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Sonntag, 15. April 2018

Nur noch Stümperei

(thilo-sarrazin-erklaert-wie-europa-deutschland-schroepft)...

MONEY: Versuchen wir es trotzdem einmal.

Sarrazin: Ich beginne mit den Target-Salden. Staaten haben ja zwei Möglichkeiten, Leistungsbilanzdefizite zu finanzieren. Einerseits über Schulden, andererseits über Target 2. Die EZB lässt dort wie bei einem Überziehungskredit negative Salden einzelner Staaten in hohem Umfang zu. Letztlich stehen diese Staaten wie Italien und Griechenland bei der EZB in der Kreide. Dahinter stehen aber Forderungen der Geberländer wie Deutschland.

MONEY: Wie ist es zu dieser Entwicklung gekommen?

Sarrazin: Die Währungsunion ist mit dem Gedanken entstanden, dass es zwar eine gemeinsame Währung gibt, aber keine gemeinsamen Haftungssysteme. Das brach mit der Rettung Griechenlands im Jahr 2010 zusammen. Seither haben wir eine Haftungsunion, zum Beispiel über Target 2 oder den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) ...

MONEY: ... der Europäische Rettungsschirm für notleidende Staaten.

Sarrazin: Richtig. Und dort ist – wie Sie wissen – Deutschland der größte Nettozahler in Europa. Im Extremfall geht es da um 190 Milliarden Euro für Deutschland.

MONEY: Nun wird immer wieder auch der Ruf nach einer europäischen Einlagensicherung laut. Was bedeutet das für deutsche Sparer?

Sarrazin: Eine europäische Einlagensicherung ist eine weitere Stufe in diese Haftungsunion. Bei der Einlagensicherung geht es darum, dass die Kundengelder auf Banken geschützt sind, wenn die Bank pleitegeht. Wir haben drei Einlagensicherungssysteme in Deutschland, für Privatbanken, Sparkassen sowie Volks- und Raiffeisenbanken. Und wenn eines dieser Systeme nicht reicht, greift der Staat ein, so wie im Jahr 2008. Sie erinnern sich sicher an den – durchaus starken – Auftritt von Angela Merkel und Peer Steinbrück, die vor die Kameras traten und sagten: Ihre Einlagen sind sicher ...

MONEY: War ja eigentlich nur Show.

Sarrazin: Aber eine gute Show, um Panik zu vermeiden. Aber zurück zum Thema. Eine Einlagensicherung ist ja ein Haftungsverbund. Alle Banken, die dem Verbund angehören, haften für eine einzelne Bank. Jetzt haben aber viele Länder in Süd- und Westeuropa, die die Währungsunion weitertreiben wollen, den Anspruch, ein gemeinsames Haftungssystem für alle europäischen Banken ins Leben zu rufen.

MONEY: Einige Banken in Europa wackeln aber ganz schön, speziell in Italien!

Sarrazin: In Spanien, Frankreich und der Bundesrepublik sind die Banken weitgehend stabil. Instabil sind sie dafür in Griechenland und auch in Italien. Vor allem die italienischen Banken haben in sehr großem Umfang faule Unternehmenskredite in ihren Büchern, die sie auch noch nicht abgeschrieben haben.
Gibt es eine Geldpipeline von Deutschland nach Sizilien?

MONEY: Der Volkswirt Dr. Markus Krall hat kürzlich von einer Geldpipeline von Deutschland nach Sizilien gesprochen. Werden wir Deutschen jetzt noch mal richtig geschröpft, bevor das ganze System zusammenbricht?

Sarrazin: Lassen Sie es mich so sagen. Es werden Leitungen gelegt, auf denen die Südländer Geld abzapfen können. Das sind die Target-Salden, dann der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) sowie eine mögliche Haftungsunion. Nur die bloße Existenz einer Leitung bedingt noch nicht, dass da Wasser beziehungsweise in unserem Bild Geld durchfließt.

MONEY: Aber genau dafür ist eine Leitung ja da.

Sarrazin: Korrekt. Das bedeutet: Je mehr Leitungen gelegt werden, desto größer ist die Gefahr, dass in einer Nachtsitzung in Brüssel einmal entschieden wird, dass tatsächlich Geld fließt. Deswegen sage ich: Möglichst wenig Leitungen legen!



MONEY: Folgendes Szenario: Sagen wir, die Zinsen in der Euro-Zone ziehen an und die Kreditkosten für die zum Teil überschuldeten Länder steigen. Dann werden diese Leitungen aufgedreht, und wir Deutschen müssten zahlen. Richtig?

Sarrazin: Ja, das ist richtig. Lassen Sie mich aber noch etwas zur Zinspolitik sagen. Noch haben wir extrem niedrige Zinsen. Wenn Sie Sparer sind, dann wissen Sie ja leider, was das für Ihre Ersparnisse bedeutet.

MONEY: Für deutsche Sparer leider nichts Gutes.
Zinsen von drei, vier oder fünf Prozent wären "absolut akzeptabel"

Sarrazin: Diese Zinspolitik wurde nicht nach den deutschen Maßstäben und Notwendigkeiten gemacht. Mit unserer deutschen Wirtschaftskraft wären auch Zinsen von drei, vier oder fünf Prozent absolut akzeptabel. Dann müssten zwar auch die öffentlichen Haushalte mehr Zinsen zahlen, aber das wäre machbar. Die Zinsen werden künstlich niedrig gehalten von der EZB.

MONEY: Stichwort „Whatever it takes“!

Sarrazin: Genau! Draghi hat die Zinsen so sehr nach unten gedrückt und die Märkte mit so viel Geld geflutet, dass Schulden keine Kosten mehr verursachen. Und wenn man die Schulden nicht tilgt, sondern immer neue Schuldentürme anhäuft – so wie es in Frankreich, Italien & Co. gerade der Fall ist – und diese Länder quasi keine Zinsen dafür bezahlen müssen, dann ist das für diese natürlich die beste aller Welten.

MONEY: Das können Sie als Ex-Bundesbanker doch nicht gut finden!

Sarrazin: Das finde ich auch nicht gut, denn das führt zu einer falschen Steuerung. Wenn Ihnen Ihre Bank einen unbegrenzten Dispokredit auf Ihrem Konto zur Verfügung stellt, für den Sie weder Zins noch Tilgung bezahlen müssen, dann fragen Sie sich auch irgendwann: Wozu soll ich eigentlich noch arbeiten gehen? Und genau so ein System haben wir bei uns geschaffen in Europa.

MONEY: Apropos arbeiten gehen. Wir in Deutschland haben glücklicherweise eine relativ niedrige Arbeitslosenquote. In anderen Ländern wie Spanien sieht das ganz anders aus. Nun warnen einige Ökonomen bereits vor einer europäischen Sozialversicherung. Wäre das eine zusätzliche Leitung?

Sarrazin: Das ist richtig. Im schlimmsten Fall finanzieren wir dann möglicherweise die Arbeitslosen in den Südländern.

MONEY: Also schon wieder deutsches Geld, das für die Probleme anderer herhalten muss?

Sarrazin: Es ist sicherlich die Absicht der Südeuropäer, möglichst viel Geld aus Deutschland und generell aus Nordeuropa zu beziehen. Die Frage ist, wie man damit umgeht.

MONEY: Wie gehen wir denn damit um?

Sarrazin: Wir leisten zu wenig Widerstand. Eine der vielen unrühmlichen Aktivitäten und Äußerungen von Martin Schulz bestand darin, den Eindruck zu vermitteln, es sei die Aufgabe Deutschlands, überschuldeten Staaten deutsches Geld zukommen zu lassen. Das kann und darf nicht sein.

MONEY: Wird das denn passieren?

Sarrazin: Ich stelle folgende Prognose. Wir werden auf europäischer Ebene weiterhin Schritte in die falsche Richtung tun. Diese Schritte werden zu klein sein, um die Probleme in Spanien, Frankreich, Italien & Co. zu lösen. Aber groß genug, um in Deutschland für Ärger und Unruhe zu sorgen. Deswegen wächst der Frust auf beiden Seiten.

MONEY: Was sind die Konsequenzen?

Sarrazin: In Deutschland wird die gemeinsame Währung, der Euro, immer unpopulärer. Und in den Südländern wachsen die Kräfte, die gegen eine weitere europäische Integration sind.

MONEY: Sollten wir dann nicht ein Ende mit Schrecken bevorzugen und den Euro platzen lassen?

Sarrazin: Ich plädiere eher dafür, zu den alten Prinzipien zurückzukehren, die einmal vereinbart worden sind. Das alte Prinzip sah so aus: Wir haben eine gemeinsame Währung, aber strikt getrennte Kassen, und jeder kommt für seine eigenen Schulden auf.

MONEY: Was passiert, wenn man diesen Gedanken weiterspinnt?

Sarrazin: Wenn die Märkte wüssten, dass zum Beispiel die Italiener für ihre eigenen Schulden aufkommen müssen, dann würden Zinsen für die Italiener sicherlich steigen. Das bedeutet: Die Italiener müssten sich über ihre Zukunft ernsthafte Gedanken machen. Wenn sie nämlich den Euro behalten möchten, müssten sie ernsthafter sparen. Wenn sie aber nicht sparen, sind sie mit einer eigenen Währung besser aufgestellt.

MONEY: Aber das ist doch vollkommen unrealistisch, dass Italien & Co. künftig für ihre eigenen Schulden haften. Diese Länder werden die Haftung über die Geldleitungen doch nicht einfach zurückdrehen ...

Sarrazin: Ich bin auch skeptisch, denn der italienische Finanzminister müsste sich dann Gedanken machen, wie er seine Schulden in den Griff bekommt und das Land wirtschaftlich belebt. Das sehe ich momentan nicht. Stattdessen wird auf die deutsche Sparpolitik geschimpft.

MONEY: Ist der Euro beziehungsweise die gesamte EU angesichts der wachsenden Anti-Europa-Stimmung in fast allen Ländern nicht ohnehin zum Scheitern verurteilt?

Sarrazin: Angesichts meiner Analysen kann man natürlich zu dem Schluss kommen, dass wir am Ende sind und alles auseinanderfliegt. Aber ich sage ganz klar: Der Ausweg besteht darin, wieder zur alten Währungsunion zurückzukehren ohne gemeinschaftliche Haftung. Portugal und Irland haben ja gezeigt, dass sie sparen können. Die werden es schaffen! Spanien wird es vielleicht auch schaffen.

MONEY: Und Frankreich?

Sarrazin: Die Franzosen werden sicher wahnsinnig böse sein auf die Deutschen, aber sie denken sehr in Kategorien wie Prestige. Es wäre mit ihrem Nationalstolz sicher nicht vereinbar, zu schwach für den Euro zu sein.

MONEY: Wie sieht es mit Italien aus?

Sarrazin: Die Italiener sind besser beraten auszusteigen. weiter hier...

 

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