Stationen

Samstag, 24. März 2018

Quanto godo!!

Meist gegen Ende des Gesprächs fragte auf der Leipziger Buchmesse fast jeder Journalist nach meiner Prognose für die kommenden Monate.
Diese Frage zielte dabei nicht auf die Entwicklung unseres Verlages, sondern auf die politische Situation und die beunruhigende Existenz einer noch immer schweigenden, und damit unberechenbaren Anzahl von Leuten, die sich auf allen Ebenen alternativen Konzepten zuwenden: als Wähler der AfD, als Leser den oppositionellen Medien und Verlagen.
Vom Vorhandensein einer Opposition von rechts sogar im intellektuellen Establishment zeugt seit einer Woche die "Erklärung 2018". Sie versammelt nicht das letzte Aufgebot, sondern ist die Spitze des Eisbergs. Die Frage lautet nicht: Kommt noch was? Sie lautet: Wer ist der nächste? Und: Warum bloß?
Auf diese letzte Frage habe ich eine Antwort, und sie ist gleichzeitig eine Prognose: aus Bekenntnislust. Wir werden in den kommenden Monaten eine Welle der Bekenntnislust erleben. Zigtausend Leute werden den Finger heben und sich namentlich dazu bekennen, AfD zu wählen, oppositionelle Medien zu lesen, demonstriert zu haben und aus alledem keinen Hehl mehr machen zu wollen.
Auch unter den Publizisten, Schriftstellern, Professoren, Künstlern wird es zu hunderten Fällen von Bekenntnislust kommen, wird das belebende Element des Schocks im sozialen Umfeld als "Thema" entdeckt werden - vielleicht weniger grassierend als beim Durchschnitt, aber jedenfalls mit der Gewißheit, daß der eigene bekannte oder sogar berühmte Name echtes Erschütterungspotential besitzt.
Bekenntnislust also: Die "Erklärung 2018" - eine Art Nachfolger der "Charta 2017" für jedermann - changiert dabei bereits zwischen ihrer Vorhersehbarkeit, einer gewissen ernsthaften Pflichterfüllung und einer Lust, einen entscheidenden, weil positionierenden Schritt zu gehen. Sie ist gewissermaßen die Fortsetzung der Tellkamp-Grünbein-Debatte mit anderen Mitteln und zugleich das Dokument einer rasant voranschreitenden Normalisierung:
Ja, es gibt Konservative, Rechte, Reaktionäre gar, und die Frage, ob es den Sittenwächtern von links gelingen könnte, dies alles weiterhin zu ignorieren, zu diffamieren und letztlich zu marginalisieren, stellt sich gar nicht mehr. Die Frage fällt aus Sicht des Establishments deutlich bescheidener aus: Müssen wir mit allen rechnen oder kann man dieses Milieu spalten?
Wir können an diesem Punkt ein Grundmuster beschreiben, das sich durch die AfD ebenso zieht wie durch die widerständige Verlags- und Medienwelt: Es gibt einen fundamentalen Unterschied in der Auffassung darüber, was unter einem "Vorankommen" zu verstehen sei.
Während die betont bürgerliche Seite provokative und verstörende Aussagen und Handlungen mit Rücksicht auf die Wahlentscheidung des Normalbürgers für kontraproduktiv hält, setzt die an Bewegung und Konsensstörung interessierte Seite auf die Vertiefung des Risses: Nur keine verfrühte Sehnsucht nach Ausgleich, denn er kommt sowieso, und dann sollte es ein Ausgleich zu unseren Bedingungen sein.
Erneut sichtbar geworden sind diese beiden Ansätze und das ihnen innewohnende, je eigene Risiko auf der Leipziger Buchmesse, die am Sonntag endete.
Mein Verlag war präsent, in die Ecke gestellt zwar durch die Organisatoren der Messe, aber doch auch deshalb ein Messemittelpunkt. Wir kommen ja mit fast allem zurecht, mittlerweile, und hatten für diesmal eine deeskalierende Reaktion auf linke Störungen vorbereitet - ein neuer Schachzug, der aufging: Bis auf eine kleine, kurzzeitig undisziplinierte Gruppe blieben alle unsere Leser und Standbesucher ruhig, als die üblichen antideutschen Parolen skandiert wurden.
Wenn vor sechs Monaten in Frankfurt der Schock das Establishment kalt erwischte, hatte es diesmal mit einer gewissen Hilflosigkeit zu kämpfen, und setzte das intellektuelle Deutschland wortreich davon in Kenntnis.
Von dieser Hilflosigkeit nicht profitieren wollten hingegen die Junge Freiheit und das Magazin Cato, denen diese "rechte Ecke", mithin unsere Nachbarschaft, nicht angemessen zu sein schien und die keine Presse einer möglichen schlechten Presse vorzogen, dem Bündnis #verlagegegenrechts dabei einen Triumph gönnend, den wir diesen Leuten gerade nicht gönnen wollten.
Eine solche Entscheidung ist immer auch eine Leseanleitung für die Wachen unter den Gegnern. Sie sollen begreifen,  daß am Horizont neue Bündnisse aufscheinen, deren Zuschnitt Platz für neue und alteingesessene Bewohner der etablierten Strukturen läßt.
In dieser Hinsicht ist die neue, von der JF in Auftrag gegebene INSA-Umfrage ein Wink mit dem Zaunpfahl. Ihr Ergebnis lautet: Die AfD nähme Fahrt auf, wenn sie sich vom "rechten Rand" trennte - und namentlich von Björn Höcke.
Uninformiert und frohlockend zugleich steht das Feuilleton auch vor dem seltsamen Umstand, daß Ellen Kositzas Name zunächst unter den Erstunterzeichnern der "Erklärung 2018" zu finden war, dann nicht mehr. Wer vermutet, daß sie manchem anderen Erstunterzeichner nicht tragbar schien, liegt richtig. Erstaunen bräche aus, wenn bekannt würde, wer intervenierte.
Das Neue: Es muß berechenbar sein; das Establishment: Es möchte sich ergänzt, nicht ersetzt sehen; das Realpolitische - der Name für ein unverzichtbares Bewegungsgesetz, zugleich der Name für den zu kurzen Sprung oder für einen komischen Hygienefimmel.
Schwierig, schwierig, das Ganze. Wir jedenfalls freuen uns auf die Welle der Bekenntnislust. Sie wird Kanäle freispülen.  Kubitschek

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