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Sonntag, 15. Oktober 2017

Elektroautos?

Die Artikelserie zur Elektromobilität von Günter Keil, die kürzlich auf der Achse des Guten erschien,  kommt zu einem meines Erachtens falschen Schluss: Die Elektromobilität als tot gerittenes Pferd. Als technisch interessierter Beobachter und zufriedener Fahrer eines Elektroautos möchte ich erklären, warum ich diese Technologie für aussichtsreich halte und was man tun könnte, damit nicht am Ende die deutschen Bedenkenträger in ihren Verbrenner-PKW die toten Pferde reiten.
Akku-Kapazität: Offensichtlich der Knackpunkt für die Elektromobilität. Autor Keil stellt fest, man könne seit 1881 „Bedeutende Fortschritte …in diesem Punkte allerdings nicht erreichen und vorweisen“ und „die Reichweite (ist) fast so gering, wie vor 100 Jahren“. Das ist – mit Verlaub Unsinn. In den Anfangsjahren des Automobils war der Stand der Technik der Bleiakku, mit optimistisch etwa 50 Wh Energieinhalt pro kg Gewicht. Stand der Technik im Jahr 2017 sind die 2170-Li-Zellen, die Tesla in der Gigafactory in Nevada fertigt, mit 250 bis 300Wh/kg (hier). Also Verbesserung um den Faktor 5 bis 6.
Aber reicht das aus? Mit diesen 2170-Zellen beträgt das Zellgewicht für einen Kleinwagen (25kWh) etwa100 Kilo, Mittelklasse (60kWh) etwa 200 Kilo, und Oberklasse (80-100kWh) etwa  300 Kilo.. Auch wenn damit noch kein extremen Langstrecken möglich sind und das Gewicht für den Aufbau des Akkus noch hinzukommt, sind diese Zahlen im Verhältnis zum Gesamtgewicht schon heute akzeptabel, da ja auch Gewicht weg fällt (ein Verbrennungsmotor mit allen Zusatzaggregaten, Tank, Abgasreinigung und dergleichen ist deutlich schwerer als ein E-Motor). Zur Vervollständigung der Stand der Technik beim Verbrauch: Effizientestes Modell ist der Hyundai Ioniq, ein Mittelklasse PKW, der in der Stadt etwa 11kWh/100km und auf der Autobahn bei 130km/h etwa 16kWh/100km verbraucht. Ähnlich gut liegt das neue Tesla Model 3 (hier).
Weitere Verbesserungen der Kapazität sind dennoch willkommen. Lange wurde die Akkuforschung sträflich vernachlässigt. Nun machen neue Technologien  schnelle Fortschritte und werden schon in naher Zukunft relevant sein (siehe hier).  Dazu gehört auch Li-Schwefel, an dem in Deutschland erfolgreich gearbeitet wird (hier). Ladezeiten unter 20 Minuten werden möglich sein (hier). Fazit: an der Kapazität wird das Elektroauto nicht scheitern.

Neue Technologien machen schnelle Fortschritte

Akku-Lebensdauer: Praktisch jeder hat schon erlebt, dass der Akku eines Elektrogeräts nach enttäuschend kurzer Zeit schlapp macht. Für Elektroautos gilt das allerdings nicht, einfach weil die Akku-Kapazität konservativ genutzt wird und ein gutes Akku-Managementsystem verwendet wird. Günter Keil schreibt dennoch „Ihre Batterien sind sehr schwer und teuer und ihre Lebensdauer kann recht kurz sein (abhängig von der Betriebsweise)“. Wenige Minuten Websuche ergeben, dass hier unter anderen von Renault und Tesla solide Daten vorliegen, zum Beispiel hier. Die Daten zeigen klar, dass allgemein akzeptierte Lebensdauer-Grenze von 75 Prozent der Neukapazität für die allermeisten Autos nie erreicht wird, das heißt die Akkus werden das Wertvollste am schrottreifen Auto sein und werden noch ein langes Leben als stationäre Energiespeicher erleben! Im Übrigen macht das Verständnis der Zelldegradation schnelle Fortschritte (hier) und lässt erwarten, dass die Frage der Akku-Lebensdauer in der Praxis eher irrelevant sein wird.
Akku-Kosten: Hier schreibt der Autor „Lithiumionen-Akkus, ... selbst die „billigen“, wie sie in Elektroautos genutzt werden, kosten heute 500 €/kWh. Auf die ... 100 – 200 €/kWh werden wir m.E. noch ein wenig warten müssen, und bei der angepriesenen Speicherbatterie eines Elektroautoherstellers mit ca. 300 €/kWh muss man die Langzeitqualität abwarten“. Dazu liegen mir andere Informationen vor: Chevrolet zahlt für die qualitativ hochwertigen LG-Zellen US-Dollar 145 pro kWh  (hier) und erwartet für 2021 US-Dollar 100 /kWh. [KL1]  Allgemein wird erwartet, dass bei US-Dollar 100/kWh die Preisgleichheit zu Verbrenner-Autos eintreten wird. Berücksichtigt man die üblichen Lernkurven für Massenprodukte, wie sie beispielsweise in der Photovoltaik perfekt eintraten, so werden wir Akkupreise weit unter US-Dollar 100/kWh sehen. Noch sind Elektroautos in der Anschaffung teurer, bald werden es die Verbrenner sein.
Feuergefahr: Li-Akkus enthalten große Mengen Energie und geraten gelegentlich in Brand. Wenn man einordnen will, wie gefährlich das ist, kann man mit Verbrenner-PKW vergleichen (die im übrigen erstaunlich oft brennen, auch ohne Mitwirkung der Antifa: mehr als 10.000 Mal pro Jahr in Deutschland). Zwar ist die Statistik noch nicht besonders gut, weil noch zu wenige Elektro-PKW unterwegs sind, aber die vorliegenden Daten sagen schon klar: Elektroautos brennen deutlich seltener als Verbrenner (hier). Ursache für die Elektroauto-Brände sind letztlich der brennbare Flüssigelektrolyt im Akku. Beim heutigen Stand der Forschung kann man optimistisch sein, dass unbrennbare Festkörper-Elektrolyte dieses Problem bald lösen werden. Wer will dann noch ein totes Pferd mit 50 Liter brennbarem Benzin oder Flüssiggas unter dem Sattel reiten….
Winter: Es sind drei Dinge, die an der Reichweite knabbern: Kalte Akkus haben reduzierte Kapazitäten, Winterreifen und Schnee erzeugen höheren Rollwiderstand, und die Heizung kann nicht aus der Abwärme des hoffnungslos ineffizienten (etwa 20 Prozent im realen Fahrbetrieb) Verbrenners gewonnen werden. Mit guter Isolation des Akkus (wird durch den Innenwiderstand während der Fahrt sowieso warm) und einer Wärmepumpe zum Heizen kann man die Reichweitenverluste schon heute auf ca. 20 Prozent begrenzen, was verkraftbar ist.
Klima und Umwelt: Autor Keil hat völlig recht, dass das Elektro-Auto fälschlicherweise schon heute als Klima-Retter verkauft wird. Das wird nur langfristig richtig sein, wenn regenerative Quellen die Stromversorgung dominieren. Dennoch kann das Elektroauto schon heute einen Beitrag leisten: Mein eigenes Auto erzeugt, mit den Erzeugungsanteilen für Strom in Deutschland von 2016, im realen Betrieb ca. 90g CO2 pro km. Das erreichen Verbrenner-PKW höchstens mit den verlogenen Normverbräuchen und unter Vernachlässigung des Aufwands für Förderung, Raffinerie, und Transport des Treibstoffs.
Berücksichtigt man die großen Verluste auf dem Weg vom Bohrloch zum Tank (hier) und die ca. einen Faktor vier höhere Effizienz eines Elektroautos, so kann man einen erheblichen Teil der Elektroautos (25-50 Prozent) schon mit dem eingesparten Strom für die Ölförderung und -verarbeitung betreiben! Da aufgrund der misslungenen Energiewende (auch hier bin ich in der Einschätzung auf der Seite von Herrn Keil) Deutschland heute zwei Stromerzeugungssysteme parallel betreibt, nämlich einmal auf regenerativen „Flatterquellen“ und zum anderen auf stabil liefernden fossilen und nuklearen Quellen basierend, ist schon heute die Kapazität vorhanden, um die  Elektromobilität zu versorgen.
Der große Vorteil ist, dass Elektroautos meist eben nicht am Schnellader, sondern über Nacht an der Steckdose laden. Diese wird in Zukunft in einer Induktionsschleife oder in der Laterne sein, so dass auch die Straßenparker zu ihrem Strom kommen. Außerdem wäre es problemlos möglich, die Ladung in die verbrauchsarmen Morgenstunden oder in Zeiten mit viel Sonne und Wind zu verlegen und damit das Netz zu stabilisieren.
Es trifft vollkommen zu, dass bereits die Fertigung von Akkus viel Energie erfordert, auch wenn die schwedische Studie, die Keil zitiert, schon als veraltet gelten kann: Durch den schnellen Fortschritt in der spezifischen Kapazität wird natürlich mit immer weniger Material mehr Kapazität erzeugt, so dass der Aufwand sinkt. Hinzu kommt, dass Akkufabriken dort stehen sollten, wo der Strom billig ist, in Europa also im aus Wasserkraft versorgten Norwegen oder in den USA in Nevada, wo Tesla in der Gigafactory den gesamten Strombedarf aus erneuerbaren Energien erzeugt!
Bleiben die Rohstoffe und ihre Erzeugung. Hier will ich auf Kobalt eingehen: Zunächst einmal ist dieses Element nicht zwingend erforderlich, die Akkus des meist verkauften Elektroautos, des Nissan Leaf, enthalten keines. 60 Prozent des Kobalts kommen aus dem Kongo, davon wiederum etwa 10 Prozent aus den staatlich geduldeten „privaten“ Minen, in denen in der Tat prekäre Arbeitsbedingungen herrschen. Die großen Akkuhersteller beziehen alle ihr Kobalt mit Lieferverträgen, die diese Minen ausschließen.
Bedenkt man weiterhin, dass Kobalt in einer Vielfalt von Produkten steckt, auch in Verbrenner-PKW, so wird offensichtlich, dass hier eine lächerliche Kampagne losgetreten wurde, um an der  Elektromobilität „Blut kleben“ zu lassen. Der Rohstoff, der wie kein anderer Kriege ausgelöst hat, ist das Öl. Es würde hier zu weit führen, alle Rohstoffe zu diskutieren, aber an mangelnden Rohstoffen wie auch an ihrer Umweltbelastung beziehungsweise Wiederaufarbeitung wird die Elektromobilität nicht scheitern.

Wie die  deutsche Unterhaltungselektronik binnen weniger Jahre weggefegt wurde

Ich fasse zusammen: Im Jahr 2025 (plusminus 5 Jahre, vorsichtig gesagt) wird es Elektroautos geben, die in der Anschaffung gleich teuer sind wie ein Verbrenner-PKW, die im Betrieb deutlich günstiger sind (geringe Stromkosten, viel weniger Wartung) und die am Ort des Betriebs keine Emissionen und weniger Lärm erzeugen.
Diese Autos werden auch unter ungünstigen Umständen auf der Autobahn bei 130km/h etwa 500 Kilometer weit kommen; an Schnellladesäulen wird man in rund 20 Minuten weitere 400 Kilometer  laden können. Beim Beschleunigen an der Ampel lassen sie jeden Verbrenner-Sportwagen alt aussehen. Wenn solche Elektro-PKW verfügbar werden, werden Verbrenner-PKW so modern sein wie ein Röhrenfernseher… Was auch 2025 noch nicht gehen wird, ist der 2,5 Tonnen schwere SUV mit der Aerodynamik einer Schrankwand, mit dem man 700 Kilometer weit mit 180km/h Schnitt ohne Tanken rasen kann. Ob diese spezifisch deutsche exzessive Mobilität, die im Rest der Welt eher ein Lächeln auslöst, zukunftsfähig ist, soll hier nicht Thema sein.
Wirtschaft:  Zunächst ist festzuhalten, dass die Elektromobilität insgesamt einen großen Arbeitsplatzverlust mit sich bringen wird, einfach weil die Autos einfacher zu fertigen und zu warten sind. Das ist ein Fortschritt für die Kunden und der Gang der Dinge in technischen Entwicklungen. Allerdings wird sich auch wandeln, wie Autos verkauft werden: Der Motor als Differenzierung wird komplett wegfallen. Schon heute kann man am Beispiel Tesla sehen, dass die Software eine viel größere Rolle spielen wird. Zweifellos sind hier die deutschen Autohersteller gut aufgestellt, in der praktischen Umsetzung mit Updates via Mobilfunk oder dem von Tesla fälschlich als „Autopiloten“ verkauften Fahrassistenzsystem sind aber die pragmatischen Amerikaner voraus.
Ein sehr großer Teil der Wertschöpfung wird im Akku stecken, und es erscheint eher unwahrscheinlich, dass die von Managern mit „Benzin im Blut“ geführte deutsche Autoindustrie, die sich sowieso viel zu sehr mit den Betrügereien aus der Vergangen beschäftigt, hier einen großen Anteil haben wird. Schaut man zurück auf die Entwicklungen bei der Photovoltaik, so könnte sich auch bei Akkus zeigen, dass nur kWh und Preis relevant sind; der Kunde wird für einen BMW-Akku keinen Cent mehr ausgeben wollen als für einen Dacia-Akku. Die deutsche Industrie muss eher dafür sorgen, dass sie Zugriff auf Akku-Kapazitäten hat, sonst wird sie hilflos zusehen müssen, wie Tesla und chinesische Hersteller mit ihren riesigen Akkufabriken den Markt unter sich ausmachen. Differenzieren kann sie sich über den Zusammenbau der Zellen zum Akku (der u.a. für die Schnelladefähigkeit wichtig ist), über die Leistungselektronik, die Software, und natürlich Fahrwerk, Verarbeitungsqualität und Sicherheit.
Politik: Leider hat die deutsche Politik auch hier fast alles falsch gemacht: Statt die Randbedingungen zu setzen und den Markt entscheiden zu lassen, welche technische Lösung sich durchsetzt, wurde wie in der Energiepolitik dirigistisch agiert: Man legte willkürliche Zahlen fest (1 Million Elektroautos in 2020) und fördert  Autos mit hohen Subventionen, die am Ende nur Mitnahmeeffekte auslösen (als ich 2015 mein Elektroauto kaufte, zahlte Renault die Prämie, jetzt darf dafür der deutsche Steuerzahler ran...). Viel besser wäre gewesen, z.B. die Senkung der Abgaswerte real durchzusetzen: Wenn alle deutschen PKW bei allen Temperaturen sehr niedrige Emissionswerte haben müssten,  hätten wir schon viel mehr Gas-PKW, die, wie Keil richtig schreibt, ökonomisch und ökologisch sinnvoller sind als zum Beispiel ein mit komplexen Abgasreinigungssystemen voll gestopfter Diesel! Weiterhin hätte man nicht die Elektroautos, sondern die Ladeinfrastruktur fördern sollen. Zwar wächst die Anzahl der Ladesäulen schnell, aber nach wie vor ist ihre Zahl viel zu klein und beim Zugang herrscht großes Chaos. Wie elegant ist dagegen für die Tesla-Fahrer die Benutzung des Supercharger-Netzwerks! Es ist eine Schande, dass dies ein kalifornisches Start-Up hinbekommt und die deutsche Autoindustrie nicht.
Der Autor hat als Kind miterlebt, wie die einst  führende deutsche Unterhaltungselektronik binnen weniger Jahre durch die asiatische Konkurrenz weggefegt wurde und die Väter von Klassenkameraden ihren sicher geglaubten Arbeitsplatz verloren. Wenn wir das nicht bei der Autoindustrie wiederholen wollen, müssen wir unseren Blick nach vorne richten und bei neuen Technologien die Chancen und Visionen sehen, nicht die Kinderkrankheiten. Noch ist das Elektroauto nur für Nischenmärkte reif, aber es nähert sich mit großen Schritten dem Massenmarkt. Hier muss Deutschland mit vorne dabei sein.
Autor Karl Leo ist Physiker und verfolgt die Entwicklung der Elektromobilität seit vielen Jahren, aus wissenschaftlicher Sicht und als Fahrer eines elektrischen PKW.

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