„Drecksmenschen“...
so sehen uns nicht nur radikale Muslime. An der Islamkonferenz haben auch Nicht-Muslime teilgenommen und die Blutwurst wurde natürlich nicht "serviert", sondern sie stand am Buffet zur Auswahl, neben 12 anderen Gerichten. In vielen Ländern Europas gehört Blutwurst zum landestypischen Nahrungsangebot. In Sardinien gibt es sogar süße Blutwurst, die ähnlich wie Käsekuchen schmeckt. Sehr bezeichnend: immer Toleranz fordern, nie Toleranz gewähren. Und gar nicht daran denken, sich
zu integrieren. Alle, die in uns „Drecksmenschen“
sehen, sollen gefälligst in ihre Ursprungsländer zurückkehren. Sie sind hier nicht willkommen. Diese Seite hat über 40.000 Follower und ist keine Marginalie.
Deutsche Islam-Konferenz: "Gleich in den ersten Reihen saßen drei
Islam-Kritiker, die rund um die Uhr Polizeischutz brauchen und um ihr
Leben fürchten müssen: Rechtsanwältin und Moschee-Gründerin Seyran Ates
(55, zwei Leibwächter im direkten Umfeld), der deutsch-israelische
Extremismus-Experte Ahmad Mansour (42, zwei Leibwächter direkt neben
sich) und der deutsch-ägyptische Politologe Hamed Abel-Samad (46, auch
zwei Leibwächter neben sich). Weitere Personenschützer sichern den Raum,
die Türen. Selbst auf dem Weg zur Toilette werden die Islam-Kritiker
begleitet. Ates wendet sich an Seehofer, spricht für alle drei: 'Wir
sind nur hier, weil uns 15 LKA-Beamte beschützen.'" (hier) Und dieses Pack wagt es, sich über deutsche Würste zu beschweren.
Muslime müssen einfach die hiesigen Sitten respektieren, auch wenn es manchmal schwer fällt. Wenn sie nur wollen, dann schaffen sie das. Für mich sind die Höhner auch eine Zumutung. Aber wenn man sie nicht erträgt, muss man eben in ein anderes Land übersiedeln. Kein Land ist perfekt.
»Bauxit«, sagt Licia, »Bauxit«. Ein kalter Wind peitscht den Regen in
Kaskaden über die Hochebene, die die Slowenen Čičarija, die Kroaten
Ćićarija, die Italiener Cicceria, die Deutschen Tschitschenboden nennen.
Es ist eine karge Landschaft aus Kalkfelsen, Dornbüschen und
Eichenwäldern auf einem 60 Kilometer langen Gebirgszug zwischen Triest
und Rijeka, der die istrische Halbinsel wie eine Mauer vom Hinterland
trennt. Weit unten liegen die fruchtbaren, vom milden Klima der Adria
verwöhnten Weinberge und Olivenhaine. Auch Marmor und Braunkohle gibt es
in Istrien. »Und Bauxit«, wiederholt die alte Dame. Ihre beiden etwa
gleichaltrigen Sitznachbarinnen nicken. Drei Zeitzeugen auf der Reise in
die Vergangenheit.
Der Nebel reißt auf und gibt den Blick frei auf das tief unten
liegende Rijeka (Fiume) und die Inseln der Kvarner-Bucht. Licia
schweigt. Tatiana fasst ihre Schwester Andra fest an der Hand. Ihr Herz
habe auf einmal ganz heftig geklopft, wird sie später erzählen. Seit die
Schwestern im März 1944 deportiert wurden, haben sie die Stadt nur
einmal wiedergesehen – 1947, als sie mit ihren Eltern von Triest
anreisten, um ein paar Habseligkeiten einzupacken. Gerade erst hatten
die Siegermächte in Paris die Grenzen neu gezogen. Was bis zum Ende
Ersten Weltkrieg zu Österreich-Ungarn gehört hatte und dann an Italien
fiel, hieß nun Jugoslawien. Die meisten Italiener gingen.
Andra und Tatiana
Die Schwestern hatten sich gefreut auf ihren ersten Besuch nach so
vielen Jahren, gefreut und gefürchtet. »Ich wollte alles mit den Augen
meiner Mutter zu sehen«, sagt Tatiana, »ich wollte mich daran erinnern,
was sie uns erzählt hatte.« Sogar die verwahrlosten, halb verfallenen
Häuser fanden die beiden Schwestern schön. Die kleine Straße hatten sie
riesig groß in Erinnerung. Via Milano 15, ein Haus in der Altstadt, auf
halber Anhöhe oberhalb des Hafens, steht noch, aber die Straße heißt
jetzt anders. Ihr Besuch war den Bewohnern angekündigt worden. Eintreten
durften sie nicht. »Eine Frau öffnete ein Fenster. Wir erzählten ihr
kurz unsere Geschichte. Sie sagte nur, es sei Zeit, das alles zu
vergessen, man dürfe nicht mehr darüber sprechen.«
Andra bemerkte einen alten Gartenzaun, eine kleine Öffnung in einer
Mauer und eine Tür. Genauso hatte sie diese Stelle als Vierjährige in
ihrem Gedächtnis gespeichert. »Ich habe mich doch richtig erinnert«,
sagte Adra später, »es ist wirklich alles wahr. Auf einmal mussten wir
beide weinen. Wir sind keine Zwillinge, aber die Bindung zwischen uns
ist so stark, als wären wir es.«
März 1944. Tatiana war sechs und Andra war vier, als die Lastwagen
vor dem Haus hielten und sie und ihre Mutter abholten. Von den mehr als
zweitausend Juden in Fiume – italienische, spanische, ungarische,
deutsche, kroatische und serbische – hatten die meisten die Stadt noch
vor der Ankunft der Deutschen verlassen können. Die verbliebenen 250 bis
260 Juden wurden deportiert. 26 überlebten – unter ihnen Tatiana, Andra
und ihre Mutter Mira. Die Schwestern landeten im Kinderblock von
Auschwitz-Birkenau. Zwei Betriebsstörungen in der
nationalsozialistischen Vernichtungsmaschinerie haben sie gerettet: ein
Versehen Josef Mengeles und die menschliche Regung einer Wärterin.
»Meine Nummer ist 76483 und die der Tati ist 76484«, erzählt Andra.
»Wir sind am Leben geblieben, weil man uns für Zwillinge hielt. Bei der
Selektion ist Dr. Mengele dieses Versehen unterlaufen. Er wollte uns für
seine Experimente. Dann aber sind sie an uns doch nicht durchgeführt
worden. Wir haben wirklich Glück gehabt. Eine ›blockova‹ hatte uns lieb
gewonnen, sie gab uns Besseres anzuziehen und Besseres zu essen. Unsere
Mutter konnte uns nach der Arbeit besuchen kommen. Wie oft das war, kann
ich nicht sagen, unsere Erinnerung besteht nur aus einzelnen
Erinnerungsblitzen. Wir wissen auch nicht, ob sie ein, zwei oder drei
Monate lang zu uns durfte.«
Wenn sie kam, erzählt Tatiana, habe sie die Kinder immer wieder ihre
Namen und Vornamen wiederholen lassen. »Vergesst eure Namen nicht, sagte
sie, vergesst eure Namen nicht. Wie ungeheuer wichtig das war, haben
wir erst nach dem Krieg verstanden. Ein anderes Mädchen aus dem
Kinderblock hat ebenfalls überlebt. Aber bis heute weiß diese Frau
nicht, woher sie kam und wie sie heißt, wer ihre Eltern waren. Wir haben
unsere Identität nie verloren, wir waren immer Andra und Tatiana Bucci.
Andra weiß noch die Nummer auswendig, die sie ihr auf den Arm tätowiert
haben, aber ich muss immer erst nachschauen.«
»Eines Abends kam unsere Mutter nicht mehr«, erzählt Andra, »wir
haben sie für tot gehalten. Es mag merkwürdig erscheinen, aber wir haben
nicht geweint. Das Leben ging weiter. Wir waren von Leichen umgeben.
Nichts sprach dafür, dass sie nicht unter diesen Leichenbergen liegen
würde. Die Mutter war tot, und das war normal. Eines Tages hat uns die
›blockova‹ davor gewarnt, ja zu sagen, wenn man fragen würde, ob wir zu
unserer Mutter wollten. Wir sollten nein sagen. Mit uns war unser Cousin
Sergio aus Fiume deportiert worden, er war so alt wie meine Schwester
und ein Einzelkind. Als sie dann kamen und uns die Frage stellten,
zeigte Sergio auf. Er wurde aus Birkenau weggebracht mit weiteren 19
Kindern, neun Jungen und zehn Mädchen. Die Reise ging nach Hamburg. Es
war der einzige Zug mit lebenden Häftlingen, der Birkenau verlassen
hat.«
Sergio und die anderen Kinder trafen am 29. November 1944 im
Konzentrationslager Neuengamme ein. Sie kamen dort in die
»Sonderabteilung Heißmeyer«, wo sie der KZ-Arzt Kurt Heißmeyer mit
Tuberkelbazillen infizierte. Den Dienst in der abgeschotteten Baracke
versahen russische Häftlinge. Der Arzt injizierte die Bazillen in die
Venen oder direkt in die Lungen der Kinder und entnahm ihnen die
Lymphknoten an den Achseln. Der Verlauf der Tuberkulose wurde genau
dokumentiert, von den verschiedenen Stadien wurden Fotos angefertigt. Am
20. April 1945, als die Alliierten Hamburg erreichten, wurden die
Kinder in die ehemalige Schule am Bullenhuser Damm gebracht, wo man
ihnen Morphin spritzte und sie anschließend im Keller an Wandhaken
erhängte. Das älteste Kind war zwölf Jahre alt. Auch die Pfleger wurden
umgebracht. Heißmeyer machte nach dem Krieg in der DDR als Arzt
Karriere. Obwohl die Stasi über seine Vergangenheit Bescheid wusste,
ließ sie ihn jahrelang unbehelligt. 1966 wurde er verhaftet, ein Jahr
später starb er an Herzversagen. Das Ministerium für Staatssicherheit
hatte ihm im Gefängnis noch erlaubt, wissenschaftlich zu arbeiten.
»Von all dem haben wir erst in den achtziger Jahren erfahren«, sagt
Andra. »Der deutsche Journalist Günter Schwarberg, der diese Verbrechen
enthüllte, hatte es unserer Tante erzählt. Aber sie wollte es nicht
wahrhaben. Bis zu ihrem Tod wartete sie darauf, dass es läuten und
Sergio vor ihr stehen würde.« Die Schwestern Bucci haben ihre Geschichte
niedergeschrieben. Das Buch heißt »Meglio non sapere« – es ist besser,
nicht zu wissen.
Licia
Licia Cossetto, pensionierte Lehrerin, wurde einmal von ihren
Kollegen angezeigt, weil sie im Unterricht die Geschichte ihrer
Schwester erzählte. Vor gar nicht so langer Zeit, sagt sie, sei man in
Italien noch der faschistischen Propaganda verdächtigt worden, wenn man
daran erinnerte. Licia Cossetto stammt aus Santa Domenica. Das Dorf, das
die Kroaten Labinci nennen, gehört zum sogenannten »roten Istrien«,
benannt nach der »Terra rossa«, die die Felder glühen lässt, wenn die
Sonne im Meer versinkt. Roter Bauxit ist hier aus der Verwitterung des
tonhaltigen Kalkgesteins entstanden.
Licias Vater Giuseppe war Grundbesitzer und Eigentümer einer
Bauxit-Lagerstätte, Podestà (Bürgermeister) und Ortssekretär der
faschistischen Partei. Die Schwestern besuchten ein katholisches
Internat in Görz, nur die Ferien verbrachten sie zu Hause. Im Sommer
1943 fuhr die 23 Jahre alte Norma mit dem Fahrrad von Dorf zu Dorf und
sammelte Material für ihre Dissertation an der Universität Padua. Unter
dem Titel »Das rote Istrien« wollte sie die geologischen Besonderheiten
dieses Teils der Halbinsel schildern. Noch herrschte in Istrien Ruhe. Am
25. Juli 1943 hatte der Große Rat des Faschismus Mussolini abgesetzt.
Die Zeitungen begannen, vorsichtig Kritik am Regime zu üben. Einige
besonders exponierte Faschisten setzten sich ab.
Am 8. September gab Italien den Waffenstillstand bekannt. Am selben
Abend schlugen die Deutschen zu. Fast überall ließen sich die
italienischen Soldaten widerstandslos entwaffnen. Am 9. wurde Triest
besetzt, am 12. der Kriegshafen Pola, am 15. Fiume. Das Landesinnere von
Istrien aber blieb der Welle der Gewalt überlassen, die nun von
Kroatien über die Italiener hereinbrach. Der Zusammenbruch der
italienischen Armee hatte den Partisanenverbänden den Weg nach Westen
frei gemacht. In Istrien sammelten sie zurückgelassene Waffen und
Munition ein, hissten die kroatische Fahne und etablierten
Volksbefreiungskomitees und Volksgerichtshöfe. Buchstäblich über Nacht
hatte sich mit der militärischen auch die italienische Zivilverwaltung
in Istrien aufgelöst. Der Faschismus hatte jede Art von Opposition
unterdrückt, jetzt hatten die Italiener keine politische Vertretung mehr
und waren ohne Schutz.
Der Hass der vorwiegend slawischen Landbevölkerung gegen ihre
Entrechtung und Italianisierung, die Gewalt und die Schikanen der
Faschisten, die Arroganz der Oberschicht und der Städter entlud sich in
einer Orgie der Gewalt. Jetzt wurden offene Rechnungen beglichen,
Konkurrenten aus dem Weg geräumt, persönliche Gelüste befriedigt,
sadistische Neigungen ausgelebt. Es wurde geplündert, gefoltert,
gemordet und vergewaltigt.
»Die Partisanen«, erzählt Licia Cossetto, »nahmen sich, was sie
wollten. Mitten in der Nacht stürmten sie in unsere Zimmer und schossen
über unseren Betten, wir mussten für sie kochen und ihnen zu Trinken
bringen. Das ging wochenlang so. Ende September führten sie Norma zum
Verhör ab. Sie wollten, dass sie sich als Jugoslawin bekennt. Norma
weigerte sich. Zwei Tage später holten sie sie wieder ab, damals habe
ich sie zuletzt lebend gesehen. Mein Vater und ein Vetter machten sich
auf, um sie zu suchen. Sie kehrten nicht mehr zurück. Auch mich führten
sie ab, aber ein ehemaliger Klassenkamerad verhalf mir zur Flucht. Noch
in derselben Nacht bin ich zu Fuß nach Triest aufgebrochen.«
Die Partisanen hatten sich ihrer Opfer in den Bauxitgruben und in den
Foibe entledigt, den bis zu 300 Meter tiefen und nur wenige Meter
breiten Spalten, Klüften und Schlünden im Kalkgestein. Meist banden die
Partisanen ihre Opfer paarweise mit Draht Rücken an Rücken aneinander
und trieben sie noch lebend in den Abgrund, schossen ihnen nach und
warfen dann Handgranaten, um den Zugang zu verschütten. Als sie wieder
abzogen, wurde Normas Leiche bei Villa Surani geborgen, einem Weiler
nahe der Ortschaft Antignana (Tinjan). Sie hatte noch gelebt, als man
sie in die Foiba warf. Ihre Hände waren hinter dem Rücken mit Draht
gefesselt, beide Brüste wiesen tiefe Stichverletzungen auf und in der
Vagina steckte ein Stück Holz. Eine Zeugin gab an, durch ein Fenster der
Schule von Antignana gesehen zu haben, wie sie an einem Tisch gefesselt
der Reihe nach vergewaltigt wurde, angeblich von 17 Partisanen.
Stundenlang habe sie ihre Schreie gehört.
Die Ermittlungen endeten mit der Festnahme von sechs Männern, die
eine Nacht lang mit der verwesten Leiche Normas in die Begräbniskapelle
eines Friedhofs gesperrt und am nächsten Morgen erschossen wurden. Das
Martyrium Norma Cossettos wurde von der faschistischen Propaganda breit
ausgeschlachtet. Der Terror vom Sommer 1943 war ein Vorspiel zu der
Generalabrechnung im Mai und Juni 1945. Mafalda Codan, eine Freundin der
Cossettos, schleppten die Partisanen damals wochenlang von Dorf zu
Dorf, wo sie als »Volksfeindin« von der Menge bespuckt und verprügelt
wurde. In Santa Domenica holten sie Normas Mutter aus dem Haus und
zwangen sie, die Folterung mit anzusehen.
Rijeka, Birkenau, Santa Domenica. Meglio non sapere. Es ist besser, nicht zu wissen. Zuerst erschienen auf Kairos Blog
Erst weigerte sich das Bundespräsidialamt, die Liste der Gäste
herauszugeben, die an dem Bankett für Präsident Erdogan im Schloss
Bellevue teilgenommen hatten. Das Defilee beim Staatsbankett am 29.
September 2018 sei „zwar öffentlich“ gewesen, dennoch würden „Namen von
Personen und Organisationen, die zu einem Staatsbankett eingeladen
wurden und/oder teilgenommen haben, grundsätzlich nicht herausgeben“.
Das fand ich ungehörig, denn es handelte sich nicht um eine private
Party des Präsidenten aus Anlass seines Geburts- oder Hochzeitstages,
sondern um ein Staatsbankett für einen Staatsgast,
also ein steuerfinanziertes Event. Und wenn ich etwas mitfinanziere,
habe ich das Recht zu erfahren, wer sich da auf meine Rechnung am "Eintopf von Nordseefischen mit Salzkraut und Kaiserhummer " und anderen Köstlichkeiten labte.
Nachdem mehrere Nachfragen ergebnislos blieben, bat ich Rechtsanwalt Joachim Steinhöfel,
das Bundespräsidialamt über die Rechtslage aufzuklären. An sich ein
unmögliches Ding, dass ich einen Anwalt bemühen muss, um mein Recht
durchzusetzen, aber in einem Land, in dem die Staatsmacht die Grenzen
nicht kontrollieren kann, kann sie auch nicht mit dem Informationsfreiheitsgesetz unterm Arm herumlaufen. Soll sein.
Fast auf den Tag genau zwei Monate nach der großen Erdogan-Sause, am
26. November, bekam Steinhöfel die Mitteilung, dass man ihm „die Liste
der Namen der Personen, die an dem Staatsbankett teilgenommen haben“,
übermitteln werde. Er sollte sich nur noch einen weiteren Tag gedulden.
„Der Grund ist, dass wir die Namensliste wiederbeschaffen müssen. Hier
hat es leider eine Verzögerung gegeben.“ Die Namensliste war
zwischenzeitlich offenbar entsorgt worden. Und jetzt ist sie wieder da!
Hurra! Hurra! Hurra! Tusch und Vorhang auf, hier ist sie!
Ein Blick auf die Liste verrät, warum sich das Präsidialamt mit der
Herausgabe so schwer getan hat. Statt der angekündigten 300 Gäste war es
nur etwa die Hälfte, die beiden Präsidenten und deren Frauen
mitgerechnet. Dazu eine Handvoll echte Promis wie Rita Süssmuth und ihr
Mann, sowie Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrates der Muslime,
Michael Frenzel, Präsident des Bundesverbandes der Tourismuswirtschaft
und Frau Gabriele. Die üblichen Verdächtigen, die in Berlin zu jeder
Vernissage auflaufen, glänzten durch Abwesenheit. Nicht einmal der
Regierende Bürgermeister Müller war erschienen. Immerhin ein Zeichen,
dass es doch noch eine „Zivilgesellschaft“ in Berlin gibt, die lieber
zum Türken geht, als dem Präsidenten der Türkei zuzujubeln.
Die Mehrzahl der Gäste gehörte der Entourage von Erdogan an oder
rekrutierte sich aus dem Umfeld des Bundespräsidenten. So war es mehr
ein deutsch-türkisches Familienfest als ein Staatsbankett, woran auch Andrea Verpoorten, Leiterin Leitungsstab/Politik beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e.V., trotz einer faszinierenden Vita nichts zu ändern vermochte.
Dafür wissen wir, wer an dem „Staatsbankett“ teilgenommen hat. Jetzt
muss das Präsidialamt nur noch die Kosten für die anwaltliche
Zurechtweisung übernehmen, und dann sind Frank-Walter Steinmeier und ich
wieder ziemlich beste Freunde. HMB
Auch wir lesen vernutzend. Ich sprach darüber mit Ellen Kositza, als wir
für den Messeauftritt in Frankfurt geeignete Plakatsprüche
zusammentrugen.
"Journalisten lesen nicht, sie suchen Stellen" war einer, für den wir
uns entschieden, denn er bringt das Herumstöbern in einem Buch auf der
Suche nach skandalösen Sätzen abschätzig auf den Punkt. Auf diese Weise
ausschlachtend zu lesen ist kein Lesen, sondern ein Auswerten, also ein
unmusischer Vorgang.
Auch Kositza und ich schlachten aus, Kaiser und Lehnert ebenso.
Wir durchforsten Bücher, weil wir über sie Artikel schreiben wollen, die
unsere Sache voranbringen. Wir blättern, weil wir entscheiden müssen,
ob wir unseren Lesern (und das sind auch: unsere Kunden) etwas zur
Lektüre empfehlen oder von ihr abraten sollten. Wir suchen nach Stellen,
in denen ungerecht oder dumm oder justiziabel über uns geurteilt wird,
und die Bücher dieser Kategorie sind die einzigen, die das eintauchende
Lesen auch gar nicht verdient haben.
Wir sind zwischen die Mühlsteine aus erweitertem Verlegertum und
einer manchmal ratlosen Partei geraten - woher sollen Verhaltenslehren
für eine aus den Fugen rutschende Zeit kommen, woher
Verteidigungsstrategien gegen Denunziationen und dreiste Behauptungen?
Glaube, Gebet und Kirchgang könnten eine Säule sein, aber nein,
Sonntag für Sonntag, zumal in fremden Städten, bange Minuten: welche
Lieder, welche Kombo, welcher Tölpel am Altar, welches dümmliche
Predigtthema? Statt beschenkt zu werden: Panik davor, daß wieder ein
Unberufener den Alltag über die Kirchenschwelle zerrt und vor unseren
Augen so etwas wie eine ökumenische Ethik gegen rechts daraus ableitet.
Das eintauchende Lesen: Wann war es mir im ablaufenden Jahr
vergönnt? Abgesehen von einigen Antaios-Titeln vier Mal: Im Frühjahr las
mir Kositza während einer langen Autofahrt Martin Mosebachs Die 21 vor. Ich sehe in diesem Buch eine "Stiftung".
Ich studierte Iwan Iljins Über den gewaltsamen Widerstand gegen das Böseund erhielt dazu Unterweisungen von einem Abt, der dort, wo er Diener ist, nicht nimmt, sondern schenkt.
Und zu Amor Towles' Ein Gentleman in Moskaugriffen
auf meine Empfehlung hin viele unserer Leser. Mir und anderen bescherte
der Roman im durchglühten Sommer großartige Lesestunden.
Am vierten Buch sitze ich, sitzen wir noch: Mein Sohn und ich
lesen es uns vor, wenn wir abends Zeit haben oder einer von uns beiden
eine monotone Tätigkeit verrichten muß. Die Wiederkehr der Wölfe
von Hans Bergel ist ein Wälzer, der zweite Teil einer Trilogie und
jedenfalls ein "welterschließender Roman" (ein Ausdruck von Armin
Mohler).
Während ich meinem vierzehnjährigen Sohn vorlese (oder er mir),
findet diese Erschließung, diese Aufschlüsselung der Welt tatsächlich
statt. Ein siebenbürgischer Schüler steht im Zentrum der Handlung,
Rosenau und Kronstadt am Rande der Karpaten liegen wie unter einem
Brennglas. Von einer Fahrradtour am Vorabend des Kriegs bis zur
Verschleppung der Volksdeutschen zur Zwangsarbeit in die Sowjetunion
spannt Bergel den autobiographischen Erzählbogen.
Wir müssen die Lektüre oft unterbrechen, um im Atlas Ploiesti
oder Turnu Severin zu suchen oder anhand einer Kriegsgeschichte des II.
Weltkriegs die Truppenbewegungen im Südosten nachzuvollziehen.
In den Lektürestunden und Nebengesprächen ist mir wieder klar
geworden: Wir alle können aus dürren Zahlen und Jahresdaten nichts
Wesentliches lernen, sondern nur aus Geschichten, Szenen, verknüpfenden
Ereignissen und den Schilderungen von Lebenswegen Einzelner und
Schicksalen ganzer Dörfer, Städte und Völker.
Die Wiederkehr der Wölfe beschreibt - neben vielen
ineinander verwobenen Strängen - die Rekrutierung rumäniendeutscher
junger Männer für die Gebirgsdivision "Prinz Eugen" und die vielen
Gespräche der Abiturienten mit ihren Vätern und Lehrern über deren
Dienst im I. Weltkrieg, über Versailles, den Aufstieg Hitlers, die
Unterschiede zwischen Deutschland und dem Nationalsozialismus, zwischen
dem recht weit entfernten Deutschen Reich und der siebenbürgischen
Geschichte und Mentalität. Nichts ist einhellig, alles ist
vielschichtig, schwierig, nicht von nachgereichter Moral versalzen,
vieles ist nachvollziehbar, sogar der Wahn.
Daß einer seiner Urgroßväter in Montenegro als Gebirgspionier
einem Bataillon der von General Arthur Phleps geführten Division
zugeteilt wurde, gegen die Partisanen kämpfen mußte und 1948 aus der
Kriegsgefangenschaft abgemagert nach Oberschwaben zurückkehrte, beginnt
erst über den Umweg durch die Lektüre des Romans auf meinem Sohn zu
lasten als etwas, das ihn hoffentlich im richtigen Moment vom Falschen
abhält, sei es von einer fatalen Entscheidung, einem leichtfertigen
Urteil oder auch nur von einem dummen Witz. Ich habe ihm bisher nur
einen kleinen Teil von dem erzählt, was mein Großvater dort erlebte.
Dieser Groß- und Urgroßvater floh aus der Gefangenschaft nach
Norden und durchschwamm in der Nähe des Eisernen Tores die Donau,
vielleicht nicht weit von der Stelle entfernt, wo Otto Skorzeny mit
seinen Männern die Sabotage der engen Donaupassage verhinderte, um der
kriegführenden Wehrmacht den Nachschub an rumänischem Öl zu sichern. In
Bergels Roman heißt Skorzeny anders, ist sogar auf zwei Figuren verteilt
gezeichnet.
Familiengeschichten, Romankapitel, Gespräche zwischen Vater und Sohn, hier wie dort.
Wenn die Adler kommen und Die Wiederkehr der Wölfe
sind in neuen Ausgaben vor zwei Jahren erschienen. Ich hatte den
dreiundneunzigjährigen Autor damals besucht und war fast einig über die
Buchrechte. Er entschied anders, im letzten Moment.
Nun soll Bergel, vernahm ich, am dritten Teil der Trilogie
arbeiten. Er fragte mich damals, welchen Einstieg er in die
Schilderungen der für die Siebenbürger katastrophalen Nachkriegsjahre
wählen solle. Ich schlug ihm etwas vor und bin gespannt, ob er diesen
Faden aufgegriffen haben wird.
Ich empfehle den völlig unterschätzten Bergel unbedingt als
Winterlektüre, als Lektürebad, als Vorlesebuch, beide Teile,
nacheinander ... GK
-- -- --
Wenn die Adler kommen kann man hier, Die Wiederkehr der Wölfehier bestellen.
Publico: Der von
Linkspartei-Kultursenator Klaus Lederer und Kulturstaatsministerin
Monika Grütters gefeuerte Direktor der Stasi-Gedenkstätte
Hohenschönhausen Hubertus Knabe hatte sich vergangene Woche auf seinen
Posten zurückgeklagt – was Lederer mit der Einsetzung eines neuen
Direktors und anderen Maßnahmen zu durchkreuzen sucht. Wie beurteilen
Sie diesen Gedenkstätten-Krieg? Vaatz: Mit der Entlassung Knabes soll ein Enthauptungsschlag gegen die Stasiopfer-Gedenkstätte Hohenschönhausen geführt werden.
Dazu ist offenbar jedes Mittel recht. Ich glaube aber, jetzt hat Herr
Lederer überzogen. Es gibt ein so genanntes Maßregelungsverbot, das aus
meiner Sicht ausschließt, jemanden, der gekündigt wurde, dafür zu
bestrafen, dass er sich wehrt. Und das ist mit der sofortigen Kündigung
von Knabe am vergangenen Sonntag geschehen. Neue Fakten, die ein solches
Vorgehen rechtfertigen würden, liegen gegen ihn ja nicht vor. Publico: Warum ist Hubertus Knabe eine solche Reizfigur? Vaatz:
Dafür gibt es eine einfache Erklärung: Knabe hat in seiner Forschung
die Unterwanderung der westlichen Linken durch die Staatssicherheit vor
1990 zum Thema gemacht. Er hat damit ein meinungsbildendes Milieu
angegriffen, das zum unwissentlichen und teilweise sogar zum
wissentlichen Verbündeten der DDR geworden war. Jetzt handelt eine große
Koalition von Anwälten des DDR-Regimes wie Lederer und denjenigen im
Westen, die den Mantel des Schweigens über ihre Nähe zur SED-Diktatur
breiten wollen. Ihnen ist Knabe lästig. Daher hat die
Stasiunterlangen-Beauftragte Marianne Birthler ihn schon vor 18 Jahren
aus der Behörde entfernt. Publico: Wie passt ihre Parteifreundin in dieses Bild, die Kulturstaatsministerin Monika Grütters? Vaatz:
Das weiß ich nicht. Wenn sie mit dem vermeintlichen Sprecher der
DDR-Opfer Dieter Dombrowski einig ist, wähnt sie sich offenbar auf der
sicheren Seite. Nur hat Dombrowski offenbar längst die Seiten gewechselt.
Es scheint so, dass er in Brandenburg eine CDU-Koalition mit den Linken
ansteuert. Ich bin gespannt, wie lange sich die Opferverbände von ihm
noch an der Nase herumführen lassen. Andererseits ist Monika Grütters
als Kulturministerin ein Stück weit auch auf das Wohlwollen genau des
Milieus angewiesen, das ich gerade erwähnt habe. Ich halte aber ihre
Haltung für korrigierbar. Publico:Manche
vermuten, dass sie bei der nächsten Wahl für die Berliner CDU mit dem
Ziel antreten will, eine Koalition mit der Linkspartei zu schmieden. Vaatz: Das ist Spekulation. Aber ein solcher Versuch würde die Partei vor eine Zerreißprobe stellen. Publico: Soll mit der Entlassung Knabes etwas Grundsätzliches bezweckt werden? Vaatz:
Allen soll gezeigt werden, dass die umbenannte SED jetzt die Lufthoheit
besitzt. Die Linkspartei ist zwar immer dabei, wenn es gilt, die
Bundesrepublik zur materiellen Wiedergutmachung der DDR-Verbrechen in
Anspruch zu nehmen, entzieht aber Schritt für Schritt den DDR-Opfern die
Interpretationshoheit über ihre eigene Vergangenheit und ihr eigenes
Schicksal. Die Entlassung Knabes soll demonstrieren: Jetzt ist Schluss
mit der Aufarbeitung aus Perspektive der Opfer. Publico:Aber
ist dieser Vorwurf nicht unbegründet, da Herr Lederer sich ja nach
eigenen Worten in keiner Weise in die Suche eines Nachfolgers einmischen
will, sondern hier Ihrer Partei eine Schlüsselrolle zufällt? Vaatz:
Herr Lederer weiß, dass es für Knabe kaum gleichwertigen Ersatz gibt.
Deshalb ist es sehr klug von ihm, sich herauszuhalten, um die zu
erwartende Fehlbesetzung dann der CDU in die Schuhe zu schieben – und
nebenbei die Kraft des verhassten Publikumsmagneten Hohenschönhausen
schwinden zu sehen. Publico: Ein Historiker
hat Knabe vorgeworfen, er habe die Führungen von Besuchern durch die
Ausstellung in Hohenschönhausen „manipulativ“ gestaltet. Was sagen Sie
dazu? Vaatz: Das ist infam von Herrn
Kowalczuk. Ich hielt ihn immer für integer, aber man lernt dazu. In der
Sache ist der Vorwurf unzutreffend. Wie dort die Dinge präsentiert
werden, entschied der Beirat. Er beschloss ein Curriculum, nach dem
verfahren wird. Wenn die Art der Führungen durch das ehemalige
Stasi-Gefängnis manipulativ sein soll, dann kann man übrigens gleich
alle Gedenkstätten schließen, egal welcher Art. In einer Gedenkstätte
werden die Sachverhalte dargestellt, derer gedacht werden soll. Und
natürlich stellt die Gedenkstätte die Geschichte aus Perspektive der
Verfolgten und nicht den anstrengenden und entbehrungsreichen
Arbeitsalltag des Wachpersonals dar. Was denn sonst? Publico: Sollten Besucher auch nach dem zweiten Rauswurf Knabes noch in die Gedenkstätte kommen? Vaatz:
Freilich. Und die Gelegenheit nutzen, um ein Gespräch mit Frau Birthler
zu fordern, die vom Stiftungsrat in der Affäre um Knabe zur so
genannten Vertrauensperson berufen wurde, und sie fragen, inwieweit sie
die einstweilige Vernichtung der wirtschaftlichen und beruflichen
Existenz von Herrn Knabe mit manipulativ-denunziatorischen Methoden
wegen der noch zu untersuchenden Verfehlungen seines Untergebenen für
verhältnismäßig hält; ob sie ihre Berufung an die Gedenkstätten nicht
aus Gründen der Befangenheit hätte ablehnen müssen. Publico: Was erwarten Sie in dieser Affäre von Ihrer Parteifreundin Monika Grütters? Vaatz: Ihre Zustimmung zu den Maßnahmen gegen Knabe zurückzuziehen. Sowohl die vom 25. September als auch die vom letzten Sonntag.
Arnold
Vaatz, geboren 1955 in Weida, gehörte zu DDR-Zeiten zur
Bürgerrechtsbewegung. Weil er den Reservedienst bei der NVA verweigerte,
wurde er 1982 zu sechs Monaten Haft verurteilt, die er in der
Strafanstalt Unterwellenborn verbüßte.
1989 gehörte der
Mathematiker in Dresden zur „Gruppe der 20“, die sich aus der
Protestbewegung gegen das SED-Regime bildete. Nach mehreren Stationen in
der sächsischen Landesregierung wechselte Vaatz in den Bundestag.
Seit 2002 ist er stellvertretender Vorsitzender der Unionsfraktion. Publico
Vor 20 Jahren gründete Kanzler Schröder das Amt des Staatsministers für Kultur und Medien.
Monika Grütters hat aus dem Orchideenposten eine Schlüsselstelle der Bundesrepublik gemacht, sie verfügt über viel Einfluss.
Ihre Machtfülle ist in vielerlei Hinsicht bedenklich.
Von Jörg Häntzschel
Ein Treffen wird über Signal verabredet, die Messenger-App, auf
die Edward Snowden schwört. Andere Anrufe kommen von anonymen
Telefonnummern. Trifft man die Informanten im Restaurant, wird erst mal
der Raum gescannt. Da lärmt eine Reisegruppe, an den anderen Tischen
unbekannte Gesichter: gut. Zu den Bedingungen: keine Zitate, das
Gespräch hat nie stattgefunden. Und immer wieder heißt es, das ist off the record,
das haben Sie nicht von mir, das dürfen Sie nicht schreiben. Wenn sich
die Tür öffnet, schreckt der Blick hoch. Ist das nicht etwas
übertrieben? Wir sind in Berlin. Es geht nicht um Waffengeschäfte,
sondern um schöne Dinge, um Kunst, Musik, Theater. Doch es geht eben auch um viel Geld, um 1,8 Milliarden Euro, die dieses Jahr verteilt werden, und um die Frau, die das Geld verteilt: Monika Grütters, seit 2013
Staatsministerin für Kultur und Medien. Intendanten, Museumschefs,
Direktorinnen, die man zu ihr befragt, fürchten nichts so sehr wie ihren
Zorn. Sie wollen dieses Geld auch in Zukunft haben.
Deshalb wird es auch kein kritisches Wort geben, wenn sie sich am Montag alle treffen, um das 20. Jubiläum des Kulturstaatsministeriums (BKM) zu feiern. Gegründet wurde es 1998,
in der Cocktail Hour der goldenen Neunziger, von Gerhard Schröder. Der
SPD-Kanzler, selbst Künstlerfreund, wollte an die Zeiten vor der Ära
Kohl anknüpfen, als Günter Grass noch Reden für Willy Brandt schrieb.
Außerdem wartete das wiedervereinigte Berlin darauf, auf
Hauptstadtniveau kulturell bespielt zu werden. Das alte Prinzip, nach
dem Kultur Ländersache ist, war an seine Grenzen gekommen. Als die
Länder protestierten, behalf man sich mit einem Trick: Statt der Kultur
ein eigenes Ressort zu geben, machte man das BKM zu einer Abteilung des
Bundeskanzleramts. Grütters ist eigentlich nur Staatssekretärin,
kein Kabinettsmitglied.
Spätestens beim Abschied hat man verstanden, wie sie ihr Reich zusammenhält
Kaum einer ihrer Vorgänger hielt sich lange, am kürzesten die
Intellektuellen Michael Naumann, Julian Nida-Rümelin und Christina
Weiss. Bernd Neumann blieb länger, doch erst Grütters ging ganz in dem
Amt auf. Keine kämpft so entschlossen, keine hat sich so viel Macht
gesichert, keine verfügt über mehr Stellen - 300 sind es heute - , keiner macht mehr Geld locker als sie. Zwischen 1999 und 2014 wuchs der Etat nur von 1,1 auf 1,3 Milliarden Euro. Unter Grütters stieg er auf 1,8
Milliarden. Allein dieses Jahr beträgt der Zuwachs neun Prozent. Und
das in Zeiten, da viele europäische Länder ihre Kultur verkümmern
lassen. Und dennoch: Glücklich ist unter Grütters niemand. Sie hat eine
Pyramide der Abhängigkeiten installiert, an deren Spitze sie steht.
"Geht ihr jemand auf den Geist", erzählt der Chef einer Institution aus
eigener Erfahrung, "tut sie alles, um ihn fertigzumachen."
"Wie schön, dass Sie da sind!" Strahlend und mit Gebäck und
Blumen spielt Grütters dem Besucher in ihrem Büro im siebten Stock des
Kanzleramts (Merkels Büro ist im achten) anfangs die herzliche Nachbarin
vor. Umso unerwarteter drücken einen dann die ersten Salven aus ihrem
rhetorischen Arsenal in den Sessel: Endlosmonologe, mit denen sie
heiklen Fragen vorbeugt, Präzisionsauskünfte zu entlegensten Themen,
strategisch platzierte Vertraulichkeiten, Schmeicheleien und jähe
Schärfe. Wer ihr auf den Zahn fühlt, dem droht sie auch mal mit dem
Anwalt. Spätestens beim Abschied hat man verstanden, wie sie ihr
Reich zusammenhält.
In Berlin umfasst es außer den Theatern und Opern praktisch alles.
Das BKM finanziert nicht nur die Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK)
mit ihren 17 Museen, mit Bibliotheken und
Archiven. Sondern auch das Jüdische Museum, die Akademie der Künste, das
Deutsche Historische Museum (DHM), die Deutsche Kinemathek, den
Gropius-Bau, die Berlinale, das Haus der Kulturen der Welt, die Berliner
Festspiele und alle Gedenkstätten.
Auch jenseits von Berlin ist das BKM aktiv. Es finanziert das
Literaturarchiv in Marbach, die Deutsche Nationalbibliothek und die
Bundeskunsthalle in Bonn, es fördert die Stiftung Weimarer Klassik, das
Bauhaus, die Bayreuther Festspiele und die Ruhrtriennale. Monika
Grütters untersteht die deutsche Filmförderung, die Villa Massimo in Rom
und das Deutsche Studienzentrum in Venedig. Sie verleiht die
Filmpreise, aber auch Preise für Schriftsteller, Übersetzer, Theater,
Kinos, Filmverleiher. Mit dem fünften von ihr neu ausgelobten Preis will
sie Verlage auszeichnen.
Preis des Machterhalts: Die besten Köpfe der deutschen Kultur können nicht offen sprechen
Geht man die lange Liste von Institutionen durch, staunt man über
vieles, was in ihre Zuständigkeit fällt - warum ist sie Chefin der
Deutschen Welle? - aber auch über vieles, was bei anderen Ministerien
angesiedelt ist. Das Goethe-Institut beim Auswärtigen Amt, Archäologie
beim Wissenschaftsministerium, Integration beim Sozialen, Politische
Bildung beim Inneren. Ein improvisierter Ressortzuschnitt ist zu einer
Dauerlösung geworden. Auch das ist Teil des Problems.
Ebenso erstaunlich ist aber Grütters' Ungreifbarkeit. Die
56-Jährige kommt aus Münster, aber geht als alte Berlin-Pflanze durch.
Sie ist seit der Pubertät in der CDU, aber weniger konservativ als viele
SPD-Leute. Sie hat Kunstgeschichte studiert, aber sie ist
Hardcore-Politikerin. Ihr nächstes Karriereziel: Regierende
Bürgermeisterin. Diese Mischung qualifiziert sie wie kaum jemanden für
ihren Job. Wer interessierte sich bislang in der Politik schon für
Kultur? Wer sonst investiert dafür seine Karriere, um am Ende nicht mal
ein Ministeramt zu bekommen?
Grütters Einfluss beschränkt sich nicht auf ihre Häuser
Viele rühmen ihre Liberalität. Sie sprach sich für das
umstrittene Megaprojekts Dau aus und kritisierte die jüngste Absage des
Konzerts von Feine Sahne Fischfilet in Dessau. Andere
bemängeln ihre Fixierung auf Repräsentationskultur. Kürzlich hat das BKM
etwa den Berliner Anteil der Förderung der Berliner Philharmoniker
übernommen, obwohl niemand verstand, warum. "Sie will sich mit denen
zeigen", erklärt der Chef eines Hauses. Beides ist richtig, beides
trifft nicht den Punkt. Grütters hat keine kulturelle Agenda, oder: Ihre
kulturelle Agenda ist Funktion ihrer politischen Agenda und die lautet,
Freunde gewinnen, Feinde neutralisieren, den eigenen Einfluss mehren,
um am Ende politische Erfolge vorweisen zu können. Da sie den Geldhahn
zu- oder aufdrehen kann, da sie über die Vergabe der meisten Posten
entscheidet, fällt ihr das nicht schwer.
Doch sie begnügt sich nicht mit den "Zuwendungen". Sie oder ihre
Beamten sitzen selbst in den Aufsichtsgremien der Institutionen. Diese
Praxis, sonst undenkbar, ist im deutschen Kulturbetrieb nicht unüblich,
problematisch ist sie dennoch. In der SPK etwa ist Grütters Vorsitzende
des Stiftungsrats, im DHM ist ihre rechte Hand, Günter Winands,
Vorsitzender des Kuratoriums. "Er ist der eigentliche Direktor", heißt
es aus BKM-Kreisen. "Das DHM ist eine Regieveranstaltung der Regierung."
Grütters weist das weit von sich: "Wir mischen uns in die Inhalte
aus Respekt vor der Autonomie der Häuser grundsätzlich nicht ein." Und
erklärt, nur so ließen sich die Häuser kontrollieren: "Eine Aufsicht
über die Finanzströme und eine good governance muss der, der die
finanzielle Hauptlast trägt, schon führen." Andere sehen es umgekehrt.
Nicht nur hemme man so die Entwicklung der Institutionen, auch eine
"effektive Kontrolle ist so nicht möglich". "Der Staat hat
sich rauszuhalten."
Doch der Einfluss von Grütters beschränkt sich nicht auf ihre
eigenen Häuser. Sie sitzt in zwei Dutzend Gremien und ist Schirmherrin
etlicher Kulturinitiativen. Ihre Beamten sitzen in 110
weiteren Kulturorganisationen. Zu denen gehören das Deutschlandradio
und das Münchner NS-Doku-Zentrum, das Bauhaus-Archiv und die
Thomas-Mann-Villa in L.A., der Deutsche Musikrat und die
DFB-Kulturstiftung. Und da Grütters' Untergebene ihrerseits in weiteren
Gremien sitzen - wie die Leiterin der Bundeskulturstiftung, Hortensia
Völckers, bei der Documenta - pflanzt sich ihr Einfluss fort. Ziel ist
maximale Verflechtung. "Das System ist eine Spinne", heißt es
aus BKM-Kreisen.
Ein Produkt dieses Systems ist die betuliche Doku "Schatzkammer
Berlin", die im Frühjahr in die Kinos kam und dort vor leeren Sälen
lief. Sie feiert die SPK, wurde koproduziert von der Deutschen Welle und
erhielt Geld von der Filmförderung. Alles aus einer Hand - und
grandios misslungen.
"Disruption" dient bei ihr weniger der Innovation, sie ist Teil einer Strategie des Herrschens
Das System setzt Konsens und Goodwill voraus. Grütters aber, die
gestalten und Macht ausüben will, nützt es nun für ihre eigenen Zwecke.
Als Anfang des Jahres die Neubesetzung der Berlinale-Leitung anstand,
plante Grütters, den Nachfolger von Dieter Kosslick ganz allein zu
küren. 80 Filmschaffende protestierten, sie
forderten einen transparenten Prozess, eine Findungskommission. Doch die
Kommission, die Grütters schließlich einberief, bestand statt aus
unabhängigen Experten nur aus drei Personen: Grütters selbst, einem
Berliner Staatssekretär und Mariette Rissenbeek, der Chefin von German
Films, der "Auslandsvertretung" des deutschen Films. Alle drei gehörten
dem Aufsichtsrat der Kulturveranstaltungen des Bundes an, der
Muttergesellschaft der Berlinale, dem Gremium, das über die Berufung
entscheidet, und deren Vorsitzende Grütters ist.
Und wer bekam einen der zwei Posten? Rissenbeek selbst (der
andere ging an Carlo Chatrian aus Locarno). Die meisten vergaßen das
absurde Verfahren, weil sie sich über das Ergebnis freuten. Doch
Grütters hat daraus nicht gelernt. Sie schimpft bis heute auf die
Filmleute und behauptet, sie hätte alleine dieselbe Wahl getroffen. "Man
darf auch mal unterstellen, dass es Kulturminister gibt, die wissen,
was sie tun, die ein breites Netzwerk haben, die sich in der Szene
gut auskennen."
Auch sonst entscheidet sie am liebsten allein. Als sie das von ihrem
Vorgänger ignorierte Humboldt Forum in Fahrt bringen wollte, brauchte
sie einen prominenten Kopf. Sie fand ihn in Neil MacGregor und erklärte
ihn zu einem von drei "Gründungsintendanten". Dass MacGregor nur einen
Beratervertrag hatte, keinerlei Entscheidungshoheit, und zwei Drittel
seiner Zeit für die BBC und für ein Museum in Indien arbeitete, nahm sie
zugunsten des Star-Effekts in Kauf.
"Strategische Überlegungen existieren nicht"
MacGregors Ernennung und Scheitern illustrieren aber auch gut,
wie sehr sie oft auf Glamour und PR setzt, ohne Rücksicht auf Verluste.
Eines ihrer aktuellen Lieblingsprojekte ist das Museum des 20.
Jahrhunderts, das die Architekten Herzog & de Meuron auf das letzte
freie Grundstück des Berliner Kulturforums bauen werden. Standort,
Entwurf und Konzept des Museums wurden fast einhellig verrissen.
Grütters peitschte das Projekt dennoch durch die Instanzen. Dass der Bau
statt 200 Millionen Euro mehr als 400 Millionen kosten wird, ist der Preis für ihren Sieg.
Das Museum, eines von vielen Prestigeprojekten, wäre weniger
umstritten, wenn es in den alten Häusern nicht an allem fehlte. "Für die
Pflege des Altbestandes gibt es kein Geld, er bröselt weg." Gehe es so
weiter, müssten in Berlin in absehbarer Zeit Häuser schließen. "Der Bund
stattet seine Institutionen miserabel aus", sagt der Chef eines Hauses.
"Er wird seiner Verantwortung nicht gerecht."
Grütters tut das als Weinerlichkeit ab. "Ich habe bei der SPK immer
wieder Millionensummen draufgelegt." Sie will statt Klagen mehr Ehrgeiz,
mehr Blockbuster, mehr Innovation, mehr Führung. Sie mag teils recht
haben, aber sehr konstruktiv wirken ihre Machtspiele mit SPK-Chef
Hermann Parzinger nicht.
Auch die Entscheidung, im Humboldt Forum keinen Eintritt zu
verlangen, und die übrigen Museen damit in einen Preiskampf zu zwingen,
ist so ein PR-Stunt. "Da muss ich mir doch ein grundsätzliches Modell
überlegen", sagt ein Kulturpolitiker. Ein anderer sieht hier ein
größeres Defizit. "Sie fragt nicht: Was tut langfristig gut?
Strategische Überlegungen existieren nicht." Grütters beteuert, sie habe
mit den Beteiligten gesprochen, außerdem sei mehr Konkurrenz unter den
Institutionen und innerhalb dieser durchaus gesund.
Doch disruption dient bei ihr weniger der Innovation, sie
ist Teil einer Strategie des Teilens und Herrschens. Besonders wenn sie
persönlich involviert ist, gibt sie Kommandos und erwartet Gehorsam,
auch wenn es nicht immer ausgesprochen werden muss. Das konnte man an
der Ausstellung "Bestandsaufnahme Gurlitt" ablesen, die Grütters bei der
Bundeskunsthalle in Auftrag gab. Selbstverständlich konnten die
Kuratoren die problematische Rolle des BKM dort nicht zum Thema machen.
Selbstverständlich beteten sie das offizielle Narrativ von der
Raubkunstsammlung nach und taten alles, um zu verschleiern, dass unter
den mehr als 2000 Werken nur sechs Raubkunstfälle waren.
Grütters festigt ihre marktbeherrschende Stellung immer mehr,
bläht ihren Apparat immer weiter auf. Doch da sie ideologisch so
ungreifbar bleibt, da ihre Einmischungen nur strategischer Art sind, und
da die "Zuwendungsempfänger" weiter auf Zuwächse hoffen können, üben
sie sich in Duldsamkeit. Politik und Presse sehen nicht so genau hin.
Kultur ist gut, mehr Kultur ist besser, wo ist das Problem? Ohnehin sind
die großen Scheine, mit denen sie den Betrieb füttert, kleine Münzen,
verglichen mit dem, was für Autobahnen, Waffen oder Renten
ausgegeben wird.
Doch es kann nicht richtig sein, wenn es keinen Wettbewerb um
wichtige Stellen gibt, wenn Posten heute noch auf Lebenszeit besetzt
werden, wenn die besten Köpfe in der deutschen Kultur nicht offen über
ihre Arbeit sprechen können, weil sie fürchten, in Berlin sonst nie
wieder einen Job zu finden. Die intellektuelle Lähmung ist schon
jetzt spürbar.
Und was, wenn die jetzige Schönwetterperiode endet? Wenn die Etats
sinken? Oder wenn Grütters' Job nach der nächsten Wahl an die AfD geht?
Dann fände ihr Nachfolger beim Amtsantritt perfekte Strukturen vor, um
den deutschen, vor allem den Berliner Kulturbetrieb ideologisch auf
seine Linie zu bringen.
Auch Grütters selbst ist übrigens Opfer einer Kulturpolitik, in
der Machtausbau auf Kosten der Offenheit geht. Kein Thema, erzählt sie,
beschäftige sie gerade so wie der Umgang mit den Objekten aus der
Kolonialära. Doch die guten, aufregenden Ideen dazu, die am Telefon aus
ihr heraussprudeln, will sie hier nicht gedruckt sehen. Das wäre
zu gefährlich. Süddeutscher Beobachter
Wer die Affäre Hubertus Knabe verstehen will, also die Absetzung des
langjährigen Direktors der Stasiopfer-Gedenkstätte Hohenschönhausen
durch den linken Kultursenator Berlins Klaus Lederer, sollte bei Walter
Ulbricht nachschlagen.
„Es muss demokratisch aussehen, aber wir
müssen alles in der Hand haben.“ Auf diese Weise organisierte der
Stalinist ab Anfang Mai 1945 die kommunistische Machtübernahme in
Ostdeutschland.
Ob Lederer das Zitat kennt, ist nicht bekannt.
Jedenfalls nimmt er sich ein Beispiel daran, denn gegen Knabe, den
strikt antikommunistischen Historiker, verfährt der Kultursenator nach
einem leicht abgewandelten Prinzip: „Es muss alles rechtsstaatlich
aussehen …“
Doch rechtsstaatlich ist Lederers Vorgehen wirklich nicht. Schon der
ursprüngliche Vorwand für die Absetzung, Knabe sei nicht entschieden
genug gegen Vorwürfe sexuellen
Missbrauchs vorgegangen, hat sich als falsch herausgestellt. Angeblich
konnte die Senatskulturverwaltung die entsprechende Akte nicht finden.
Jetzt
hat Lederer eine einstweilige Entscheidung des Berliner Landgerichts
von einer anderen, mit der Sache überhaupt nicht befassten Kammer
aushebeln lassen. Eine derartige Missachtung des Rechtsstaates müsste zu
seiner Entlassung durch den Regierenden Bürgermeister Michael Müller
(SPD) führen.
Sollten Gerüchte zutreffen, laut denen die
Senatsjustizverwaltung unter dem grünen Justizsenator Dirk Behrendt in
dieser Sache Druck auf das Landgericht ausgeübt habe, Lederer zu
unterstützen, wäre auch Behrendt reif für den Rücktritt – oder gleich
der gesamte rot-rot-grüne Senat. Es ist aber noch schlimmer.
Auch die christdemokratische Kulturstaatsministerin Monika Grütters
hat sich zu sehr von Lederers politischem Feldzug gegen Knabe einnehmen
lassen. Sie hat immerhin noch eine Chance.
Ein Bericht der mit
Knabe persönlich verfeindeten früheren Stasiunterlagen-Beauftragten
Marianne Birthler hat offenbar nur üble Nachrede zutage gefördert und
scheint entlastende Aussagen zu ignorieren. Das gäbe Grütters die
Möglichkeit, Knabe in sein Amt zurückkehren lassen.
Allerdings: Die Reputation der Stasiopfer-Gedenkstätte ist massiv beschädigt. Das ist genau das, was Klaus Lederer vermutlich wollte. Es sollte nur alles rechtsstaatlich aussehen. Sven Felix Kellerhoff
Lieber Alexander Wendt,
Ihren Text “Rausch und Reinheit” habe
ich heute auf der Achse des Guten gelesen, und ich verdanke Ihnen die
Lösung eines Rätsels. Ich bin Schriftstellerin, Jahrgang 42, DDR-Gewächs
und als solches schon vor 1989 unrühmlich aufgefallen. Vor zwei drei
Monaten klickte ich in meinem Wikipedia-Eintrag aus Zufall auf
“Diskussion” und fand dort den Eintrag, daß ich zu den Unterzeichnern
der Erklärung 2018 gehöre. Große Verwunderung, was das soll. Jetzt weiß
ich, was das soll und wundere mich auch nicht mehr über die
“Zurückhaltung” der Leute im Literaturgeschäft, seien es Verlage oder
Buchhandlungen. Was Sie über “rechte Bücher” in
Buchhandlungen schreiben, trifft auch auf Bibliotheken zu, so in Potsdam
2017. Dazu schrieb ich einen Leserbrief, den die Potsdamer Neuesten
Nachrichten auch veröffentlichten: Leserbrief “Ich
habe den Bericht „Umstrittene Bücher in der Bibliothek“ (PNN, 27. 12.)
mehrmals gelesen, weil ich nicht glauben wollte, was da stand. Es war
wie ein déjà vu – Erlebnis. In welchem Land, in welcher Stadt, in
welcher Zeit lebe ich eigentlich, fragte ich mich verwundert. Mein Mann,
gelernter Bibliothekar, hat die Verbreitung des Braunbuchs über den
Reichstagsbrand 1933 mit vier Jahren Zuchthaus, anschließend KZ und
Strafbataillon bezahlt. In der DDR wurde er wegen seines Einsatzes für
Meinungsfreiheit mehrmals schwer gemaßregelt und starb schließlich nach
seinem letzten Parteiverfahren wegen der Einfuhr von Büchern wie
Solshenizyns „Archipel Gulag“ und Rosa Luxemburgs „Die russische
Revolution“ an einem Herzinfarkt. Als Studentin der Kulturwissenschaft
an der Humboldt-Uni scheiterte ich regelmäßig an dem „Giftschrank“ der
Staatsbibliothek, wenn ich Bücher wie Egon Friedells „Kulturgeschichte
der Neuzeit“ oder Titel von Arnold Toynbee entleihen wollte. Weder der
Nationalsozialismus noch der Sozialismus gewährten die Freiheit der
Gedanken, der Rede, der Presse. „Freiheit des Andersdenkenden“ war eine
Hauptforderung der Bürgerbewegung in den achtziger Jahren, die wir mit
dem Mauerfall endlich, endlich erreicht zu haben glaubten. Und jetzt
kommen wieder wie einst sich als Volkserzieher aufspielende Ideologen
daher, die uns diesmal im Namen von Toleranz und Demokratie das Denken
abgewöhnen und uns vor dem „Bösen“ bewahren wollen. Bücher, die ihrer
beschränkten Weltsicht widersprechen, werden einfach als rechtsextrem
verteufelt. Von dem italienischen Schriftsteller Ignazio Silone
(1900-1978) stammt das Wort: „Wenn der Faschismus wiederkehrt, wird er
nicht sagen: ‘Ich bin der Faschismus.’ Nein, er wird sagen: ‘Ich bin der
Antifaschismus.´” Sigrid Grabner”
Lieber
Herr Wendt, ich hätte mir 1990 nicht träumen lassen, wohin die Reise im
vereinigten Deutschland geht. Die Demokratie im Würgegriff wahnsinnig
gewordener Ideologen. Ich bin inzwischen alt, und wenn ich nicht mehr
gedruckt und zu Lesungen eingeladen werde, kann ich damit leben. Die
noch verbleibende Spanne ist überschaubar. Sie aber sind noch jung.
Bleiben Sie standhaft, machen Sie weiter. Ich danke Ihnen und wünsche
Ihnen Kraft. Ihnen herzlich verbunden Sigrid Grabner Publico
Diese Spatzen schützen jetzt den Ulmer Weihnachtsmarkt vor Terror. Immerhin sind sie schöner als die grässlichen Bronzeskulpturen von Botero, der auch am Flughafen von Florenz einen Obesitas-Spatz aufgestellt hat, der bisher noch nicht in die Luft gesprengt wurde.
(nur Satire)
Mit diesen das Augenlicht beleidigenden Spatzen "protestiert" Botero gegen Gewalt
Nach
langer Wartezeit durfte ich heute meinen Mitarbeiter Maximilian T. im
Bundestag willkommen heißen. Alle Vorwürfe gegen ihn wurden fallen
gelassen und sein Mitarbeiter-Ausweis konnte ihm nach mehrwöchiger
Prüfung endlich ausgestellt werden. Frau von der Leyen darf nun gerne
Verbindung mit dem Büro Nolte aufnehmen, um sich persönlich bei ihm zu
entschuldigen. Unsere Türen stehen offen.
Sehr aufschlussreich ist dieser Bericht der Tagesschau
vom 11. August 1998. "Nach Merkels Worten bringen alternative Energien
absehbar nur begrenzten Nutzen", heißt es dort über die
Umweltministerin, das eigentliche Thema der Meldung damals war
allerdings "der Streit um die Atomenegie, eines der wenigen heißen
Wahlkampfthemen" (wie idyllisch). Die Physikerin Merkel, zugleich
Ministerin für Reaktorsicherheit, hielt den Atomausstieg damals für
"sicherheitstechnisch absolut nicht geboten" und für "wirtschaftlich
unsinnig". Das war nach dem Unglück von Tschernobyl (ca. 50 unmittelbare
Todesopfer, ca. 9000 tödlich Strahlenkranke und ca. 25.000
Krebserkrankungen als Folge), aber vor der Riesenkatastrophe von
Fukushima (0 Tote außerhalb des Kopfes von Claudia Kiping-Eckardt) und
vor der spontanen Modernisierung der christdemokratischen
Klientelakquisevorschriften.
Der stets klarsichtige Markus Vahlefeld
macht sich kluge, vielleicht allzukluge Gedanken daüber, warum das
Merkel-Syndikat den Aufstieg der AfD "hingenommen" habe, wie der andere
aktuelle Rivale von Merkel II. seiner Truppe vorwirft. Das Schlüsselwort
heiße "asymmetrische Wählermobilisierung", führt
Vahlefeld aus. Die Merkel-CDU habe vor Zeiten kosende Blicke auf die
sogenannten urbanen Wählerschichten zu werfen begonnen, die Angehörigen
der linksgrünen Großstadtschickeria, die einer globalistischen Umwelt-
und Humanitätsreligion folgen und "nichts von dem ausbaden müssen, was
sie an politischen Katechismus in die Welt posaunen". Atomausstieg und
Grenzöffnung waren "grandiose Schachzüge, um diese Wähler der CDU
zuzuführen". Die rigide Klientelumschichtung, die Merkel ihrer Partei
verschrieb, brachte natürlich auch einen Klientelschwund mit sich, die
CDU büßt seither konstant sogenannte Wählergunst ein, freilich weniger
als die auf ähnlichen Pfaden wandelnde SPD, doch vor dem Hintergrund,
dass auch eine schwindende Union die stärkste Kraft der "demokratischen
Mitte" bleibt – Vahlefeld schreibt "ewig", darauf würde ich nicht
wetten –, stünden ihr Koalitionen mit allen Parteien offen, sogar mit
der Linkspartei. Damit habe die Union das Monopol auf Regierung und
Kanzlerschaft, und mehr wollen Parteien bekanntlich nicht, wenn sie erst
einmal verstanden haben, wie illusionslos der demokratische Hase läuft.
Das Diktum von Franz Josef Strauß, dass es rechts der CDU keine
demokratisch legitimierte Partei geben dürfe, "wurde ja bisher so
interpretiert, dass die Union eben auch diese hässlichen rechten Wähler
an sich binden müsse", notiert Vahlefeld. "Erst Angela Merkel
interpretierte es ästhetisch schöner: Wir als CDU verzichten auf diesen
hässlichen rechten Wähler, lassen eine neue rechte Partei zu, sprechen
ihr in der Folge aber einfach die demokratische Legitimation ab. Und
siehe: Die CDU wurde für diese urbanen Wählerschichten auf einmal vom
hässlichen Entlein zum schönen Schwan." Von hier ab ist es Vahlefelds Spekulation, die hässlich wird, was ihre Plausibilität nicht tangiert. Die
vielbeklagte Spaltung der Gesellschaft, die bekanntlich nicht nur in
Deutschland den Rechtspopulisten in die Schuhe geschoben wird, sei kein
Kollateralschaden, sondern vielmehr "politisch geplant" gewesen,
schreibt er. Wer Macht wolle, benötige einen Feind, einen möglichst
diabolischen, aber besiegbaren Feind, dessen Niederwerfung die Macht
legitimiere, notfalls auch ihren Missbrauch. Die bis zum letzten
Provinzkabarettisten durchgesetzte Stigmatisierung der Opposition als
Paria-Truppe soll garantieren, dass sie Minderheit bleibt, aber in den
gelenkten Medien zugleich als große Gefahr dargestellt werden kann,
wobei es witzigerweise die Landesverräter sind, die Verrat! schreien,
diesmal eben nicht mehr Verrat an Volk, Führer und Vaterland, sondern an
der Demokratie, den Menschenrechten und dem Fortschritt insgesamt. Da
das "moralisch geläuterte, grenzenlose und pazifistische Deutschland"
keine äußeren Feinde mehr akzeptiere, habe der Feind "ins Innere
transformiert" werden müssen. "So pazifistisch sich die Gutmeinenden
geben, in letzter Konsequenz wollen sie nicht den Krieg, sondern den
Bürgerkrieg gegen diesen inneren Feind." Dessen Vorboten seien sichtbar.
Auch das gehöre zu Merkels Vermächtnis.
Ich habe keinen Einwand
gegen die These, dass die Kanzlerin der Herzen den Bürgerkriegsindex in
'schland signifikant erhöht hat (und die Endphase der Nerobefehle läuft
ja eben erst an). Mein einziger Einwand gegen diese Art Theorie ist der,
dass sie die Intelligenz der Akteure sehr hoch veranschlagt und ihnen
eine prognostische Sicherheit unterstellt, der sie folgen wie ein bei
starkem Nebel landendes Flugzeug dem Leitstrahl. Ich meine vielmehr,
dass Merkel aus Feigheit, Schwäche und Opportunismus (und fehlender
Loyalität ihrem Land gegenüber) in diese Situation geraten ist und dass
sie den Karren aus Gründen von Sturheit, Rechthaberei und Ätschbätsch
nun weiter gegen die Wand fährt. Gewollt hat sie es, frei nach Karl
Kraus, womöglich nicht; es ist ihr bloß gelungen. MK am 28.
Dem wäre nur noch hinzuzufügen, dass Merkeln sich nicht einmal - obwohl das oft behauptet wird - an Meinungsumfragen orientiert. Nein, sie orientiert sich nur an den von den Medien veröffentlichten Meinungen. Genau darauf weisen Kernkraftausstieg und Grenzöffnung hin! Und die Medien danken es ihr. Es ist so einfach, dass es keiner glauben kann.
Eins. Die Eltern von Maria Ladenburger – zur Erinnerung: Es
handelt sich um ein neunzehnjähriges Kollateralopfer der
Willkommenkultur, das zu Freiburg von einem Geflüchteten zu Tode ge...,
nun, Sie wissen schon –, die Eltern von Maria Ladenburger wollen sich
von der "tiefen Erfahrung von Unmenschlichkeit durch Marias Tod" nicht
desillusionieren lassen. (Einschub: "Ich habe gefunden, es soll nicht
sein", sagt Adrian Leverkühn im "Faustus", und auf die Frage, was nicht
sein solle, erwidert er bekanntlich: "Das Gute und Edle, was man das
Menschliche nennt, obwohl es gut ist und edel." Eine Vergewaltigung, das
lehren tausende Jahre Geschichte, ist zutiefst menschlich, wenngleich
es zivilisatorische Abstufungen gibt, die zur Kenntnis zu nehmen in
moralisch erlauchten Kreisen wohl unter Rassismus fiele.) Die
Ladenburgers also haben eine Stiftung zur Unterstützung von Studierenden
(früher: Studenten) mit Behinderungen gegründet, die aber auch
Studierenden zugute kommen soll, die zugleich Geflüchtete sind, meldet die Bild-Zeitung.
Der Vater wird mit den Worten zitiert: "Maria hätte sich nie durch Hass
und Hetze davon abbringen lassen, ihre Möglichkeiten zu nutzen, Gutes
zu tun. Sie war zupackend, hoffnungsvoll, solidarisch und weltoffen." Ob
sie in ihren letzten Minuten ihre Meinung geändert hat, werden wir nie
erfahren, aber wir wissen immerhin, dass die Illusionen der Eltern in
die Kategorie der regierungsoffiziell erwünschten und
zivilgesellschaftlich akklamierten Illusionen gehören.
Zwei. Die
65jährige Christina Öberg aus Jönköping muss wegen "Hetze gegen
Volksgruppen", ein Delikt, das in Schweden zunehmend verfolgt wird, seit
dort gewisse Einzelfälle gegen die Volksgruppe der Schweden und vor
allem Schwedinnen nicht wirklich registriert werden, ins Gefängnis.
Pikant daran ist, dass die ältere Dame vor zwei Jahren von
"unbegleiteten Minderjährigen" zusammengeschlagen und ernsthaft verletzt
wurde. Seitdem hat sie Probleme mit dem Gedächtnis, was sie freilich
nicht hinderte, ein Absinken des schwedischen Durchschnitts-IQ durch die
Aufnahme von Migranten zu behaupten, was zwar nicht falsch, aber Hetze
ist, zumal sie behauptete, es werde auf dermaleinst Goldfischniveau
fallen. Außerdem rief sie dazu auf, Moscheen abzureißen. In diesem Fall
ist es mit den erwünschten Illusionen also einstweilen gründlich
schiefgegangen, weshalb Härte angezeigt ist, aber vielleicht lernt die
schimpfende Vettel im Knast ein paar nette Goldfische kennen, die sie
bekehren.
Drei. Was uns die Schweden an Toleranz noch voraus
haben, spornt deutsche Engagierte an. Die Amadeu-Antonio-Stiftung will
nun möglichst früh zu Vielfalt, Buntheit, Weltoffenheit, Teilhabe und
Respekt erziehen. Dafür hat die dortige "Fachstelle Gender, GMF und
Rechtsextremismus" eine "Handreichung" namens "Ene, mene, muh und raus
bist du!' – Zum Umgang mit Rechtspopulismus und Menschenfeindlichkeit in
Kitas" fabriziert, die keinen Zweifel daran lässt, wer nach dem Ab-
oder Anzählen "raus" muss. "Gesellschaftliche Konflikte machen auch vor
der Kitatür nicht halt", heißt es dort. Pluralismus im Parlament ist ja
übel genug! "Rechtspopulist*innen versuchen auch und gerade in
Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit, ihre Ideologien
durchzusetzen und menschenfeindliche Positionen zu verbreiten.
Gleichzeitig sind (antimuslimischer) Rassismus, Antisemitismus sowie
Homo-und Transfeindlichkeit keine Phänomene des rechten Rands, sondern
längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Diskriminierung und
Ausgrenzung betreffen auch Kinder in der Kita, die Erfahrungen von
Ungleichbehandlung machen. Eltern und Erzieher*innen bringen ihre
Weltanschauung und Vorurteile mit in die Kita, die eigentlich ein Ort
der Vielfalt und Akzeptanz sein sollte."
Wenn Sie gerade, wie
ich, an Ihrer Steuererklärung sitzen, denken Sie immer daran: Sie
arbeiten nicht zuletzt, um Vielfalt und Akzeptanz zu sponsern,
"antimuslimischen Rassismus" zu bekämpfen und den außerparlamentarischen
Opportunismus (APO 2.0) zu stärken. Ihre Kinder und deren Erzieher
werden es Ihnen danken!
Die Broschüre, heißt es weiter,
"sensibilisiert" gegenüber "Strategien rechter Akteure" und wirke einer
"Normalisierung rechtsextremer und menschenfeindlicher Einstellungen im
frühkindlichen Bildungsbereich entgegen". Weiter lesen Sie hier; ich breche ab, denn ich kenne den Text ohnehin, weil er von dort stammt, wo ich herkomme.
"Sollen Kindergärten die politische Gesinnung der Eltern überprüfen?" fragt allen Ernstes die BZ. Als ob da noch Fragen offen wären; IM "Victoria" wartet nun schon 30 Jahre darauf! MK am 28.
Der Weise streift die Illusionen nacheinander ab, indem er sie wie eine Reihe von Gemächern durchschreitet und zum Schluss im Adyton ankommt. Bei Kafka ist es genau umgekehrt: jedes Gemach führt in eine irrere Wahnvorstellung und schließlich in die Hölle. Wenn man bedenkt, mit welcher Bravur Kafka dabei die spröde deutsche Sprache anwendet, kommt man zu dem Schluss, dass eigentlich nur der Teufel selbst seine Texte geschrieben haben kann.
Lauterbach kennt seinen Marx und dessen Arbeitswerttheorie. Nur ist die
eben so falsch wie das Geozentrische Weltbild. Der Gewinn des einen ist
eben nicht der Verlust des anderen. Es gibt aber offenbar Leute, denen
90 Minuten der Zeit von Michelle Obama mehr wert sind, als eben die
800K. Und Frau Obama ist ihre Zeit so kostbar, dass sie sie für weniger
nicht verkauft. Sowas nennt man einen Markt, Herr Lauterbach, und der
funktioniert nur, wenn es win-win-Geschäfte gibt. Dass die Obamas dessen
Mechanismen nutzen, macht sie nicht gierig, sondern scheinheilig. Denn
sie predigen ja etwas gänzlich anderes.
Wer den hiesigen Geschichtsunterricht, vielleicht sogar das
deutsche Schulsystem insgesamt skizzieren will, kann auf die oft
abgründige amerikanische Zeichentrickserie »Die Simpsons« zurückgreifen.
Dort wird Rektor Skinner von einer jungen Lehrerin zur Rede gestellt,
weil er aus Kostengründen alte Gymnastikmatten schreddern und unters
Schulessen mischen lässt. »Sie ruinieren die Zukunft unserer Kinder«,
empört sich die Kollegin, woraufhin Skinner antwortet: »Diese Kinder
haben doch gar keine. Daran arbeiten wir schließlich jeden Tag!«
Was als böser Witz gemeint war, beschreibt die Wirklichkeit. Selbst
Abiturienten können kaum einfache mathematische Aufgaben lösen, ihre
Kenntnis von Orthografie und Kommasetzung ist bestenfalls rudimentär.
Immer mehr Schulabgänger sind funktionale Analphabeten – also Personen,
die zwar die Buchstaben ihrem Namen nach kennen, aber nach 9, 10 oder 12
Jahren Schule nicht so lesen können, dass sie den Sinn eines Textes
erfassen. Das Handwerk stöhnt über Lehrlinge, die nicht wissen, wie
viele Zentimeter einen Meter ergeben oder wie man ein Drittel von 90
Kilo berechnet; Professoren über Studenten, die trotz »Hochschulreife«
nicht ansatzweise die Voraussetzungen für ein Studium erfüllen.
Vernünftige Lehrer, die es durchaus gibt, warnen schon seit Jahren
vor dem keineswegs schleichenden Niedergang des einst führenden
Bildungssystems der Welt. Nun allerdings ist das Werk von
Gleichheitswahn, Bildungsreformen und Gewerkschaftseinfluss weitgehend
vollendet.
Die deutsche Schule ist das bildungspolitische Pendant zum Berliner Flughafen BER: Eine Ruine, die nur noch zum Abriss taugt!
Nirgends wird das so deutlich wie im Geschichtsunterricht, seit jeher
das Ziel fast jeder Attacke linker Schulpolitik. Schon der
sozialdemokratische Kultusminister Ludwig von Friedeburg, verantwortlich
für die nachhaltige Ruinierung des hessischen Bildungssystems in den
1980er-Jahren, wollte den Geschichtsunterricht abschaffen. Seit 1945, so
meinte er, wisse man, auf welcher Seite falsch und richtig stünden.
Eine Unterrichtung in Sachen Historie sei daher überflüssig; stattdessen
sollte Sozial- oder Gemeinschaftskunde gestärkt werden.
Der Vorschlag verbarg die eigentliche Absicht. Wer in Geschichte
bewandert ist, weiß nicht nur um Orts- und Zeitgebundenheit der eigenen
Meinung oder um die Ambivalenzen der menschlichen Existenz. Er weiß,
dass in der Historie kaum etwas eindeutig ist, dass sie fast nie richtig
oder falsch kennt und sich allen Planungen gegenüber vehement
verschließt. »Die Notwendigkeit ruft und der Zufall antwortet.« Linken Gesellschaftsreformern war diese prinzipielle Offenheit, aber
auch die mit jeder historischen Kenntnis einhergehende Skepsis und
Relativierung der eigenen Position immer ein Graus. Denn guter
Geschichtsunterricht macht ideologieresistent. Das aber ist genau das
Gegenteil von dem, was die Vertreter von Multikulti, Gender, Klimawandel
oder offenen Grenzen gebrauchen können.
So war der Geschichtsunterricht
immer die wichtigste Säule konservativer Bildung, die gestürzt werden
musste. Wer keinen Halt in der Vergangenheit hat und keine historischen
Maßstäbe, ist jeder Einflüsterung hilflos ausgesetzt; wer das
tausendfache Scheitern linker Utopien nicht kennt, die millionenfachen
Morde auf dem Weg zur immer neuen klassenlosen oder gerechten
Gesellschaft, wird die heutigen Sirenengesänge nicht als solche
erkennen.
Ältere Geschichtslehrer winken längst ab. Was sich heute an Schulen
Geschichtsunterricht nenne, habe damit kaum noch etwas zu tun. Immer
neue Reformen, oft im Jahrestakt, habe jede verlässliche
Lehrplanstruktur zerstört. Das Bestehen auf abrufbaren Geschichtsdaten
sei als »Faktenhuberei« verpönt, ebenso jede Chronologie. Stattdessen
werde Weltgeschichte als Potpourri gelehrt: hier ein Krieg, dort
Kolonialisierung, da der Weberaufstand, hier die Reformation. Über das
bloße Ereignis hinaus habe nichts eine Wirkung, Zusammenhänge gebe es
nicht. Dass Vergangenheit nie vergangen ist, sondern in die Gegenwart
wirkt, bleibt auf diese Weise unverständlich. So ist Geschichte nur ein
Flickenteppich, wo sie Trapeznetz sein sollte: Mit klaren
Verbindungslinien und Strukturen, die im Notfall Halt geben.
Hinzu, so viele Pädagogen, käme ein Lehrmaterial, das nicht einmal
mehr den Versuch mache, den Eindruck von Ideologisierung und
Voreingenommenheit zu verdecken.
Wurden früher Geschichtsbücher für den Unterricht von ausgesuchten
Professoren entworfen und von Kollegen gewissenhaft geprüft, lasse man
heute den wissenschaftlichen Mitarbeitern der Verlage weitgehend freie
Hand. Das zeige sich dann in der Qualität der Lehrwerke. Nicht wenige
wimmelten von Fehlern, seien in Gewichtung und Schlussfolgerungen
fraglich oder schlicht irreführend. So fände beispielsweise die
Geschichte der DDR so gut wie gar nicht statt, ebenso wenig wie die
Verbrechen des Kommunismus. Sie seien wie ausgeblendet. Und das wohl mit
Willen.
Schließlich, auch das ist oft zu hören, habe die Herrschaft der
Didaktik den Geschichtsunterricht zerstört. In dem voranschreitenden
Bemühen, den Notendurchschnitt zu erhöhen, werde immer weiter
simplifiziert: Geschichte als Extrakt im Sinne von Reader‘s Digest, als
»Häppchen-Historie«. Alles werde »empfängergerecht« aufbereitet, jede
Anstrengung vonseiten der Schüler vermieden. Die früher
selbstverständliche Hausaufgabe, übers Wochenende 30 oder 50 Seiten zu
lesen und zusammenzufassen, sei heute völlig undenkbar. Schüler würden
sich sofort beschweren, ebenso die Eltern. Auch unter ihnen seien viele,
die den Zweck der Schule vor allem darin sähen, es den Schülern leicht
zu machen. Und der Sinn von Geschichtsunterricht liege für nicht wenige
völlig im Dunkeln. Sie habe auch ohne Kenntnis der Französischen
Revolution ihr Leben gemeistert, meinte eine Zahnärztin. Für den
Brotberuf mag das richtig sein; aber als Staatsbürger scheiden solche
Leute aus.
Zusammen mit der Umformung des Geschichtsunterrichts wurden auch andere
Fächer abgeschafft, die für Verwurzelung in Traditionen stehen. Während
in vielen Ländern der Unterricht mit dem gemeinsamen Singen heimatlicher
Lieder beginnt, herrscht in dem Land, das überall außerhalb der
Landesgrenzen für sein Liedgut bewundert wird, tiefe Stille. Jeder
halbwegs gebildete Europäer ist selbstverständlich in der eigenen Kultur
zu Hause, ob Italiener, Engländer oder Pole. Hier kennen immer weniger
Schüler die Werke von Kleist oder Novalis, können Gotik nicht von Barock
unterscheiden, Dürer nicht von Holbein, Bach nicht von Beethoven. Dass
an vielen Schulen Kunstunterricht als Malen und Basteln verstanden wird,
nicht aber als Kunstgeschichte, ist ebenfalls Teil der linken
Entwurzelung.
Freuen kann das nur Zyniker. Denn der entwurzelte Mensch ist immer
der amoralische Mensch. Wer die Vergangenheit und sein Herkommen nicht
kennt oder schätzt, wird auch der Zukunft gegenüber gleichgültig
eingestellt sein. In der Politik führt das immer in die Katastrophe. Nicolaus Fest
Der Migrationspakt – eine Einladung an alle?
Der
UN-Migrationspakt spaltet Deutschland – wie schon die Flüchtlingspolitik
der Kanzlerin. Doch die Folgen des Regelwerks werden viel gravierender
sein als die Entscheidung Angela Merkels 2015, die Grenzen nicht zu
schließen.
958
Es war einmal eine Stadt in einem Land am
Rande des großen Meeres, die war so schön, dass sie ihren Besuchern wie
ein Traum aus „Tausendundeiner Nacht“ erschien. Erhabene Zinnen thronen
über verschlungenen Gassen und farbenprächtigen Basaren. Eine Metropole
wie ein Märchen. Eine Stadt, wie gemacht für ein Treffen der
Völkergemeinschaft. In Marrakesch wird am 10. und 11. Dezember der
UN-Migrationspakt feierlich verabschiedet. Von Staatschefs oder den
Gesandten aus über 180 Ländern.
Auch aus Deutschland, wenn alles
nach dem Plan der Kanzlerin läuft. Drei Tage nach ihrem Rückzug vom
Parteivorsitz und drei Jahre vor ihrem geplanten Abschied als
Bundeskanzlerin. Einige Länder, bis jetzt die USA, Österreich, Ungarn,
Australien, Israel, Polen, Tschechien, Bulgarien und Estland, werden
nicht an Bord sein, wenn die Arche Noah der Vereinten Nationen in See
sticht – als ultimative Rettungsmission für alle Migranten dieser Welt,
die sich auf den Weg zu den wohlhabenden Staaten machen –, Deutschland
ganz vorneweg.
Wenn die Kanzlerin klug ist, wird sie sich danach
so schnell wie möglich aus der aktiven Politik zurückziehen, um die
Folgen des Migrationspaktes nicht mehr in Amt und Würden miterleben zu
müssen. Denn nach dem Strom der Asylbewerber dürfte es jetzt zu einem
weiteren Strom kommen, dem der Migranten aus wirtschaftlichen Gründen.
Und die müssen noch nicht einmal auf ihre Anerkennung warten.
„Eine
Situation wie die des Spätsommers 2015 kann, soll und darf sich nicht
wiederholen“, sagte Angela Merkel auf dem CDU-Parteitag am 6. Dezember
2016 in Essen und meinte damit die De-facto-Öffnung der Grenzen für
einen Flüchtlingstreck aus Ungarn über Österreich am 5. September 2015.
„Wir haben diese Entscheidung aus humanitären Gründen gefällt“, hatte
sie diese Entscheidung damals drei Tage später im Bundestag
gerechtfertigt.
Sie hatte gesagt: „Diejenigen, die als
Asylsuchende zu uns kommen oder als Kriegsflüchtlinge anerkannt werden,
die brauchen unsere Hilfe, damit sie sich schnell integrieren können.“
Die Kanzlerin stellte aber auch klar: „Diejenigen, die nicht vor
politischer Verfolgung oder Krieg flüchten, sondern aus wirtschaftlicher
Not zu uns kommen, werden nicht in Deutschland bleiben können.“ Hilfe
ja, Massenmigration aus wirtschaftlichen Gründen nein.
Das soll
sich nun offenbar ändern. Der UN-Migrationspakt weitet de facto die
Rechte von Asylsuchenden und Kriegsflüchtlingen auf all jene aus, die
aus – nachvollziehbaren – wirtschaftlichen Gründen ihre Heimatländer
verlassen und ihr Wohl in den reichen Regionen der Welt, vornehmlich in
Europa suchen. Es handelt sich nicht um ein im völkerrechtlichen Sinne
verbindliches Abkommen, sondern um Absichtserklärungen, Leitlinien,
sogenannte Soft Laws.
Doch diese entwickeln erfahrungsgemäß ihre
eigene Dynamik, werden von den mächtigen NGOs
(Nichtregierungsorganisationen) als Maßstab für die Beurteilung von
Regierungshandeln genutzt und dürften Stück für Stück in die
entsprechenden Gerichtsverfahren zu Asyl und Abschiebung einsickern.
Konsequenterweise hat schon jetzt der Wissenschaftliche Dienst des
Bundestages unter Bezugnahme auf das Außenministerium wörtlich erklärt:
„Die Bundesregierung strebt ein politisch, nicht jedoch rechtlich
verbindliches Abkommen an.“ Die Formulierung jedenfalls sollte ähnlich
an noch offiziellerer Stelle auftauchen. Und: Im Endeffekt dürfte es
wohl auf dasselbe hinauslaufen.
Die Entstehungsgeschichte des
Migrationspaktes zeigt das überdeutlich. So schrieben im April 2018 die
Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Politik Steffen Angenendt und
Nadine Biehler über den „Zero Draft“, eine Art Vorentwurf des Paktes, es
sei „ein guter, aber noch kein hinreichender Schritt“; er sei zwar
positiv zu bewerten, aber noch nicht ambitioniert genug. Und dann kommen
die beiden Autoren zur Sache: „Weltweit steigt die Zahl von
Flüchtlingen und Migranten, und beide Gruppen vermischen sich
zunehmend.“
Viele Regierungen seien angesichts der „gemischten
Wanderungen“ nicht fähig oder nicht willens, ihre Schutzverpflichtungen
gegenüber Flüchtlingen zu erfüllen. „Abschottung und nationale
Alleingänge nehmen zu – mit der Folge, dass der globale
Flüchtlingsschutz erodiert.“ Dem soll nun offenbar mit dem
Migrationspakt entgegengewirkt werden: Unbegrenzter Zuzug und gleiche
Rechte für alle.
Ausnahme, die zum Dauerzustand wurde
Die
Stiftung Wissenschaft und Politik ist nicht irgendeine Stiftung, sondern
praktisch der Thinktank der Bundesregierung. Sie wird auf Vorschlag des
Bundestages aus dem Haushalt der Kanzleramtes finanziert. Kern des
UN-Migrationspakts, das wird immer deutlicher, ist es, die
unübersichtliche Einwanderung von Asylbewerbern, Flüchtlingen aus
Kriegsgebieten und anderen Migranten dadurch zu regeln, dass man
illegale Migration legalisiert. Anscheinend soll in der Migrationsfrage
die Politik die Oberhand über das Gesetz haben.
Eine solche
Vorgehensweise hatte Angela Merkel am 4. September 2015 vorexerziert,
als sie – offenbar in Ausübung ihrer Richtlinienkompetenz als
Bundeskanzlerin – einer im Marsch befindlichen Flüchtlingsgruppe von
anfangs 2000 Personen, die sich aus Ungarn über Österreich in Richtung
deutsche Grenze zubewegte und unterwegs immer größer wurde, die Einreise
offiziell erlaubte.
Am Münchner Hauptbahnhof kamen am nächsten
Morgen fast 7000 Asylsuchende an. Am 11. September 2015 erklärte Merkel
dazu in einer Pressekonferenz gemeinsam mit dem österreichischen
Bundeskanzler Faymann: „Wir haben... in einer akuten Notsituation eine
Entscheidung getroffen, die ja auch als eine humanitäre Ausnahme
bezeichnet wurde, um Menschen zu helfen.“ Es war eine Ausnahme, die zum
Dauerzustand wurde: Bis Ende 2016 kamen mehr als eine Million
Flüchtlinge nach Deutschland.
Die Kanzlerin hatte damit praktisch
den Artikel 16a des Grundgesetzes außer Kraft gesetzt: (1) „Politisch
Verfolgte genießen Asylrecht.“ (2) Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen,
wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus
einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Genfer Konvention gilt.
Dazu diente Absatz 5, nach dem das europäische Recht den
Grundgesetzartikel überlagern kann.
Das sogenannte
„Selbsteintrittsrecht“ eines EU-Staates, als Ausnahmeregelung
konzipiert, wurde zur Regel. Zwar wurden schon vorher keine Asylbewerber
aufgehalten, die unerlaubt nach Deutschland weiterreisten. Doch Merkel
erteilte dieser illegalen Masseneinwanderung den regierungsamtlichen
Segen.
Der international renommierte Bonner Völkerrechtler
Matthias Herdegen formuliert das eleganter, aber im Ergebnis ähnlich
hart: Die Bundesregierung habe diese Einschränkungen des
Grundgesetzartikels 16a „und auch die Sicherung des europäischen
Asylsystems in Deutschland, gewissermaßen gegen die eigenen Interessen
handelnd, zerstört. Das europäische Asylsystem liegt in Trümmern. Ein
neues System ist nicht absehbar“.
Am 13. September 2015
untersagte Innenminister Thomas de Maizière nach kurzen Telefonaten mit
seiner Kanzlerin dem Präsidenten der Bundespolizei, die Grenze nach
Österreich zu kontrollieren und Asylbewerber, die aus einem sicheren
Drittland kamen, dorthin zurückzuweisen. Auch als später Spitzenbeamte
des Innenministeriums in einem sogenannten Non-Paper feststellten, dass
es keine juristischen Hindernisse für eine Rückweisung gegeben habe,
wurde diese Politik nicht geändert. Das Papier wurde geheim gehalten.
Der Grundgesetzartikel 16a wurde weder vom Parlament geändert oder
gestrichen noch von irgendeinem Gericht kassiert. Er verschwand
gleichsam in der rechtsstaatlichen Versenkung.
Drei Jahre nach
der Nacht der offenen Grenze erklärte Angela Merkel, die
Dublin-Verordnung, die eigentlich regelt, dass Migranten in dem Land
Asyl beantragen und dort bis zum Abschluss des Verfahrens bleiben
sollen, in dem sie erstmals EU-Territorium erreicht haben, sei „nicht
funktionsfähig“. Denn, so Merkel, „nach der Theorie dürfte nie ein
Migrant oder ein Flüchtling in Deutschland ankommen“.
Verträge missachtet
Tatsächlich wurde Dublin nie eingehalten, sodass die meisten
Ankommenden weiterzogen, aber nicht in ihr europäisches Ankunftsland
rücküberstellt wurden. Die Dublin-Verträge sahen auch vor, dass
Deutschland für viele an den EU-Küstenstaaten Ankommende zuständig würde
– etwa wenn schon Verwandte hier leben. Die Lage wurde immer
verworrener. Aber der gute rechtsstaatliche Brauch, sich wenigstens um
die Einhaltung von Verträgen zu bemühen, bis sie geändert sind, wurde
abrupt beendet.
Merkel entschied sich dazu, die Missachtung der
aus ihrer Sicht nicht funktionsfähigen Verträge zur offiziellen Politik
zu erklären und widerlaufende Bestimmungen im deutschen Recht zu
ignorieren. Der UN-Migrationspakt atmet diesen Geist, und wie mit
Aladins Wunderlampe verzaubert, werden illegal Zugereiste zu legalen
Einwanderern mit vollem Zugriffsrecht auf die Leistungen des
Sozialstaats. Der Lockruf des Geldes dürfte nachhaltige Folgen haben:
auf die Zahl der Zuwanderer und damit auch auf die Stabilität des
Sozialstaates.
Der UN-Migrationspakt gießt die Herbstformel von
2015 „Refugees Welcome“ in ein 32-seitiges Papier, das weitgehend
unbeachtet von der Öffentlichkeit seit gut eineinhalb Jahren
ausgehandelt wurde. Schon am 19. September 2016 hatten die 193
Mitgliedsstaaten der UN in ihrer „New Yorker Erklärung“ beschlossen, bis
Ende 2018 zwei neue Rahmenwerke zu erstellen.
Das erste, ein
„Globaler Pakt für Flüchtlinge“, sollte einer verbesserten Unterstützung
für die Hauptaufnahmeländer von Menschen dienen, die nach den Kriterien
der Genfer Flüchtlingskonvention Schutz in einem anderen Land suchten.
Teil davon ist ein „Resettlement“, eine Umsiedlung, nach der schon jetzt
jährlich gut 10.000 Flüchtlinge nach Deutschland umgesiedelt werden.
Im zweiten Pakt ging es um Migranten, die vor allem aus
wirtschaftlichen Gründen ihre Länder verlassen. Welche Rolle die
Bundesregierung dabei spielte, geht aus einem in der Öffentlichkeit
weitgehend unbekannten Dokument des Auswärtigen Amtes vom August 2018
hervor, veröffentlicht im Oktober.
In dem 144-seitigen Bericht
mit der Überschrift „Flucht und Migration“ heißt es auf Seite 71: „Die
Bundesregierung hat 2016 und 2017 ihre Zusammenarbeit mit den
VN-Organisationen im Bereich Flucht und Migration weiter intensiviert.
Zur Unterstützung von Flüchtlingen, Migranten und Binnenvertriebenen in
Herkunfts-, Transit- und Zielländern hat die Bundesregierung
substanziell die Arbeit der in diesem Bereich tätigen VN-Organisationen
unterstützt.“
Und weiter in dem offiziellen Text: „Auf Basis der
New Yorker VN-Erklärung vom 19. September 2016 treibt die
Bundesregierung zudem die Prozesse zur Erarbeitung eines Globalen Paktes
für Flüchtlinge (Global Compact on Refugees, GCR) und eines Globalen
Paktes für sichere, geordnete und reguläre Migration (Global Compact on
Migration, GCM) politisch, inhaltlich, personell und finanziell voran
und unterstreicht dadurch ihre internationale Gestalterrolle im Bereich
Flucht und Migration.“
Der Pakt für Flüchtlinge (GCR) ziele auf
eine gerechtere internationale Verantwortungsteilung in großen
Flüchtlingssituationen ab, der Pakt für Migration (GCM) solle Grundlage
für eine global gesteuerte, sichere und reguläre Migration werden.
Geradezu stolz wird auf die eigene Rolle dabei hingewiesen: „Deutschland
hat die Ausgestaltung der beiden Pakte durch Textvorschläge aktiv
mitgestaltet.“
Und dann heißt es in großer Offenheit, worauf es
wirklich ankommt: „Beide Pakte sind als rechtlich nicht bindend, aber
politisch verpflichtend konzipiert.“ Das verweist alle Beteuerungen von
Politikern, dass der Pakt nicht bindend sei, zumindest in den Bereich
der Halbwahrheit. Dafür wird von den Befürwortern des Pakts immer
betont, dass es darum geht, die umfassenden Rechte, die Migranten heute
schon in Deutschland genießen, zur globalen Regel zu machen, wohl in der
vagen Hoffnung, dass auch andere Staaten die deutschen Standards
einführen und damit den Migrationsdruck auf die Bundesrepublik mindern.
Mit Zuwanderung gegen Bevölkerungsrückgang
Ein klarer Fall von Wunschdenken. Die bisherigen Erfahrungen sprechen
nicht gerade dafür – die nordeuropäischen Sozialstaaten Dänemark und
Schweden machen beim „Refugees Welcome“ schon längst nicht mehr mit und
schicken Migranten zurück, meist nach Deutschland.
Woher der Wind
wehte, wurde schon aus einer Studie deutlich, die von der Abteilung für
Bevölkerungsfragen der UN im Jahr 2000 veröffentlicht wurde. Titel:
„Bestandserhaltungsmigration: Eine Lösung für abnehmende und alternde
Bevölkerungen?“ Im englischen Original heißt das „Replacement
Migration“, was auch als Ersatz-Zuwanderung übersetzt werden könnte.
Die Bedeutung jedenfalls wurde beschrieben als „Zuwanderung aus dem
Ausland, die benötigt wird, um den Bevölkerungsrückgang, das Schrumpfen
der Erwerbsbevölkerung sowie die allgemeine Überalterung der Bevölkerung
auszugleichen“. Das wurde dann am Beispiel verschiedener Länder
durchgespielt. Für Deutschland berechnete man ein Szenario, welche
Zuwanderung den Bevölkerungsrückgang ausgleichen könnte: Von 1995 bis
2050 sollte es eine Nettoimmigration von 25,2 Millionen Menschen sein,
wobei die Gesamtzahl der in Deutschland Lebenden auf immerhin 92
Millionen hochgerechnet wurde.
Es ging hier also nicht um eine
Planung etwa der deutschen Regierung, der Bürger oder der Parteien, wie
der Bevölkerungsrückgang möglicherweise durch Einwanderung von Arbeits-
oder Fachkräften ausgeglichen werden könnte, sondern durch einen Plan
der großen Weltbehörde, sozusagen von oben herab.
UN-Generalsekretär António Guterres wurde auch jetzt nicht müde, die
Vorteile einer globalen Völkerwanderung zu preisen. Der Migrationspakt
sei eine „beispiellose Gelegenheit für die politisch Verantwortlichen,
die schädlichen Mythen gegenüber Migranten anzugehen und eine gemeinsame
Vision zu entwickeln, durch die Migration für all unsere Nationen
funktionieren kann …“
Kein Zweifel: Der Pakt sollte auch der
Volkserziehung dienen. Die dahinter stehende UN-Logik: „Migranten, denen
legale Einreisemöglichkeiten verwehrt werden, greifen unweigerlich auf
illegale Methoden zurück. Legale Einreise zu ermöglichen, ist der beste
Weg, das Stigma der Illegalität und des Missbrauchs von Migranten zu
beenden.“ Der Plan besteht also darin, die Grenzen legal zu öffnen,
damit sie nicht illegal überschritten werden müssen – und zwar von
jedermann, aus welchen Gründen und in welcher Zahl auch immer.
Schon in einem Papier vom Dezember 2017 unter dem Titel „Migration zum
Nutzen aller“ hatte UN-Generalsekretär Guterres die Zahl internationaler
Migranten auf gegenwärtig 258 Millionen geschätzt – all diese sollten
nach seiner Auffassung Platz in anderen, vorwiegend wohl europäischen
Ländern finden.
Von solchen Zahlen ist in der jetzt vorliegenden
Fassung nicht mehr die Rede, vermutlich um die abschreckende Wirkung der
globalen Umsiedlungsplanung zu mindern. Der Begriff „Umsiedlung“ wird
übrigens in einer Kurzinformation des Wissenschaftlichen Dienstes des
Bundestages genannt: „Resettlement (wörtlich: Umsiedlung) ist der
Transfer von Flüchtlingen von einem Asylland in ein Drittland, das sich
zu dauerhafter Aufnahme bereit erklärt hat.“
António Manuel de
Oliveira Guterres kennt sein Thema. Er ist seit dem 1. Januar 2017
Generalsekretär der Vereinten Nationen, war von 1992 bis 2002
Generalsekretär der portugiesischen Partido Socialista (PS), von 1995
bis 2002 Premierminister Portugals und von 1999 bis 2002 Präsident der
Sozialistischen Internationale. Danach amtierte er als Hoher
Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen.
Unter Gleichgesinnten
Der Mann weiß offenbar genau, was er politisch anstrebt – in dem von
Sozialdemokraten geführten Außenministerium der Bundesrepublik hat er
erkennbar Gleichgesinnte gefunden. Doch nicht nur dort.
Auf dem
Posten des Ständigen Vertreters der Bundesrepublik Deutschland bei den
Vereinten Nationen sitzt seit 2017 der Diplomat und Spitzenbeamte
Christoph Heusgen, der zuvor seit 2005 der außen- und
sicherheitspolitische Berater der Bundeskanzlerin war.
Wenige
Wochen nachdem „Merkels Mann für heikle Missionen“ (FAZ) im November
2016 für das Amt in New York nominiert wurde, schickte er am 21.
Dezember noch von seiner E-Mail-Adresse im Kanzleramt eine Nachricht an
die mit ihm befreundete künftige Kabinettschefin von UN-Generalsekretär
Guterres. Darin bat Heusgen um eine Stelle für seine Frau Ina bei den UN
und hängte deren Lebenslauf an.
n der Mail, die der „Spiegel“
später enthüllte, hieß es: „Wenn man bedenkt, welchen Beitrag
Deutschland zur Uno leistet, könnte es attraktiv für dich sein, jemanden
in deinem Stab zu haben (auf der Gehaltsstufe P5, die, wie ich höre,
für Ina passen würde), der beides hat: einen direkten Draht zum
Kanzleramt und zum Büro des Außenministers (und zu Deutschlands
künftigem Botschafter bei der UN, der die Ambition hat, 2019/2020 im
Sicherheitsrat zu sitzen).“ Mit dem künftigen Botschafter wies Heusgen,
ganz Diplomat, auf sich selbst hin. Am Ende bekam seine Frau tatsächlich
die Stelle bei den UN in New York.
Die Schwelle zwischen
Vetternwirtschaft und Korruption scheint hier ähnlich nebulös zu
verlaufen wie die zwischen Flüchtlingen und Migranten. Nach
Bekanntwerden der Familienaffäre Heusgen erklärte das Auswärtige Amt,
die Anstellung von Frau Heusgen sei „im außenpolitischen Interesse der
Bundesregierung“.
Genau drei Monate nach Verabschiedung der New
Yorker Erklärung, am 19. Dezember 2016, fand beim deutschen
UN-Botschafter Christoph Heusgen ein Empfang des Global Forum on
Migration & Development (GFMD) statt. Den Vorsitz des neu
gegründeten Forums hatten die beiden UN-Mitgliedstaaten Deutschland und
Marokko übernommen. Die Organisation wollte eine Plattform bieten, auf
der sich die Staaten über die „Zusammenhänge von Migration und
Entwicklung“ austauschen können, und zwar „informell, nicht bindend“ und
„freiwillig“.
Dafür war die Konferenz, die wenige Monate später
in Berlin stattfand, ziemlich hochkarätig besetzt: Die Eröffnungsrede
hielt der damalige Außenminister Sigmar Gabriel, für das Kanzleramt
stand Merkels neuer außenpolitischer Chefberater Jan Hecker auf der
Teilnehmerliste, ebenso wie Entwicklungshilfeminister Gerd Müller. „Wer
illegale Migration eindämmen will, der muss legale
Einwanderungsmöglichkeiten schaffen“, so Gabriel in seiner Rede.
Der Außenminister verlangte ein „radikales Umdenken in der
Migrationspolitik“, die Regeln für diesen „globalen
Gesellschaftsvertrag“ sollten „die Bedürfnisse zuallererst der
Migranten, ihrer Heimatstaaten und der Zielstaaten miteinander
vereinen“. Die Rangfolge blieb erhalten.
Das Interesse der
Bevölkerung, die möglicherweise gern gefragt würde, wen und wie viele
Zuwanderer sie tragen und ertragen will, spielte in den Überlegungen der
Bundesregierung dagegen ganz offensichtlich eine eher untergeordnete
Rolle, wie vom UN-Generalsekretär in seinem Papier vom Dezember 2017
vorgegeben.
Vage Erwartung an Ausreiseländer
Zwar hätten die
Staaten und ihre Bürger „berechtigte Gründe, sichere Grenzen zu
verlangen und darüber zu entscheiden, wer ihr Hoheitsgebiet betreten und
darin bleiben darf“. Dieses Recht kommt aber sofort wieder unter die
humanitären Räder, weil eine „Politik, die Migration einschränken will“,
von Guterres zur „kontraproduktiven Politik“ erklärt wird, die „die
Verwundbarkeit der Migranten“ erhöhe.
Auf diese dialektische
Weise wird auch in dem Pakt jeweils eine eher vage Erwartung an die
Ausreiseländer mit einer konkreten Forderung und Verpflichtung an die
Zielländer verbunden.
Der „Globale Pakt für eine sichere,
geordnete und reguläre Migration“ kommt, wie das bei den Vereinten
Nation üblich ist, ziemlich pathetisch daher und nimmt die Annahme
vorweg: „Wir, die Staats- und Regierungsoberhäupter und Hohen
Beauftragten, zusammengetreten am 10. und 11. Dezember 2018 in Marokko,
in Bekräftigung der New Yorker Erklärung für Flüchtlinge und Migranten
und entschlossen, einen bedeutenden Beitrag zur verstärkten
Zusammenarbeit auf dem Gebiet der internationalen Migration in allen
ihren Dimensionen zu leisten, haben den nachstehenden Globalen Pakt für
eine sichere, geordnete und reguläre Migration angenommen.“
In
der Präambel wird Bezug genommen auf die Ziele und Grundsätze der Charta
der Vereinten Nationen, die Erklärung der Menschenrechte, die
bürgerlichen und politischen Rechte, den Pakt über wirtschaftliche,
soziale und kulturelle Rechte, die Vereinbarung gegen
grenzüberschreitende organisierte Kriminalität, Zusatzprotokolle gegen
Menschenhandel, Schleuser, gegen Sklaverei, Klimaänderung, Wüstenbildung
sowie die Förderung menschenwürdiger Arbeit und Arbeitsmigration.
Alles, wozu sich die Mitgliedsstaaten der UN verpflichtet haben – und
woran sich wohl nur die Minderheit dieser Staaten hält –, liegt dem Pakt
zugrunde. Wobei die Veränderung der Gesellschaftsstrukturen der
Zielländer, mögliche kulturelle und religiöse Konflikte,
unterschiedliche Prägung etwa hinsichtlich der Beziehung zwischen den
Geschlechtern und der Familienstrukturen, mangelnde Bildung,
unzureichende berufliche Qualifikation, hohe Belastung der Sozialsysteme
und eine Beeinträchtigung der inneren Sicherheit fast vollständig
ausgeblendet wurden.
Der Pakt fasst zunächst in 23 Punkten die
„Ziele für eine sichere, geordnete und reguläre Migration“ zusammen. Von
Selbstverständlichkeiten wie der Ermittlung korrekter Daten (1) und der
Verminderung der Migrationsursachen (2) geht es dann weiter zu Punkten,
die erkennbar Migration erleichtern sollen, etwa der „Bereitstellung
korrekter Informationen in allen Phasen der Migration“ (3), sowie der
„Sicherstellung dessen, dass alle Migranten über den Nachweis einer
rechtlichen Identität und ausreichende Dokumente verfügen“ – eine
Passage, die offenbar berücksichtigt, dass jedenfalls die Asylbewerber
in Deutschland zu etwa zwei Dritteln über keinerlei Personalpapiere
verfügen.
Dass viele davon ihre Pässe weggeworfen haben, um ihre
Herkunft zu verschleiern oder eine Abschiebung mangels Ausweispapieren
zu erschweren, findet im Migrationspakt keinen Widerhall.
Passage
4 dient der „Verbesserung der Verfügbarkeit und Flexibilität der Wege
für reguläre Migration“, der „Förderung einer fairen und ethisch
vertretbaren Rekrutierung von Arbeitskräften ...“ (6), der „Minderung
prekärer Situationen“ im Rahmen der Migration (7), der „Rettung von
Menschenleben ...“ und koordinierten Maßnahmen „betreffend vermisste
Migranten“ (8).
Die Punkte 9 und 10 sind dem Kampf gegen
Schleuser und Menschenhändler gewidmet, die Punkte 11 und 12 dienen
wieder dem verbesserten Ablauf der Migration, durch ein „integriertes,
sicheres und koordiniertes Grenzmanagement“ sowie eine „Stärkung der
Rechtssicherheit und Planbarkeit bei Migrationsverfahren“. Der Punkt 13
legt fest, dass „Freiheitsentziehung bei Migranten nur als letztes
Mittel“ dienen soll.
Medien sollen beeinflusst werden
Bei
Punkt 14 geht es dann um „Verbesserung des konsularischen Schutzes“,
Punkt 15 behandelt die „Gewährung des Zugangs von Migranten zu
Grundleistungen“, Punkt 16 die „Verwirklichung der vollständigen
Inklusion und des sozialen Zusammenhalts“ und Punkt 17 die „Beseitigung
aller Formen der Diskriminierung und Förderung eines auf nachweisbaren
Fakten beruhenden öffentlichen Diskurses zur Gestaltung der Wahrnehmung
der Migration“.
Auf den folgenden Seiten des Pakts, der die
einzelnen Punkte unter der Überschrift „Ziele und Verpflichtungen“
detailliert darstellt, steht dann genauer, wie die Autoren sich das
„unter voller Achtung der Medienfreiheit“ vorstellen: „durch
Sensibilisierung und Aufklärung von Medienschaffenden hinsichtlich
Migrationsfragen“, durch „Investitionen in ethische Standards der
Berichterstattung“ und durch „Einstellung der öffentlichen Finanzierung
oder materiellen Unterstützung von Medien, die systematisch Intoleranz,
Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und andere Formen der Diskriminierung
gegenüber Migranten fördern“. Es geht also um die Beeinflussung der
Medien.
Wie so etwas – in einem eher milden Fall – aussehen
könnte, zeigte das federführende Auswärtige Amt kürzlich bei einer
Anfrage des Berliner „Tagesspiegels“, der wissen wollte, welche
Kompromisse das Amt in Bezug auf seine ursprünglichen
Verhandlungspositionen eingegangen sei. Das Auswärtige Amt verweigerte
die Antwort, und ein Sprecher erklärte, nähere Informationen dazu würden
gegenüber Medienvertretern ausschließlich vertraulich und nur „im
Hintergrund“ erfolgen.
Mit diesem Vorgehen, auf das sich das
Auswärtige Amt regelmäßig zurückzieht, macht das Ministerium den Medien
behördlich so bezeichnete „Verwendungsvorgaben“ für Informationen. Im
Klartext heißt das: Informationen gibt es nur, wenn der Journalist im
Sinne des Amtes schreibt. Es ist offenbar eine sehr eigene Form der
Pressefreiheit, die hier unter „voller Achtung der Medienfreiheit“
behördlich reglementiert werden soll.
Unter Punkt 18 geht es um
Aus- und Weiterbildung von Migranten und die „Erleichterung der
gegenseitigen Anerkennung von Fertigkeiten, Qualifikationen und
Kompetenzen“ – was bedeutet, die „Beschäftigungsfähigkeit von Migranten“
in den Zielländern zu optimieren, und das heißt wohl nichts anderes,
als ausländische Qualifikationen oder Ausbildungszeugnisse oder
Prüfungsergebnisse aufzuwerten.
In Punkt 19 geht es eher vage um
Bedingungen, unter denen Migranten zur „nachhaltigen Entwicklung“ in
allen Ländern beitragen können. Punkt 20 soll die Rücküberweisung von
Geld in die alte Heimat sicherer und kostengünstiger machen. In Punkt 21
geht es um die Ermöglichung einer „sicheren und würdevollen“ Rückkehr,
in Punkt 22 um die Übertragbarkeit von erworbenen
Sozialleistungsansprüchen und am Ende in Punkt 23 wieder ganz global um
die internationale Zusammenarbeit und Partnerschaft für eine sichere,
geordnete und reguläre Migration.
Die Regelungen beschreiben
überwiegend eine Bringschuld des Ziellandes, das den Migranten einen
Status einräumen soll, der sich kaum von dem eines anerkannten
Asylbewerbers oder eines Kriegsflüchtlings unterscheidet. Er erweckt in
weiten Teilen den Eindruck, als sei Migration ein allgemeines
Menschenrecht, er listet so viele Schutzregeln und Hilfsversprechen für
reguläre und illegale Migranten auf, dass die Zielstaaten praktisch
jeden Ankommenden rundum versorgen, schützen und unterhalten müssen.
Was sich in Grenzen hält, sind vor allem die Pflichten der Zuwanderer.
Die Rechte der Bevölkerung eines Zielstaates spielen praktisch keine
Rolle. Das auf Flüchtlinge bezogene „Refugees Welcome“ wird umgewandelt
in ein globales „Migrants Welcome“. Dabei wird vollkommen unterschlagen,
dass es zwischen den Ausreiseländern, den Transitländern und den
Zielländern gewaltige Interessenunterschiede gibt. Der Pakt ist geprägt
von den Bedürfnissen der Auswanderungsländer, vor allem in Afrika.
Die Sogwirkung des Papiers dürfte mindestens so groß sein wie die der
Willkommenskultur im Herbst 2015 inklusive der Selfies mit Kanzlerin.
Die wesentlichen Gründe für den Migrationsdruck werden ausgeklammert:
die Bevölkerungsentwicklung in vielen Entwicklungs- und
Schwellenländern, die Ausplünderung der eigenen Bevölkerung durch
korrupte Regimes, die Machtkämpfe und von innen und außen verursachte
Bürgerkriege zum Sturz autoritärer Regierungen und die Resultate
derselben, die nur selten zu Besserungen führen.
Einladung an die Herkunftsstaaten
Der Pakt geht von einer Gleichrangigkeit der Sitten, Gebräuche,
Rechtsformen, von Demokratieverständnis und kulturellen und
gesellschaftlichen Verhaltensformen in den gastgebenden Ländern und
denen der Migranten aus. Er unterschlägt in seinem gut gemeinten
Regelungswahn die Realität der gegenwärtigen Migration und ihrer
Schattenseiten.
Der Pakt ist eine Einladung an die
Herkunftsstaaten, ihre internen Probleme wie Arbeitslosigkeit,
Wohnungsnot, Menschenrechte, Bevölkerungswachstum, Korruption,
Devisenknappheit et cetera durch den Export von Teilen ihrer Bevölkerung
zu lösen. Er ist eine Einladung an die Bevölkerung, sich auf die große
Reise zu machen – und damit auch eine Aufforderung an die Schlepper und
Menschenhändler, ihr Geschäftsmodell weiter auszubauen.
Keine
Frage: Der Pakt trägt die Handschrift der mächtigen Flüchtlings- und
Migrantenorganisationen in Brüssel und Genf, der Regierungen der
Herkunftsstaaten sowie von Berufsdiplomaten, deren Verantwortung für die
innere Sicherheit ihrer Länder sich in Grenzen hält.
Als
Gastgeber für die hochkarätig besetzte Verabschiedung des Pakts bot sich
Marokko an – eine erstklassige Wahl. Kaum ein anderes Land der Welt
eignet sich vor allem aus deutscher und europäischer Sicht so perfekt
als Präzedenzfall für fehlgeschlagene Migrationspolitik wie das
Königreich an Atlantik und Mittelmeer.
In Marokko hat sich die
Bevölkerung seit 1956 auf inzwischen 35 Millionen Menschen verdreifacht.
62 Prozent von ihnen leben in den städtischen Zentren des Landes. Das
Durchschnittsalter beträgt 28 Jahre (Deutschland: 46 Jahre). Selbst nach
offiziellen Zahlen liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei 18 Prozent. Und
die realen Zahlen dürften eher doppelt so hoch sein. Islamistische
Gruppen haben Zulauf. Das Königreich reagiert mit verstärkter
Repression. Fast fünf Millionen Marokkaner haben ihr Land in den letzten
Jahren verlassen. Fast alle in Richtung Europa.
Nach einem im
Oktober bekannt gewordenen geheimen Lagebericht des
Bundesnachrichtendienstes nimmt Marokko inzwischen eine
Schlüsselposition bei der Schleusung von illegalen Migranten aus Afrika
ein. Kriminelle Banden haben demnach den traditionellen Drogen- um den
Menschenhandel erweitert. 6000 Personen können von ihnen monatlich über
drei Routen nach Spanien gebracht werden, schätzt der BND. Ein
millionenschweres Geschäft.
Die am 10. und 11. Dezember nach
Marrakesch reisenden Diplomaten sollten sich nicht von den
Sicherheitshinweisen des Auswärtigen Amtes irritieren lassen, die
unverändert seit dem 5. Juli 2018 gelten. Es könnten sich spontan
Demonstrationen entwickeln, die schon zu gewaltsamen
Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften geführt hätten: „Die
Proteste entzünden sich meist an wirtschaftlichen und sozialen
Missständen.“ Reisenden werde empfohlen, Menschenansammlungen zu meiden
und die politische Lage aufmerksam zu verfolgen.
Ein Rat, der in
der Silvesternacht 2015/16 auch in Köln am Platze gewesen wäre. Am
Hauptbahnhof und auf der Domplatte war es zu zahlreichen sexuellen
Übergriffen auf Frauen durch Gruppen junger Männer gekommen, vornehmlich
aus dem nordafrikanischen und arabischen Raum, die meisten aus Marokko.
Grapschen, sexuelle Nötigung, Vergewaltigung, Raub und Diebstahl durch
mehr als 1000 vor allem junge Männer, die zum Teil stark alkoholisiert
und laut Polizeiangaben „völlig enthemmt und aggressiv“ auftraten,
stoppten plötzlich die kollektive Begeisterung über die
Willkommenskultur des Flüchtlingsherbstes.
Auswanderer stärken die heimische Wirtschaft
Gut 1,5 Millionen „Flüchtlinge“ sind seit Anfang 2015 bis heute ins
Land gekommen, und jedes Jahr kommen gegenwärtig etwa 200.000 hinzu – so
viele, wie die Stadt Mainz Einwohner hat. Nur eine Minderheit von ihnen
ist kriminell, allerdings ist diese Minderheit in bestimmten, die
Öffentlichkeit verstörenden Deliktfeldern wie etwa bei Mord oder
schweren Sexualstraftaten in den Polizeistatistiken um ein Vielfaches
stärker vertreten, als es dem Anteil der gesamten „Zuwanderer“ genannten
Gruppe an der Bevölkerung in Deutschland entspricht. All das wäre
durchaus ein Anlass, über internationale Abmachungen zur Migrationsfrage
nachzudenken.
Für manche Staaten sind ihre eigenen Bürger zudem
ein durchaus profitables Exportmodell, tragen die Auswanderer doch durch
ihre Überweisungen nach Hause einen beträchtlichen Teil zu den
Deviseneinnahmen des Landes bei. So heißt es in einem Papier der
Stiftung für Wissenschaft und Politik unter der Überschrift
„Migrationsstratege Marokko – Abschotter Algerien“ über die „willkommene
Emigration“: „Die Auswanderer entlasten den Arbeitsmarkt und
alimentieren die Volkswirtschaften in ihrem Herkunftsland.“
Auch
die zögerliche Haltung der Regierungen bei der Rücknahme von Landsleuten
wird eindringlich beschrieben: „Wer aus Europa abgeschoben wird, gilt…
im Herkunftsland vornehmlich als wirtschaftliche und, sofern es sich um
kriminelle und radikalisierte Rückkehrer handelt, auch als
gesellschaftliche Hypothek.“
Ob die Verabschiedung des
Migrationspaktes in Marokko das wesentlich ändern sollte, bleibt im
Bereich des Wunschdenkens. Die Lage in den Ausreiseländern dürfte der
Pakt nicht wesentlich verändern – die wirtschaftliche Interessenlage
spricht dagegen.
All diese Fakten werden im großen Migrationspakt
verschwiegen, beschönigt oder höchstens am Rande gestreift. Stattdessen
wird das hohe Loblied der Migration angestimmt:
„Migration war
schon immer Teil der Menschheitsgeschichte, und wir erkennen an, dass
sie in unserer globalisierten Welt eine Quelle des Wohlstands, der
Innovation und der nachhaltigen Entwicklung darstellt und dass diese
positiven Auswirkungen durch eine besser gesteuerte Migrationspolitik
optimiert werden können.“
Der Pakt rückt Flüchtlinge, die
individuell verfolgt werden und Anspruch auf Asyl haben,
Kriegsflüchtlinge, die „subsidiären Schutz“ genießen, und
Wirtschaftsmigranten auf eine Stufe. Die Gleichstellung kommt auf leisen
Sohlen. In der Präambel heißt es: „Flüchtlinge und Migranten haben
Anspruch auf dieselben allgemeinen Menschenrechte und Grundfreiheiten,
die stets geachtet, geschützt und gewährleistet werden müssen.“
Es handele sich bei ihnen um „verschiedene Gruppen“, die separaten
Rechtsrahmen unterliegen. Lediglich Flüchtlinge hätten ein Anrecht auf
den spezifischen internationalen Schutz, den das internationale
Flüchtlingsrecht vorsieht. Dann aber heißt es: „Der vorliegende globale
Pakt bezieht sich auf Migranten und stellt einen Kooperationsrahmen zur
Migration in allen ihren Dimensionen dar“.
Im Folgenden wird der
Unterschied zwischen Verfolgten und Wirtschaftsmigranten systematisch
verwischt. Im Prinzip haben danach alle dieselben Rechte, was in dem
Papier gründlich verklärt wird: „Dieser globale Pakt stellt einen
Meilenstein in der Geschichte des globalen Dialogs und der
internationalen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Migration dar.“
Vorsichtshalber heißt es unter Punkt 7 der Präambel: „Dieser globale
Pakt stellt einen rechtlich nicht bindenden Kooperationsrahmen dar, der
auf den Verpflichtungen aufbaut, auf die sich die Mitgliedstaaten in der
New Yorker Erklärung für Flüchtlinge und Migranten geeinigt haben.“
Grenzen werden kaum kontrolliert
Diese Passage wird von den Verteidigern des Pakts immer wieder
angeführt: Er sei ja rechtlich nicht bindend. Und tatsächlich heißt es
in einem weiteren Punkt (15c): „Der globale Pakt bekräftigt das
souveräne Recht der Staaten, ihre nationale Migrationspolitik selbst zu
bestimmen, sowie das Vorrecht, die Migration innerhalb ihres
Hoheitsgebietes in Übereinstimmung mit dem Völkerrecht selbst zu
regeln.“ Es wird ihnen sogar das Recht eingeräumt, innerhalb ihres
Hoheitsbereichs zwischen „regulärem und irregulärem Migrantenstatus“ zu
unterscheiden. Auch die Rechtsstaatlichkeit wird ausdrücklich anerkannt.
Damit aber auch genug der Souveränität einzelner Staaten.
Die
Realität in Deutschland sieht ohnehin anders aus. Das Grenzregime hat
die Bundesrepublik spätestens im September 2015 praktisch aufgegeben.
Die Grenzen zu den europäischen Anrainerstaaten sind aufgrund des
Schengener Abkommens offen. Sie werden auch nur im Ausnahmefall von der
Bundespolizei, dem früheren Bundesgrenzschutz, überwacht und
kontrolliert. Der Grundgesetzartikel 16a wurde de facto außer Kraft
gesetzt – und damit auch die entsprechende Verpflichtung der Polizei zum
Eingreifen.
Seitdem werden bei einem festgestellten und – laut
Gesetzeslage – illegalen Grenzübertritt die persönlichen Daten genommen,
und es wird pro forma ein Verfahren wegen illegalen Grenzübertritts
eröffnet. Das aber läuft immer ins Leere und wird am Ende eingestellt.
Diesem allgemeinen Chaos soll der Migrationspakt offenbar einen neuen
Anstrich verpassen – und der lautet so wie der alte Slogan der
anarchistischen Linken: Kein Mensch ist illegal.
Nach dem Pakt
ist prinzipiell jeder Mensch auf der Welt ein potenzieller Migrant, der
selbst entscheiden kann, ob er sein Land verlassen und sich in einem
anderen Staat niederlassen will; unabhängig von seiner Motivation,
seinem Alter, seiner Bildung, seinem Glauben, seinem Familienstand,
seiner Absicht zu arbeiten oder vor allem Sozialleistungen zu beziehen,
unabhängig davon, ob er in seinem Heimatland Straftaten begangen hat
oder ob er sich in seinem Zielland einer kriminellen Gruppe anschließen
will.
Die Interessenlage des Ziellandes spielt kaum eine Rolle,
auch nicht die Gesamtzahl der Zuwanderer oder der Einreisenden aus
bestimmten Regionen oder der Stand der Integration, die Möglichkeiten
für Berufsausbildung oder Beschäftigung oder die Berücksichtigung des
zur Verfügung stehenden Umfanges an Sozialleistungen oder Wohnraum. Es
ist ein beispielloses Einwanderungsprogramm ohne Grenzen, eine Einladung
an alle.
Damit wird auch der Paragraf 1, Absatz 1 des
gegenwärtig geltenden deutschen Aufenthaltsgesetzes kurzerhand
ausgehebelt. Darin heißt es: „Das Gesetz dient der Steuerung und
Begrenzung des Zuzugs von Ausländern in die Bundesrepublik Deutschland.“
Geht es nach dem Plan, dann wird nicht mehr gesteuert oder begrenzt,
sondern akzeptiert und verwaltet.
Auch die heiß diskutierte
Obergrenze für Zuwanderer, die im Koalitionsvertrag der GroKo nur noch
als Schätzgröße von 200.000 pro Jahr auftauchte, ist damit praktisch
hinfällig.
Der UN-Migrationspakt bettet alle ein in ein
Wunschprogramm für die heile Welt der Wanderer. Und das ohne irgendeine
Gesetzesänderung, ohne Verabschiedung einer Verfassungsänderung durch
die vorgeschriebene Stimmenmehrheit im Bundestag, ohne Ratifizierung
durch den Bundesrat, ohne die Gefahr, das Bundesverfassungsgericht
könnte ein neues Gesetz für verfassungswidrig erklären.
Die Kanzlerin macht das Tor auf - sperrangelweit
So sieht ein „rechtlich nicht bindendes“, aber „politisch
verpflichtend“ konzipiertes Abkommen aus. Es sind vor allem die
Zielstaaten der Migration, die sich in dem UN-Pakt auf 32 Seiten 87-mal
„verpflichten“ oder eine „Verpflichtung“ eingehen.
Und das soll
auch kontrolliert werden. Allen Mitgliedstaaten wird nahegelegt, „sobald
wie möglich ambitionierte nationale Strategien zur Umsetzung des
globalen Paktes zu entwickeln“. Alle zwei Jahre soll dann der
UN-Generalsekretär der Generalversammlung Bericht erstatten, alle vier
Jahre sollen auf globaler Ebene Erörterungen stattfinden, um unter
Beteiligung „aller relevanten Interessenträger“ die Umsetzung des
globalen Pakts zu überprüfen.
Es müssen nur alle mitmachen – vor
allem die Zielstaaten mit offenen Grenzen und offenen Armen. Deutschland
soll ganz vorn dabei sein, wenn es nach der Bundeskanzlerin geht. Der
Pakt sei „in nationalem Interesse“, erklärte Angela Merkel am 22.
November vor dem Bundestag. Deutschland befinde sich damit in einer
„Win-win-Situation“. Die Kanzlerin, die noch 2015 erklärt hatte,
Migranten, die „aus wirtschaftlicher Not zu uns kommen, können nicht
bleiben“, macht nun auch für sie das Tor auf, sperrangelweit. Stefan Aust