Stationen

Samstag, 10. Februar 2018

Emblematisch

Ein besonders lieber Lemming


Unheimliche Nachbarschaften. So heißt ein Buch des bedeutenden Ideenhistorikers und Literaturwissenschaftlers Helmut Lethen. Es geht ihm da, wie in anderen Studien, um eine "Sphäre des Austauschs" in der nervösen Zeit zwischen den Weltkriegen: eine Sphäre, "in der Radikale, die sich politisch durch Welten von einander getrennt empfanden, lebhaft miteinander kommunizierten".
Nun ist Helmut Lethen dieser Untersuchungsgegenstand näher gerückt als erwartet. Denn seine Frau Caroline Sommerfeld-Lethen, mit der er seit zwei Jahrzehnten verheiratet ist, Kinder hat und in Wien zusammenlebt, ist vor zwei Jahren zu den neurechten "Identitären" übergelaufen.

Caroline Sommerfeld-Lethen hat vor zwölf Jahren eine viel gelobte philosophische Dissertation über Immanuel Kant unter dem Titel "Wie moralisch werden?" veröffentlicht, und sie war gern gesehener Gast auf geisteswissenschaftlichen Tagungen. Heute marschiert sie bei Fackelzügen der Wiener Identitären zum Gedenken an die Schlacht gegen die Türken von 1683 mit. Wer das fragwürdig finde, müsse, so meint sie, ein "Individuum auf Gemeinschaftszerstörungsdroge" sein und somit "asozial im Wortsinne".
Caroline Sommerfeld schreibt (nur unter diesem Namen) Blogs für das rechtsintellektuelle Magazin Sezession unter der Ägide von Götz Kubitschek. Sie glaubt an den "Großen Austausch", wonach Europas Bevölkerung durch Muslime unterwandert und ersetzt werden soll. Den ungarisch-amerikanischen Milliardär und Mäzen George Soros hält sie für einen Strippenzieher der "Masseneinwanderung". Im Februar dieses Jahres wurde Sommerfeld als Köchin einer Wiener Waldorfschule suspendiert, weil sie auf rechtsradikalen Internetseiten schreibe. Auf der Wiener Erster-Mai-Demonstration hielt sie ein Plakat hoch, auf dem stand: "SPÖ = Islampartei".
Ihr Mann hingegen, Helmut Lethen, ist so etwas wie ein intellektueller Parade-Achtundsechziger. Er stammt aus rheinisch-katholischem Milieu und wurde dann einerseits Germanist, andererseits Mitglied maoistischer Splittergruppen im Zuge der Studentenbewegung. Er bekam deshalb erst keine Stelle an einer deutschen Universität, lehrte dann in den Niederlanden - "glücklich den Grabenkämpfen entronnen", wie er in seinen Erinnerungen schreibt -, wurde nach der Wende Professor in Rostock und war bis 2016 Direktor des Internationalen Forschungszentrums Kulturwissenschaften (IFK) in Wien /Linz, das jetzt Thomas Macho leitet.
In den kommunistischen Kadern der Siebzigerjahre wurde Helmut Lethen, Jahrgang 1939, einst des "Versöhnlertums" bezichtigt. Mit Faszination und gelehrter Einfühlung blickte er hernach auf die Denker und Dichter der Extreme, auf die Avantgarden der sozialistischen und konservativen Revolutionen wie Carl Schmitt, Bertolt Brecht oder Ernst Jünger; seine Suhrkamp-Studie "Verhaltenslehren der Kälte" wurde zum Theorie-Kultbuch über die Intellektuellenkämpfe, Menschenbilder und Obsessionen der Zeit der Weimarer Republik.
Helmut Lethen ist heute, sicher, immer noch ein Linker, wenn auch eher ein liberal distanzierter, der erklärtermaßen in der "BRD" angekommen und an Zwischentönen interessiert ist. Ihm kann es weder passen, dass ihm, wie vor einiger Zeit bei einem Podium in Hamburg, beschieden wird, wenn man den Philosophen Peter Sloterdijk zitiere, dann nenne man einen der "Namen, die keinen Platz in unserem Diskurs haben". Aber ebenso wenig kann ihm gefallen, dass seine 36 Jahre jüngere Frau jetzt jede Woche mit antiliberalen Leuten zum Wiener Identitärenstammtisch geht, die "die Heimat verteidigen" wollen.
Die SZ hat Helmut Lethen dieser Tage getroffen, er möchte dazu aber nicht zitiert werden. "Sie können ruhig schreiben, dass ich mich in buddhistisches Schweigen hülle." Das Ganze wäre auch eher ein privates Drama, das keinen etwas angeht, vielleicht noch ein deutsches Sittenstück - wenn nicht Caroline Sommerfeld es über den Küchentisch in die Öffentlichkeit hinaustrüge, um einen beispielhaften Ehekampf um die Diskurshoheit daraus zu machen.
Denn erstens hat sie bei Sezession mehrere "Dialoge mit H." publik gemacht. Darin teilt sie die privaten Debatten mit ihrem Mann mit, ohne seine Mitwirkung. Wenn er daheim liberale Mindeststandards einfordert, etwa Anerkennung der Verantwortung für den Holocaust, kritisiert sie ihn im Internet als "Diskurswächter, der er nicht sein will" und moniert den "Schuldkult" und "Ethnomasochismus". Einmal heißt es: "Ein besonders lieber Lemming sitzt im Wohnzimmer ..." Und an anderer Stelle: "Jeder reklamiert die Vernunft für sich, jeder wirft dem andern Erfahrungsleere vor."
Zweitens hat Caroline Sommerfeld soeben zusammen mit Martin Lichtmesz, einem der Wiener Köpfe der neuen Rechten und Ideologen der Identitären, ein Buch unter dem Titel "Mit Linken leben" verfasst. Es erscheint im Antaios-Verlag von Götz Kubitschek und wird jetzt von den beiden auf der Frankfurter Buchmesse vorgestellt. "Mit Linken leben" ist als Gegenmittel zu dem Buch "Mit Rechten reden" von Per Leo, Maximilian Steinbeis und Daniel-Pascal Zorn gedacht, das am kommenden Samstag erscheint.
 In dem Werk von Lichtmesz / Sommerfeld, das Argumentationshilfen gegen liberale Mehrheiten bietet und etwa Opferbereitschaft für das Volk als Schicksalsgemeinschaft dagegensetzt, liest man: "Wir werden die Linken nicht loswerden, und sie uns auch nicht. (...) In ihren Augen sind wir wie Viren, die möglichst gründlich isoliert werden müssen, so sehr fürchten sie die Ansteckungsgefahr. - Eine solche Koexistenz ist jedenfalls einstweilen nur im privaten Bereich zwischen Individuen möglich. Dass sich das ändert, dass die rechte oder konservative Position wieder Status und Legitimität erlangt, sollte eines der Ziele sein, für die wir kämpfen."
Zu dem Problem, dass mit neuen Rechten, besonders durch Konversionen dorthin, Freundschaften, Familien und Liebe zerbrechen können, heißt es weiter: ",Mit Linken leben' kann heißen: Psychokrieg! (...) Wem es gelingt, zu verhindern, dass ideologisch-politischer Druck private Beziehungen und Bindungen vergiftet, der hat dem System ein Schnippchen geschlagen und ein Inselchen Freiheit verteidigt."
Ein Inselchen Freiheit kriegt der Verlag Antaios aus Schnellroda auch auf der Buchmesse, die an diesem Mittwoch ihre Hallen öffnet und bis Sonntag geht. Verleger Götz Kubitschek - der einst wie Caroline Sommerfeld Vorlesungen bei Helmut Lethen in Rostock gehört hat - ist stolz auf "das beste rechtsintellektuelle Lektorat des Landes". Ihm ist der Rücken gestärkt durch den erstaunlichen Erfolg von "Finis Germania" von Rolf Peter Sieferle; und natürlich durch den Einzug der AfD in den Bundestag. Es gab Forderungen, den Stand von Antaios auf der Buchmesse zu untersagen, aber das ist weder rechtlich noch im Sinne der Meinungsfreiheit ratsam, solange dort nichts Strafbares passiert. Ob es jedoch klug war von der Buchmessenleitung, dem Antaios-Stand die Aktivisten von der anti-rechten Amadeu-Antonio-Stiftung direkt vor die Nase zu setzen, wird sich bald zeigen. Krawall ist zu erwarten.
Es gibt also einen größeren politischen Konflikt, den eben auch belesene Menschen führen können - und es gibt die bisher intakte Akademikerfamilie Lethen. Ist sie Ausnahme oder schon Exempel? Caroline Sommerfeld sagt zur SZ, es stünden sich "zwei unvereinbare Wahrnehmungen der Wirklichkeit gegenüber". Sie und ihr Mann könnten aber "die schmerzhafte Zerreißprobe aushalten", weil sie die Ehe "mit all ihren verschiedenen Ebenen des Halts, der Rückversicherung, des Vertrauens, der Erfahrungen im Hintergrund haben".
Ihr Mann wiederum bleibt dialogbereit, im Frühjahr bringt er ein Buch über die NS-Nähe berühmter Intellektueller und Künstler heraus, das, hofft er, "in vielen Punkten Klarheit schaffen wird". Vor drei Jahren hat das Deutsche Literaturarchiv in Marbach Helmut Lethens Archiv, den sogenannten Vorlass, als Dokument der Geistes- und Zeitgeschichte übernommen. Eigentlich war es Lethens Projekt, die Polarisierungen des 20. Jahrhunderts zu historisieren. Doch jetzt dürften noch ein paar Archivmappen aus Wien dazukommen.  Johan Schloemann


 Texte von Caroline Sommerfeld bei Sezession

Und auf ihrem Blog


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