Elf zehrende Monate lastet die Belagerung auf der Festungsstadt
Famagusta auf Zypern. Das Banner des Markuslöwen hängt in roten Fransen
über den Zinnen. Seit dem September 1570 belagern die Osmanen die letzte
Stadt, die von der venezianischen Herrschaft auf Zypern übriggeblieben
ist. Mitten im Frieden hatten die Türken die größte venezianische
Kolonie des Mittelmeers überfallen; die Hauptstadt Nikosia fiel
Plünderung und Zerstörung anheim. Zwanzigtausend Menschen sollen beim
türkischen Blutrausch ihr Leben verloren haben.
Ein Grund dafür, warum
viele der venezianischen Festungen, welche zu den größten und modernsten
des Mittelmeerraumes gehören, den Invasoren Tür und Tor geöffnet haben.
Niemand will ein zweites Massaker riskieren.
Einzig Famagusta hält aus. Marcantonio Bragadin, der
Festungskommandant, gilt im Abendland bereits als Held. Seine 8.000
Männer haben bereits fünf Sturmversuche der Osmanen zurückgeworfen. Nur
wenige Jahre nach der Belagerung von Malta ist es wieder eine massiv
überlegene Streitmacht der Osmanen, die an einer christlichen Bastion
abprallt. Famagusta verfügt über einen geschützten Hafen, venezianische
Schiffe versorgen die Stadt über Monate. Und es gibt Hoffnung: denn der
Doge steht in Verhandlungen mit dem Papst, der eine Heilige Liga ins
Leben rufen will. Die größte Flotte, welche die Christenheit je gesehen
hat, soll Famagusta und Zypern retten. Das Arsenal in Venedig, das mit
seinen vorbereiteten Schiffsmodulen im Tagestakt Galeeren zusammensetzen
und zu Wasser lassen kann, arbeitet seit Monaten unaufhörlich. Und
Gerüchten zufolge soll Spanien dem Bündnis beitreten – zusammen mit
seiner legendären Armada, die den Korsaren der Barbareskenküste in
Nordafrika bereits das Fürchten gelehrt hat.
Aber anders als Malta erwartet Famagusta kein glückliches Ende. Im
August 1571 geht den Belagerten die Munition aus. Die Osmanen haben
unterirdische Tunnel in das Erdreich getrieben und zerstören die
Fundamente der Festungswälle. Pausenlos feuern die türkischen Kanonen
neue Salven und setzen Bragadin unter Druck. Der venezianische
Kommandant steht vor der Entscheidung: standhalten, und das Leben seiner
Männer opfern, die sich so erbittert verteidigt haben; oder die
Kapitulation anbieten und um freies Geleit bitten. Bragadin entscheidet
sich für Letzteres. Denn die Konditionen erscheinen günstig: der
osmanische General Lala Kara Mustafa Pasha hat bereits über 30.000
Soldaten an den Mauern verloren, und erscheint verhandlungsbereit. Die
Türken machen ein großzügiges Angebot: Bragadin und seine Männer dürfen
mit ihrer Standarte hoch erhoben abziehen.
Doch für den Venezianer gibt es ein böses Erwachen. Kaum besetzen die
Türken die Stellungen, sind die Versprechungen null und nichtig. Bei
der Übergabezeremonie zieht Mustafa seinen Dolch, attackiert Bragadin
und schneidet ihm ein Ohr ab – und beordert seine Soldaten, ihm auch das
andere Ohr und die Nase abzuschneiden. Die Osmanen töten darauf den
Gouverneur Baglioni, und beginnen mit dem Massaker an der christlichen
Bevölkerung.
Bragadin wird vor den siegreichen osmanischen Truppen vorgeführt.
Dreizehn Tage wird er im Kerker seiner eigenen Festung gefoltert. Seine
Peiniger bieten ihm den Übertritt zum Islam an, um die Marter zu
beenden, doch der Venezianer wehrt sich immer und immer wieder. Man
bürdet ihm Steine auf und zieht ihn damit um die Stadtmauern Famagustas.
Zwei Wochen nach dem Fall der Stadt lässt man ihn vor johlendem
Publikum am lebendigen Leib häuten und vierteilen. Noch nach seinem
Martyrium macht man sich über ihn lustig, füllt seine Haut mit Heu,
zieht ihm eine Uniform an und setzt den makaber entstellten Leichnam auf
einen Ochsen, den man durch die Straßen paradiert. Am Ende werden die
sterblichen Überreste als Trophäenstücke bei den Soldaten verteilt, die
Haut Bragadins geht an den Sultan von Konstantinopel.
Den christlichen Mächten bleiben diese Horrorgeschichten nicht
verborgen. Endlich findet die Liga zusammen – zu spät für Zypern, zu
spät für Famagusta und zu spät für Bragadin. In Messina kommt es zum
Rendezvous der Seemächte, angeführt von Spanien, Venedig und dem
Kirchenstaat. Oberkommandant des Verbandes ist Don Juan de Austria, der
spanische Flottenführer – ein unehelicher Sohn Kaiser Karls V., nur 24
Jahre alt. Seine Flanken schützen der venezianische General-Kapitän
Sebastiano Venier und der Römer Marcantonio Colonna. Neben diesen drei
Hauptmächten nehmen die Republik Genua, das Großherzogtum Toskana, das
Herzogtum Savoyen, das Herzogtum Urbino und der Malteserorden mit ihren
Schiffsverbänden teil; weitere italienische Staaten, wie die kleine
Republik Lucca, sind nicht mit Schiffen zugegen, unterstützen die Sache
der Liga aber finanziell mit Material und Männern. Obwohl das Heilige
Römische Reich offiziell nicht Kombattant ist, sind auf den Schiffen der
Heiligen Liga auch deutsche Soldaten zugegen.
Letztere sind auch dringend notwendig. Die Liga verfügt über 212
Schiffe, darauf fallen allein 115 auf Venedig (zum Vergleich: Spanien
schickte 49, Genua 27 und der Papst 7 Schiffe). Die venezianische
Schiffswerft arbeitete auf Hochtouren, doch die Republik hat nicht
genügend Männer, um alle Galeeren mit Soldaten zu besetzen. Es sind
daher insbesondere Männer aus den Teilen des spanisch-österreichischen
Imperiums, welche die Besatzungen auch bei den Venezianern
vervollständigen. Neben den 40.000 Seemännern verstärken daher mehr als
28.000 zusätzliche Soldaten die Liga, die im habsburgischen Sold stehen.
Während die meisten Ruderer Gefangene sind, handelt es sich bei den
Venezianern auch um freie Bürger, die sich selbst verteidigen. Das
christliche Heer umfasst also knapp 70.000 Männer – eine
schwindelerregende Zahl, die bei Landschlachten kaum erreicht wird.
Die christliche Geheimwaffe sind jedoch sechs venezianische Schiffe,
die in ihren Dimensionen alle anderen Galeeren in den Schatten stellen.
Diese Galeassen erscheinen Freund wie Feind als schwimmende,
hölzerne Ungetüme. Über fünfhundert Ruderer treiben jede dieser
Riesengaleeren an. Ihre überwältigende Feuerkraft ist jedem anderen
Schiff überlegen. Der tödlichste Trick: die Galeasse kann mit ihren Bug-
und Heckkanonen in jede Richtung schießen.
Am 7. Oktober treffen die Christen auf die muslimische Flotte bei
Lepanto. Vor den Kampfhandlungen beten die 70.000 Ruderer und Soldaten.
In den Städten der Christenheit betet man zur selben Zeit den
Rosenkranz, um die Gottesmutter Maria um den Sieg zu bitten. Papst Pius
V. hatte zu diesem Zweck die Standarte mit dem Kruzifix und den Heiligen
Petrus und Paulus gesegnet, auf dem das alte Motto „In Hoc Signo
Vinces“ eingestickt war. Auf dem Flaggschiff der Liga, der „Real“ des
Don Juan de Austria, prangte zudem die Gottesmutter mit der Aufschrift
„S. Maria succurre miseris“. Der Kommandant dagegen belässt es bei
großen Reden und erinnert seine Mannschaft lakonisch daran, dass das
Paradies nicht für Feiglinge gemacht sei.
Den 212 Schiffen stellt sich eine Wand aus Segeln, Rudern und grünen
Bannern entgegen; der ganze Horizont wird von der türkischen Armada
eingenommen. Von Material und Mannstärke sind die Osmanen überlegen: die
feindliche Marine kommt auf über 250 Schiffe und umfasst mindestens
10.000 Männer mehr. Doch Sufi Ali Pasha, der schon an den Sieg glaubt,
rechnet nicht mit der Zerstörungsgewalt der Galeassen, welche dem
christlichen Flottenverband vorausfahren, und mit ihrem Rundumfeuer
Breschen in den osmanischen Mastenwald schlagen. Die erhöhte Reling
macht es den Türken zuerst unmöglich, diese überhaupt zu entern. Der
Einsatz Don Juan de Austrias, der auf seinem Flaggschiff persönlich die
Auseinandersetzung sucht, kommt für die Türken ebenso unvorbereitet; und
zuletzt sind es die osmanischen Bogenschützen, die im Angesicht der
spanischen Arkebusen und Musketen den Kürzeren ziehen. Die überlegene
Feuerkraft der Christen macht die quantitative Überlegenheit der Osmanen
wett.
Lepanto geht nicht nur als größte Galeerenschlacht der
Menschheitsgeschichte ein. Sie ist eine Probe von Mensch und Material,
wie sie die Weltgeschichte nur selten kennt. Über Hunderttausend
Menschen sind in dem Blutmeer verwickelt. Auf christlicher wie
muslimischer Seite kämpfen Veteranen aus jahrzehntelangen Konflikten
zwischen den Seemächten beiderseits der Mittelmeerküste. Miguel
Cervantes, der berühmte spanische Dichter, der mit seinem Don Quijote
später Weltruhm erlangen wird, nimmt an Bord der Marquesa an der
Schlacht teil und weiß, dass an diesem Tage Weltgeschichte geschrieben
wird. Eine Verletzung am linken Arm führt dazu, dass seine linke Hand
dauerhaft gelähmt bleibt.
Der Tag wird zur dunkelsten Stunde der osmanischen Marine. Die
Christen erbeuten 137 osmanische Schiffe und befreien annähernd 15.000
christliche Sklaven, die auf diesen ihren Galeerendienst versahen;
Größenordnungen einer Stadt wie Augsburg in der damaligen Zeit. Weitere
50 Schiffe werden versenkt. Etwa 20.000 Osmanen finden den Tod. Die
Christen verlieren nur 17 Schiffe und etwa 8.000 Mann.
Obwohl Venedig den glänzendsten Sieg seiner Geschichte verbucht, kann
die Republik keinen Vorteil daraus ziehen. Als die Venezianer vor dem
Sultan vorstellig werden und Zypern zurückfordern, entgegnet ihnen der
muslimische Herrscher: „Als wir euch Zypern nahmen, haben wir euch einen
Arm abgeschlagen; als ihr uns bei Lepanto besiegt habt, habt ihr
unseren Bart abgeschnitten. Der Bart wächst nach, der Arm nicht.“
Venedig schließt zwei Jahre später einen erniedrigenden Frieden, die
Liga löst sich auf – Zypern bleibt osmanisch.
Obwohl die Liga also kurzfristig keinen Nutzen aus dem
überwältigenden Triumph der Christenheit gegen den expandierenden Islam
ziehen konnte, war die Sache jedoch deutlich komplexer, als es die
Anekdote des Sultans darzustellen vermag. Die Türken verloren bei
Lepanto ihre gesamte Marine-Elite: altgediente Korsaren und erfahrene
Kommandanten, die unersetzlich für die Flotte waren. Nie wieder sollte
eine osmanische Flotte den christlichen Mächten eine Niederlage wie bei
Preveza (1538) oder Djerba (1560) erteilen. Auch der Verlust der
osmanischen Bogenschützen, die nun für Landeroberungen fehlen,
erschienen im Nachhinein als unwiederbringlich. Zusammen mit der
verlorenen Belagerung von Malta (1565) stießen die Osmanen an ihre
Grenzen. Bis zur Belagerung von Kreta (1648-1669) gelangen den Türken
keine Eroberungen mehr. Die beginnende Vormachtstellung des Westens
wurde auch an der steigenden Feuerkraft der europäischen Schiffe
deutlich. Dagegen war es mit den großen Eroberungszügen der Osmanen, die
noch unter Sultan Süleyman bis Wien vorgestoßen waren, vorerst vorbei.
Die Türken, die als „satanische Macht“ als unbezwingbar gegolten hatten,
konnte man nun zu Lande und zu Wasser besiegen.
Lepanto war daher nach Wien und Malta das
dritte Symbol der Selbstbehauptung Europas gegen die muslimische
Expansion. Die Schlacht gewann in Spanien, Venedig und Rom eine
ungeheure Bedeutung. Bis heute finden sich Nachfahren jener
Adelsfamilien in Rom ein, die bei Lepanto kämpften. In Venedig wird der
Schlacht bis heute jedes Jahr gedacht; in der Malerei wurde sie von
Veronese und Vicentino verewigt, das Thema von einer ganzen Reihe
römischer wie spanischer Künstler immer wieder neu interpretiert – wobei
der Sieg auf die Gottesmutter Maria zurückgeführt wurde.
Lepanto-Gemälde nahmen bald den Rang ikonographischer Darstellungen ein.
Papst Pius V. ordnete die Institutionalisierung des Rosenkranzfestes
an, welche der Intervention Mariens in diesem Konflikt gedachte.
Legenden besagen gar, die Männer hätten im Schlag der Mysterien des
Rosenkranzes gerudert. Neben dem „Türkenläuten“ von Belgrad, ist das
Rosenkranzfest damit eine zweite Erinnerung an die Abwehr der
osmanischen Bedrohung – bis heute. Marco Fausto Gallina
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