Stationen

Sonntag, 30. Dezember 2018

Annäherung

Was hat Sie veranlasst, sich an die Übertragung dieses Werks zu wagen?
Das Gefühl, das Werk müsste neu übersetzt werden, hatte ich schon seit längerem. Denn wenn man spanischsprachige Literatur übersetzt, stößt man in nahezu jedem Werk auf ein Zitat aus dem Quijote. Als Übersetzer schaut man sich dann die gängigen Übersetzungen an und stellt fest, dass das, worauf der Autor Wert gelegt hat, in der Übertragung nicht richtig herauskam. So hatte ich öfter von der Notwendigkeit einer Neuübersetzung gesprochen, ohne dass ich daran gedacht hätte, dass ich selbst das tun sollte.
Dann kam vom Hanser Verlag der Vorschlag, diese Arbeit in Angriff zu nehmen. Am Anfang war ich etwas erschrocken. Aber als ich dann ein Kapitel versuchsweise übersetzt hatte, war ich gebannt von der Arbeit. Ich bemerkte nämlich, dass sich der ganze Roman im Grunde um nichts anderes als die Sprache dreht. Und das ist für Übersetzer natürlich ein kleines El Dorado. Der gesamte Roman handelt eigentlich nur davon, wie sich zwei völlig unterschiedliche Gestalten – Don Quijote und Sancho Panza –, die völlig verschiedenen Gesellschaftsschichten entstammen, in Gesprächen einander annähern. Und wie sie sich immer besser verstehen, aber auch missverstehen, wie sie einander parodieren und nachahmen – all das zeigt Cervantes durch das Medium der Sprache. Hinzu kommt natürlich der enorme Figurenreichtum – alle Protagonisten haben eine eigene Stimme. Nimmt man dann noch die ganzen Sprach- und Wortspiele und die Sprichwörter hinzu, ergibt sich ein ungeheures Spielfeld für die Sprache. Aber vor allem das Verhältnis zwischen Don Quijote und Sancho Panza hat mich fasziniert. Und da war mir klar, dass ich die Übersetzung übernehmen muss.
Von welchen Prinzipien haben Sie sich bei Ihrer Arbeit leiten lassen?
Don Quijote ist eine Figur, die so sehr mit bestimmten Vorstellungen besetzt ist, dass sich sehr schwer dagegen ankämpfen lässt. Dennoch wollte ich das feststehende Don-Quijote-Bild ebenso wie das von Sancho Panza untergraben, um wieder Bewegung in die Bilder kommen zu lassen. Die anderen Übersetzer haben immer versucht, aus Don Quijote ein bestimmtes Symbol zu machen. Zunächst hat man ihn als Narren dargestellt, der moralisch zu verurteilen sei. Später dann, in der Romantik, galt er als Idealist. Jede Zeit hat versucht, ihn ihrem Weltbild entsprechend zu vereinnahmen. Mir kam es demgegenüber darauf an, Don Quijote nicht auf eine Interpretation festzulegen. Darum habe ich versucht, die Vielschichtigkeit der Figuren zu bewahren, indem ich ihre Sprache differenzierter wiedergebe und einzelne Details deutlicher hervortreten lasse und die Figuren eben nicht sprachlich denunziere – indem ich sie übertrieben schwülstig oder altertümlich reden lasse. Ich wollte den Figuren Freiraum für die sprachliche Entwicklung lassen. Denn auch bei Cervantes ist die Sprache sehr subtil, sie ändert sich bisweilen von Satz zu Satz oder sogar innerhalb eines einzigen Satzes. Darum weiß man eigentlich nie genau, was Don Quijote eigentlich antreibt und wie bewusst er sich seiner Taten und Motive ist. Ebenso offen ist auch, ob er die anderen nicht sogar für seine Zwecke einspannt und die Wirklichkeit sozusagen zwingen will, sich nach seinen Vorstellungen zu verhalten: also kein verblendeter Narr, sondern jemand, der sein radikales Uneinverständnis mit der Welt vorführt. Indem man diese Nuancen berücksichtigt, kann man das herkömmliche Quijote-Bild langfristig vielleicht ein wenig verändern – vielleicht. Möglich ist aber auch, dass sich gegen eine 400 Jahre alte Tradition gar nichts ausrichten lässt. Auf jeden Fall wünsche ich mir, dass man ein etwas differenziertes Bild des Ritters bekommt.
Auf welche Hilfsmittel haben Sie bei Ihrer Übersetzung zurückgegriffen?
Eine wesentliche Vorlage war die neu herausgegebene kritische Ausgabe von Francisco Rico. Sie fasst alle bisherigen Ausgaben zusammen und bietet ungeheuer viel Material. Erstaunt hat mich aber, dass diese eigentlich akademische Ausgabe auch Dinge erklärt, die ein durchschnittlicher spanischer Leser heute eigentlich sehr wohl noch verstehen müsste. Denn so fern scheint mir die Sprache Cervantes´ nun doch nicht zu sein. Im Zeitalter des Internets hat man zudem die Möglichkeit, eine Unmenge historischer spanischer Wörterbücher einzusehen. Außerdem habe ich natürlich den Covarrubias genutzt, das Standardwerk zum Sprachstand der Cervantes-Zeit. Auch dieses Werk war mir eine große Hilfe. Demgegenüber muss man sich vorstellen, dass der erste Übersetzer des Cervantes, Pahsch Basteln von der Sohle – ein Pseudonym von Joachim Caesar –, für seine 1623 erschienene Übertragung nicht einmal ein spanisch-deutsches Wörterbuch zur Verfügung hatte. Das gab es damals noch gar nicht. Insofern war das eine ungeheure Pionierleistung. Außerdem war mir eine zehnbändige, 1948 von Rodriguez Marín editierte Ausgabe von Nutzen, die zu sämtlichen nicht ganz so üblichen Ausdrücken und Redewendungen Belege aus dem Zeitalter Cervantes´ bringt. Und das ist für einen Übersetzer natürlich eine große Hilfe.
Zugleich habe ich natürlich auch über das Deutsche sehr viel gelernt. Denn auf der Suche nach Quijote-tauglichen Wörtern habe ich immer wieder den gesamten Sprachschatz vom Barock bis zur Gegenwart durchforstet. So habe ich gleich noch eine kleine Entdeckungsreise durch die eigene Sprache unternehmen dürfen: eine weitere Freude für mich bei dieser sechsjährigen Arbeit.   Susanne Lange

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