Stationen

Montag, 4. Juni 2018

Kneif mich!

Wie viele Oppositionsfraktionen gibt es eigentlich im Bundestag? Was auch immer die Zählung ergibt,  die Grünen können unmöglich dazugehören. Eine der größten politischen Affären der Bundesrepublik entfaltet sich gerade vor den Augen der Öffentlichkeit, die größte Affäre der Ära Merkel allemal. Der Skandal betrifft nicht nur das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, sondern mehr noch das Kanzleramt, und er enthält alle Zutaten einer Staatskrise: Lügen, Vertuschung, Rechtsbruch, vermutlich auch noch institutionalisierte Korruption angesichts der 42 Millionen Euro, die McKinsey dafür bekommen hatte, das BAMF zu einer Durchwinkbehörde umzubauen.
Und die Grünen, nach eigner Behauptung Opposition? Sie sperren sich gegen einen Untersuchungsausschuss mit der Begründung, jetzt sei die Fehlerbehebung im BAMF nötig, und die müsse schnell passieren, ein Untersuchungsausschuss dauere dafür zu lange. Das ist ein so unfassbar dämliches Argument, dass ein Bürger schon ein/e Einfaltspin_*selin  mit drei Gendersternchen sein müsste, um es nur eine Sekunde ernst zu nehmen. Um das BAMF wieder zu einer nach Recht und Gesetz arbeitenden Behörde zu machen, braucht es nicht viel. Der Blick in das Asylgesetz und die Verfassung genügen, insbesondere in den Artikel 16.2, darüber hinaus in die Dublin-Regelungen, von denen der Europäische Gerichtshof vor kurzem festgestellt hatte, das sie nach wie vor gelten. Das andere ist die Aufklärung der Migrationskrise durch das Parlament. Beides ist nötig. Dass das eine das andere behindern würde, glaubt ja noch nicht einmal Katrin Göring-Eckardt selbst. Und sie ist immerhin eine Frau, die Reden an Hummeln und Bienen richtet.
Im Reichstag heißt es bei den Grünen und den offiziellen Regierungsparteien in Hintergrundgesprächen – also wenn niemand daraus zitieren darf – ein Untersuchungsausschuss dürfe keinesfalls kommen, weil er nur der AfD nutzen würde. Parbleu! Ein Untersuchungsausschuss eines Regierungsskandals nutzt der Opposition! Und dann womöglich noch der stärksten Oppositionspartei! „Gefährlich für die Demokratie“, würde Caroline Fetscher vom Tagesspiegel sagen und schreiben. Irgendwas sollte jetzt abgeschafft werden, am besten gleich in einem Aufwasch mit der deutschen Autoindustrie: Entweder das Instrument des Untersuchungsausschusses, solange sich die Grünen nicht wirklich in der Opposition befinden, oder das Recht mutmaßlich später oppositioneller Parteien, bei Bundestagswahlen anzutreten. Gleich beides zu beseitigen wäre natürlich am idiotensichersten.

Am Wochenende meldete sich übrigens der ehemalige und seinerzeit vom Kanzleramt direkt eingesetzte BAMF–Leiter Frank-Jürgen Weise mit der Mitteilung, er habe Merkel über die chaotischen Zustände eines völlig überforderten Amtes informiert. Als er am 18. September 2015 angetreten sei, habe er eine miserabel organisierte Behörde vorgefunden. Alle Unterlagen, die dem Autor dieser Zeilen vorliegen – und es sind eine Menge – zeigen im Gegenteil ein Bundesamt, das bis zum September 2015 nicht perfekt funktionierte, aber leidlich. Chaotisch ging es erst zu, als nach der Grenzaufreißung durch die Kanzlerin persönlich pro Tag im Schnitt 10 000 Migranten und mehr ins Land strömten, von denen niemand wusste, wer sie waren und woher sie kamen. Bekanntlich flackerte damals ganz kurz die Idee auf, gleich an der Grenze Transitzentren einzurichten, um den Strom halbwegs zu ordnen und wenigstens Menschen aus den Westbalkanstaaten sofort zurückzuweisen. Das scheiterte, wie jeder in den Archiven nachlesen kann, an der SPD, den Grünen, den wohlmeinenden Qualitätsmedien und an Merkel selbst. Es war Frank-Jürgen Weise, der  – um die weitere Funktionsfähigkeit des Amtes mit angeblich schnellen Erledigungszahlen vorzutäuschen, das Papierverfahren erfand: Insbesondere alle, die von sich behaupteten, Syrer zu sein, wurden massenhaft ohne Überprüfung und ohne Anhörung als subsidiär Schutzberechtigte anerkannt. Als der damalige Innenminister Thomas de Maizière ganz kurz Widerspruch anmeldete, fuhr ihm Kanzleramtsminister Peter Altmaier öffentlich über den Mund. Wie viele Migranten nur per Selbsterklärung einen Schutzstatus bekamen, konnte das Bundesinnenministerium in der vergangenen Woche nicht beantworten. Die Zahl ist jedenfalls sechsstellig.
In Edgar Allen Poes Erzählung „The Purloined Letter“ geht es um einen geheimen, kompromittierenden Brief, den eine mächtige Person in Paris gut versteckt hält. Das glauben jedenfalls diejenigen, die Zimmer für Zimmer nach geheimen Wandverstecken und verborgenen Fächern in Möbeln durchsuchen. Tatsächlich steckt der Brief dort, wo sie ihn nicht suchen und nie vermutet hatten: ganz offen in der Briefablage auf dem Schreibtisch. Auch in Merkels Affäre gibt es diesen purloined letter. Jeder kann sich die Sendung vom 7. Oktober 2015 im Archiv anschauen, in der Merkel sich eine Stunde lang bei Anne Will erklärt.
In dieser Stunde redet sie völlig wirre Sätze über die Migrationsbewegung, die sich gerade vollzieht („ich mag mein Land, aber nicht nur ich mag mein Land, Millionen andere mögen diese Land“), aber sie stellt auch folgendes fest:
  1. Deutschland kann die Migration sowieso nicht stoppen („es liegt doch nicht in meiner Macht, wie viele kommen“)
  2. Grenzen zu kontrollieren ist völlig sinnlos („Grenzschließung, wie soll das gehen?“; „wir können ja in Ungarn sehen, was passiert, wenn man einen Zaun baut, dann suchen sich Menschen eben andere Wege“)
  3. Planung für die Zukunft ist nicht nur entbehrlich, sondern auch objektiv unmöglich („einen Plan kann ich nur geben, wenn ich einen Plan habe“, „es gibt viele, die sagen, ich weiß nicht, was morgen ist. Ich weiß es auch nicht“)
  4. Es handelt sich durchweg um „Flüchtlinge“, „Menschen, die in Not sind“, Menschen, „die um ihr Leben rennen“ – von der EU-Außengrenze nach Deutschland – Merkel stellt also praktisch allen, die kommen, schon vorab die Bescheinigung aus, es handele sich um Flüchtlinge. Zwar betont sie immer wieder, alle, die aus „wirtschaftlichen Gründen“ kämen, müssten wieder gehen. Aber aus wirtschaftlichen Gründen kam ja praktisch jeder vom Westbalkan und aus dem Maghreb. Nur eine Minderheit der Migranten stammte damals überhaupt aus Syrien.
  5. Folglich musste bei der dann folgenden BAMF-Politik massenhaft durchgewunken werden, um Merkel nicht Lügen zu strafen.
  6. Aber schließlich sagt sie auch einen Satz, der ihr gar nicht oft genug vorgehalten werden kann: „Die politische Steuerung muss im Kanzleramt erfolgen.“
Das Gespräch fand, wie gesagt, am 7. Oktober statt. Einen Tag vorher. Am 6. Oktober, hatte sie die Bestellung ihres Kanzleramtsministers Peter Altmaier zum „Flüchtlingskoordinator“ ernannt. Die politische Verantwortung lag also nach ihren eigenen Worten bei ihr, im Kanzleramt. Ein Untersuchungsausschuss könnte sich eigentlich damit begnügen, alles aus den Rundfunkfunk- und Pressearchiven seit 2015 zu den Akten zu nehmen.

Was gab es in dieser Woche noch? Unter anderem die Meldung: „Bundesregierung fordert Aufklärung“. Gemeint ist der Agentenkrimi in der Ukraine.
Und: Polen will einen Großflughafen bauen. Qualitätsmedien, die es hier schon länger gibt, freilich mit sinkenden Auflagenzahlen, zitierten umgehend polnische Kritiker: So ein Flughafen sei in Polen doch überflüssig, in Kürze eröffne doch der BER in Berlin. An dem Sonntag, als die Meldung erschien, stellte der Hamburger Flughafen wegen Stromausfall seinen Betrieb vorübergehend ein.

Noch ein letztes: auch wenn der Server des Deutschen Bundestages so langsam arbeitet  wie der kommende Merkel-Untersuchungsausschuss: es ist höchste Zeit, die Petition 2018 jetzt zu zeichnen.    Wendt

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.