Stationen

Samstag, 28. Juli 2018

z.B. Reinhard J. Brembeck

... Wagner "durch den Wolf des Feminismus drehen", das ist kaum mehr als ein update des bekannten "Eulen nach Athen tragen". Wenn man den marxistischen Bibelsatz beim Worte nimmt, dass sich der Grad der gesellschaftlichen Emanzipation am Grad der Emanzipation der Frau offenbare, steht Wagner zumindest als ein Prä- oder Protofeminist vor uns. Seine großen Frauenfiguren brechen radikal mit allen Konventionen. Das beginnt mit Senta, die zwar weder primär noch "partout aus der patriarchalischen Welt des Vaters raus", sondern zuvörderst den Ahasver der Meere von jenem Fluch erretten will, den ihm der (oder die?) Leibhaftige aufbürdete, aber da die wenigsten Weiber heutzutage noch einen echten fliegenden Holländer kennenlernen, geht diese Deutung schon in Ordnung. Exakt jenem Muster folgt auch Elisabeth, die Tochter des Landgrafen im "Tannhäuser", die ebenfalls ihren sozialen Käfig zerbricht, um die Titelfigur vor ewiger Verdammnis zu retten. (Dass bei Wagner die Männer immer von den Frauen "erlöst" werden müssen, hängt damit zusammen, dass er nur einssechzig groß war, aber solche Kathedralen tonsetzen konnte.) Die Isolde der Überlieferung, eine eher passive und sogar grausame Gestalt – sie schiebt ihre Dienerin Brangäne in der Brautnacht dem Marke unter und lässt sie danach als Zeugin beseitigen –, emanzipiert Wagner zur selbstbestimmt handelnden Hohen Frau. Sieglinde emanzipiert er zum Bruch ihrer Zwangsehe, Brünnhilde zur Auflehnung gegen Göttervater Wotan. Am Ende der "Götterdämmerung" ist es bezeichnenderweise das Wotanskind und "wissend" gewordene Weib, das den Nekrolog auf die untergehende alte Welt hält. "Meine ganze Politik ist nichts weiter als der blutigste Haß unsrer ganzen Civilisation, Verachtung alles dessen, was ihr entsprießt, und Sehnsucht nach der Natur", notierte der Dichterkomponist im Dezember 1851, "nur die furchtbarste und zerstörendste Revolution kann aus unsern civilisirten Bestien wieder ‚Menschen’ machen".
Die revolutionäre Befreiung zum Natürlichen ist bei Wagner ohne die Befreiung der Liebe aus den Banden der bürgerlichen Konventionen nicht zu haben. Nahezu jedes seiner Werke preist die freie Liebe. Im ersten Akt der 1870 uraufgeführten "Walküre" setzte der Revoluzzer seinem bürgerlichen Publikum den leidenschaftlichen Inzest eines Geschwisterpaares vor; dagegen sind die angeblichen Bürgerschrecks des Regietheaters bräsige Konformisten (mal ganz davon abgesehen, dass Wagner 1848 tatsächlich auf den Barrikaden gestanden hatte). Immer sind Wagners weibliche Figuren ihren männlichen Pendants geistig-sittlich mindestens ebenbürtig. "Ich bin nur Brünnhildes Arm", versichert Siegfried. Dasselbe könnte im "Lohengrin" Graf Telramund von sich sagen, der wie eine Marionette am Willen der dämonischen Ortrud hängt. Dasselbe müsste sogar Wotan von sich sagen, der Obergott, der von wem dominiert wird? Natürlich von seinem Weib Fricka, als Vollstreckerin "heil’ger Verträge" (neudeutsch: struktureller Gewalt, also männlich konstruiert, aber immerhin...) Und sogar die eher schlichte Eva aus den "Meistersingern" schreibt in ihr Parship-Profil, die Altersobergrenze der Freier betreffend:
"Ei was, zu alt! Hier gilt’s der Kunst:
Wer sie versteht, der werb’ um mich!"
(Wer nicht, der nicht; bitter für Brembeck.)
All diesen Frauenzimmern eignet, mit der schönen Formulierung Thomas Manns, "ein Zug von Edelhysterie". Wagners Frauenfiguren sind psychisch hochproblematisch, bis zum Starrsinn selbstbewusst, auf beängstigende Weise opferbereit, Emanzen, Blaustrümpfe, Mannweiber. Der letzte Essay, den Wagner schrieb und über dem er starb, trägt übrigens den Titel "Über das Weibliche im Menschen", der letzte Satz, den er zu Papier brachte, lautete: "Gleichwohl geht der Prozeß der Emanzipation des Weibes nur unter ekstatischen Zuckungen vor sich." Man würde Wagner nicht sonderlich fehlinterpretieren, wenn man ihn als Frauengleichsteller und im Jahrhundert fehlgegangenen 68er bezeichnete. Der scharfsichtige Nietzsche witterte übrigens schon, worauf das alles einmal hinauslaufen werde: "Haben Sie bemerkt, dass die Wagnerischen Heldinnen keine Kinder bekommen? Sie können’s nicht... Siegfried ‚emancipirt das Weib’ – doch ohne Hoffnung auf Nachkommenschaft."... MK am 26. 7.

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