Stationen

Dienstag, 3. Juli 2018

Die Dinge zuende denken!

Dies gilt jedenfalls für den unerwarteten Aufschwung, den unsere eigene Bewegung im letzten halben Jahrzehnt erfuhr. Gerade die verantwortlichen Köpfe haben nicht etwa Blut geleckt, ihnen ist schwindlig. Sie können kaum fassen, was ihnen da nach jahrzehntelanger Bedeutungslosigkeit widerfahren ist.
Die erste Reaktion ist eine Mäßigung der eigenen Ansprüche und eine Anpassung an den Jargon der plötzlich wie Pilze aus dem Boden sprießenden Bürgerproteste. Diese Anpassung sollte man nicht mit Opportunismus verwechseln.
Sie hat mehr von einem Spieler, der, nach langer Pechsträne, doch wieder gewonnen hat und auf nichts mehr hofft, als das Kasino zu verlassen, sobald er für den Abend in etwa bei Null herausgekommen ist: sicherlich vernünftiger als die Bank sprengen zu wollen.
Doch auch dieser Spieler sitzt an einem Tisch, dessen Regeln dazu gemacht sind, daß er auf lange Sicht verlieren muß. Radikalität im Sinne eines An-die-Wurzel-Gehens ist der Mut und die Anstrengung zu begreifen, wie das Spiel aufgrund welcher Regeln funktioniert. Radikalität bedeutet nicht, um der Grandezza willen das gewagteste Blatt zu spielen. Und erst recht nicht Maulheldentum am Bartresen.
Inzwischen aber wird das rechte Lager zunehmend vom Sprachgebrauch der Demonstrationen dominiert. Es ist zwar ein gutes Zeichen, daß sich etwas bewegt, aber es ist sehr gefährlich, wenn niemand mehr dagegen hält. Denn machen wir uns nichts vor: Es hat selten etwas so verwirrtes gegeben, wie diese seit PEGIDA entstandene Protestkultur.
Das ist niemandem zum Vorwurf zu machen. Was die Leute fünfzig Jahre nach 68 auf die Straße treibt ist nicht radikale Theorie, sondern das Entsetzen darüber, daß ihre Welt um sie herum zerbröselt.
Deshalb hört man nirgendwo so oft die Worte „Grundgesetz“, „Demokratie“ und „Freiheitlich-Demokratische Grundordnung“, wie auf diesen Protesten. Das ist nicht, wie böswillig unterstellt wird, zynisches Mimikry von Verfassungsfeinden, sondern Ausdruck der Hilflosigkeit: Angesichts einer unverstandenen Katastrophe werden die gewohnten Formen beschworen und diejenigen verflucht, deren Boshaftigkeit man persönliche Schuld an deren Zerfall zurechnet.
Ich will nicht weiter Leute mismachen, die, erst vor kurzem durch die Gewalt der Umstände politisch geworden, ihre Wut in den gewohnten Geleisen auf das sichtbarste Ziel richten. Und ganz ehrlich: Die „Merkel muß Weg“-Sprechchöre haben etwas von Volksgesundheit.
Volksgesundheit ist das Erste und Wichtigste, was von einem Straßenprotest erwartet werden kann. Wer von den Eindrücken und Gedankenfetzen, die die Leute auf die Straße treiben, verlangt, daß sie einem akademischen Prüfungsausschuß standhalten, verkennt den Geist der Straße.
Doch zwischen demjenigen, der sich Feierabend und Wochenende um die Ohren schlägt, weil er sieht, daß es mit diesem Land so nicht weitergeht, und demjenigen, der es auf sich genommen hat, dem Volk zu erklären, warum es so nicht weitergeht, besteht ein Unterschied der intellektuellen wie der politischen Verantwortung.
Daß Demonstrationen sich an Ereignissen wie einem aufsehenerregenden Mord entzünden, ist natürlich. Und es ist ebenso nur menschlich, wenn Bürger, die durch die Ereignisse welche auf den Herbst 2015 folgten, gerade erst politisch aufgewacht sind, angesichts der Zustände zuerst nach den Politikern suchen, die ihnen ihre Demokratie, ihre Bundesrepublik, ihre Rechtsstaatlichkeit doch vor allem ihr Deutschland genommen haben.
Aber wenn: „Merkel hat die Grenzen geöffnet, das war illegal und grundgesetzwidrig“, alles ist, was wir zu sagen haben, dann ist das eine geistige Bankrotterklärung, der die politische früher oder später folgen wird.
Wer das Grundgesetz jemals zur Hand genommen hat weiß, daß es sich hierbei um ein Rechtsdokument handelt, welches die Grundrechte des Individuums (und zwar unabhängig von Herkunft oder Staatsangehörigkeit) über das deutsche Volk stellt. Vor allem dann, wenn wir Volk im Sinne des Ethnos und nicht des Demos auffassen.
Es gibt eine sehr aufschlußreiche Ausnahme: Das Grundgesetz sieht eine Reihe von Möglichkeiten vor, dem Feind der Verfassung oder auch nur der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ die politische Betätigung zu erschweren oder gänzlich zu untersagen (Art. 5; Art. 8; Art. 9; Art. 18; – Art. 20 Abs. 4 ist auch in diesem Sinne gemeint, als letzte Verteidigungslinie hinter den oben genannten).
Auf uns Heutige wirkt das, als hätte Anetta Kahane das Grundgesetz verfaßt. Doch versetzen wir uns für einen Moment nach Herrenchiemsee im Jahre 1948. Wenn die Väter des Grundgesetzes sich die Frage stellten, gegen welche Art von Feind ihre neue Staats- und Rechtsordnung gewappnet sein müsse, da dachten sie notwendigerweise an einen Agitator.
Niemand hatte die Möglichkeit heutiger Anarcho-Tyrannei im Blick. Die Idee, daß der Rechtsstaat einfach unter der Last der von ihm garantierten Individualrechte, genauer den damit verbundenen Verfahrenspflichten zusammenbrechen könnte, kam niemandem. (Allenfalls Carl Schmitt dachte zumindest an ähnliche Szenarien.)
Und das galt nicht nur für das besetzte Deutschland, sondern für die ganze westliche Welt. Was heute Alltag ist, stand damals außerhalb des Erfahrungshorizontes. Die Debatte über den Schutz von Demokratie, Staat und Recht drehte sich um die Frage, die jeder von uns noch im Gemeinschaftskundeunterricht kennen lernte: Unter welchen Umständen kann ein demokratisches Gemeinwesen zum eigenen Schutz seinen Bürgern welche politischen (!) Rechte entziehen?
Der Westen ist deshalb weder rechtlich, noch moralisch, noch intellektuell auf die gegenwärtige Situation vorbereitet, in der ihn die Bevölkerungsexplosion der Dritten Welt mit Individualrechten überflutet. Nur deshalb konnten auch die tatsächlich ideologischen Multikultis, die Marke Claudia Roth – die von den Funktionseliten ja gar nicht für voll genommen wird – solchen Erfolg haben: Als Hohepriester des sowieso Unvermeidlichen.
Um dies zu ändern müssen die derzeitigen Eliten ausgetauscht werden, ja, aber das nützt nichts, wenn die Nachfolger letztlich in den gleichen Schablonen denken, allenfalls häufiger über Recht und Ordnung reden.
Merkel hat die Grenzen nicht geöffnet, weil sie für Multikulti wäre. Die Frau ist für überhaupt nichts, außer dafür, noch als Mumie im Kanzleramt zu sitzen. Die Frage, die 2015 die Grenzschließung verhinderte, war die Innenminister de Maizières: „Was geschieht, wenn 500 Flüchtlinge mit Kindern auf dem Arm auf die Bundespolizisten zulaufen?“ (zit. n. Robin Alexander: Die Getriebenen S. 23)
Die Antwort war schließlich, daß für jeden, der sich auf das Asylrecht berief, ein Verfahren eröffnet wurde, irgendwann, sobald die behördlichen Kapazitäten es zuließen. Bis dahin darf der Asylbewerber selbstverständlich bleiben und wird versorgt.
Dieses Muster, die Kombination individueller Rechte, die unbeachtet jedem beliebigen Menschen zugestanden werden, mit behördlicher Überlastung ist die Katastrophe, die schon vor 2015 im Gange war und sich seither immer häufiger wiederholt. Vor kurzem teilte die Staatsanwaltschaft Hamburg mit, daß in den nächsten drei Monaten Bagatelldelikte nicht mehr geahndet werden. Das hat nichts mit Gutmenschentum zu tun. Es gibt einfach zu viele Verbrechen und zu wenig Personal.
Und woher sollte der Staat neues Justizpersonal denn nehmen? Etwa „Fachkräfte“ einstellen? Ohne ordentliches Verfahren darf man allerdings niemanden verurteilen, auch dann nicht, wenn der Täter zu einer Bevölkerungsgruppe gehört, die die so viele Verbrechen begeht, daß die Justiz nicht mehr hinterherkommt und die Polizei im Alltag kapituliert.
Radikal zu sein bedeutet heute, an die Wurzel dieses Übels heranzugehen. Die ist nicht so kompliziert, daß die Zusammenhänge breiteren Schichten nicht zu vermitteln wäre. Die Geschichte mit den Treibhausgasen und dem Klimawandel war komplizierter: Der Schwachpunkt unseres Rechtsstaates, der uns sehr teuer ist, gerade heute, wo wir die Alternative zu ihm zu spüren beginnen, ist sein Ressourcenverbrauch. Wir dürfen nicht zulassen, daß er von der halben Welt in Anspruch genommen wird.
Wir dürfen nicht zulassen, daß unser Volk, unser Staat und unser Recht Selbstmord begehen, weil die Massen der Dritten Welt sie mit ihren Menschen-, Grund- und sonstigen Rechten bombardieren!
Es ist nicht nur verständlich, sondern auch richtig, daß sich der Zorn der Straße gegen die Windbeutel richtet, die derzeit über dem Großen Austausch das Präsidium führen.
Es ist nicht nur verständlich, sondern auch notwendig, wenn sich Parteipolitiker in ihren Äußerungen zumindest soweit innerhalb des gegebenen Rahmens halten, daß ihre Partei nicht verboten wird.
Aber so zu tun, als ob allein die Boshaftigkeit oder Dummheit der Multikultis und der Regierung Merkel die Ursache allen Verderbens wäre, man also nur die politischen Köpfe auswechseln müßte, das wird allerspätestens dann zur Sackgasse, wenn wir sie eines Tages von der Macht verdrängt haben und damit die Erbschaft ihrer strukturellen Probleme antreten.
Bis zu diesem Zeitpunkt muß ein gedankliches Gerüst stehen und eine Erzählung verbreitet sein, die es überhaupt erst ermöglichen werden, die gewonnene Machtstellung in eine neue Politik umzumünzen. Wenn dies nicht gelingt, dann wird man lediglich einige Angstreaktionen auf den Großen Austausch hervorbringen, die gegen die immer noch herrschenden Moral und Rechtsvorstellungen verstoßen und deshalb angreifbar sein werden.
Eine konsequente Politik zu seiner Abwendung wird so nicht möglich sein. Wir sehen dies heute in den Vereinigten Staaten unter Trump, wo selbst moderate Beschränkung illegaler Einwanderung hart erkämpft werden muß, während selbst ein Ende aller illegaler und legaler Einwanderung nicht mehr verhindern könnte, daß weiße Amerikaner zu Minderheit im eigenen Land werden.
Eine solche Situation für Deutschland zu verhindern, ist die Verantwortung des politischen Intellektuellen in unserer Zeit und jeder Bewegung, die sich als metapolitische Speerspitze begreift.  Poensgen

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