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Montag, 23. April 2018

Similia similibus oppugnentur

Eigentlich hat Umberto Eco in seinem langen Schriftstellerleben nie über etwas anderes geschrieben als über Verschwörungstheorien. Das fing schon mit "Der Name der Rose" an, nur ist es damals niemandem groß aufgefallen. Der Detektiv William von Baskerville, der zusammen mit seinem Adlatus Adson eine Serie von erschröcklichen Mordtaten in einem Benediktinerkloster in Norditalien aufklären soll, rennt bei seinen Ermittlungsarbeiten ständig gegen eine einfache Erklärung an, die da lautet: Der Teufel ist an allem schuld, und das Zeitalter des Antichrists ist nahe herbeigekommen.
Das ist quasi die mittelalterliche Urform jeder heutigen Weltverschwörungsspinnerei. In "Das Foucaultsche Pendel" wandte sich Eco seinem großen Thema dann noch offensiver zu. "Das Foucaultsche Pendel" ist eine Satire und handelt von drei Freunden, die sich einen gewaltigen Masterplan zusammenfantasieren; gefährlich wird die Sache in dem Augenblick, in dem Leute anfangen, den Quatsch zu glauben.

Dagegen sind Dan Browns Theorien harmlos

Umberto Eco ist mit "Das Foucaultsche Pendel" gelungen, sich über Dan Brown lustig zu machen, ehe es Dan Brown überhaupt gab – eine reife Leistung. Doch waren jene Verschwörungstheorien immer noch vergleichsweise harmlos. Mit seinem jüngsten Roman, "Der Friedhof in Prag", hat Eco sich dagegen einen Mythos vorgenommen, der alles andere als harmlos ist. Er hat immerhin zum größten Genozid in der Menschheitsgeschichte geführt.
"Der Friedhof von Prag" handelt also davon, wie im 19. Jahrhundert der Mythos von der jüdischen Weltverschwörung (und der Verschwörung der Freimaurer) seine kanonische Form bekam: eine mörderische Legende, die von den Nazis nur noch in Dienst genommen werden musste. Der Mythos von der jüdischen Weltverschwörung ist übrigens eines der Merkmale, durch die sich der Antisemitismus vom gemeinen Rassismus oder der gewöhnlichen Fremdenfeindlichkeit unterscheidet.

Fakten richten gegen Verschwörungstheorien nichts aus

Niemand behauptet, die meisten Zeitungen befänden sich fest in der Hand von Ausländern (obwohl das zufällig sogar stimmt), und es gibt keine "Protokolle der Weisen von Mekka". Mit anderen Worten, hier hört der Spaß auf. Oder?
Verschwörungstheorien kann man bekanntlich nicht widerlegen. Wer daran glaubt, dass der 11. September das Werk von George W. Bush war, der heimlich mit dem Mossad zusammengearbeitet hat (übrigens ist dies nichts als eine aufgefrischte Version jener Geschichte, die in den "Protokollen der Weisen von Zion" erzählt wird), den werden Fakten nicht eines Besseren belehren. Er wird weiterhin auf seiner Version der Ereignisse beharren und sich dabei wahnsinnig klug und überlegen vorkommen. Mit Faktenhuberei kommt man den Verschwörungstheorien also nicht bei. Aber vielleicht kann man sie mit ihren eigenen Waffen schlagen?

Die Forrest-Gump-Methode

Bei Verschwörungstheorien handelt es sich um Narrative: um Erzählungen, durch die das Weltganze einen durchschaubaren Sinn erhält. (An alle Übel unter der Sonne sind SIE schuld, wer SIE auch immer sein mögen.) Vielleicht kann man diese Erzählung unterlaufen, indem man ihr eine Gegenerzählung unterschiebt; und diese Gegenerzählung kann natürlich von nichts anderem handeln als von der Entstehung der Verschwörungstheorie selbst. So mag sich Eco gedacht haben, als er "Der Friedhof in Prag" schrieb.
Die Methode, die er in seinem jüngsten Roman benutzt, möchte ich die Forrest-Gump-Methode nennen. Wer den Film gesehen hat, weiß, was gemeint ist: Forrest Gump ist ein liebenswerter Niemand, der zufällig immer gerade an den Schlüsselpunkten der amerikanischen Geschichte der Sechzigerjahre auftaucht (Watergate, Vietnamkrieg usw.) und allen Berühmtheiten jener Epoche über den Weg läuft.

Begegnung mit Freud und Garibaldi

Dasselbe passiert dem Helden von "Der Friedhof in Prag" - nur geht es hier nicht um das 20., sondern um das 19. Jahrhundert. Der Protagonist erlebt also live mit: den nationalen Befreiungskrieg in Italien, den deutsch-französischen Krieg von 1871, die Tage der Kommune in Paris, die Dreyfus-Affäre. Ganz nebenbei läuft er Sigmund Freud, Giuseppe Garibaldi und Alexandre Dumas über den Weg.
Es gibt in dieser Geschichte aber auch ein paar Prominente, die nicht jeder kennt. Den Journalisten Maurice Joly etwa, der eine Satire auf Napoleon III. verfasste, die – obwohl im Text kein einziger Jude vorkommt – später zur Grundlage der "Protokolle der Weisen von Zion" wurde. Ein anderer prominenter Nichtprominenter ist auch der deutsche Romancier Hermann Goedsche, ein wütender Antisemit, in dessen Roman "Biarritz" geschildert wird, wie sich 13 Rabbiner auf dem alten jüdischen Friedhof in Prag treffen, um ihre Ränke zu schmieden.

Der Protagonist hasst Juden

Dann ist da natürlich Pjotr Iwanowitsch Ratschkowski: Chef der "Ochrana", der zaristischen Geheimpolizei in Paris, in dessen Auftrag die "Protokolle der Weisen von Zion" zusammengeschmiert wurden. Die "Protokolle" gaben das Stichwort für schreckliche Pogrome, wurden von den Nazis wie ein Virus rund um die Welt verbreitet und erfreuen sich heute in der islamischen Welt großer Beliebtheit.
Wie gesagt, Eco bedient sich der Forrest-Gump-Methode; aber sein Held ist kein Forrest Gump - also kein Tor mit reinem Herzen, der die Liebe sucht -, sondern das Gegenteil davon. Im Zentrum von "Der Friedhof in Prag" steht ein veritables Monster. Simone Simonini, geboren in Turin, wird seit seiner Jugend von einem extremen Hass verzehrt, den sein Großvater ihm eingepflanzt hat, dem Hass auf die Juden. Er ist verschlagen, böse, hinterhältig. Er bringt im Verlauf der Geschichte mehrere Menschen um.

Frauen als "Ersatz für das einsame Laster"

Er ist (nur dieses deutliche Wort erscheint hier angemessen) ein Wichser: Frauen, schreibt Simonini, seien "bloß ein Ersatz für das einsame Laster, das lediglich mehr Fantasie verlangt". Das einzig Menschliche an diesem Ungeheuer ist seine Verfressenheit, was dazu führt, dass sich als "running gag" allerhand italienische und französische Rezepte durch den Roman ziehen.
Schön arbeitet Eco heraus, dass der Antisemit auf die Juden all das projiziert, was er im Grunde seiner rabenschwarzen Seele selber ist. Erst beschuldigt er die Juden, sie seien gottlos, Feinde des Christentums - um dann ein paar Seiten weiter zu schreiben: "Die Zivilisation wird nicht vollendet sein, solange nicht der letzte Stein der letzten Kirche den letzten Priester erschlagen hat und die Erde frei ist von diesem Gezücht." Erst beschuldigt er die Juden, sie seien vaterlandslose Gesellen – aber er selber kennt keine höhere Loyalität als jene zum Geld.

Ecos Witz vom "Tod des Autors"

Und wenn er die Juden hasst, so kann er die Deutschen, die Franzosen und seine eigenen Landsleute ebenso wenig ausstehen. Am meisten aber hasst er die Frauen. Das ist das banale Geheimnis dieses Simone Simonini: Er traut sich nicht an das andere Geschlecht heran, jetzt hockt er zusammengekrümmt zuhause und rächt sich an der Welt. Just dieses Monster hat in Umberto Ecos Roman als Fälscher im Zwielicht all jene Dokumente fabriziert, die im 20. Jahrhundert zum Massenmord führten (und hat nebenbei die einzige edle Gestalt erschossen, den unglückseligen Maurice Joly, der in der schnöden Wirklichkeit Selbstmord beging).
In dieser Fiktion verbirgt sich ein ziemlich guter Witz. Umberto Eco gehört nämlich – genau wie Roland Barthes und wie sein verstorbener Freund Michel Foucault – zu jenen "poststrukturalistischen" Literaturtheoretikern, die vom "Tod des Autors" sprechen. Gemeint ist damit keineswegs, dass es heutzutage keine Schriftsteller mehr gebe. Gemeint ist vielmehr, dass jedem Schriftsteller, wenn er schreibt, anonyme Mächte die Feder führen, über die er keine Kontrolle hat.

Die Verschwörungstheorie kommt selbst zustandeb

Er schreibt also gar nicht; "es" schreibt ihn. Nun mag man mit Fug und Recht bezweifeln, ob dies für Proust oder Shakespeare gilt, aber es gilt in jedem Fall für die Verschwörungstheorie: Sie scheint beinahe ohne Autor und wie von selbst zustande zu kommen. Der Witz von Umberto Eco besteht darin, dass er sich nun ausgerechnet für die Verschwörungstheorie einen Autor ausgedacht hat. Und damit unterläuft er, wie schon angedeutet, ihr ureigenes Narrativ.
Der Verschwörungstheoretiker ruft: "An allem sind die Juden schuld!" Nein, ruft Umberto Eco zurück: An allen antisemitischen Verschwörungstheorien ist Simone Simonini schuld! Er hat die Szene mit den 13 Rabbinern auf dem Friedhof in Prag fabriziert (und der blöde Goedsche hat sie ihm nur geklaut und in seinen Roman eingefügt)!

"Ich bin doch nicht schon gaga"

Er hat am Ende seines Lebens im Auftrag von Ratschkowski die "Protokolle der Weisen von Zion" zusammengestoppelt! Er, nur er allein hat Katholiken und Sozialisten, Fortschrittliche und Reaktionäre im 19. Jahrhundert mit antisemitischen Lügen versorgt! Die Pointe bildet dann der letzte Satz: "... ich bin doch nicht schon gaga." Wenn nämlich im Verlauf dieses Buches eines klar geworden ist, dann dieses: Simone Simonini fehlen verschiedene Gurken im Glas.
Der Roman wird im einzig angemessenen Ton erzählt, dem Tonfall finsterer Fröhlichkeit. Hier etwa die Überlegungen von Simone Simonini, als er gerade einen Menschen, den er umgebracht hat, durch die Kloake von Paris zerrt: "Jetzt im Nachhinein mache ich mir bewusst, dass der schwierige Teil bei einem Mord das Verbergen der Leiche ist, das muss wohl der Grund dafür sein, warum die Pfarrer davon abraten, außer natürlich im Krieg, wo man die Toten für die Geier liegen lässt."
Übrigens beherrscht Umberto Eco, der 79-jährige Professor für Semiotik, die Techniken der Spannungserzeugung genauso gut wie jeder Groschenheftautor. Man legt das Buch zwischendurch also nur ungern aus der Hand. Bei aller raffinierten Gewitztheit geht es Eco aber um etwas furchtbar Altmodisches. Er verfolgt mit "Der Friedhof in Prag" sogar - horribile dictu - einen hochmoralischen Zweck: Es geht ihm um Aufklärung.   WeLT

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