Stationen

Montag, 30. April 2018

Im Namen eines Türken namens Homer

Der Sonntag gehört diesmal nur vermittelt den Künsten, insofern es um eines der großen Werke geht, welches in die Mühlen des Zeitgeistes geraten ist. Die BBC strahlt derzeit eine Serie aus des Titels "Troy – Fall of a City", was ein löbliches Unterfangen ist, denn mit den beiden homerischen Epen beginnt ja praktisch Alles.Mein Eintrag vom 26. April beschäftigte sich mit dem Phänomen der mählichen Verdrängung der Weißen – genauer: des abendländischen Typus – aus der von ihnen geschaffenen Kultur, und genau dorthin wirft die BBC den Erisapfel, denn der Zuschauer stellt verblüfft fest, dass Zeus, Achilles, Patroklos und Nestor schwarz sind, also von schwarzen Schauspielern verkörpert werden. Das sind beispielsweise Achilles und Patroklos:

 
Ist das schamlos? Skandalös? Rassistisch gar? Oder ist es vielmehr rassistisch, daran Anstoß zu nehmen?
So viel dürfte zunächst klar sein: Am Kampf um Troja waren sehr viele braune und dunkelbraune Menschen beteiligt, "Südländer" eben, doch richtige Schwarze wohl eher nicht. Wenn wir Homer zu Rate ziehen (aber der könnte der erste weiße Rassist gewesen sein), war Achilles blond:
"ξανθῆς δὲ κόμης ἕλε Πηλεΐωνα": Athene "fasste am blonden Haar den Peliden" (Ilias, 1.197). Über Zeus ist diesbezüglich nichts Näheres überliefert; die Wahrscheinlichkeit, dass die Achaier einen schwarzen Gott verehrten, lag zu Homers Zeiten bei Null, nimmt aber neuerdings quasi täglich zu. Zu Odysseus kommen wir gleich.
Naturgemäß erregten sich in England einige Zuschauer über die Verfremdung dieser abendländischen Basalerzählung, und die dortigen Diskussionen scheinen von ähnlicher Qualität zu sein, wie man sie hierzulande verzückt beobachten kann. "Why are people so angry about the BBC’s decision?", fragt etwa RadioTimes und beruhigt sogleich: "Is there any basis to the ‘blackwashing’ conspiracy? In short: absolutely not." Als Zeuge für die Langversion wird Tim Whitmarsh, Professor für Griechische Kultur an der University of Cambridge, aufgerufen. Und der sagt, die antiken Griechen seien "vom Hauttyp her mediterran gewesen", was niemand bezweifelt hat, doch in deren Welt hätten auch "Äthiopier, eine vage Bezeichnung für dunkelhäutige Nordafrikaner", hinreichend Präsenz gezeigt. Allerdings sei bereits "die Frage, ob 'Schwarze' im antiken Griechenland lebten, fehlerhaft". Die griechische Welt sei nämlich viel "fließender" gewesen als unsere. "There was a lot of travel in that period" (und a lot of trouble, aber hallo!), "es war eine Welt ohne Grenzen, ohne Nationalstaaten. Es war alles miteinander verbunden."
Na ja, die Verbundenheit hielt sich in Grenzen, denn warum hätten die Danaer Troja sonst zehn Jahre lang belagern müssen? (An dieses pränationalstaatliche Verhältnis von fehlenden Außengrenzen und kompensatorisch ummauerten Kommunen erinnern uns heute dankenswerterweise beispielsweise der Zaun ums Oktoberfest oder die Merkellegosteine andernorts.) Doch mögen die Achaier auch zwischen sich und den Priamos-Leuten gewisse Unterschiede gemacht haben, "sie teilten die Welt nicht in Schwarz und Weiß. Sie haben sich nicht so verstanden. Alle unsere Kategorien – zum Beispiel Schwarz-Weiß – sind moderne Interpretationen historischer Umstände." Also sprach Professor Whitmarsh.

Woher mag er das wissen? Will er es aus der Tatsache folgern, dass bei Homer keine Schwarzen auftauchen? Da wüsste ich noch eine andere Erklärung. Nicht nur die Griechen, auch die Eskimos haben die Welt nicht in Schwarz und Weiß aufgeteilt, von den Bantus und den Apachen zu schweigen. Nur weiße Rassisten tun das. Die Griechen haben allerdings die Welt in Griechen und Nichtgriechen (= Barbaren) aufgeteilt. Nein, nein, die Frage war schon richtig gestellt, sie lautet: Ist ein schwarzer Achilles überhaupt denkbar? Und die Antwort heißt: ungefähr so, wie ein weißer Onkel Tom. Es ist eine Fälschung der Geschichte, aber eine gut gemeinte und deshalb lässliche. Und natürlich eine Mythenumschreibung, Mythenzersetzung, Mythenokkupation, eine Landnahme im Symbolischen.

"Homers Epen sind nur eine Version, und die Griechen selbst verstanden, dass sich die Geschichte ändern könnte", erklärt freilich unser Professor, den frühen Hellenen eine geradezu postmodernistische Flexibilität im Umgang mit ihrem Selbstverständnis zuschreibend. "Es gab nie eine authentische Nacherzählung der Ilias und der Odyssee – es waren immer fließende Texte. Sie sind nicht darauf ausgelegt, in Stein gemeißelt zu werden, und es ist nicht blasphemisch, sie zu verändern." Das ist zunächst insofern richtig, als Homer einen Stoff in Hexameter setzte, den jeder Grieche kannte. Er lieferte seine Version des Mythos; der Mythos an sich war Gemeinbesitz. Aber ob es Blasphemie ist, die Texte des Dichters zu verändern – was ja logischerweise heißen würde: die Texte sämtlicher Dichter –, entscheidet nicht der Herr Whitmarsh, das ist schlechterdings unerlaubt. Die großen Texte sind tatsächlich in Stein gemeißelt; wer das bestreitet, "kennt seinen Platz nicht" (Peter Hacks). Und wer das Personal einer zum Mythos gewordenen historischen Begebenheit aus Tendenzkonformismus ethnisch "umbesetzt", ist kein Blasphemiker, sondern eine Zeitgeisthure.

Der wichtigste Part kommt freilich noch, die Textexegese nämlich, denn wozu ist der Mann schließlich Professor? Da Achilles nicht schwarz ist bei Homer, aber in der BBC-Serie, bringt er nun Odysseus als philologischen Joker ins Spiel. Wie jeder weiß, ermuntert Pallas Athene im 16. Gesang der "Odyssee" den Laertiaden, sich endlich seinem Sohn Telemachos erkennen zu geben, um mit ihm gemeinsam den Freiern ein blutiges Ende zu bereiten, denn die Göttin drängt "die Begierde des Kampfes". Zu diesem Zwecke verwandelt sie den göttlichen Dulder Odysseus, der ja bereits vom Alter gezeichnet ist, zurück in einen jungen Mann:

"... und rührt' ihn mit goldener Rute.
Plötzlich umhüllte der schöngewaschene Mantel und Leibrock
Wieder Odysseus' Brust, und Hoheit schmückt' ihn und Jugend;
Brauner ward des Helden Gestalt, und voller die Wangen;
Und sein silberner Bart zerfloß in finstere Locken."
(Voßsche Übersetzung)
Im Original lautet die auf die Hautfarbe bezogene Passage: "ἂψ δὲ μελαγχροιὴς γένετο", wobei μελαγχροιὴς wörtlich übersetzt bedeutet: schwarzhäutig; μέλας – mélas – heißt "schwarz". Noch heute nennen wir die Pigmente, welche die Färbung der Haut, der Haare und der Augen bewirken, Melanine. War Odysseus also ursprünglich ein Mohr? Withmarsh suggeriert genau das: "Athena makes him beautiful by restoring his natural black skin colour." Wenn das so ist, dann sind wir einem skandalösen kollektiven Übersetzungsfehler auf der Spur. Immer nämlich wird die fragliche Stelle mit "braun" übersetzt, vom soeben zitierten Johann Heinrich Voß bis zu Roland Hampe: "Braun ward wieder die Haut, es strafften sich wieder die Wangen".

Das große griechische Wörterbuch von Franz Passow übersetzt das Wort mit: "von schwarzer oder dunkler Farbe, Oberfläche, Haut, schwarz, schwärzlich, bes. von der kräftigen bräunlichen Gesichtsfarbe des viel im Freien lebenden Mannes".* Der Passus bedeutet also – und alle Übersetzer haben ihn so gelesen –, dass Odysseus wieder die gesunde dunkle Hautfarbe des sonnenverbrannten Helden zurückerhält. Melanin ist für die Pigment-Produktion im Körper verantwortlich. Wird es nicht mehr gebildet, färben sich sowohl die Haare als auch die Haut grau. Das ist der Grund, warum manche ältere Menschen nicht mehr richtig braun werden. Wissenschaftler nehmen an, dass dieser Mechanismus auch zur so genannten Weißfleckenkrankheit führt, bei der die Haut wegen zu geringer Melaninbildung stellenweise weiß wird. Und wem dann keine Pallas Athene wiederbelebend zur Seite steht, der gewinnt Penelope nimmermehr zurück.
Damit wären wir denn wieder beim BBC-Versuch, die Rassen rückwirkend einander noch ein bisschen näherzubringen. Man spürt die Absicht, und man ist verstimmt. Das ist alles. Aber die wirklich radikale Pointe steht immerhin noch aus: Wie, wenn Homer selber ein Mohr gewesen ist? Wie hätte er sonst so brillant schreiben, wie diese unglaubliche Spannungskurve von Odysseus' Heimkehr bis zur Klimax seiner Selbstoffenbarung halten können?


* Ich danke Leser *** für den Hinweis.

Am Rande: Der Bariton Simon Estes sang 1978 als erster schwarzer Sänger in Bayreuth den Fliegenden Holländer, danach den Amfortas im "Parsifal", an anderen Bühnen den Wotan; die schwarze Sopranistin Jessye Norman sang die Brünnhilde, die Sieglinde, Elsa, Elisabeth, Senta. Ist das ein Problem? Natürlich nicht. Das sind große Künstler, die allgemeinmenschliche Rollen interpretieren. Hier gilt's der Kunst, nicht einer fingierten Historizität, hier soll niemand manipuliert werden.

PS: Wer meint, ich spräche bei diesem Thema über Petitessen bzw. stritte gegen Windmühlen, lese doch bitte mal dasMK am 29. 4. 2018

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