Stationen

Donnerstag, 12. April 2018

Wir waren schon vor 1918 unfähig zu Mäßigung

Eine meiner Lieblingsbeobachtungen von Winston Churchill stammt aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, als der Brite – alles andere als germanophob – in das Kaiserreich reiste, um sich über die hiesige Sozialpolitik zu informieren, die er als ein mögliches Vorbild für das eigene Land betrachtete. In einem Brief an seine Frau hielt er fest, dass praktisch jeder, den er hier traf, entweder ein knallharter Imperialist oder ein überzeugter Sozialist sei. Die ihm aus dem Heimatland gewohnte politische „Schattierung“ vermisste er in Deutschland vollständig. Typisch für sein weltgewandtes Universalgenie bemerkte er noch flapsig, die Farben der preußischen Flagge seien ja passenderweise auch schwarz und weiß. Ein extremistischeres Muster ist unvorstellbar.
Zur Zeit der Weimarer Republik hatten sich die Farben verschoben, aber der Extremismus blieb derselbe: Nun waren es Nationalsozialisten und Kommunisten die sich gegenseitig „in die Fresse“ gaben – um ein Bonmot von Andrea Nahles zu borgen. Konservativ-moderate Politiker, etwa der Zentrumspartei, waren schließlich unfähig, die politische Zentrifuge unter Kontrolle zu halten und den Umsturz der Republik zu verhindern. Auch der deutsche Liberalismus und die Sozialdemokratie konnten die nationalsozialistische Revolution nicht abwenden. Die Waage war entscheidend in eine Richtung gekippt, und das Resultat war ein welthistorischer Feuersturm über Europa, der psychologisch noch bis heute nachwirkt.
Nach dem Krieg wurde der östliche Teil Deutschlands, selbstverständlich mit maßgeblicher Nachhilfe der Sowjetunion, dann vom nationalen zum internationalen Sozialismus umgeleitet, sodass sich der bereits im Volk vorhandene Extremismus quasi nur umzupolen hatte. Aus völkischen Nationalisten galt es nun intervölkische Kommunisten zu formen. Im Westen hingegen passierte etwas Überraschendes. Mithilfe der Nachsichtigkeit der alliierten Kriegsgewinner entstand ein Gemeinwesen, dass sich ganz bewusst für Freiheit, Demokratie, und soziale Marktwirtschaft entschied – Extremisten wie Karl Marx oder Martin Heidegger wurden jetzt über Bord geworfen und es wurde Platz gemacht für letztendlich auf Philosophen wie Cicero oder John Locke zurückgehende Naturrechtsprinzipien, die ihren elegantesten Ausdruck ursprünglich in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung gefunden hatten.

Eine neue Infektion?

Hatte die Bundesrepublik endlich das richtige Gegengift für das deutsche Fieber gefunden, den Hang zum Extremismus, zum Immer-alles-bis-ins-Absolute-zu-Ende-zu-denken, zur Führerbunkermentalität? Es wäre verlockend, diese Frage positiv zu beantworten, allerdings sollte man nicht außer acht lassen, dass Westdeutschland vor der Kulisse des kalten Kriegs freilich auch äußerst natürliche Anreize hatte, den Karren diesmal nicht in den Dreck zu fahren – immerhin drohte die Möglichkeit eines Atomkriegs. Sowas erzeugt Bilder im Kopf, die zu klarem Denken zwingen.
Für letztere These spricht auch, dass sich Deutschland unter der Führung von Angela Merkel wieder infiziert zu haben scheint. Und warum auch nicht? Der alte außenpolitisch-sowjetische Impfstoff hat längst sein Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten. Und deshalb haben wir jetzt eine Kanzlerin, die widerrechtlich ganze Völkerschaften in die deutschen Sozialsysteme einlädt, auf diese Weise halb Europa an den Rande eines Herzkaspers bringt und das Ganze schließlich kommunikativ zementiert, indem sie – gleich einer Marketingkampagne – lächelnd Selfies mit Migranten schießt, von denen sie wissen muss, dass sie um die halbe Welt gehen werden und vor allem ein Signal senden: Mutti hat sturmfrei!
Was ist das für ein neuer Extremismus? Es ist ein ganz seltener – in Europa scheinen ihn sonst nur die Schweden zu kultivieren. Handelt es sich um einen extremistischen Humanitarismus? Eher nicht, denn wer „extrem“ helfen will, würde Flüchtlinge nicht in Länder mit einigen der höchsten Lebenshaltungskosten der Welt schicken und dort versorgen, sondern würde vor Ort helfen, wo jeder Euro wesentlich mehr hilft als am Starnberger See oder in Göteborg. Ein besserer Kandidat für die Fieberhaftigkeit der Kanzlerin ist der Extremismus der Gattung Xenophilie. Hierbei muss es sich ja sozusagen a priori um einen Extremismus halten, denn als unschöne Radikalität wohlbekannt ist uns der Begriff der am anderen Ende des Spektrums angesiedelt ist, nämlich die Xenophobie. Aber auch hier ist acht zu geben, denn Merkels Xenophilie orientiert sich nicht global sondern unheimlich selektiv: Orientalische Christen und weiße Farmer in Südafrika sind Gruppen, die unter starker Verfolgung leiden. Fremde – „Xenoi“ – sind sie uns genauso wie Muslime aus Afghanistan, doch letztere erhalten den Vortritt (und das auch noch trotz eines wirklich nicht sehr eigennützigen deutschen Militäreinsatzes). Auch so wird also kein Schuh daraus.

Ein letzter Versuch gefällig? Ich biete: Sozialdarwinismus. Auch wenn die Kanzlerin sich sicher nicht selbst entsprechend verorten würde, kommt man doch nicht umhin festzustellen, dass ihre Politik genau darauf hinausläuft. Immerhin schickt Mutti keine Flugzeuge nach Somalia, um dort die „Ärmsten der Armen“ aufzusammeln und zu versorgen und nach Europa zu bringen. Täte sie dies, würde selbst ein Bettvorleger wie Horst Seehofer zeitnah den inneren Brutus in sich zu spüren beginnen. Also hat Merkel sich für die Politik des passiven Magneten – oder auch: grenzenloser, internationaler Sozialstaat – entschieden. Der zieht etwa in Afrika aus aller Herren Ländern Migranten an, die physisch in der Lage (und auch gesund und finanziell entsprechend ausgestattet) sind, geradezu unmenschliche Distanzen zu überwinden, inklusive der gefährlichen Überquerung des Mittelmeers. Auf solchen Reisen bleiben die Schwächsten der Schwachen außen vor, z.B. ältere Menschen mit gesundheitlichen Problemen und wenig Kraft. Frauen drohen auf solchen Trecks Vergewaltigungen und sogar die Versklavung. Hier herrscht das Recht des Stärkeren und nicht die von Merkel so gerne beschworene „Stärke des Rechts“.
Hat eigentlich irgendeiner unserer Qualitätsjournalisten die Kanzlerin mal danach gefragt, warum sie eine quasi-sozialdarwinistische Migrationspolitik betreibt? Sie, verehrte Leserschaft, kennen die Antwort. Denn bei dem ganzen Schlamassel ging es nie um die zu engelsgleichen Wesen hochgejazzten Migranten. Es ging von Anfang an um die Erbauung und Erhöhung des deutschen Gewissens. Und damit hätten wir dann auch unseren aktuellen Extremismus erkannt. Ich taufe ihn auf den Namen: Moralische Masturbation.
Moritz Mücke studiert Politik an der Graduiertenschule des Hillsdale College in Michigan. 2015 war er ein Publius Fellow am Claremont Institute.

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