Stationen

Montag, 28. Februar 2011

Glasnost

Minister sollten auch Vorbild sein. Und gerade als Mitglied einer Familie, der sehr an ihrem guten Ruf liegt, muss man sich daran erinnern, Nobless oblige. Man lese nur die Interviews von KTs Vater, in der das Familienethos wie mit Fanfaren angekündigt wurde. Zum Beispiel in CICERO oder in der Tagespost (Veluti si deus daretur)

Andererseits sollte man sich grundsätzlich über Folgendes im Klaren werden. Der Leichtigkeit, mit der man heutzutage über Google ein Plagiat (oder soll ich lieber sagen ein sogenanntes "Plagiat") gefunden werden kann, entspricht die Leichtigkeit des Copy & Paste. Mit anderen Worten, wozu haben wir eigentlich diese Technologie erfunden, wenn wir sie dann nicht benutzen dürfen? Seit es Taschenrechner gibt, ist es dumm mit dem Kopf zu rechnen. Ich weiß, es ist nicht ganz dasselbe. Und dennoch: es wäre lächerlich, die Texte, die ein Doktorand zu Rate zieht, umständlich durch eigene Neuformulierungen (wie es im Schreibmaschinenzeitalter üblich war) in seine eigene Arbeit zu integrieren, wenn es auch so einfach geht.

Wissenschaftliches Arbeiten sollte man nicht an diese Art von Echtheitsfetischismus schweißen. Fußnoten, die die entsprechenden Textbausteine kennzeichnen, dürfen allerdings nicht fehlen. Oder zumindest sollte eine vollständige Liste nicht nur der Autoren und Werke, sondern auch der Seitenangaben folgen.
Mehr noch als all dies zählt in meinen Augen jedoch, dass der Doktorand seine Arbeit diskutieren, erläutern und schlüssig darlegen kann. Er muss Herr der behandelten und dargestellten Materie sein, er muss sie akademisch beherrschen. Wenn der behandelte Stoff beherrscht wird, verblassen die Plagiatsvorwürfe zu Formfehlern.

In ein paar Jahren gibt es wahrscheinlich Software, die "Plagiate" nicht nur dann erkennen kann, wenn der Wortlaut identisch ist, sondern auch, wenn bei anderer Formulierung derselbe Sinn kenntlich wird. Was dann? Soll man auch dann Plagiatsvorwürfe machen?

"Dicebat Bernardus Carnotensis nos esse quasi nanos gigantum umeris insidentes, ut possimus plura eis et remotiora videre, non utique proprii visus acumine, aut eminentia corporis, sed quia in altum subvehimur et extollimur magnitudine gigantea".

Johannes von Salesbury - Metalogicon 3,4,46-50

Dieses Motto gilt in jedem Fall, auch dann, wenn KT umständlich zeitaufwendige Eigenformulierungen getippt hätte. Und die, die ihre Doktorarbeiten schrieben, als es noch kein Copy & Paste gab, könnten irgendwann über die noch kommende Software stolpern. Auch diejenigen, die jetzt den Mund mit dem Wort "Wissenschaftlichkeit" voll nehmen, könnten unter den Stolperern sein; einschließlich der Doktorväter.


Entscheidend sollte sein, dass KT seine Doktorarbeit akademisch beherrscht. Die 30 % von ihm selbst sind das eigentlich vom Doktorvater zu Beurteilende und wiegen in jedem Fall schwerer als die 70% Quellenzitate (die natürlich, wie bereits gesagt, gekennzeichnet sein müssen).

Es wird sich zeigen, ob und wie sich die akademischen Bräuche im Verlauf der nächsten Jahre ändern werden. Der Echtheitsbegriff scheint nicht mehr derselbe zu sein wie früher. Durch die Googletransparenz wird die Bedeutung von Johannes von Salesburys Maxime überdeutlich, während sie im Schreibmaschinenzeitalter noch verschleiert war.

Konservative Skepsis

Wie immer lohnt es sich auch diesmal Michael Wolffsohns Kommentar zu lesen

Donnerstag, 24. Februar 2011

Anna Depenbusch und Jochen Distelmeyer

sind im Moment die Größten in Deutschland. So etwas Gutes hatten wir seit dem 19. Jahrhundert nicht mehr. Ich habe 40 Jahre lang warten müssen, bis die Qualität endlich wieder da war. Aber sie ist wieder da. Nur als Keim, kein einziger Baum, erst recht kein Wald. Aber sie ist da.


http://www.annadepenbusch.de/

http://de.wikipedia.org/wiki/Anna_Depenbusch

http://de.wikipedia.org/wiki/Jochen_Distelmeyer

http://www.jochendistelmeyer.de/

Missverständnisse

40 Jahre habe ich gebraucht, um zu verstehen, ob, dass und weshalb Jesus doch größer ist als Sokrates. Aber heute morgen unter der Dusche ist der Groschen endlich gefallen. Das, was Jesus größer macht, birgt leider auf Grund der menschlichen Unzulänglichkeit auch den Keim für Fanatismus, während Sokrates eine weniger einladende Basis für Fanatismus bietet. Eine solide Basis für Fanatismus bieten beide nicht, für Fundamentalismus hingegen ja (und wiederum beide). Beide wirken dem Fanatismus entgegen, Jesus letzlich auf wirksamere Weise als Sokrates, obwohl in seiner Nähe der Fanatismus keimen und wurzeln kann. Jesus und Sokrates verbindet die intellektuelle Redlichkeit. Sokrates wirkt dem Relativismus entgegen, obwohl er unterstreicht nichts zu wissen. Sein Bestreben ist es, sich der Wahrheit zu nähern. Aber er ist dabei immer wie infiziert durch Gorgias, der seinen Annäherungen immer wie ein Schatten folgt, und Sokrates appelliert nicht ans Gewissen. Genau das ist es, was Jesus zum Allergrößten macht. Denn es ist ein großer Unterschied, ob man sich im Dialog nur nach bestem Wissen versucht, der Wahrheit zu nähern und die eigene Subjektivität transzendierend - indem man die eigenen Ansichten mit den eigenen Erfahrungen, besonders der Jugend und Kindheit, aber auch späteren Traumen, korreliert und mit den Ansichten und Erfahrungen des Gegenübers abgleicht - zu intersubjektiven Einsichten zu gelangen versucht, oder ob man dasselbe nicht nur nach bestem Wissen, sondern auch nach bestem Gewissen macht. Man muss natürlich auch ein Gewissen haben und stillschweigende Einverständnisse daraufhin untersuchen, ob sie auf Missverständnissen beruhren und besonders auf die eigenen Missverständnisse achten (und darauf, ob man missverstehen WILL, um das eigene wishful thinking nicht zu beeinträchtigen), ohne die der anderen aus den Augen zu verlieren.

In der Antike waren gegensätzliche Auffassungen, die in gegensätzliche Kulturen eingebettet waren oft durch natürliche geografische Barrieren getrennt. Flüsse sind gleichzeitig Grenzen und gleichzeitig verbindende Elemente. Sie sind im wahrsten Sinne des Wortes fließende Grenzen. Dass Menschen, die die Begabung besaßen, intersubjektive Einsichten zu fördern, ein Priesteramt angetragen wurde, dass dieses Amt Pontifex genannt wurde und die Pontifices auch tatsächlich für den Brückenbau zuständig waren, ist mehr als einleuchtend. Das Herrliche an den Römern ist immer wieder die - ebenfalls dem ethymologischen Wortsinn entsprechende, von "vernehmen" - vernünftige Plausibilität, die Folgerichtigkeit der Entsprechungen (z.B. zwischen Mars und März, die ich hier ansprach), das Gleichgewicht zwischen Annehmlichkeiten und Unannehmlichkeiten, das dem Menschen besser gerecht wird als die Gleichheit, wenngleich es nur in der Dimension des Unwägbaren zustandekommen kann und daher in unserer Zeit, in der Verzifferung und Messbarkeit alles ist, wahrscheinlich nie mehr aktualisiert werden wird.

Wasserahnen?



Wasseraffen-Theorie

Aquatic ape hypothesis

Ardipithecus ramidus hat sowohl die Savannentheorie, wie die Wasseraffentheorie in einem wichtigen Punkt widerlegt. Was den aufrechten Gang angeht, hatte niemand erwartet, dass unsere Vorfahren schon auf den Bäumen aufrecht von Ast zu Ast schritten, und ausnahmslos alle hatten nach einem Selektionsdruck gesucht, der den aufrechten Gang erzwungen haben könnte (hohes Gras in der Savanne eben, oder respektive das Wasser, das einem manchmal bis zum Hals steht).

Ardipithecus - Science Magazine

Ardipithecus ramidus

Man könnte allerdings auch annehmen, dass die Affen im Miozän erst mal in Wasser und Savanne zum aufrechten Gang übergingen und dann in den folgenden 16 Millionen Jahren auf die Bäume zurückkehrten und dort angekommen als Ardipithecus im Pliozän lebten. Warum nicht?

Homo naledi

Celso Fonseca



Sonntag, 20. Februar 2011

Marconi

Das unsichtbare Netz - was für eine schöne Geschichte!

Salvatore Settis

http://fr.wikipedia.org/wiki/Salvatore_Settis

Die Franzosen sind die Einzigen, die einen Wiki über Settis geschrieben haben, so kurz er auch ist. Denn Settis ist auch im Komittee des Louvre. Er ist der Rektor der Scuola Normale Superiore di Pisa.

Freitag, 18. Februar 2011

Waffentechnik und Aura



"Saxum" heißt auf lateinisch das Felsgestein, "silex" der Kieselstein und "seco" heißt "ich schneide". Das althochdeutsche "sahs" bedeutete "Messer", und die Sachsen, die sich lange gegen Karl den Großen wehrten und ihre sächsische Rechtsordnung gegen römische Überfremdung verteidigten (und hierfür von den Nationalsozialisten gepriesen wurden), hatten ihren Namen von diesem alten Wort für Messer. Sächsisches Urgestein aus dem Harz sozusagen. Denn die Sachsen waren damals ja in Niedersachsen ansässig. Das heutige „Sachsen“ wurde einst als „Obersachsen“ bezeichnet.
Da es außer dem Wald in Deutschland keine ernstzunehmende geografische Barrieren gibt, kam es - anders als in Italien, das durch den Appenin anthropogeografische und kulturgeschichtliche Konstanten zeigt - auf unserem Gebiet, als der wilde Wald erst mal gerodet war, immer wieder zu Verschiebungen und Vermischungen. Das heutige Sachsen erhielt seinen Namen jedoch nicht auf Grund dieser Vermischungen, sondern nur weil Heinrich der Löwe nach dem nördöstlichen Thüringen abwandern musste und dadurch der dynastischen Terminologie gemäß die Bezeichnung „Obersachsen“ entstand.

Waffentechnik wird nicht einfach angewendet. Sie entfaltet eine Eigendynamik und schafft Rahmenbedingungen, die dem Handlungsspielraum ganz bestimmte Grenzen setzen und ganz bestimmte Möglichkeiten eröffnen. Je nach Waffenart sind ganz bestimmte Wege leicht zu gehen, andere schwer zu bewältigen, wieder andere sind völlig unzugänglich, und manche sind durch ein neues Stadium technischer Möglichkeiten unausweichlich vorgeschrieben.


Bedingung und Gesetz; und aller Wille
Ist nur ein Wollen, weil wir eben sollten,
Und vor dem Willen schweigt die Willkür stille;
Das Liebste wird vom Herzen weggescholten,
Dem harten Muß bequemt sich Will und Grille.

Zum Beispiel war es in der Antike praktisch fast völlig unmöglich, im Winter Krieg zu führen! Dass der Mars zum Namensgeber des Märzes wurde, ist keine romantische Idealisierung des Krieges, die sich um den Frühling rankt, sondern haargenau das, was damals ausschließlich möglich war: die harte Wirklichkeit dessen, was man am treffendsten als "Einklang der Kultur mit der Natur" bezeichnet. Kriege wurden Jahrhunderte lang nur im Sommer geführt und im Frühling vorbereitet. Der saisonale Zeitplan der Legionen war an den der Bauern geknüpft. Noch Macchiavelli empfahl, sich an diesen Zeitplan zu halten.

Der jeweilige Stand der Technik schafft Grundbedingungen mit Folgen für Strategie, Ethik und Alltag. Ernst Jünger, der den Begriff "Totale Mobilmachung" schuf und von diesen Dingen etwas verstand und damit sehr bewusst Erfahrungen machte und diese auch später noch sehr aufmerksam reflektiert hat, wie außer ihm vielleicht nur Carl Friedrich von Weizsäcker und das Expertenteam um Horst Ahfeldt, die Situation auf den Punkt gebracht, als er sagte, die Figur des Soldaten sei der des Verbrechers ähnlich geworden. Ob wir wollen oder nicht.

Seit er dies sagte, hat sich die Situation jahrzehntelang verschlechtert, um sich dann im Verlauf der 90-er Jahre endlich wieder zu bessern durch die immens erhöhte Treffergenauigkeit moderner zielsuchender Waffen.

Während des 1. Weltkrieges (la „Grande Guerre“!) waren nur etwa 5% der Kriegstoten Zivilisten. Während des 2. sind es schon 48% (und dies wirkt sich unter anderm auf die Sprache aus: der letzte Krieg für den sich noch eine Bezeichnung in heroisierend-mythisierender Sprache durchsetzte, war la „Grande Guerre“, also dieser erste Weltkrieg; der zweite war schon so schrecklich, dass die mythologische Phantasie - die immer realistisch ist! - zurückwich). Im Koreakrieg waren 84% der Kriegstoten Zivilisten und im Vietnamkrieg 93%. Diese Zahlen haben sich mir 1975 eingeprägt. Leider kann ich die Quelle nicht mehr nennen (ich glaube es war ein Institut für strategische Studien in London) aber das ist nicht so wichtig. Die eine oder andere Quelle nennt geringfügig andere Zahlen, wirklich exakte Zahlen sind ohnehin nicht möglich. Auch das ist nicht so wichtig. Relevant ist nur die Größenordnung, und die bleibt bei allen Quellen dieselbe.
Relevant ist FAST nur die Größenordnung: auch heutzutage liegt schließlich der Anteil der Ziviltoten bei etwa 90%, obwohl sich die Lage erheblich gebessert hat und wenigstens das Ausmaß der Zerstörungen zusammengeschmolzen ist (in Vietnam gab es Millionen Tote, wahrscheinlich mindestens 3, im National Geographic  steht 4 Millionen - obwohl Nord- und Südvietnam zusammen nur etwa so groß sind, wie die BRD vor der Wiedervereinigung war. Und 1969 hatten die Amerikaner über Vietnam schon mehr Tonnen Bomben abgeworfen als im 2. Weltkrieg über ganz Europa abgeworfen wurden. Diesmal ist die Quelle das Russeltribunal. Wer dessen Quelle war, ist mir unbekannt).

Die heutigen 90% sind ausnahmsweise mal nur teilweise Folge eines Sachzwangs. Denn sie sind einerseits eine Konsequenz der Tatsache, dass sich die Ziele meistens direkt im Siedlungsgebiet befinden (mal abgesehen von den Überbleibseln „traditioneller Kriege“ mit Mann gegen Mann Konfrontationen, z.B. in Afrika), andererseits ist es eine Folge der spirituellen Unbefangenheit orientalischer Exekutive, die nicht zögert, ihre eigene Bevölkerung als Schutzschild zu benutzen, um Angreifer aus dem Westen vor schwer zu fällende Entscheidungen zu stellen, bzw. deren Folgen propagandistisch auszuschlachten, falls Entscheidungen getroffen werden, die niemand gerne und leichten Herzens treffen kann. 

An dieser Stelle zeigt sich die Ambivalenz der neuen Situation: die Tatsache, dass ein hoher Anteil der Toten unausweichlich Ziviltote sind, hat diesmal auch einen positiven Aspekt, insofern in demokratischen Systhemen die Konsensfähigkeit für Krieg vielleicht generell schwindet. Je mehr Demokratie, desto weniger Krieg ist eine Formel, die etwas für sich zu haben scheint, wenngleich ich immer noch argwöhne, dass es sich hier nur um einen Verdrängungsprozess handeln könnte, durch den via Verantwortlichkeits- und Kompetenzverlegenheiten Probleme nur vertagt werden könnten, die dann um so heftiger irgendwann hervorbrechen. Jedenfalls scheint auch eine andere Maxime etwas für sich zu haben: je mehr sich Monarchien – wie vielleicht in Jordanien - an traditionelle Werte gebunden fühlen, desto zögernder die Kriegsbereitschaft.

Aufschlussreich zur Dynamik der Sachzwänge und ihrer staffettenartigen Fortentwicklung während dreier Jahrzehnte (50-er, 60-er und 70-er Jahre) sind auch heute immer noch Carl Friedrich von Weizsäckers zusammenfassende Bemerkungen in seinem Vorwort zu Spannocchis Buch über „Raumverteidigung“ statt Grenzverteidigung. Die 50-er Jahre waren das Jahrzehnt der wachsenden Sprengkraft von Bomben, die 60-er das Jahrzehnt der wachsenden Reichweite von Raketen und die 70-er Jahre das Jahrzehnt wachsender Treffergenauigkeit. Letztere gefährdete erneut das vorherige, zumindest theoretisch stabile Gleichgewicht, insofern die territoriale Begrenzung eines Konflikts und die Ausschaltung des Gegners durch die Treffergenauigkeit wieder möglich wurde und die Second Strike Capacity, die zuvor Russen wie Amerikanern nahegelegt hatte, stillzuhalten, nun nicht mehr garantiert war.

Ich las dieses Buch 1977 in Kirchberg während des Zivildienstes, um endlich Ordnung in meine eigenen Überlegungen zu bekommen, was vorher unmöglich war, da ich im Burgweg von aller Welt abgeschnitten war und mir keinerlei zuverlässige Informationsmöglichkeiten besorgen konnte, denn ich war nicht nur fern von allem, ich hatte auch nur ein Fünftel des Taschengeldes, das meine BAFöG-Freunde genossen, Informationssendungen im TV anzusehen war mir verboten (außer Löwenthal und der Drehscheibe), und im Geiste fand sozusagen tagtäglich Bücherverbrennung im Burgweg statt (obwohl ich kaum an seriöse, aufschlussreiche Bücher gelangte damals), wobei mein Bruder es auch noch schaffte, meinen Vater rechts außen zu überholen und in puncto Absurdität zu übertreffen: als Argument gegen Brandts Außenpolitik (die Golo Mann zu Recht als längst überfällig bezeichnete) führte mein Bruder tatsächlich die Kurilen ins Feld, auf die „die Japaner nie verzichten“ würden. Das Grausame daran ist, dass in meiner Umgebung kein Mensch wusste, was die Kurilen sind und ich keine Möglichkeit hatte, mich darüber zu vergewissern, ob mein Bruder etwas wichtiges, ausschlaggebendes Entscheidendes erkannt hatte, das alle Anderen verdrängten und tabuisierten oder ob er nur ein trotziger, besserwisserischer Paranoiker war, der starrsinnig über die wirklich entscheidenden Aspekte hinwegsah. Mein Großer Bruder schlug mit einer unsichtbaren Keule auf mein ohnehin nicht nur altersgemäß eingeschränktes Urteilsvermögen ein, um mir zu bedeuten, was in seinen Augen wirklich wichtig war. Kurz gesagt, ich besaß als Jugendlicher keine Gewissheit darüber, ob Adolf Hitler ein Verbrecher war, oder ob er wie Andreas Hofer ein antimodernistischer Freiheitskämpfer war (der von den Siegern des Krieges mit falschen Anschuldigungen verleumdet wurde - was mein uralter Vater behauptete), und mein großer Bruder begnügte sich nicht damit, mir bei meinen Bemühungen der Vergewisserung nicht zu helfen, sondern er behinderte mich auch noch gezielt, indem er mir jedesmal einen schmerzhaften Tritt versetzte, wenn deutlich wurde, dass ich nicht bereit war, das Credo unseres Vaters bereitwillig, vertrauensvoll und gläubig zu übernehmen.

Damals tobte noch der Vietnamkrieg, und die deutsche Opposition stand geschlossen mit der deutschen Regierung hinter Amerika. Mich quälte es, dass man in der Schule von mir erwartete, die deutsche Vergangenheit zu verurteilen und den Völkermord, den die Amerikaner in der Gegenwart gerade begingen, gutzuheißen Und mehr noch als dies quälte es mich, dass meine Eltern - die Vergangenheit betreffend - von mir erwarteten, Misstrauen gegenüber den Amerikanern und meinen Lehrern zu empfinden und gleichzeitig - die Gegenwart betreffend - von mir erwarteten, in den Amerikanern nicht nur verlässliche Partner zu sehen, sondern unschuldige Verteidiger der Freiheit, die in Vietnam durch flächendeckende Bombardierung der Bevölkerung gesichert werden sollte, weil dadurch die Ausbreitung der kommunistischen Diktatur zu unser aller Wohl verhindert würde.

Dass die Sowjetunion gar nicht bombardierte - was ja nur die Amerikaner taten -, sondern Raketenabwehrbasen - also eindeutig defensiven Beistand - zur Verfügung stellte, spielte für meine Eltern dabei keine Rolle.

Auch in dieser Hinsicht kam von meinem Bruder kein tröstendes Wort intellektueller Redlichkeit oder beherzter Klugheit oder auch nur verständnisvoller Nachdenklichkeit, sondern nur besserwisserische, altkluge Belehrungen. Bei seinen Betrachtungen, mit denen er die außerparlamentarische Opposition herabsetzte und die duckmäuserische Politik der Bundesregierung rechtfertigte, redete er sich die Dinge eigentlich nur zurecht, und die Bekämpfung des Kommunismus schien dabei der Sinn des Lebens schlechthin zu sein, durch den Hitlers Überfall auf Polen, der Pakt mit Stalin, der Bruch mit Stalin, die Vergasung der Juden, die Bombardierung Vietnams und überhaupt alles auf der Welt verstanden, begriffen, gutgeheißen und gerechtfertigt werden konnte, auch dass er auf einem Maultier sitzend als Gebirgsjäger durch die Alpen ritt und mit dem Fieberthermometer in der Luft rumfuchtelte, während Little Boy das Alpenglühen herbeizauberte. Cervantes und Ariost sind im Vergleich zur überbordenden Vorstellungskraft meines Bruders eher dröge Erzeugnisse zweier von exzessivem Realitätssinn gepeinigter Geister. Spannocchi war damals Armeekommandant des österreichischen Bundesheers, und ich kannte ihn noch genauso wenig wie die Kurilen.

Die NATO Strategie des „rolling back“ hat am Ende funktioniert. Dass ein so vernünftiger Mann wie Gorbatschow ans Ruder kam (und ein großartiger Mann wie Reagan als Gesprächspartner zur Verfügung stand) war allerdings ein großes Glück. Und dass die westliche Friedensbewegung im Osten viele Menschen zum Handeln ermutigt hat, wird von Mechtersheimer zuverlässig bezeugt.

Kurz und bündig gesagt, wird der jeweilige Stand der Waffentechnik zum Sachzwang, unabhängig davon, was man will oder nicht will. Erst ausgehend von dieser ständig im Wandel begriffenen Grundbedingung hat es Sinn, sich zu überlegen, was man erreichen will und innerhalb des Handlungsspielraumes erreichen kann. In Zukunft wird - ob wir wollen oder nicht - Big Brother is Watching You eine Lebensbedingung sein, die unaufhaltsam wachsen wird. Wie wir uns unter dieser Bedingung gegen Missbrauch schützen werden, weiß bisher noch kein Mensch. Ich persönlich glaube, dass WikiLeaks zur Keimzelle einer Cybergewerkschaft werden muss. Und ich glaube, dass es eine Illusion ist, zu glauben, alte Probleme seien nur auf eine neue Ebene gehoben oder geschoben worden. Ich glaube, dass wir tatsächlich vor einer völlig neuen Lebensbedingung stehen, die nicht nur eine Variante einer alten Problematik darstellt, sondern als etwas wirklich Neues unter der Sonne gelten kann: es kommt eine Glasnost auf uns zu, in der es keine Privatsphäre mehr gibt, sondern nur noch konzentrisch angeordnete graduell abgestufte Sphären der Privatheit/Öffentlichkeit (und des Zweifels darüber, was wer weiß). Und nur noch Alexander und Diogenes werden tatsächlich noch ein völlig privates Leben führen können.

Die erhöhte Durchschlagskraft der Armbrust im späten Mittelalter des 11. Jahrhunderts führte dazu, dass das Kettenhemd keinen ausreichenden Schutz mehr bieten konnte, und auch die englischen Langbögen des 13. Jahrhunderts besaßen eine Durchschlagskraft, der weder das Kettenhemd noch der Brustpanzer standhalten konnte. Und erst mit der Verbreitung der Feuerwaffen Ende des 14. Jahrhunderts, also nach Dante Alighieri, als das Mittelalter eigentlich schon vorbei war und im Begriff, in die Neuzeit überzugehen, taucht die schwere, „typisch mittelalterliche“ Rüstung auf, die Arkebusen und Pistolen standhalten sollte.
Erst mit dem Anwachsen der Feuerkraft verschwindet allmählich wieder die schwere Rüstung und mit ihr die  Ritterburg, während die Stadtmauer erst noch mal dicker und höher und sternförmig wird, und die Basteien entstehen. Im 19. Jh wiederum ist keine Stadtmauer mehr der erhöhten Durchschlagskraft gewachsen, und sie werden in fast allen europäischen Städten durch Parkanlagen oder Ringstraßen ersetzt, wie in Würzburg und Florenz geschehen.

Gegen Raketen nützt die israelische Mauer natürlich nichts, die fliegen einfach über sie hinweg. Aber immerhin können die potentiellen Selbstmordattentäter nicht über sie drüberklettern, wenngleich das nicht viel Schutz gewährleistet. Wenn Achmadineschad eine Atombombe auf das Große Ghetto wirft (man könnte es Le Grand Ghetteau nennen, wenn man Sinn für Humor hat und ein Herz, das seiner Bitternis nur noch durch Sarkasmen Luft machen kann), dann ist die Mauer wieder restlos obsolet. Aber die in Ravenna – die dort von einer linken Kommunalregierung errichtet wurde - steht dann immer noch, obwohl es da noch gar keine Selbstmordattentäter gibt und nur Drogendealer und andere Araber, denen die eigene Raison d‘etre wichtiger ist als die der seit Jahrhunderten dort Ansässigen. Na, wir wollen hoffen, dass jetzt in Ägypten der von Wolfowitz und George Dabbeljuh beabsichtigte Dominoeffekt tatsächlich anrollt.

Das Nebeneinander von Territorialmauer, Atombombe, Panzern, Raketchen, Mann-gegen-Mann-Konfrontation, Kinderrekrutierung und Interkontinentalraketen ist charakteristisch für eine Zeit, in der mehrere Kriegsarten gleichzeitig existieren können und Systemfragilität bei großer Zerstörungswirkung neue Formen sabotierender Initiative und abwehrender Kontrollversuche hervorbringt. Clausewitz ist teils immer noch aktuell, und gleichzeitig an anderem Ort – oder sogar am selben Ort - überholt.

Heidegger hat viel Schimpf erhalten, weil er, Occam´s Razor konsequent anwendend, Auschwitz und ganz allgemein die enormen Massaker nicht nur des 2. Weltkriegs, sondern des ganzen 20. Jahrhunderts kommentierend einen Vergleich mit der ungeheuren Potenzierung in der Landwirtschaft machte und so die Destruktion kohärent der Produktion gegenüberstellte.

Da trifft Heidegger einen Nagel auf den Kopf, besonders im Hinblick auf die Spezialisierung und Anonymisierung industrieller Vorgänge. Aber es gibt noch einen anderen Nagel, der mit der Wirkung und Ausstrahlung zu tun hat, die ein industrielles Wirkungsfeld auf uns Menschen ausübt. Der Übergang zwischen diesen beiden Nagelpunkten ist fließend und unwägbar, aber in Piasnitz begann etwas, das jenseits von Gas, Krematorien, Viehwägen, Güterzügen und Bürokratie geschah und im Wilden Wald handwerklich vollzogen wurde und allein unter den Juden zur Erschießung von eineinhalb Millionen Menschen führte. Die charakteristische Zielgruppe dieses Nagels, den Heidegger - und bisher auch die in der Forschung vorherrschende Aufmerksamkeit - übersah, waren jedoch nicht so sehr die Juden (obwohl sie auch hier die Mehrheit darstellen!), sondern die alten Familien, die Priester und andere Repräsentanten der nichtjüdischen nationalen Eliten. Ein zusätzlicher Tabubruch ließ alles Bestehende einbrechen: nicht nur das älteste Kulturvolk der Welt sollte ausgerottet werden, sondern auch die Angehörigen der ältesten bestehenden Kulturformen. Alles sollte deutschen Mythen, Bildern, Archetypen und Menschen weichen.

"Köppelsblek" nannte Ernst Jünger den Ort des Grauens, den er, ein halbes Jahr bevor im Wald von Piasnitz die Ausrottung des europäischen Erbes begann, in "Auf den Marmorklippen" sehr treffend und realistisch beschrieb. Köppelsblek liegt haargenau auf der unwägbaren Grenze zwischen Piasnitz und Auschwitz.



Grauenhaft



Auch eine Unsitte, die in Italien erfunden wurde, lange bevor Klaus Wagenbach anfing, italienische Sitten in Deutschland zu propagieren, und die sich in Italien bis heute gehalten hat und inzwischen in Deutschland angekommen ist. Es ist grotesk, aber dass Gymnasiasten ihre Schule besetzen, gilt in Italien als selbsverständliche demokratische Angelegenheit, genauso wie in amerikanischen Schulen die Präsidentenwahl geübt wird und Musicals eingeübt werden. Wenn man über diese Unsitte Bescheid weiß, wird vielleicht ein bisschen verständlicher, weshalb die USA Dario Fo einst die Einreiseerlaubnis mit der Begründung vorenthielten, er sei Kommunist. Es ist weder die eleganteste, noch die effizienteste Art, schlechte Lehrer und schädliche Meister zu bekämpfen, aber verständlich ist es.

Als ich noch ins Gymnasium ging, wurde gerade das Alter von Volljährigkeit und Wahlberechtigung auf 18 herabgesetzt. Ich fand schon das haarsträubend damals! Nicht etwa aus persönlichen Minderwertigkeitsgefühlen, nein, denn ich hielt ja nicht nur mich selbst für zu unreif, sondern andere meines Jahrgangs erst recht. Dabei war ich eigentlich "für mein Alter etwas zu alt", denn ich hatte damals ausschließlich Freunde, die ein Jahr älter als ich waren. Dass es Leute gibt, die mittlerweile die Wahlberechtigung auch den 16-jährigen geben wollen, finde ich grotesk.

In den italienischen Lehrerkollegien hat es immer mehrere Lehrkräfte gegeben, die ihre Schüler dazu erziehen (wobei auch jemand auf die Straße geschickt wird und Passanten um einen Beitrag für die Demonstrationskasse bittet), die Schule eventuell zu besetzen. In der Via San Gallo in Florenz gibt es ein musisches Gymnasium, das alle Nas lang "besetzt" ist: ein Bettlaken, auf dem groß "OKKUPATO" steht (mit "K", weil das hart und deutsch wirken soll), wird aus dem Fenster gehängt, und die Schule wird bis spät in die Nacht zum Treffpunkt.

Schulen, die diese Farce als demokratischen Unterricht ansehen, waren in den 80-ern noch sehr häufig in Italien. Es klang erst in den 90-ern langsam ab und nimmt in letzter Zeit wieder zu, weil Berlusconis Ministerin Gelmini Schule und Universität reformieren will, wobei Privatisierungen und private Stiftungen auch eine Rolle spielen sollen, was der Linken nicht passt. All diese Dinge wissen Kaus Wagenbach und Thomas Schmid sehr, sehr, sehr gut. Auch dass die Besetzerei nur eine widerliche, wichtigtuerische Farce ist und es immer war, wissen diese Leute ganz genau. Trotzdem wurde von Wagenbach zuerst Jahrzehnte lang das Märchen von der ach so reifen politischen Kultur Italiens erzählt, und seit Berlusconi auftauchte, wird nun gejammert und herbeigelogen, dass diese wundervolle politische Kultur der Mündigkeit, der Achtung und des aufrechten Gangs, die Italien Deutschland angeblich voraus hat, daran gehindert würde, sich weiterhin zu entfalten. Was als Verblendung anfing, wurde spätestens Anfang der 80-er Jahre zur Verlogenheit und ist heute endgültig bodenlose Verlogenheit.

Und sie wissen auch ganz genau, dass es sich da nur um eines von -zig anderen Beispielen für Quatsch handelt, von dem die Leute in Italien die Nase gestrichen voll haben, und dass es einzig und allein Berlusconi zu verdanken ist, wenn es hier weniger wurde mit den Hanswurstereien. Dass der Teufel dabei vom Beelzebu ausgetrieben wurde, ist bekannt. Wenn ein Auslandskorrepondent in Italien nicht schlüssig erklären kann, weshalb hier die Leute Berlusconi wählen, dann ist das trotzdem entweder gravierende Inkompetenz oder Niedertracht. Tertium non datur.

Ich habe 1977 erlebt, wie Theodor Berchem, der damals jüngste Universitätsrektor Deutschlands bei einer Universitätsbesetzung in Würzburg die Polizei rief, die die Studenten mit Hunden an der Leine aus dem Gebäude jagte, und ich habe 1988 erlebt, wie bei einer Universitätsbesetzung in Siena der kommunistische Rektor Luigi Berlinguer in die Aula Magna kam, um mit den Studenten zu diskutieren: "Mi è stato riferito che tra i studenti c'è un disagio".  Die italienische Situation war eindeutig ziviler. Bevor jetzt aber der Eindruck entsteht, Klaus Wagenbach habe also doch Recht gehabt mit seinen Lobpreisungen Italiens, schaue man sich noch ein paar Details an. Ganz Unrecht hatte er nicht, die Sitten sind in Deutschland zuweilen wirklich etwas zu rauh und kaltschnäuzig, aber...

In Würzburg ging es darum, Lothar Bossle daran zu hindern, Vorlesungen zu halten. Man widerlegte nicht seine Thesen, man setzte sich nicht dafür ein, Vorlesungen eines anderen Professors folgen zu können und die Examen bei einem anderen Professor ablegen zu können, sondern man wollte Bossle daran hindern, Vorlesungen zu halten; gleichzeitig empörte man sich aber über das damals gebräuchliche Berufsverbot. Dass es damals auch um dreiste Ermächtigungen von Franz Josef Strauss und dem Kultusminister gegenüber dem akademischen Senat gegangen sein soll, lese ich erst jetzt zum ersten Mal in Wikipedia. Sollte mir das tatsächlich entgangen sein damals? Damals sah ich vom Senat nichts, sondern nur Studenten, die sich zu Recht an Bossles Ansichten über Pinochet störten, in ihrer Auflehnung aber überreagierten und deutlich illiberale Züge annahmen, insofern sie nicht nur "Mit uns kannst du das nicht machen!" sagten, sondern ihm prinzipiell die Lehrfreiheit absprachen.

In Italien ging es nur darum, mehr Prüfungstermine zu bekommen, weil viele die Vorlesungen ohnehin nicht besuchten und von weit her anreisten, um eine Prüfung abzulegen. In Italien wollten die Studenten in einer bereits lumpigen Situation zusätzliche Flickereien, und Berlinguer war der richtige Mann dafür. Er ist haargenau der Schlag von Hochschulpolitiker, der auch noch in den 80-er Jahren von der Verstaatlichung des Gesundheitswesens schwärmte, es sei zweifelsfrei die richtige Gesundheitspolitik (obwohl es in Großbritannien Wartezeiten für Knochenbrüche und Tuberkulosekranke gab).

Andere Länder, andere Sitten? Im globalen Dorf schmilzt der Unterschied zur Zeitdifferenz: was mich vor 30 Jahren in Italien entsetzte, entsetzt mich heute in Deutschland um so mehr als ich es 1. für unmöglich hielt und es 2. auch noch schlimmer ist als in Italien damals. Denn die obigen Bilder sprechen von einer Leere, die beängstigend ist, und die in Deutschland nicht mehr von intakten Familien aufgefangen wird.

Dass ich jemals erleben müsste, dass in Deutschland Gymnasiasten das tun, was man in dem Video hier oben sieht, hätte ich nicht gedacht. Ich war ein paar Jahrzehnte lang stolz darauf, dass "wir nicht so sind und so einen Quatsch nicht mitmachen". Denkste. Damit ist es jetzt leider vorbei. In Deutschland erinnern mich seit der WM in Südafrika die Übertreibungen des Fußballkults unangenehm an Italien. All die Intellektuellen, die in ihren Blogs in die Fußstapfen von Gianni Brera treten und sich als Fußballideologen zum Hanswurst machen. Es nicht auszuhalten.

Jetzt sind es zusätzlich auch noch fanatische deutsche Gymnasiasten, die mich an die unangenehmsten Seiten Italiens erinnern. Es ist grauenhaft. Jetzt fehlt nur noch eine deutsche Mafia, oder faschistische Schlägertrupps, die den Politikern und der Polizei die Arbeit aus den Händen nehmen wollen. Für mich ist das Maß jetzt schon voll. Wir werden wieder ins andere Extrem schwappen über kurz oder lang, wenn es so weitergeht.

Donnerstag, 17. Februar 2011

T.S. Eliot & Edgar Wilson Nye & Ferenc Sebö

"Where is the wisdom we have lost in knowledge? Where is the knowledge we have lost in information?" The Rock - 1934

"Wagner's music is better than it sounds." Edgar Wilson Nye (quoted by Mark Twain in his autobiography)

http://en.wikipedia.org/wiki/Ferenc_Sebö



Gott wurde auf die Liebe reduziert, die Liebe auf die Moral, die Moral auf moralistische Buchhaltung. Der nächste Schritt auf dieser Abschiedsstiege wird ein kybernetisches Flussdiagramm sein, das ein Funktionsmodell der Spiegelneuronen beschreibt.

Mittwoch, 16. Februar 2011

Pirol


Der Pirol wird in Mecklenburg Vogel Bülow genannt, weil sein Ruf sich so ähnlich anhört: "Bülow, bülow". Das Adelsgeschlecht von Bülow hat daher spätestens Ende des 14. Jahrhunderts beschlossen, seinem Wappen unter anderm auch einen Pirol hinzuzufügen.

(nicht alle Bülows, wie man sehen kann, wenn man 
draufklickt, haben den Vogel im Wappen)


Bernhard Victor Christoph-Carl von Bülow (* 1923), genannt Vicco von Bülow, hat sich als Künstlernamen das französische Wort für Pirol gewählt: Loriot!

Collegium 1704 und Vaclav Luks

http://de.wikipedia.org/wiki/Collegium_1704

http://www.collegium1704.com

Wunder zur Zeit Napoleons I. und des III.

Kalenderblatt - Lourdes

"Dass da Wunder geschehen, wo Wunder geglaubt werden, ist kein Wunder" Ludwig Feuerbach

Als Napoleon Neapel besetzt hatte, wollte das Blutwunder des San Gennaro nicht zustandekommen, was in Neapel als sehr schlechtes Zeichen gedeutet wird (auch heute noch), und damals drohte deshalb angeblich ein Volksaufstand. Napoleon ließ daher lieber die obersten Priester herbeikommen und sagte, wenn das Wunder nicht binnen 24 Stunden zustande gekommen sei, würde er sie standrechtlich erschießen lassen. Da geschah das Wunder.

Montag, 14. Februar 2011

Napoleon


Napoleons Muttersprache war italienisch. Die Vorfahren kamen 200 Jahre vorher aus der Toskana, wahrscheinlich im Dienste Genuas, und gehörten zum korsischen Kleinbürgertum. Als Korsika französisch wurde, räumten die Franzosen dem korsischen Kleinadel Privilegien ein, um Korsika leichter regieren zu können (so ähnlich, wie später Napoleon aus dem Kurfürstentum Bayern ein Königreich Bayern machte). Um an diese Privilegien zu gelangen, nahm Napoleons Vater Verbindung mit entfernten adeligen Verwandten in Sarzana und San Miniato (Toskana) auf, um die adelige Herkunft beweisen zu können.

Ernst Jünger schrieb in seiner Erzählung "Der Moosgrüne" sinngemäß einmal, im Zusammenhang mit Orten wie Sardinien, "die periphären Orte" seien "Retorten des Unvorhersehbaren". Ich musste an diesen Ausdruck denken, als Ferdinand Piech den baskischen GM-Manager Lopez, für VW abwarb. Die französische Revolution schaffte nicht die Monarchie ab, sondern machte 10 Jahre nach dem Sturm der Bastille einen genialen, aus der korsischen Peripherie Europas herantretenden Emporkömmling zu einem Kaiser des Bürgertums. Dessen Größe entfachte in Frankreich die Grandeur, und als der korsische Emporkömmling zum französischen Eindringling wurde, weckte das Eindringen der republikanischen Grandeur in Europa einerseits die latenten republikanischen Ideale der citoyens (oder in Deutschland zumindest der bourgoises) und andererseits den nationalistischen Stolz der Selbstbehauptung. Schwer zu sagen, wem von beiden Deutschland mehr für die deutsche Einheit zu verdanken hat, ob Napoleon oder Bismarck (für Recht und Freiheit wahrscheinlich mehr Napoleon!). Grob gesagt (sehr grob und sehr sarkastisch), hat Napoleon Deutschland möglich (weil nötig) gemacht, wie Hitler Israel möglich (weil nötig) gemacht hat.

Ab 1871 gab es dann einen Kaiser in Deutschland. Aber nicht das Bürgertum hatte jetzt einen Kaiser, sondern Deutschland hatte jetzt einen Kaiser, der ein Bürgertum hatte.

http://de.wikipedia.org/wiki/Napoleon_Bonaparte

http://it.wikipedia.org/wiki/Napoleone

Austerlitz - La7 (auf italienisch)

Napoleon und die Deutschen (ZDF - Dokumentation)

http://persciun.blogspot.com/2010/12/der-schatten-napoleons.html

Bismarck und das Deutsche Reich (ZDF - Dokumentation)

Die Märzrevolution von 1948 (ZDF - Dokumentation)

Peter Alexander

Sonntag, 13. Februar 2011

Ehrliche Antworten zur DDR - Grenze

1. Teil

2. Teil

Kelsos (um 178 n.Chr.)

Die erste umfassende Kritik am Christentum verfasste Kelsos. Kelsos ist in Deutschland merkwürdig unbekannt. Genauso unbekannt wie Martin Luthers Buch "Von den Juden und ihren Lügen". In Italien ist Kelsos sehr viel bekannter, und auch Luthers Buch im Handel.



Zu den Argumenten des Kelsos, mit denen er das Christentum und einzelne christliche Lehren bekämpfte, gehören folgende, immer noch kluge und treffende Einwände:

Es sei absurd zu glauben, dass sich die höchste Gottheit in einen menschlichen Körper begebe, noch dazu einen normalen und unauffälligen, dem man das Göttliche nicht ansieht, und dass Gott sich mit Bösem und Hässlichem abgebe und dem Leid aussetze. Außerdem sei nicht einsichtig, dass Gott dies erst zu einem bestimmten Zeitpunkt getan habe und nicht schon früher.

Es sei unsinnig zu glauben, dass Gott sich um die Juden und die Christen mehr kümmere als um die übrige Welt und nur zu ihnen seine Boten entsende. Ebenso könnten Würmer oder Frösche sich einbilden, dass das Weltall ihretwegen bestehe und dass Gott sie gegenüber allen anderen Wesen bevorzuge.

Wenn alle Menschen so wie die damaligen Christen sich der Beteiligung an der staatlichen Gemeinschaft verweigern würden, müsse das Reich zugrunde gehen; dann würden Barbaren die Macht übernehmen und jegliche Zivilisation und Weisheit vernichten. Auch vom Christentum bliebe dann schließlich nichts übrig.

Dem linearen, eschatologischen Geschichtsverständnis der Christen stellt Kelsos eine zyklische Geschichtsdeutung entgegen. Nach seiner Überzeugung strebt die Geschichte nicht einem Endpunkt wie dem Weltuntergang und Jüngsten Gericht zu, sondern ist ein ewiger Kreislauf.

Es gebe keinen Grund anzunehmen, die Welt sei um des Menschen willen geschaffen worden. Eher könne man sogar behaupten, sie sei um der Tiere willen da. Zwar würden die Tiere vom Menschen gejagt und verspeist, aber das Umgekehrte komme auch vor und sei früher – bevor die Menschen Waffen, Netze und Jagdhunde einführten – sogar der Normalfall gewesen. Daher scheine Gott eher die Raubtiere bevorzugt zu haben, da er ihnen ihre Waffen schon mitgab. In Wirklichkeit sei die Welt jedoch eine Gesamtheit; es sei nicht einer ihrer Teile um des anderen willen da oder eine Gattung von Lebewesen wegen einer anderen geschaffen, sondern jeder Teil bestehe unmittelbar im Hinblick auf das Ganze.

Es sei ein Widerspruch, dass Jesus als Sohn eines Zimmermanns bezeichnet wird und zugleich sein Stammbaum zu den jüdischen Königen zurückverfolgt wird.

(wobei der Zimmermann auch noch der Stiefvater ist, füge ich hinzu)

Jesus drohe und schimpfe, weil er unfähig sei zu überzeugen.

Die Christen seien ungebildet und betrachteten dies nicht als einen Mangel, sondern als ob es ein Verdienst wäre. Sie meinten, ein Ungebildeter habe besseren Zugang zur Wahrheit als ein Gebildeter.

Es sei unsinnig anzunehmen, dass Gott außerstande gewesen sei, sein eigenes Geschöpf Adam zu überzeugen.

Es sei lächerlich, Gott menschliche Leidenschaften wie Zorn zuzuschreiben.

Die Lehre von der Auferstehung des Fleisches unterstelle Gott ein naturwidriges und unsinniges Verhalten.

Es sei abgeschmackt anzunehmen, dass Gott nach dem Sechstagewerk der Schöpfung einen Ruhetag benötigt habe, als wäre er wie ein Handwerker nach der Arbeit ermüdet.

Es werde nicht einsichtig gemacht, warum man glauben soll, sondern der Glaube werde als Voraussetzung für die Erlösung einfach gefordert.

Der Teufelsglaube, also die Idee, dass Gott einen Widersacher habe, sei ein Zeichen von größter Ignoranz. Wenn es den Teufel gäbe und er die Menschen betrogen hätte, so gäbe es für Gott keinen Grund, den Betrogenen zu drohen; überhaupt drohe Gott niemandem.

Homogen



Deutscher Idealismus als Antiidealismus

"Über Tisch war Lenz wieder in guter Stimmung: man sprach von Literatur, er war auf seinem Gebiete. Die idealistische Periode fing damals an; Kaufmann war ein Anhänger davon, Lenz widersprach heftig. Er sagte: Die Dichter, von denen man sage, sie geben die Wirklichkeit, hätten auch keine Ahnung davon; doch seien sie immer noch erträglicher als die, welche die Wirklichkeit verklären wollten. Er sagte: Der liebe Gott hat die Welt wohl gemacht, wie sie sein soll, und wir können wohl nicht was Besseres klecksen; unser einziges Bestreben soll sein, ihm ein wenig nachzuschaffen. Ich verlange in allem – Leben, Möglichkeit des Daseins, und dann ist's gut; wir haben dann nicht zu fragen, ob es schön, ob es häßlich ist. Das Gefühl, daß, was geschaffen sei, Leben habe, stehe über diesen beiden und sei das einzige Kriterium in Kunstsachen. Übrigens begegne es uns nur selten: in Shakespeare finden wir es, und in den Volksliedern tönt es einem ganz, in Goethe manchmal entgegen; alles übrige kann man ins Feuer werfen. Die Leute können auch keinen Hundsstall zeichnen. Da wollte man idealistische Gestalten, aber alles, was ich davon gesehen, sind Holzpuppen. Dieser Idealismus ist die schmählichste Verachtung der menschlichen Natur. Man versuche es einmal und senke sich in das Leben des Geringsten und gebe es wieder in den Zuckungen, den Andeutungen, dem ganzen feinen, kaum bemerkten Mienenspiel; er hätte dergleichen versucht im ›Hofmeister‹ und den ›Soldaten‹. Es sind die prosaischsten Menschen unter der Sonne; aber die Gefühlsader ist in fast allen Menschen gleich, nur ist die Hülle mehr oder weniger dicht, durch die sie brechen muß. Man muß nur Aug und Ohren dafür haben. Wie ich gestern neben am Tal hinaufging, sah ich auf einem Steine zwei Mädchen sitzen: die eine band ihr Haar auf, die andre half ihr; und das goldne Haar hing herab, und ein ernstes bleiches Gesicht, und doch so jung, und die schwarze Tracht, und die andre so sorgsam bemüht. Die schönsten, innigsten Bilder der altdeutschen Schule geben kaum eine Ahnung davon. Man möchte manchmal ein Medusenhaupt sein, um so eine Gruppe in Stein verwandeln zu können, und den Leuten zurufen. Sie standen auf, die schöne Gruppe war zerstört; aber wie sie so hinabstiegen, zwischen den Felsen, war es wieder ein anderes Bild.
Die schönsten Bilder, die schwellendsten Töne gruppieren, lösen sich auf. Nur eins bleibt: eine unendliche Schönheit, die aus einer Form in die andre tritt, ewig aufgeblättert, verändert. Man kann sie aber freilich nicht immer festhalten und in Museen stellen und auf Noten ziehen, und dann alt und jung herbeirufen und die Buben und Alten darüber radotieren und sich entzücken lassen. Man muß die Menschheit lieben, um in das eigentümliche Wesen jedes einzudringen; es darf einem keiner zu gering, keiner zu häßlich sein, erst dann kann man sie verstehen; das unbedeutendste Gesicht macht einen tiefern Eindruck als die bloße Empfindung des Schönen, und man kann die Gestalten aus sich heraustreten lassen, ohne etwas vom Äußern hinein zu kopieren, wo einem kein Leben, keine Muskeln, kein Puls entgegenschwillt und pocht.
Kaufmann warf ihm vor, daß er in der Wirklichkeit doch keine Typen für einen Apoll von Belvedere oder eine Raffaelische Madonna finden würde. Was liegt daran, versetzte er; ich muß gestehen, ich fühle mich dabei sehr tot. Wenn ich in mir arbeite, kann ich auch wohl was dabei fühlen, aber ich tue das Beste daran. Der Dichter und Bildende ist mir der liebste, der mir die Natur am wirklichsten gibt, so daß ich über seinem Gebild fühle; alles übrige stört mich. Die holländischen Maler sind mir lieber als die italienischen, sie sind auch die einzigen faßlichen. Ich kenne nur zwei Bilder, und zwar von Niederländern, die mir einen Eindruck gemacht hätten wie das Neue Testament: das eine ist, ich weiß nicht von wem, Christus und die Jünger von Emmaus. Wenn man so liest, wie die Jünger hinausgingen, es liegt gleich die ganze Natur in den paar Worten. Es ist ein trüber, dämmernder Abend, ein einförmiger roter Streifen am Horizont, halbfinster auf der Straße; da kommt ein Unbekannter zu ihnen, sie sprechen, er bricht das Brot; da erkennen sie ihn, in einfach-menschlicher Art, und die göttlich-leidenden Züge reden ihnen deutlich, und sie erschrecken, denn es ist finster geworden, und es tritt sie etwas Unbegreifliches an; aber es ist kein gespenstisches Grauen, es ist, wie wenn einem ein geliebter Toter in der Dämmerung in der alten Art entgegenträte: so ist das Bild mit dem einförmigen, bräunlichen Ton darüber, dem trüben stillen Abend. Dann ein anderes: Eine Frau sitzt in ihrer Kammer, das Gebetbuch in der Hand. Es ist sonntäglich aufgeputzt, der Sand gestreut, so heimlich rein und warm. Die Frau hat nicht zur Kirche gekonnt, und sie verrichtet die Andacht zu Haus; das Fenster ist offen, sie sitzt darnach hingewandt, und es ist, als schwebten zu dem Fenster über die weite ebne Landschaft die Glockentöne von dem Dorfe herein und verhallet der Sang der nahen Gemeinde aus der Kirche her, und die Frau liest den Text nach.
In der Art sprach er weiter; man horchte auf, es traf vieles. Er war rot geworden über dem Reden, und bald lächelnd, bald ernst schüttelte er die blonden Locken. Er hatte sich ganz vergessen." Georg Büchner - "Lenz"

George Moorse

Einer der schönsten deutschsprachigen Filme

Liederprojekt

Samstag, 12. Februar 2011

Freiheit und Gebundenheit

„Kein Losungswort ist seit dem Jahre 1500 so viel mißbraucht worden wie das Wort „Freiheit“: in der Zeit der Reformation, der Französischen Revolution, des Liberalismus Europas und Amerikas, in den Schlagzeilen der Sowjetzone. Es gab dem natürlichen Bedürfnis des Menschen Ausdruck, in seiner Existenz als Individuum zu tun, was ihm gefällt. Es war das Schlagwort des Kampfes von Individuen gegen eine bindende, einengende Gruppe, gegen eine Familie, einen Stand oder im Kampf einer sozialen Schicht gegen eine zwingende höhere Gemeinschaft. Aber es wurde seltener deutlich – wohl allerdings bei Kant, Fichte, Chamberlain, Jaspers -, daß es keine absolute Freiheit gibt, sondern nur ein Gleichgewicht zwischen Freiheit und Bindung. Für das Leben eines Individuums ist die Freiheit der Bewegung ebenso notwendig wie die Bindung an ein Elternhaus. Die Freiheit der persönlichen Schöpfung im Denken, Fühlen und Gestalten ist ebenso wichtig wie die Bindung dieser Vorgänge an eine Gemeinschaft, die mitwirkt und durch ihren Widerhall mitgestaltet.
Von diesem Gleichgewicht, von dieser lebensnotwendigen Polarität müssen wir ausgehen, der Polarität zwischen Bewegungsfreiheit und Ortsgebundenheit, Denkfreiheit und Denkausrichtung durch die Gemeinschaft, zwischen Individuum und Genossenschaft, zwischen schöpferischer Freiheit des Gestaltens und den Formen der Tradition, zwischen der Willkür des Handelns der Individuen oder der Gruppen und dem Widerhall, dem Miterleben durch die höhere Gemeinschaft. Die Existenz des Menschen umfaßt beide Pole; sein Leben entzündet sich durch die Energien, die von dem einen Pol zum anderen strömen: Freiheit und Gebundenheit.“ – Gottwalt Christian Hirsch

Jafar Panahi



Hier noch mal zum Nachlesen

Matthias Matussek

Er ist nicht nur amüsant, er hat auch noch recht

Es hat alles seine zwei Seiten

Hermann Schaeffer

http://de.wikipedia.org/wiki/Hermann_Schaeffer

Demnächst Ausstellung in Jena

Brut und Boden

Wenn es im Orient Kupfer statt Öl gäbe und in Chile Öl statt Kupfer, würde nach den Orientalen kein Hahn krähen. Was dann aus den Inti Illimani geworden wäre, weiß ich nicht. Vielleicht hätte einer von ihnen dann die Nationalhymne Chiles komponiert.

Quotenstreit

Eine ganz hervorragende, absolut sehenswerte Diskussion bei Maibritt Illner!

Freitag, 11. Februar 2011

Gegenüberstellung

Yo no soy yo.
Soy este
que va a mi lado sin yo verlo;
que, a veces, voy a ver,
y que, a veces, olvido.
El que calla, sereno, cuando hablo,
el que perdona, dulce, cuando odio,
el que pasea per donde no estoy,
el que quedarà en pié cuando yo muera.

Ich bin nicht ich.
Ich bin jener,
der an meiner Seite geht, ohne dass ich ihn erblicke,
den ich oft besuche,
und den ich oft vergesse.
Jener, der ruhig schweigt, wenn ich spreche,
der sanftmütig verzeiht, wenn ich hasse,
der umherschweift, wo ich nicht bin,
der aufrecht bleiben wird, wenn ich sterbe.

Juan Ramon Jimenez



Nächtlicher Weg

Schwer schweigt der Wald in schwarzer Pracht.
Mein Mantel flattert durch die Nacht.
Streift welkes Laub am Boden mit;
und wo die Äste wie Gestalten
hoch über mir die Hände halten,
folgt Zittern meinem festen Schritt.

Und leis an mir herniederglitt,
als woll´s im feuchten Gras erkalten,
was in mir kämpfte, rang und litt;
was ich in mir für schlecht gehalten,
das nahm die Nacht im Atem mit.

Und stiller meine Schritte halten,
wie eines fremden Freundes Schritt.

Wilhelm von Scholz



Des Lebens Pulse schlagen frisch lebendig,
Ätherische Dämmerung milde zu begrüßen;
Du, Erde, warst auch diese Nacht beständig
Und atmest neu erquickt zu meinen Füßen,
Beginnest schon, mit Lust mich zu umgeben,
Du regst und rührst ein kräftiges Beschließen,
Zum höchsten Dasein immerfort zu streben. –
In Dämmerschein liegt schon die Welt erschlossen,
Der Wald ertönt von tausendstimmigem Leben,
Tal aus, Tal ein ist Nebelstreif ergossen,
Doch senkt sich Himmelsklarheit in die Tiefen,
Und Zweig und Äste, frisch erquickt, entsprossen
Dem duft'gen Abgrund, wo versenkt sie schliefen;
Auch Farb' an Farbe klärt sich los vom Grunde,
Wo Blum' und Blatt von Zitterperle triefen –
Ein Paradies wird um mich her die Runde.

Zwickmühle im Sonnenlicht und Noam Chomsky

Folgendes Gedicht war in meiner Jugend (gerade eben schrieb ich aus Versehen "in meiner Juden", statt "in meiner Jugend" - ein wahrer Lapsus lazuli), ab dem Alter von 15 Jahren, eins meiner Lieblingsgedichte.



Im Sonnenlicht

Die Sonne, wie sie mir zufällt,
kupfern und golden,
dem blinzelnden Schläfer, -
ich habe sie nicht verlangt.

Ich will sie nicht, wie sie die Haut mir bräunt
und mir Gutes tut,
ich fürchte das Glück, -
ich habe es nicht verlangt.

Die ihr sie hinnehmt, kupfern und golden,
daß sie das Weizenkorn härtet,
daß sie die Traube kocht, -
wer seid ihr, daß ihr nicht bangt?

Was üppig sie gab,
was wir genommen ohne Besinnen,
das unverlangte Geschenk, -
eines bestürzenden Tages
wird es zurückverlangt.

Was zu verschwenden erlaubt war,
die kupferne Scheidemünze,
die Haufen Goldes,
die vertanen Reichtümer, genau
wird es zurück verlangt.

Aber wir werden leere Taschen haben
und der Gläubiger ist unbarmherzig.
Womit werden wir zahlen?
Oh Brüder, daß ihr nicht bangt!









Heute bin ich erstaunt, mit welcher Treffsicherheit unsere Gestaltwahrnehmung etwas Wesentliches spüren kann, ohne es völlig zu verstehen (diese Tatsache bestärkt mich nebenbei bemerkt in der Ansicht, dass Vox Popoli tatsächlich Vox Dei sein darf, bzw. die Demokratie besser ist, als sie manchmal zu sein scheint). Mit derselben Treffsicherheit hatte ich als 13-jähriger gespürt, dass Bergmans Film "Smultronstället" von etwas handelte, das etwas Wesentliches in meiner Umgebung thematisierte. Und noch viel früher, als ich nur 6 Jahre alt war, und eigentlich noch gar keinen Grund hatte, mich über meine Geschwister zu beklagen, empfand ich im Religionsunterricht von allen Geschichten, die uns der Pfarrer erzählte - mit Ausnahme der Jesusgeschichten - , die Josefsgeschichte am schönsten.


Ich wusste damals, als ich meine Vorliebe für "Im Sonnenlicht" entdeckte, noch nichts von Mengele, und ich wusste vor allem nicht, was eine Scheidemünze ist, und alle, die ich nach der Bedeutung fragte, konnten mir keine Auskunft geben. Es wurmte mich, dass es in einem meiner Lieblingsgedichte einen unverständlichen Fleck gab, und es machte mich wütend, dass mein damaliger bester Freund so tat, als gelinge es ihm, aus dieser unverständlichen Stelle eine mysteriös ins All geraunte Bedeutung herauszudistillieren, die nur begabten Sehern und Runenlesern wie ihm zugänglich war und gewöhnlichen Sterblichen unzugänglich bleiben musste, weil sie nur außerhalb ihres Wahrnehmungsbereichs gefunden werden konnte. Ich hielt ihn damals für zu ehrlich, um ein Verständnis vorzutäuschen, das nicht vorhanden war, und ich bewunderte seine Intelligenz, die er in anderen Situationen oft bewiesen hatte. Dass er sich beim Lesen von Gedichten die Sache immer zu einfach machte, und ihn die Einfalt sogar zu begünstigen schien, weil sie im Einklang mit dem Zeitgeist stand, war andererseits ein Eindruck, den ich oft gewann, aber ich hätte damals nicht zu sagen vermocht, inwiefern dies so war. Auch dass er sich maßlos überschätzte, war mir klar, denn ich sah - weil ich mit sehr alten Eltern aufwuchs und meine Geschwister schon lange erwachsen waren, weshalb ich selbst damals für mein Alter immer etwas zu alt war - mindestens ebenso oft einen Haken, den er völlig übersah, und ich wusste, wie vergeblich es gewesen wäre, ihn darauf aufmerksam zu machen; sodass ich oft dachte, "du wirst dich noch wundern eines Tages und dazu kommen umzudenken". Aber ich hielt ihn damals für zu ehrlich, um der Welt nur aus Eitelkeit ein X für ein U vorzumachen. Dass ich mich in beidem irrte, sowohl, was seine Eitelkeit angeht, wie seine Fähigkeit zu Einsicht, ist eine der großen Enttäuschungen in meinem Leben.

Aber ich wusste, dass er es mit der Wahrheit nicht genau nahm, wenn es um die Moral ging. Wie vielen Moralisten, wurde auch ihm die Tatsache, dass Liebe wichtiger ist als Wahrheit, zum Verhängnis. Um zu flunkern, fehlte ihm die Elastizität italienischer Katholiken. Die deutsche Variante katholischer Doppelbödigkeit ist von der lutherischen Härte geprägt und bringt keine Figuren hervor, die wie Jörg Haider oder Silvio Berlusconi unbefangen lügen. In Deutschland umschifft man die Untiefen. Bei den Lutheranern ist die Heuchelei in höherem Maße geächtet als bei den Katholiken und geht daher noch verschlungenere Wege, wenn sie den Mut findet, einen Auftritt zu wagen. Man müsste mal einen freimütigen, scharfsinnigen deutschen Katholiken bitten, sich über die typischen Mängel und Schwächen der lutherischen Mentalität zu äußern, um mehr darüber zu erfahren. Man sieht die Gruppe, zu der man gehört in dieser Hinsicht meistens nicht so deutlich wie die der Anderen. Sich selbst kennt man eigentlich viel zu gut, um Zeit damit verschwenden zu müssen, "zu sich selbst zu finden". Aber die Identifikationsgruppen, die einem in die Wiege gelegt werden, mit Abstand sehen zu können, ist eine Kunst, die nicht jedermanns Sache ist.

Sein verstockter, stockkatholischer Moralismus trieb ihn ständig dazu, der Ideologie den Vorzug gegenüber der Wahrheit zu geben und jede Frage, auf die keine "linke" Antwort gegeben werden konnte, wurde - wenn auch unausgesprochen - sozusagen zu einer "rechten" (sprich "faschistischen") Frage abqualifiziert. Auf diese Weise entwertet, landete sie nicht einmal im Kröpfchen, sondern wurde in den Spucknapf entsorgt und der gesamte, damit verbundene Themenkomplex aus dem Bewusstsein ausgeblendet. Er ging tatsächlich allen unangenehmen Fragen aus dem Weg, wie der Teufel dem Weihwasser. Mein 18 Jahre älterer Bruder machte haargenau dasselbe, bloß umgekehrt: bei ihm wurden alle Fragen, auf die womöglich keine konservative, biologistische Antwort möglich war, als "links" (sprich "im Endeffekt sozialistisch oder kommunistisch") abqualifiziert und abgewürgt. Und auch seine Einäugigkeit kam beim Lesen oder Zitieren von Gedichten zum Ausdruck. Auch er übersah, genau wie mein Schulfreund, Bedeutungsnuancen, die dazugehörten, sodass sich bei ihm ein Goethezitat immer anhört, als sei es von Wilhelm Busch. Und ich befürchte, selbst wenn mein Bruder - was sehr unwahrscheinlich ist - einmal Paul Celan zitieren sollte, würde es sich noch anhören wie Wilhelm Busch.

Zwei Seiten derselben sturen Borniertheit. Jeder von beiden sah immer - und tatsächlich immer - nur die halbe Wahrheit. Ich kam mir vor, als spazierte ich auf der chinesischen Mauer und sähe zur Rechten wie zur Linken, je einen halben Edlen niedersinken.



Diese beiden Menschen waren es, die ich, ihrer Sensibilität wegen, während meiner Jugend am meisten schätzte.

Beide waren auf einem Auge blind, aber beider Wahrnehmung hatte ein ziemlich hohes Auflösungsvermögen. Beide waren in der Lage mit schlafwandlerischer Sicherheit Dinge, die gewöhnliche Sterbliche schlicht übersahen, als Dinge zu erkennen, die sie in ihrer radikalen Ansicht bestärkten. Und da sich unter diesen Dingen neben paranoiden optischen Fehlleistungen immer wieder auch tatsächlich Wesentliches befand, war der Umgang mit beiden zwar einerseits nervenaufreibend, weil man ihre unbefangen vorgetragenen Behauptungen besser überprüfte, aber andererseits eben auch sehr stimulierend. Beide hatten einen sehr hohen moralischen Anspruch auf ihre Fahne geschrieben, und beide legten sehr strenge Maßstäbe an. Aber beide waren leider gleichermaßen intollerant und feindselig gegenüber Andersdenkenden und somit letztlich gleichermaßen unglaubwürdig. Leider waren auch beide, was bei dem bisher über sie gesagten niemanden überraschen wird, gegenüber Kritik völlig unzugänglich und reagierten tief gekränkt und empört, wenn man versuchte für diejenigen Partei zu ergreifen, die sie zu schmähen pflegten. Und es wurden in diesem Fall sofort gehässige, moralisierende Schlussfolgerungen ins Feld geführt, die im Fall des Schulfreundes dem Muster folgten, das Leo Strauss als "Reductio ad Hitlerum" bezeichnete. Mein Bruder diente mit dem entsprechenden Pendant der "Reductio ad DDRum" oder zeigte einem schlicht, was ne beleidigte Leberwurst alles für Register ziehen kann, wenn es darum geht, beispielhaft Gejammer in Szene zu setzen. Beide waren Spartaner, die einem kynischen Sonnenanbeter nicht gleichgültig sein konnten und verkörperten auf mustergültige Weise eine Mischung aus echter Bescheidenheit und echter Überheblichkeit, wie sie entsteht, wenn begabte Menschen sich nicht an die guten Ratschläge von Jesus Sirach halten. Immerhin predigten beide Wein und tranken dabei Wasser.

Der katholische Schulfreund versuchte durch sein eigenes Betragen der Welt vorzuleben und zu beweisen, dass wahre Kommunisten eigentlich doch die besseren Menschen waren und schottete sich gegen Kritik dadurch ab, dass er jedesmal, wenn das Gespräch eine Kernfrage berührte, das betreffende Thema als "ein typisches Thema, das nur dazu führen kann, dass man aneinander vorbeiredet" bezeichnete. Die Fantasie, die er entwickelte, um sich an Auseinandersetzungen vorbeizumogeln, bei deren Verlauf gewisse Widersprüche und entscheidende Punkte hätten herausgesiebt werden und ans Licht kommen können, war und ist immer noch beeindruckend. Schrecklich. Er brachte es tatsächlich fertig, den Themen die Schuld dafür zu geben, dass er nicht zu echter Auseinandersetzung fähig war. Haargenau so wie der Mann, der seine Frau verhaut, die Schuld dafür dem Alkohol gibt. Und heute versteckt er sich hinter Noam Chomsky und fügt hinzu, mit Chomsky sei er sich so einig, dass er ihn nicht einmal lese.

Der 18 Jahre ältere Bruder versuchte durch sein Betragen der Welt vorzuleben und dadurch zu beweisen, dass es einen Nationalsozialismus mit menschlichem Antlitz geben kann und diese Nationalsozialisten die besseren Menschen seien. Auch er schottete sich gegen Kritik durch eingebaute Immunisierungsmechanismen ab. Zum Einen achtete er sorgfältig darauf, nur durch Unterlassungssünden schuldig zu werden und nie gegen die 10 Gebote zu verstoßen. "Nulla culpa sine lege" könnte der kaltschnäuzige Wappenspruch sein, der ihn zu einer Art, manchmal geradezu sadistischen, Aikidos beflügelte. Zum Anderen setzte er jede der Vergangenheit gewidmete Betrachtung als müßige, rückwärtsgewandte Zeitverschwendung herab (sowohl, was die Geschichte Deutschlands anging, als auch die eigene persönliche Geschichte und die Geschichte unserer Familie) oder gar als kleinkarierten, nachtragenden Groll; und jeder Versuch einer rationalen Erörterung wurde zu einer zwanghaft dem Analysieren unterworfenen Manie abqualifiziert.

Ich kann sehr wohl verstehen, dass es für ihn, der bei Kriegsende gerade eben 5 Jahre und eine Woche alt war, als einem Flüchtlingskind wichtig war, nicht zurückzuschauen, nicht an das zu denken, was er in der Vergangenheit erlebt hatte und nur nach vorne zu schauen. Aber weshalb muss ich einen solchen Zusammenhang mühselig von alleine erschließen??? Und weshalb ist es ihm nicht möglich zu verstehen, dass es für mich als ins Wirtschaftswunder hineingeborenen Nachzügler unerlässlich sein muss, zurück zu blicken und das zu verstehen, was ich nicht miterleben konnte, während es meine Eltern und Geschwister in der Nachkriegszeit und zuvor erlebten???

Das Drollige ist, dass auch er sich heute - nachdem Bin Laden wieder salonfähig gemacht hat, was durch Gudrun Ensslin zum Schweinestall geworden war - für Ansichten stark macht, die ebenfalls Noam Chomsky vertritt. Man sieht mit einem Mal, zur Rechten wie zur Linken, zwei halbe Edle sich zum Ritter fügen, die beide gleichfalls stinken und zur Hälfte beide lügen. Ariost und Cervantes hätten ihre Freude an ihnen.

http://de.wikipedia.org/wiki/Immunisierungsmechanismus


Zu dieser Situation, die mich lange quälte, fallen mir zwei Buchtitel von Italo Calvino ein: "Der halbierte Visconte" und "Der Ritter, den es nicht gab." Denn wie zwei halbe Menschen kamen und kommen mir auch heute noch diese beiden Menschen, die ich einmal sehr liebte, vor. Wie zwei Hälften, denen beiden etwas Wesentliches fehlt, das der andere im Übermaß besitzt. Beide sperrten und sperren sich gegen die Aufforderung "Consideretur et altera pars", beide sehnen sich nach Beachtung und beanspruchen sie, und beide empfinden vor Allem sich selbst als die "altera pars" und möchten, dass man ihre "alteritas" in Betracht zieht.

Und ich kam mir seit meinem 13. Lebensjahr in ihrer Umgebung immer vor, wie ein Ritter, der nicht existiert.






Michael Wolffsohn hat wieder mal recht

Hoffentlich müssen wir uns nicht irgendwann nach Mubarak zurücksehnen

In trutina mentis dubia fluctuant contraria: lascivus amor et pudicitia. Sed eligo quod video, collum iugo prebeo; ad iugum tamen suave transeo.

Falls es jetzt tatsächlich zu einer Demokratisierung einer Reihe von arabischen Ländern kommen sollte, dann hat der oft geschmähte George Dabbeljuh rechtbehalten mit seiner Idee, einen positiven Dominoeffekt zu bewirken, indem er den Irak gewaltsam demokratisierte und ein unmissverständliches Zeichen setzte. Ich habe damals, als George W den Irakkrieg wagte, gedacht, "nur jemand, der einfältig genug ist, kann sowas wagen. Ein Intelltueller wie Pius XII wäre zum Zauderer geworden, aber vielleicht wird die Zukunft tatsächlich irgendwann (in Jahrzehnten stellte ich mir vor...) zeigen, dass Bushs Riecher sich nicht irrte." Ich musste daran denken, dass Jünger über Rommel sagte, der wäre der einzige gewesen, der die für einen Umsturz nötige Einfalt damals besessen habe.

Donnerstag, 10. Februar 2011

Genetik + Zeitgeist = Genderhybrid

Empatie & Testosteron

Im Anfang war ein abwehrendes Zurückscheuen.

Am Anfang steht immer die selbstheilende Kraft der Natur: der Beginn jeder Ethik ist ein Gefühl des unheilen, unwohlen Unbehagens, der Abscheu, des Ekels und Erschreckens. Aber dieses authentische Gefühl, das durchaus berechtigt als unmittelbare Wahr-nehmung etwas Wesentlichen gelten darf, muss immer in Konventionen eingebettet werden, selbst dann und gerade dann, wenn es etwas dringend wichtiges Wesentliches anpeilt. Sobald die Achtung der überlieferten Konventionen über den Haufen geworfen wird, geschieht das, was Ulrike Meinhof uns vorgelebt hat. Gut gemeint, aber schlecht vorgeführt.

Das Naturrecht scheint von unten links in den Prozess der Normierung und Verrechtlichung einzutreten, und sein Inhalt ist rechts oben angekommen, wenn er nicht mehr Gegenstand des Naturrechts ist, sondern Bestandteil einer Verfassung.

In der deutschen Sprache wurzelt die Vernunft im Vernehmen. Das hat Vor- und Nachteile. Es begünstigt die Unmittelbarkeit ratiomorpher Erkenntnisfähigkeit, aber auch die gefährliche Versuchung, dem Analogieverbot, "das gesunde Volksempfinden" entgegenzuhalten und den Sachsenspiegel zu aktualisieren.

Per aspera ad astra

http://www.karymullis.com/

Kary Mullis & Gunther Sachs

Mittwoch, 9. Februar 2011

Hebbel und Lichtenberg

"Alles hat seine Tiefen. Wer Augen hat, der sieht alles in allem." Georg Christoph Lichtenberg


http://de.wikiquote.org/wiki/Christian_Friedrich_Hebbel

http://de.wikiquote.org/wiki/Georg_Christoph_Lichtenberg

Occidens stultitiam

Die Selbstkritik ist die Stärke des Westens. Damit sie nicht zur Schwäche wird, muss die Stärke des Westens zusätzlich noch die Wahrhaftigkeit sein.

So ganz unrecht haben auch die Talibaner und Aiman az-Zawahiri nicht. Die Art, wie Johannes Baptist Kerner Eva Herman aus seiner Sendung geworfen hat, war unter aller Kritik. Was schlimmer ist, ist, dass sie emblematisch ist und in aller Deutlichkeit zeigt, wie man in Deutschland von einem Extrem ins andere gefallen ist und seit Jahrzehnten Scheuklappen trägt, und wie gefährlich es in Deutschland ist, diese Scheuklappen abzunehmen und den Mund aufzumachen. Man wird tatsächlich medialem Mobbing ausgesetzt und muss einen Spießrutenlauf über sich ergehen lassen. Es kann zwischen Mann und Frau keine Symmetrie geben, sondern immer nur ein Gleichgewicht, das jede Epoche neu finden muss, wobei die Beschleunigung der Epochenfolge im Moment ein zusätzliches Hindernis darstellt und die Unterscheidung zwischen "zeitlos" und "ephimär" etwas für Kenner ist.


Eva Herman hat zaghaft versucht, darauf hinzuweisen, dass unsere DNA Frauen mit mehr Pufferzonen ausstattet und Männer kantiger macht. Hiervon ausgehend ließe sich sehr viel über das Androgynat sagen, und zur Hybridisierung sozialer Rollen ebenfalls, sogar viel Intelligentes. Johannes Baptist Kerner aber hat der eigenen Stumpfsinnigkeit selbst ein Denkmal gesetzt, womöglich, um sich nicht die Sympatien von schönen Damen zu verscherzen, die in seinem Umfeld Karriere machen und Wert auf seine Begabung als "Frauenversteher" legen könnten. Mann schämt sich wirklich manchmal, dem männlichen Genus und Geschlecht anzugehören, aber auch die Frauen haben gute Gründe, besser ihren Hof zu kehren, als sie es im Moment (d.h. seit Jahrzehnten) tun. Man sollte als Frau nie etwas tun, was man an der eigenen Schwiegertochter missbilligen würde (auch dann, wenn man noch gar keine hat und vor hat nie eine zu haben). Als Mann sollte man bleiben lassen, was man dem eigenen Schwiegersohn nicht verzeihen könnte. Die einzig mögliche Symmetrie zwischen Mann und Frau ist diese indirekte, verklausulierte, verschachtelte, die die Brutpflege zum Parameter der Empathie macht.

Alberto Moravia, der die Gattung Phalaropus wahrscheinlich nicht einmal kannte und im Alter von 79 Jahren die wunderschöne (und sehr intelligente, muss ichs wirklich betonen?), 47 Jahre jüngere Carmen Llera heiratete, sagte einmal, er habe sich gefragt, weshalb im Tierreich die Männchen schöner als die Weibchen seien, und was im Menschenreich dem Gefieder der Vögel entspreche, und er sei zu dem Schluss gekommen, dass bei den Menschen, der Intellekt das sei, was bei den Vögeln das Gefieder ist. Diese Überlegung kann man auch zu Ende denken, statt sie herablassend als maskilistisches Geschwafel eines italienischen Untermenschen abzutun, wie es der übermoderate Moderator Johannes Baptist Kerner sicherlich gern täte. Frauen haben in der Tat eine Intelligenz, die mimetisch vorgeht, während die männliche Intelligenz dazu drängt, sich zu zeigen und linearer, penetrierender, schärfer umrissen und schärfer ist.
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Nur 13% der Wikipediaautoren sind Frauen. Wahrscheinlich ist daran Berlusconis Medienmacht schuld.
Deutschland versinkt in geistiger Umnachtung, wenn es außer Sarrazin keine brillanten Köpfe mehr gibt in diesem Land.


Jacob Taubes - die Fleisch gewordene Gesprächsbereitschaft

Im Juni 1986 reichte der jüdische Philosoph Jacob Taubes in einer Berliner Apotheke ein Rezept ein. Der Apotheker versuchte den Namen zu entziffern und vergewisserte sich: «Heissen Sie Paulus??»

Darauf Taubes: «Eigentlich ja, aber auf dem Rezept steht Taubes.»
Diese Anekdote illustriert, wie sehr sich Jacob Taubes mit dem Völkerapostel geistesverwandt fühlte.





Taubes und Heer

Taubes Korrespondenzen

Gespräch über Taubes

Taubes über Bloch

Taubes Vermächtnis

http://de.wikipedia.org/wiki/Jacob_Taubes

Montag, 7. Februar 2011

Trias


Die Zeiteinteilung in der Geologie beruht unter anderm auf immer wieder vorgekommenem Massenaussterben.

Während des Perm starben sogar etwa 90% aller Lebewesen aus. Über 90% der Meeresbewohner (zu denen schon die Fische gehörten) aber weniger als 90% auf dem Festland: Farne, Amphibien und Reptilien, Insekten, darunter enorme Libellen mit 1 Meter Flügelspannweite - Säugetiere und Vögel gab es damals noch nicht, es gab ja noch nicht mal Dinosauriere damals. Blumen gab es auch noch nicht. Das hört sich trostlos an. Aber ich bin mir sicher, dass die damalige Welt faszinierend und voller Farbe war und von den meisten damaligen Arten nur - wie zuvor bei der präkambrischen Fauna - kaum oder keine Versteinerungen entstanden. Auch die späteren Dinosauriere stelle ich mir so farbig vor, wie es heutige Echsen auch manchmal sind. Besonders die großen Sauriere, die keine Tarnfarbe brauchen. Trotzdem, eine Welt ohne Vögel und Blumen... Man wird nicht so recht warm damit als Homo sapiens.


Das Perm beginnt vor etwa 300 Millionen Jahren und endet vor etwa 250 Millionen Jahren. Merkwürdig ist, dass das Perm beginnt, als sich verschiedene Kontinente zu Pangaea vereinigt hatten. Dass Pangaea sich bildete, weil diverse Kontinente zufällig ineinander getrieben wurden, überraschte mich sehr. Ich hatte mir Pangaea als Exzentrizität des Erdballs vorgestellt, die später in Kontinente zerbrach. Aber so merkwürdig es ist, es war erst mal umgekehrt. Erst nachdem Pangaea durch zufälliges Ineinandertreiben der Ausgangskontinente entstanden war, brach es in neue Kontinente auseinander. Man stelle sich die 16 Kugeln des Poolbillard vor, wie sie auf dem Tisch hin und her laufen und auf einmal zufällig alle gleichzeitig an einer Stelle zusammenlaufen und eine Zeit lang aneinander festkleben.



Europa hat immer wieder mal teilweise unter, mal über dem Meeresspiegel gelegen. Das war vor dem Perm so und danach ebenso. Vor dem Perm tauchten während des Devon die ersten Fische auf (vor ca. 400 MJ). Im Karbon (350 MJ) formierte sich in Deutschland ein Hochgebirge, das während des Perm mit seinem großen Sterben auf Mittelgebirgshöhe aberodierte.

Auch diese Mittelgebirge gerieten mit der Zeit zum Teil unter Wasser und tauchten dann wieder auf, und zwar während des Trias. Deswegen findet man heute in den deutschen Mittelgebirgen drei verschiedene Sedimentschichten: eine terrestrische (Buntsandstein) und zwei marine (Keuper und Muschelkalk).

Im Trias (250 - 200 MJ) ging es mit dem Leben wieder weiter, bzw. es wurde fast wieder von vorne angefangen (wie bei Sisyphos, der den Stein wieder nach oben rollt). Zu diesem Neuanfang gehörten die Dinosauriere (235 MJ).

Auch in den Tälern gibt es BuntsandsteinbödenMuschelkalkböden und Keuperböden. Sie machen den Mineralreichtum zu einem besonderen Charakteristikum des Frankenweins. Der Buntsandstein am westlichen Rand des Mainvierecks eignet sich für Frühburgunder und Spätburgunder, der Muschelkalk am Maindreick für den Silvaner und der Keuper in Iphofen ebenfalls für den Silvaner.

Nochmal der Reihe nach zum Merken die ungefähren Zahlen (in Millionen Jahren), die den Beginn der genannten erdgeschichtlichen Phasen anzeigen.

400 Devon (Fische)
350 Karbon (Hochgebirge in Deutschland)
300 Perm (Massenaussterben auf der ganzen Erde)
250 Trias (drei Sedimentschichten, die durch Auf und Nieder Mitteleuropas entstanden)
235 Dinosaurier
0,0013 Weinanbau in Franken


Vor 1300 Jahren begann - dank der Benediktiner: "Ora et labora" - der Weinbau in Franken, der im Moselgebiet bereits vor mindestens rund 2000 Jahren - dank der Römer und Kelten (Gallier) - begann. Es gibt auch Autoren, die behaupten, die Griechen aus der griechischen Kolonialstadt Massilia (Marseille) hätten den Weinbau schon früher an Rhein und Mosel gebracht. Aber so richtig los ging es sicher erst, nachdem Caesar die Kelten in Gallien unterworfen hatte und Rom versuchte, sich nach Osten auszudehnen.

Hammelburg gilt als die älteste Weinstadt Frankens. Franken war während des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation das größte Anbaugebiet nördlich der Alpen, steht in Wikipedia. Man muss sich dabei aber vor Augen halten, dass es bis zum 16. Jahrhundert in Deutschland noch so warm war, dass es sogar Malaria gab. Außerdem wurde sogar an der Ostsee Wein angebaut (was vielleicht - vielleicht auch nicht - erklärt, weshalb es ausgerechnet in Lübeck eine Jahrhunderte alte Tradition des Rotweinhandels gibt), und man trank in Deutschland damals mehr Wein als Bier! Es war aber ein saurer Wein, der mit Honig gesüßt wurde, weil er sonst ungenießbar gewesen wäre. Ich werde diesen Wikipediaartikel korrigieren, sobald ich die Quellen dieser wesentlichen Zusatzinformationen gefunden habe. Die Klimatologen sind sich nicht einig, wann die kleine Eiszeit begann. Der Temperatursturz erfolgte auch nicht überall gleichzeitig. So findet als eine der Konsequenzen als Beginn in der deutschen Wikipedia das 15. Jahrhundert. In der italienischen das 14. und in der englischen - die die einzige ist, die auf diese Unterschiede hinweist - das 16. Jahrhundert.

Die Natur ist grausam und verschwenderisch. Das Leben ist eine hauchdünne Schicht auf dem Erdball. Das Universum ist fast völlig tot, es besteht zu etwa 75% aus Wasserstoff und fast zu 25% aus Helium. All die anderen Elemente sind nicht mehr als 2%