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Dienstag, 24. April 2018

Was treibt die Afrikaner nach Europa?

Was treibt Afrikaner außer Landes und vor allem nach Europa? Winnie Adukule aus Uganda schrieb ein bemerkenswertes Buch über Afrikaner, die es zur Flucht außer Landes treibt („Flucht“, Verlag Das Neue Berlin, 2016). Sie befragte Menschen, die in Uganda leben und nach Europa gehen wollen. Sie interviewte auch enttäuschte Rückkehrer, Verantwortliche von Flüchtlingseinrichtungen und ausländische Diplomaten im Land. Adukule ist Rechtsanwältin in Kampala/Uganda und hat beruflich mit Flüchtlingen zu tun. Das Buch ist nicht repräsentativ für alle afrikanischen Länder. Aber ähnliche Argumente sind mir auch aus West- und Zentralafrika geläufig. In Westafrika ist es inzwischen eine Art Statussymbol, die Kinder nach Europa geschickt zu haben.

Nicht Armut, Hunger und politische Verfolgung bewegten die Menschen zur Flucht, sondern falsche Erwartungen. Viele Menschen würden ihre Länder verlassen, weil sie die glitzernde Warenwelt des Kapitalismus lockt. Werbung, Filme und bunte Bilder versprechen ein glückliches, zufriedenes Leben.
Sie haben nur einen Wunsch: Sie wollen raus aus Uganda und mehrheitlich nach Deutschland. Die jungen Männer liefen Luftschlössern hinterher. Die meisten Migranten seien Wirtschaftsflüchtlinge, die ihre Illusionen von außen bekommen. Leute, die es bis nach Europa geschafft haben, prahlen, wie gut es ihnen dort angeblich geht. Das geschieht auch, um den Verwandten zu beweisen, dass das Geld, welches sie für die Reise beigesteuert haben, gut investiert ist. Jeder denkt nur noch darüber nach, wie man etwas von dem europäischen Wohlstand abbekommen kann. Der Flüchtlingsstrom würde sich deshalb noch verstärken.

Adukule spricht den Menschen berechtigte Fluchtgründe ab. In den Interviews kommen die Motive für die Begeisterung für Europa und besonders Deutschland zum Ausdruck. Einerseits werde ihnen durch die Medien ein irreales Bild von Europa und den dortigen Chancen vermittelt. Andererseits beschönigten diejenigen, die es dorthin geschafft haben, ihre Lage, um in der Heimat nicht als Verlierer erscheinen zu müssen. Adukule meint, dass es falsch sei, tatenlos zuzuschauen, wie sie in ihr Unglück rennen.

Vorwürfe an die internationalen Geber

Die schlechten wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen in den afrikanischen Ländern seien Folge von Misswirtschaft und Korruption. Dafür seien die einheimischen Politiker verantwortlich. Allerdings richtet sie im Schlusskapitel wie der im Buch zitierte Issac Senyonga auch Vorwürfe an die internationalen Geber. Denn sie wüssten doch, dass das Geld in dunklen Kanälen versickere und in afrikanischen Ländern maßgeblich die Korruption finanziere. Das ist ein vernichtendes Urteil für die Entwicklungshilfe. Wenn Adukule Recht hat, wird mehr Entwicklungshilfe weder Afrika helfen noch die Fluchtursachen reduzieren. Migration aus Afrika wird in Europa keine demografisch bedingten Schwierigkeiten mindern, sondern nur zu anderen und schwerwiegenderen Problemen führen.

In dem Buch kommt auch der Rückkehrer Issac Senyonga, inzwischen Unternehmer in Kampala, zu Wort:
Ich behaupte: Wer 5.000 Euro für Schleuser aufbringen kann, ist kein armer Mensch. Wer eine Familie mit drei, vier, fünf Mitgliedern auf ein Boot bringt, zahlt dafür 15.000, 20.000 Euro. Soviel hat nicht einmal jeder Europäer auf dem Konto.“ 
Und weiter über Afrika:
Ich hasse es, dass den Menschen überall in der Welt das Bild vermittelt wird, Afrika sei arm. Das ist nicht wahr. Wir haben unermessliche Bodenschätze. Wir haben genügend Energie: Sonne und Erdöl. Und das Land ist fruchtbar. Wasser findet sich auch überall. Egal, welchen Samen man auswirft: Alles wächst. Wenn ausreichend Nahrung gedeiht – wo ist dann die Armut? Das heißt, alle unsere Probleme, aller Mangel, sind die Folge von Misswirtschaft. Und diese wiederum Folge der Korruption... Zunächst mal müssten die so genannten Geberländer ihr Verhältnis zu Ländern wie unserem [Uganda] korrigieren. Alle wissen doch, dass hier die Korruption regiert, und trotzdem geben sie unverändert Geld. Warum?.... Die Geberländer müssen Unregelmäßigkeiten öffentlich machen und kritisieren, sie sollten aufhören, aus politischer Opportunität durch die Finger zu schauen.“ 

Von den Befürwortern der Migration aus Afrika nach Deutschland kommt häufig das Argument, dass die Migranten mehr Geld in die Heimat schicken als die Entwicklungshilfe zusammen. Aber dieses Argument ist fragwürdig, es ist eben nur Geld für den Konsum, keine Strukturen, Institutionen, Industrie, Infrastruktur und damit dringend benötigte Arbeitsplätze.
Um sie zu schaffen, müssten die gut Ausgebildeten in ihrer Heimat bleiben. Angesichts der hohen Summen, welche die im Ausland tätigen Afrikaner in die Heimat schicken, entsteht sowohl innerhalb ihrer Familien als auch bei Dritten der Wunsch, selbst ins Ausland zu gehen, oder ein Familienmitglied dorthin zu schicken.
Volker Seitz war von 1965 bis 2008 in verschiedenen Funktionen für das deutsche Auswärtige Amt tätig, zuletzt als Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Äquatorialguinea mit Sitz in Jaunde. Er gehört zum Initiativ-Kreis des Bonner Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe und ist Autor des Buches „Afrika wird armregiert“. Das Buch ist beim Verlag vergriffen. Die aktualisierte und erweiterte Taschenbuchausgabe wird im September 2018 bei dtv erscheinen. Volker Seitz publiziert regelmäßig zum Thema Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika und hält Vorträge.

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