurde, sie verhinderten auch aktiv, dass ich während meiner Schulzeit Zugang zu den Informationen bekam, die für meine Altersgenossen selbstverständlich waren. Ich erlebte auf verschärfte und potenzierte Weise, was meine ganze Generation geprägt hat - das ist die Generation, die heute in den Gremien, Jurys, Redaktionen und Chefetagen sitzt und alles Konservative, als sei es nur eine Ansammlung von Schmutz, abgestreift hat.

Jetzt rächt sich, dass bereits die Generation meiner Eltern (das ist die Generation der Großeltern meiner Altersgenossen) nur noch ein hohles Geschichtsbewusstsein besaß, dem jegliche lebendige bürgerliche Kultur und selbst die elementarsten Kenntnisse über das Eigentümliche fehlten. Hinzu kam, dass sie uns das, was sie tatsächlich wusste, verschwieg.

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