Stationen

Freitag, 2. Februar 2018

Kern

Dostojewski ist ein Meister darin, seine Romanfiguren in eine moralisch äußerst schwierige Lage zu bringen und ihnen dann eine umfassende Rechtfertigung für den Weg zu geben, den sie einschlagen. In „Schuld und Sühne“ entscheidet sich die Hauptfigur Raskolnikov, einen Mord zu begehen – und er hat seine guten Gründe für diesen Mord.
Raskolnikov leidet Hunger; seine Schwester, die die Familie bisher mit Prostitution über Wasser gehalten hat, will sich nun für eine Ehe mit einem ungeliebten Mann opfern; auch seine Mutter steckt in großen finanziellen Nöten. Also geht er zu einer Pfandleiherin, um seine kümmerlichen Habseligkeiten zu verpfänden und sich weiter durchwurschteln zu können.
Die Pfandleiherin hat Geld, Raskolnikov hingegen leidet große Not, und er denkt sich: Ich töte sie einfach! Denn: Warum zum Teufel nicht! Ich nehme ihr Geld, sie stellt nichts Gutes damit an, und ich befreie ihre Nichte, die sie wie eine Sklavin hält. Was kann schon passieren, außer dass die Welt dadurch besser wird? Das einzige, was mich zurückhält, ist eine herkömmliche moralische Feigheit, die willkürliche, eingebimste Moral.
Dostojewski lässt seine Figur in „Schuld und Sühne“ Stunden, Tage und Wochen lang intensiv eine bildliche und gedankliche Vorstellung vom geplanten Mord entwickeln. Raskolnikov sieht sich zum Mord berechtigt und er stellt sich, um die Tat verüben zu können, außerhalb des Rechts. Dann begeht er den Mord und – unerwartet – ist die Hölle los. Äußerlich kann er zwar standhalten, nicht jedoch vor seinem Gewissen.

Die westliche Kultur gründet auf transzendenter Sittlichkeit

Dostojewski stellt in „Schuld und Sühne“ – und vielen weiteren seiner Werke – eine ganz grundlegende und einfache Frage: Wenn es keinen Gott – keinen höheren transzendenten Wert – gibt, kann man dann tun, was man will?
Radikalinskis wie Sam Harris glauben offenbar, dass Menschen zwangsläufig auf den Weg purer Vernunft gelangen, wenn sie sich von allem Transzendenten lösen, und dass dann automatisch ähnliche Werte entstehen. Ich glaube jedoch, dass die Welt dermaßen stark von mythologischen Grundlagen bedingt ist, dass Leute wie Harris und Dawkins die Ethik, die daraus hervorgeht, irrtümlich als gegeben annehmen, als etwas rational Gegebenes. Ich glaube jedoch: Die Ethik, die wir für normativ halten, ist eine Folge der Einbettung in ihrer langen, langen Geschichte.
Vieles davon findet seinen Ausdruck in mythologischen Erzählungen. Diese jedoch will man einfach auslöschen. Man kann aber nicht deren Grundlagen behalten und annehmen, sie seien rational axiomatisch. Alles hat eine Anfangsprämisse: Die Prämisse, auf der die westliche Kultur gründet, ist jene transzendente Sittlichkeit.
Man kann diese transzendente Moral als Gott ansehen, man könnte Gott sogar als Personifizierung der Sittlichkeit bezeichnen. Ich argumentiere hier jedoch nicht für die Existenz Gottes. Ich lege dar, dass die Ethik, die unsere Kultur bestimmt, auf der Idee von Gott basiert. Man kann nicht diese Idee ausmerzen und glauben, dass die Dinge hier intakt bleiben.
Dieser Beitrag ist ein Ausschnitt aus dem Vortrag „Maps of Meaning 10: Genesis and the Buddha “. Hier geht’s zum Original-Vortrag auf dem Youtube-Kanal von Jordan B. Peterson. 

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