Stationen

Freitag, 30. März 2018

Zeitlos

Der heutige Tag ist ein guter Anlass, an eine Wortschöpfung Gottfried Benns zu erinnern: "'Barabbas!'-Schreier". Dieser Typus wird die Zeiten überdauern wie der Heiland...


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Heute, am Tage der Kreuzigung, ist überdies eine gute Gelegenheit, über die Enthauptung eines Obdachlosen in Koblenz zu meditieren. Stellen wir uns ein multimedial und sozialpädagogisch gehegtes biodeutsches linksintellektuelles Allerweltsköpfchen vor und versetzen wir uns in dessen Gedankenstrom bei der unwilligen Zurkenntnisnahme des viehischen Verbrechens:

"Jetzt werden diese Muslimfeinde wieder hetzen ... dabei ist überhaupt nicht klar, ob es ein Migrant war ... gut, wenn in letzter Zeit irgendwo Menschen geköpft wurden, waren immer Muslime die Täter, wie bei den 21 koptischen Märtyrern, die der IS am Strand ... darüber hat doch dieser Krawattenkatholik ein Buch geschrieben, das ich bestimmt nicht lesen werde ... aber dieser Obdachlose war doch gar kein Christ, zumindest kein bekennender ... im übrigen ist es ein Fortschritt von der Kreuzigung zur Enthauptung, es geht entschieden schneller ... die Römer haben gekreuzigt, von wegen westliche Zivilisation ... Barbaren! ... es gab diese Hinrichtungsart schon vorher bei anderen antiken Völkern, na und?, die Römer trieben es am schlimmsten ... wie komme ich überhaupt darauf? ... was geht mich dieser Jesus an? wer weiß, ob der überhaupt gelebt hat ... ach so, der Obdachlose ... ja, die am Rand der Gesellschaft ... die im Dunkeln sieht man nicht ... warum gibt es überhaupt Obdachlose in unseren reichen Land? das ist doch der eigentliche Skandal ... in letzter Zeit passierten öfter Angriffe auf Obdachlose, und immer waren es Muslime, einen anderen haben sie angezündet ... warum machen die das? ... aus Verachtung? ... aus Verzweiflung? ... weil die ihren Frust über den täglichen Rassismus nicht anders rauslassen können? ... die AfD nutzt das doch nur aus ... warum sind eigentlich nie Muslime obdachlos? weil sie besser versorgt werden als Deutsche? ... nein, weil sie nicht saufen und solidarisch miteinander sind ... ach, dieser Enthauptete war angeblich gar kein Trinker, schreiben sie in der Zeitung ... aber wieso denke ich dauernd an Muslime? ... wer weiß, wer das gewesen ist. Neonazis vielleicht ... Außerdem ist es extrem unwahrscheinlich, in Deutschland geköpft zu werden ... einen anderen Obdachlosen haben sie lebendig begraben, ist aber auch statistisch total unwahrscheinlich ... immer diese Hetze gegen Muslime ... die Kriminalität geht zurück, in Bayern sogar bei Ausländern ... als ob das eine Rolle spielte, Ausländer sind nicht krimineller als Deutsche ... ob ein Deutscher das hinbekommt, den Kopf abschneiden? ... aber Juden vergasen haben sie ja auch hinbekommen ... daran sollen diese Hetzer mal denken, nicht an die Hinrichtungsfotos des IS ... aber nein, sie werden wieder gegen die Muslime hetzen ..."


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"Statistik: Risiko, im Zug mit einer Eisenstange angegriffen zu werden, ist stark rückläufig" (Bernd Zeller).


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Unter der Zeile "Der Islam gehört zu Preußen" (Preußen? Aber wo liegt es? Ich weiß das Land nicht zu finden...) erinnert der Tagesspiegel willkommenskulturell aufgeräumt an die immerhin liberale Einwanderungspraxis des 1947 von den Alliierten aufgelösten schlimmen Militärstaates. Also strenggenommen geht es hier nur um die Einwanderung von Muslimen nach Preußen, und das waren überwiegend Soldaten, beginnend bei Friedrich Wilhelm I., der einige großgewachsene Moslems zur Komplettierung seiner "Langen Kerls" geschenkt bekommen und für sie die erste Moschee in Preußen eröffnet hatte. Unter Friedrich dem Großen kämpften muslimische Abteilungen im Siebenjährigen Krieg (die Bosniaken hatte nicht nur eigene Gebetsräume in Potsdam, sondern sogar einen eigenen Heeres-Imam), und selbstverständlich wird Friedrichs berühmte Bemerkung zitiert: "Wenn Türken und Heiden kämen und wollten das Land peuplieren, so wollen wir ihnen Moscheen und Kirchen bauen." 

Preuße konnte man werden, und zwar ohne blutsmäßige Abstammung und ohne im Lande geboren zu sein. Seit dem Potsdamer Edikt des Großen Kurfürsten von 1685 über die Aufnahme der in Frankreich verfolgten Hugenotten stand Brandenburg-Preußen für Religionsfreiheit und ein großzügiges Asylrecht. Im 18. Jahrhundert entstand der Vers: "Niemand wird Preuße denn aus Not, und ist er's geworden, dankt er Gott." Ab 1732 strömten 20 000 verfolgten Salzburger Protestanten nach Preußen. Damals erkundigte sich König Friedrich Wilhelm I. bei dem sie begleitenden Kommissar: "Sind liederliche Leute dabei? Solche, die sich besaufen oder der Völlerei ergeben?" Der "Soldatenkönig" erließ Edikte wie das vom Dezember 1720 über die "Vertreibung der in königlichen Landen eindringenden Armen, Bettler, Zigeuner und anderen unnützen Gesindels". So sah Willkommenskultur in ihrer Embryonalform aus. Später wurden zahlreiche Polen Preußen und traten in den Staatsdienst. Preußens Offenheit für Zuwanderer war ideologiefrei, sie entsprang keiner Hypermoral, sondern dem Staatsinteresse an Arbeitskräften, überhaupt Bevölkerung.

Zurück zu den preußischen Muslimen. Die Geschichtsschreibung über sie ist äußerst lückenhaft. Zum Beispiel ist nichts bekannt darüber, dass sie Preußinnen ins Gebüsch zerrten und vergewaltigten, die Potsdamer Garnisionskirche mit Silvesterraketen beschossen, Christen wegen ihrer Religion verprügelten, Drogen verkauften, sich Massenschlägereien auf Berliner Straßen lieferten und junge Preußen Unter den Linden mit Messern attackierten. Wahrscheinlich weil sie in einem solchen Fall keine Stunde länger auf freiem Fuß und keine 24 Stunden im Land geblieben wären. Diese reaktionären Preußen waren einfach noch nicht so weit.


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Die Unterschriftenwelle unter der "Gemeinsamen Erklärung 2018" löst bei den Meinungsmonopolisten von gestern die gewünschte Nervosität aus. Nachdem 2018 Autoren, Künstler, Wissenschaftler und Akademiker unterzeichnet hatten, ist die Liste seit gestern öffentlich. Bis Mitternacht hatten 7624 Bürger unterschrieben, heute morgen waren 1558 dazugekommen.
Die Erklärung "kündigt Flüchtlingen die Solidarität auf", lügt wie gedruckt die alte Frau Assheuer im Feuilletonaufmacher der Zeit. Wer nicht mit seinen Steuern jeden in unser Land geschneiten Analphabeten alimentieren will, egal überdies, wie der sich hier aufführt, "entsolidarisiert" sich also, mei o mei, die haben schon schwer einen an der Waffel im Hamburger Halbweltblatt.
Der Begleittext der jetzt für alle geöffneten Liste lautet:
"Am 15. März gingen 34 Erstunterzeichner mit dieser Erklärung an die Öffentlichkeit: (es folgt der Text der Gemeinsamen Erklärung 2018). Nachdem sich XXX.XXX Menschen dem Aufruf angeschlossen haben, fordern wir jetzt vom Bundestag, dass die von Recht und Verfassung vorgesehene Kontrolle der Grenzen gegen das illegale Betreten des deutschen Staatsgebietes wiederhergestellt wird.

Sodann verlangen wir die Einsetzung einer Kommission, die der Bundesregierung schnellstmöglich Vorschläge unterbreitet, wie
- der durch die schrankenlose Migration eingetretene Kontrollverlust im Inneren des Landes beendet werden kann
- wirksame Hilfe für die tatsächlich von politischer Verfolgung und Krieg Bedrohten organisiert werden kann und wo dies idealerweise geschehen sollte."
Was diese Erklärung fordert, steht hier klipp und klar. Aber eines ist richtig: Die Entsolidarisierung mit Figuren wie Assheuer ist durchaus intendiert.   MK am Karfreitag

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