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Freitag, 14. Dezember 2018

Im Taxi

Von der Stadt Guildford im Süden von London braucht ein Taxi etwa gleich lang zu den Flughäfen Heathrow und Gatwick. Die Flughäfen im Norden von London sollte man vermeiden, wenn man im Süden wohnt, auch wenn viele Flüge nach Stansted oder Luton billiger sind.
Der Taxianbieter UBER funktioniert hier bestens, und nach wenigen Minuten kommt ein Wagen, der einen billiger zum Flughafen bringt als jedes andere Taxi. Die Fahrer kann man sich zwar nicht aussuchen, auch die Autos nicht, und manchmal ist es ein bequemer Mercedes und dann wieder ein kleiner Toyota. Das Risiko muss man eingehen. Die Fahrer der UBER-Taxis sind fast alles Ausländer hier in England, die sich zwar in der Gegend, wo sie fahren, nicht auskennen, jedoch durch das Mobiltelefon mit Google-Maps verbunden, jeden gewünschten Ort schnell erreichen können.
Vor etwa zwei Wochen, als ich mich auf den Weg nach Wien machte und ein Auto bestellte, holte mich ein dunkelblauer Volkswagen ab, mit einer Frau am Lenkrad, die das typisch muslimische Kopftuch trug. Ungewöhnlich, selbst für England, wo zwar ein muslimischer Bürgermeister London regiert, und beim Landen in Heathrow einige weibliche Polizistinnen bei der Grenzkontrolle Kopftücher tragen; jedoch Taxifahrerinnen mit verhülltem Haar sieht man selten.
Ich stieg hinten in den Wagen, stellte die Tasche neben mich auf den Sitz, und wir fuhren los. Eine Zeitlang schwiegen wir, ich spielte mit meinem Telefon, konnte mich jedoch nicht kontrollieren und beobachtete die Frau hinterm Steuer.
Plötzlich sprach sie mich an: »Stört sie das?«
»Was meinen sie. Was sollte mich stören?« Fragte ich sie.
»Nun ja, ich meine, das mit dem Kopftuch?«
Sie überraschte mich mit der Frage, und ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte, schüttelte jedoch dann den Kopf und sagte:
»Überhaupt nicht, warum sollte mich das stören?«
Sie lächelte. Sie war vielleicht dreißig Jahre alt, schien klein und schlank. Ihr Kopftuch schimmerte dunkelblau und schmiegte sich um ein ovales, hübsches Gesicht mit großen, dunklen Augen. Das glänzende Blau unterschied sich von den üblichen schwarzen Tüchern, die man sonst in den Straßen von London sehen konnte.
»Von wo kommen Sie?« Fragte ich sie.
»Meine Familie kommt aus Malaysien«, sagte sie, und nach einer Pause fügte sie hinzu, dass sie jedoch in Manchester geboren sei, und ihre Eltern aus Malaysien eingewandert seien.
»Ihre Eltern haben nichts dagegen, dass Sie Taxifahren?« Fragte ich sie.
Sie lachte laut auf und schüttelte den Kopf als würde sie meine Frage verneinen, sagte jedoch genau das Gegenteil. Natürlich würden sie protestieren, und das sei auch der Grund, dass sie hier im Süden von England lebe und nicht in Manchester.
»Und Sie?«, fragte sie mich, und nach einer kurzen Pause: »Sind sie katholisch oder evangelisch, oder Kirche von England? Sie haben auf jeden Fall einen Akzent!«
»Weder noch. Ich komme aus Wien und bin jüdisch«, antworte ich ihr. Wieder schwieg sie eine Zeitlang, und sagte dann: »Ich glaube, Sie sind der erste Jude, den ich fahre.«
Jetzt musste ich lachen.
»Wie können Sie das wissen?« Fragte sich sie.
»Ich spreche mit den meisten Fahrgästen, und irgendwann enden wir immer bei der Religion wegen meines Kopftuchs.«
Wir fuhren weiter, der Verkehr wurde dichter, und wir standen im Stau. Neben uns ein schwarzer BMW mit einem älteren Herrn am Steuer, dichten grauen Haaren und einem Schnurrbart. Er starrte auf die Frau mit dem Kopftuch, blickte dann zurück zu mir und wieder zurück zur Fahrerin und schüttelte den Kopf, als würde er die Welt nicht mehr verstehen. Er versetzte mich in die Rolle des Bestaunten, während ich normalerweise der Beobachter in vergleichbaren Situationen bin. Was für Gedanken ihn wohl beschäftigen würden, dachte ich mir. Eine muslimische Frau als Chauffeurin und hinten im Wagen ein weißer Mann.
»Darf ich Sie etwas Persönliches fragen?«, unterbrach sie meine Überlegungen.
»Ja, natürlich«, sagte ich.
»Haben Sie eine Tochter?«
Ich nickte und antwortete ihr, dass ich zwei Töchter hätte.
»Wenn eine der beiden nach Hause käme und erzählte, sie hätte einen Mann kenngelernt, der Moslem sei, und sie würde ihn heiraten und auch seinen Regeln folgen und ein Kopftuch tragen. Wie würden Sie reagieren?«
Sie grinste und wusste scheinbar, sie würde mir eine Antwort nicht einfach machen.
»Das ist keine einfache Frage«, sagte ich leise und dachte nach, wie ich wohl reagieren würde. Ich stellte mir die Situation vor, meine Tochter im Wohnzimmer sitzend mit dem Tuch auf dem Kopf und der dunkelhaarige Ehemann daneben mit schwarzen Bartstoppeln. Irgendwie gefiel mir das Bild nicht. Aber wie ehrlich konnte ich in dieser Situation sein?
»Sagen sie einfach die Wahrheit, ich halte das schon aus!« Sagte die Frau plötzlich.
»Das wäre schwierig für mich«, antwortete ich ihr.
»Wenigstens sind Sie ehrlich«, sagte sie.
»Wie würden Ihre Eltern reagieren, wenn Sie einen jüdischen Mann nach Hause bringen? Und Sie würden ihren Eltern erklären, dass sie nun zum Judentum übertreten wollen.«
»Wäre auch nicht einfach für mich, und schon gar nicht für meine Eltern«, sagte sie.
Wir schwiegen eine Weile und jeder schien nachzudenken.
»Wo beginnt dann unsere Toleranz und wo endet sie?« Fragte ich sie.
»Ganz einfach, hier im Auto beginnt sie und hier endet sie!«, antwortete sie und lachte so herzlich und laut, so dass sie einen Moment nicht weiterreden konnte. Dann fuhr sie fort:
»Sie beginnt beim Taxifahren und endet bei der Familie. Sie haben nichts dagegen, mit mir im Auto zu fahren, wahrscheinlich auch kein Problem, wenn Sie eine Frau mit Kopftuch im Restaurant bedient oder im Supermarkt an der Kasse sitzt. Aber wenn es um den persönlichen Bereich geht, dann haben wir Schwierigkeiten, oder nicht? Wir brauchen gar nicht so weit gehen bis zur Ehe Ihrer Tochter! Vielleicht schon beim Haarschneiden? Bei einer Massage? Beim Zahnarzt?«
Ich fühlte mich ertappt. Sie hatte mit allem recht, ich konnte mir keine Zahnärztin mit Kopftuch vorstellen, die in meinem Mund herumsucht. Wo endet die Logik und die Emotionen der Vorurteile übernehmen die Kontrolle. Wie weit kann ich mir einreden, dass all meine Abneigung unlogisch und unbegründet sein würde.
»Und wie ist es bei Ihnen? Wenn Sie zu einem Arzt gehen, ist er ein Moslem?« Fragte ich sie.
»Ja, sicher. Ich geh zu einer Frau, die Muslimin ist. Ich fühl mich einfach sicher und verstanden von ihr!«
»So leben wir in parallelen Welten und umgeben uns mit Menschen, die wir kennen und denen wir vertrauen, also gibt es kaum Berührungen zwischen ihrer und meiner Welt?« Fragte ich sie.
»Wahrscheinlich nicht. Das wird noch dauern. Aber es ist schon ein Erfolg, dass Sie in meinem Taxi sitzen, und wir beide uns unterhalten und auch mit einander lachen können!« Sagte sie.
Ich nickte und dachte, wie verdammt gescheit doch oft die einfachsten Menschen sind.
»Wieso ist Ihr Kopftuch blau und die meisten Frauen tragen schwarze Tücher?« Fragte ich.
»Wir aus Malaysien lieben Farben und tragen bunte Kopftücher, auch unsere Kleidung ist nicht schwarz.«
Wir erreichten Heathrow, und mir tat es fast leid, dass die Fahrt zu Ende war. Ich mochte diese Frau, sie war mir sympathisch, sie hatte etwas Offenes, Herzliches. Der Wagen hielt, und ich beugte mich nach vor, um zu zahlen. Sie drehte sich um und sah mir einen Moment lang in die Augen, und ihre Hand, die sie nach dem Geld ausstreckte, bewegte sich nicht.
»Schade, dass Sie Jude sind«, sagte sie leise.
Ich lächelte und antwortete ihr: »Schade, dass Sie Muslimin sind.«
Sie nahm das Geld und bedankte sich für das Trinkgeld. Ich nahm meine Tasche und stieg aus, stand neben dem Auto, als sich das Fenster neben mir langsam öffnete. Sie lehnte sich über den Nebensitz und rief mir zu:
»Selbst wenn Sie Moslem wären, es würde nicht funktionieren. Sie sind zwar wirklich nett, aber viel zu alt für mich!«
Dann lachte sie wieder. Das Fenster bewegte sich nach oben, und bevor ich noch antworten konnte, fuhr sie auf und davon.   Sichrovsky

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