Stationen

Dienstag, 10. Juli 2018

Vor 5 Jahren schrieb die WeLT sehr richtig:

Angela Merkel hat kein Gefühl für Europa, meint Peer Steinbrück. Der muss es ja wissen. Seine Partei hat das Gefühl für Europa lange Zeit ebenfalls missen lassen, etwa 1981, als die Polen den Aufstand probten und man das in der SPD egoistisch fand, weil es doch auf Frieden mit der Sowjetunion ankam. Mal ganz zu schweigen von all den Jahren, in denen man vergessen hatte, dass ein großer Teil Europas am 8. Mai 1945 mitnichten befreit worden war. Ist eben schwierig, die Sache mit Europa.

Andererseits ist die Frage durchaus berechtigt, ob Angela Merkels Herkunft etwas mit ihrer Politik zu tun hat. Man muss ja nicht so weit gehen wie manch einer im Blogger-Untergrund, der die Kanzlerin als „IM Erika“ führt. In Dichter- und Denkerkreisen sagt man’s vornehmer: Als FDJ-Sekretärin lerne man nun mal „Opportunität und Anpassung“ (Günter Grass).

Werden wir also von der SED regiert? Für Verschwörungstheoretiker und Krimi-Autoren ist das ausbaufähiger Stoff: Angela Merkel eine Schläferin, der es gelungen ist, mithilfe einer Untergrundarmee ehemaliger Stasi-Leute und mit dem verschwundenen SED-Bimbes im Kreuz die Bundesrepublik Deutschland in eine DDR light zu verwandeln.
Ist die Bundesrepublik eine DDR light?

Steilvorlage für einen weltbestsellerverdächtigen Thriller. Altbundeskanzler Helmut Kohl könnte man dabei eine besonders pikante Rolle zuschreiben: War der Preis für die Wiedervereinigung (und für das Beschweigen der Parteispendenaffäre) womöglich – Angela Merkel?

Was da durchs Internet geistert und in mancher Buchpublikation anklingt, ist albern. Einerseits. Andererseits: Irgendwie ist der Gedanke faszinierend, sich Angela Merkel als realsozialistische Einflussagentin vorzustellen.

Nicht die BRD, hieße das ja wohl dann, hat die DDR angeschlossen, sondern es war umgekehrt: Das kapitalistische Westdeutschland marschiert unter Führung einer Kanzlerin der sozialen Wärme peu à peu in Richtung Sozialismus, „mit menschlichem Antlitz“, natürlich.

Die Wirklichkeit dürfte prosaischer sein. Ja, in Merkels Regierungsstil findet sich einiges an alter DDR. Ihr „alternativlos“ hat etwas ausgesprochen Totalitäres, ihre Unterstützung „wissenschaftlicher“ Eliten, die Demokratie störend finden, wenn es um die wirklich großen Dinge der Menschheit geht, erinnert an „die Partei hat immer recht“.

Und ihr Faible für Gattungsfragen – vom Kampf gegen „Klimawandel“ über die „Energiewende“ bis zur „Euro(pa)-Rettung“ – könnte man als Erbe der Arbeiterbewegung sehen, die sich stets als Stellvertreterin der Gattung auf Erden gefühlt hat.

Merkel verbirgt ihr Faible für die großen Fragen gerne hinter Pragmatismus, und es ist sogar möglich, dass sie die großen Fragen weit weniger interessieren als die (Symbol-)Politik, die man damit betreiben kann. Aber wer in der DDR erzogen worden ist, kennt die Unterordnung der Einzelfragen und -interessen unter das große Ganze. Demokratiedefizit der EU?

Egal – Hauptsache, wir bringen das große Werk voran. Ähnlich in allen anderen Fragen. Energiewende auf Deubel komm raus, egal, ob die Rahmenbedingungen stimmen? So sieht echte Planwirtschaft aus. Von der DDR lernen heißt siegen lernen?
Sie sozialdemokratisierte die CDU, die Wähler mögen’s

Angela Merkel besiegt Deutschland – das ist ohne Zweifel pikant. Doch hier wie dort erklären weder Verschwörungstheorien noch neue Erkenntnisse über Merkels DDR-Vergangenheit das wahre Phänomen: dass Angela Merkel mit ihrer Politik der Sozialdemokratisierung der CDU bei den Wählern ankommt.

Während es im Osten Deutschlands noch Menschen geben dürfte, die sich an die Nachteile des Systems erinnern, fährt man im Westen Deutschlands jetzt erst recht in breiter Front auf die alten sozialistischen Errungenschaften ab: Gleichheit und Gerechtigkeit sind höchste Werte, Planwirtschaft ist prima, solange sie dem Guten (wie einer Energie“wende“) dient.

Und damit der Staatssozialismus blüht, fordern auch diejenigen höhere Steuern, die noch nicht gemerkt haben, dass sie mit ihrem bescheidenen Wohlstand die „Reichen“ sind, die von den Blockparteien im Parlament ordentlich gemolken werden sollen.

Die Lehre von Klassenkampf und Umverteilung braucht hierzulande schon lange keine Einflussagenten mehr. Die haben ihren Job im Übrigen weit vor Angela Merkels langem Marsch an die Macht erledigt.

All die Lehrer, die in den 70er- und 80er-Jahren als GEW-Studenten in die DDR gereist sind, um dort Ganztagskindergärten, Vollzeit arbeitende Muttis und polytechnischen Unterricht kennen- und preisen zu lernen, sind mit jeder Menge ideologischer Botschaften im Gepäck nach Hause zurückgekehrt.
Intellektuelle und Lehrer sind Fans der DDR geblieben

In den Seminaren der geisteswissenschaftlichen Fakultäten der Universitäten war es üblich gewesen, zur „soziokulturellen Grundlegung des Stoffes“ günstig zu erwerbende Werke aus der DDR zu studieren.

Es brauchte keine Angela Merkel, um Intellektuelle von den Vorzügen der DDR beziehungsweise eines ähnlichen Wirtschafts- und Gesellschaftssystems zu überzeugen. Noch 1989 erklärten sie sich massenhaft gegen eine Wiedervereinigung, man hatte sich ja so an die DDR als das „bessere Deutschland“ gewöhnt.

Diejenigen, die vor triumphierendem Stolz auf das westliche System warnten, waren die gleichen, die den Anschluss der DDR an die Bundesrepublik für fatal hielten. Die anderen wussten schon früh, wie nützlich es sein könnte, die Deutschen sich nicht allzu sehr freuen zu lassen, denn schlechtes Gewissen erzeugt Steuerbereitschaft.

Das Selbstbild der Deutschen ähnelt heute in vielem dem Zerrbild, das in der verflossenen DDR von Westdeutschland entworfen worden war: Sie empfinden ihr Land als eines der sozialen Kälte, denken antikapitalistisch und antiamerikanisch und ziehen die Gleichheit der Freiheit vor.

Hätte Angela Merkel einen Auftrag der untergegangenen SED zu erfüllen gehabt, wäre sie gewiss des höchsten DDR-Ordens gewiss: Soll erfüllt. Aber das brauchte sie gar nicht. Sie hatte und sie hat jede Menge willige Vollstrecker.

Was Europa betrifft: Deutschland ist das einzige Land, dessen Bewohner sich wünschen, in einem vereinten Europa auf- und zur Not auch unterzugehen. Welchen Traum von Europa träumt eigentlich Peer Steinbrück?

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