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Mittwoch, 31. März 2021

Interview mit Ludger K.

 

Im JF-TV Interview schildert Ludger K., wie er zuerst „typisch konservativ“ auf die neue Situation reagierte, nämlich mit dem Wunsch, „die Reihen geschlossen zu halten“. Doch dann begann er sich zu wundern: Immer dieselben Experten und Virologen, die in Medien zu Wort kamen, während Vertreter abweichender Sichtweisen ignoriert wurden. Eine Vorgehensweise, die man auch bei vielen anderen kontroversen Themen beobachten kann.

Und noch etwas fällt auf: Wer sich, wie jüngst die Sängerin Nena, mit jenen solidarisiert, die gegen die Coronapolitik und für die Wiederherstellung von Grundrechten demonstrieren, erfährt schnell scharfen Gegenwind in den Leitmedien. Auch das ist aus einem anderen Zusammenhang bekannt, erinnert es doch sehr an die unrühmliche „Cancel Culture“, der in Deutschland beispielsweise der Satiriker Uwe Steimle zum Opfer fiel.

„Früher konnte man in der Garderobe noch alles diskutieren“, erinnert sich Ludger K., doch seit der Finanzkrise 2008 seien viele Debatten immer emotionaler, immer irrationaler geworden. Da sei „eine rhetorische, aber auch eine reale Gewalt im Spiel“, die ihn „sehr beunruhige“, so der Kabarettist.

> Die ganze Show „Böst of Ludger K.“ finden Sie unter www.vimeo.com/jungefreiheit

 

Wenn die wirklich "ein Zeichen setzen" wollten

 

Wenn man Sie bis ins Privatleben (die Schreibprogramme von Microsoft können bereits an Ihrer Ausdrucksweise herummäkeln und politisch angeblich korrektere Umschreibungen suggerieren), bis in den Sport, ins Kino und auf die Bühnen, in jeder Talkshow, mindestens jedem zweiten „Tatort” und jeder dritten Werbung mit Propaganda überzieht und politisch erziehen möchte, wie nennt sich ein solches System?

Weshalb es nervt

Statt Gauland antworte mal ich. Es nervt, weil nicht ehemalige Lagerhäftlinge oder deren Kinder oder die Nachkommen von Ermordeten mir mit Auschwitz kommen, obwohl ich Angehörige dieser Personenkreise persönlich kenne, sondern nachgeborene deutsche Steinmeiers und Claudia Kipping-Eckardts, deutsche Aleida Assmanns, deutsche Klebercläuse, deutsche Sonn- und Feiertagstagsredner, deutsche Leitartikler, deutsche Historikerstreiter und was sich an Gedenkroutiniers und Erinnerungsdominas noch so speizt. Es nervt, weil solche Figuren durch nichts legitimiert sind, sich über Auschwitz zu äußern, es aber trotzdem tun und zugleich andere auffordern, sich durch rituelle Zerknirschung als guter Mensch und folgsamer Staatsbürger zu legitimieren, der permanent für gutmenschliche Illusionen zur Kasse gebeten werden kann, weil er aus einem nationalen Kontext stammt, „in dem das möglich war”, wie St. Jürgen mit verträumtem Blick auf den Starnberger See seufzte. Es nervt, weil das Vergessen des tatsächlichen Schreckens geradezu die Voraussetzung dieser Art instrumentalisierten Gedenkens ist. Es nervt, weil die Indienstnahme des Massenmordes für politisches Agendasetting und persönliche Vordrängelei, die in der Endkonsequenz dazu führt, dass irgendein Heiko in intergalaktischer Schamferne vorgibt, wegen Auschwitz in die Politik gegangen zu sein, aber auch, dass irgendwelche linken Habitusnazis mich „Nazi” nennen, unendlich verlogen ist. Es nervt, weil hier mit todernstem Gesicht ein Satyrspiel aufgeführt wird. Darum nervt das so sehr. Ist das endlich verstanden worden?

Schauen wir, was die deutsche „Erinnerungskultur” bewirkt hat. Vielleicht tritt dann ihr eigentlicher Zweck zutage, vom trivialen Exhibitionismus der professionellen Bewältiger ganz abgesehen. Das normale nationale Selbstbewusstsein, mit dem auf Erden praktisch jeder Angehörige eines jeden Volkes aufwächst (schauen Sie auf die Migranten!), wird durch die schwärende deutsche „Vergangenheitsbewältigung” oder „Erinnerungskultur” in sein Gegenteil verkehrt. Deutsche dürfen aus ihrer Geschichte kein anderes Bewusstsein ziehen als ein negatives, als die Distanzierung von ihren Vorfahren, als die nationale Selbstnegation; auf die können sie dann stolz sein. Die theologische Erbsünde aller Menschen hat sich in die politische Erbschuld für die Angehörigen einer Nation verwandelt; dass deren Bewirtschafter von „historischer Verantwortung” sprechen, ist ein Hütchenspielertrick, sie verantworten nichts, und die NS-Opfer sind ihnen schnuppe.

Die Priester oder, wie ich sie lieber nenne, die Pfaffen der Vergangenheitsbewältigung haben das Dritte Reich außerhalb der Geschichte platziert; wer über dessen Ursachen reden will, den nennen sie einen „Relativierer”, wer auf die Verbrechen der anderen hinweist, den heißen sie einen „Aufrechner”. Die Geschichts- und Gedenkpolitik hat über die Deutschen eine transzendente Schuld verhängt, die sowohl das Ausland als auch die inneren Abmelkbrigaden – Linke, Grüne, „Anywheres” – permanent zur materiellen und moralischen Erpressung reizt. Was das Ausland angeht, muss ich die Geschichte der EU, die Abschaffung der D‑Mark als Preis der Wiedervereinigung, den Zusammenhang von Schuld und Schulden sowie Maastricht als „Versailles ohne Krieg” (Le Figaro) nicht weiter ausführen. „Macht hat in Deutschland nur, wer an der Verstetigung der deutschen Ohnmacht arbeitet” (Günter Maschke), und die deutsche Erinnerungsdressur ist die Basis von allem. Ihre Vorgaben wirken ungefähr wie der Katechismus bei den Christen. Wer die „Erinnerungskultur” gutheißt, hat auch für deren Konsequenzen einzustehen, selbst wenn er nur Bücher zur eigenen Familienhistorie schreibt; soviel Kollektivschuld muss sein. [....] 

Die läuternde Kraft der retrospektiven Einkehr war gleichwohl gering: Wenn man beobachtet, wie sich die in „Zivilgesellschaft” umgetaufte Volksgemeinschaft gegen Falschmeiner zusammenrottet, wie die Nazimentalität heute eben gegen „rechts” kämpft, wie die deutschen Engagierten und Mitläufer wieder Nachbarn oder Kollegen denunzieren, Resolutionen unterzeichnen und Listen schreiben, um der Führung „entgegenzuarbeiten” (Ian Kershaw), wie sie das Recht und die geistige Freiheit über Bord werfen, um auf Linie zu sein, dann begreift man, dass sich durch diese ganze „Bewältigung” und „Auseinandersetzung mit der Vergangenheit” mental überhaupt nichts geändert hat.  [....]

Etwas anderes ist natürlich der Umgang mit der Shoa in Israel. Dort wirkt die Erinnerung identitätsstabilisierend, nicht ‑zerstörend. Dort gibt es keine erinnerungskulturelle Priesterkaste, die den Laien vorschreibt, was sie tun und denken sollen und Gedenksünder exkommuniziert. Aber wenn ich vorhin schrieb, dass israelische Jugendliche Auschwitz als Patrioten verlassen, muss hinzugefügt werden, dass die linken globalistischen Wortführer auch und gerade die Israelis auf die Liste der aussterbenswürdigen Völker gesetzt haben. In Deutschland wetteifern Rote und Grüne darin, Israel anzuprangern und zu boykottieren. Insbesondere Heiko Maas, der Chef der Anonymen Antisemiten oder was das Kürzel AA auch immer bedeutet, lässt seine Chargen in den UN-Gremien regelmäßig gegen Israel stimmen, während er zugleich seine Lippenbekenntnisse zum Holocaust absondert. So viel bewirkt „Erinnerungskultur”!    MK 

Erinnerungskultur in Deutschland ist wie Ritzen!

10 pragmatische Punkte

Die folgenden zehn Punkte werden auf Kritik stoßen und niemanden ganz und gar befriedigen. Das müssen sie auch nicht. Es handelt sich dabei um einen Minimalvorschlag für die kommenden Monate, bei dem es um eines geht: Pragmatismus in einer schwierigen Lage, die sich so schnell nicht auflösen wird.

  1. Das Gremium aus Kanzlerin und Ministerpräsidenten als Entscheidungsgremium für Corona-Maßnahmen tritt nicht mehr zusammen.
    Es besitzt keinerlei verfassungsrechtliche Legitimation. Nach dem angerichteten Chaos der ‚Osterruhe’ – einer gesetzestechnisch gar nicht durchführbaren und sachlich unsinnigen Maßnahme als Ergebnis einer fünfzehnstündigen Beratung – gibt es auch keine praktische Berechtigung für diese Runde. Spätestens nach Merkels Drohung in der Stichwortlieferantinnenrunde von Anne Will, die föderale Ordnung durch Maßnahmen des Bundes einzuschränken, müssen sich die Landesregierungen und -Parlamente gegen die Anmaßung Merkels wehren, wollen sie nicht noch mehr Ansehen verlieren.
  2. Die Regierung jedes Bundeslandes verantwortet ihre Corona-Politik ab sofort wieder selbst. Fast alle möglichen Maßnahmen liegen ohnehin in der Kompetenz der Länder. Dabei sind Unterschiede zwischen den Ländern ausdrücklich erwünscht. Wenn etwa das Saarland den Lockdown nach Ostern aufhebt, Bayern erwartungsgemäß noch einige Zeit bei seinen Regeln bleibt und ein anderes Bundesland wieder einen anderen Weg einschlägt, dann lassen sich die Folgen der jeweiligen Praxis direkt miteinander vergleichen. Wie entwickeln sich dann Erkrankungen, Krankenhaus-Auslastung und Inzidenz? Das würde einen Aufschluss über die Wirkung von Lockdown-Maßnahmen geben, der sich nicht ignorieren lässt.
    Nur auf einem Gebiet müssen die Maßnahmen überall gleich bleiben: beim Schutz der besonders Gefährdeten in Alten- und Pflegeheimen.
  3. Kommunen sollen die Freiheit erhalten, die bisher erfolgreichen Regeln von Tübingen und Rostock zu übernehmen, beziehungsweise, sie an ihre jeweilige Lage anzupassen.
  4. Die Corona-Politik richtet sich nicht länger allein nach der so genannten 7-Tages-Inzidenz. Zum einen deshalb, weil der Wert, wie er bisher zusammengewürfelt wird, unbrauchbar und irreführend ist. Der Wert muss auf einen einheitlichen Wert von Getesteten im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung eines Landes, Landkreises oder einer Kommune berechnet werden, um überhaupt eine Vergleichbarkeit herzustellen. Vorschläge dazu gibt es. Außerdem braucht es die Unterscheidung zwischen positiv getesteten und tatsächlich infektiösen Personen. Sie sind eine Teilmenge der ersteren – und bilden die eigentlich relevante Gruppe.
    Die Zahl derjenigen, die andere mit Covid-19 infizieren könnten, kann in Zukunft aber nur eine von mehreren Größen sein, auf die sich die politisch Verantwortlichen stützen. Zum Gesamtbild gehören die Zahlen der tatsächlich Erkrankten, derjenigen, die Intensivbetten belegen – und in allen Gruppen die Betrachtung nach Altersgruppen. Um es praktisch zu machen: Ein kurzfristiger Anstieg von Infizierten in den jungen Altersgruppen ist anders zu bewerten als eine Zunahme von Infizierten ab 60 Jahren.
    Entscheidend sollte die Frage sein: Droht tatsächlich eine Situation, in der Intensivbetten und Beatmungskapazitäten knapp werden? Ganz am Anfang lautete das zentrale Argument für alle Anti-Corona-Maßnahmen: flatten the curve. Also: Infektionen zeitlich strecken, um eine Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden. Das ist nach wie vor richtig.
    Falsch ist und war immer die Maxime, Ansteckungen egal in welcher Altersgruppe unbedingt und zu jedem Kollateralschaden zu verhindern.
  5. Die Parlamente müssen sich die ihr zustehende Entscheidungsmacht wieder nehmen – was praktisch bedeutet, die Macht der Bunderegierung auf das zurechtzustutzen, was das Grundgesetz vorsieht. Im Fall Merkels, die vermutlich nicht von sich aus zurücktreten wird, auch noch weiter. Sie hat mehrfach bewiesen, dass sie sich um die Verfassung nicht schert – zuletzt mit ihrer grundgesetzwidrigen Forderung, Auslandsreisen weitgehend zu verbieten. In den letzten Monaten ihrer Amtszeit sollte ihr deshalb jede Entscheidung aus der Hand genommen werden, wenn es irgend geht.
    Der nächste Vorschlag ist mit dem Mangel behaftet, dass er sich an einen Bundestag und an Länderparlamente richtet, die in dem vergangenen Jahr freiwillig auf ihre Kompetenz verzichtet hatten, und in denen schon vor Corona das Prinzip verloren gegangen war, dass sich ein Parlament eine Regierung hält, nicht umgekehrt. Trotzdem lautet die Minimalforderung: Der Bundestag beruft umgehend einen Corona-Sachverständigenrat ein, in dem nicht nur Virologen und Datenmodellierer sitzen, sondern auch Mediziner mit einem anderen Erfahrungshorizont, Soziologen, Ökonomen, Verfassungsjuristen, Vertreter besonders betroffener Branchen und Berufsgruppen. Die Aufgabe des Rates lautet, Wirkungen und Nebenwirkungen der Covid-19-Bekämpfung zu untersuchen, Vorschläge zu unterbreiten und die Politik mit Empfehlungen zu begleiten. In den Rat gehören neben anderen der Mediziner Matthias Schrappe, ehemaliger Vize-Vorsitzender des Sachverständigenrats zur Begutachtung des Gesundheitswesens, der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit, der Vorsitzende der Stiftung Deutsche Depressionshilfe Ulrich Hegerl, der Soziologe Wolfgang Streeck, der Ökonom Hans-Werner Sinn und der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier.
    Und künftig debattieren und entscheiden der Bundestag und die Landesparlamente. Die Exekutive führt, wie der Name sagt, Parlamentsbeschlüsse aus.
    Eine zweite Aufgabe der Beratungsrunde besteht darin, die Corona-Politik vergleichsweise erfolgreicher Staaten wie Südkorea, Singapur und Finnland zu beobachten, und zu überlegen, was sich von ihnen lernen lässt.
  6. Mit Hilfe dieses Beratungsgremiums bringen die Verantwortlichen in Ländern und Kommunen endlich das auf den Weg, was in Deutschland bisher weitgehend fehlt: einfache, pragmatische Maßnahmen. Einkaufszeiten speziell für Senioren in den Vormittagsstunden beispielsweise würden das Infektionsrisiko für diese Gruppe reduzieren, der Einsatz von Luftfiltern in Klassenräumen das Ansteckungsrisiko für Kinder. Gegen die Öffnung der Außengastronomie mit passenden Hygienemaßnahmen spricht nichts. Tübingen praktiziert das – ohne dass bis jetzt Infektionszahlen und Krankenhaus-Auslastung steigen würden. Das gilt auch für Kulturveranstaltungen und Sport im Freien. Ebenso wenige Gründe gibt es, Urlaub im eigenen Ferienhaus oder im Campingwagen und Übernachtungen mit Negativtest in Hotels zu verbieten.
    Erst Recht gibt es keinen Grund, selbst geimpfte Senioren in Altenheimen daran zu hindern, gemeinsam im Speisesaal Mahlzeiten einzunehmen, oder die Zahl der Besucher auf eine Person zu beschränken, was bedeutet, dass beispielsweise nur die Tochter kommen darf und das Enkelkind nicht mitbringen darf. Erwachsene Menschen sollen selbst entscheiden dürfen, welches Risiko sie eingehen möchten, solange sie niemand anderen gefährden. Wenn etwa eine geimpfte Seniorin im Heim ihren Enkel sehen möchte, dann steht es keiner Institution zu, es mit dem Hinweis auf ein theoretisches „Restrisiko“ besser wissen zu wollen als sie selbst, was gut für sie ist.Zum Pragmatismus gehört es auch, die starre „Priorisierung“ beim Impfen zu beenden. Weil viele ihren Impftermin wegen der Verunsicherung gerade um Astra Zeneca nicht wahrnehmen, bleiben bisher hunderttausende Impfdosen ungenutzt – während andere, die sich impfen lassen würden, keinen Termin bekommen. Was in den Impfzentren nicht verbraucht wird, sollte deshalb sofort an die Hausärzte abgegeben werden.
    Eine praktische statt überkomplizierte Lösung ist auch dringend nötig, um tausenden vom Lockdown betroffenen insolvenzbedrohten Unternehmern und Selbständigen zu helfen. Deshalb: Abschläge sollten über die Finanzämter ausgezahlt werden, die ohnehin über alle nötigen Daten verfügen. Diese Methode wäre auch viel weniger betrugsanfällig als die umständliche Beantragung von Hilfen durch Dritte, also Steuerberater. Und Abschlag bedeutet, dass die spitze Abrechnung später erfolgt. Die Verwaltung muss sich von ihrem Prinzip verabschieden, dass nur dann Geld fließt, wenn auch das letzte Formblatt ausgefüllt und die Hilfe bis auf die Nachkommastelle unter ständig wechselnden Vorschriften berechnet ist. Und viele Bürger müssten auch ihre urdeutsche Angst ablegen, dass ihr Nachbar unberechtigterweise drei Euro mehr erhalten könnte als sie selbst.
  7. Die oben genannten Experten sollten auch so bald wie möglich eine Gesamtschau über die Kosten der bisherigen Lockdown-Maßnahmen zusammenstellen – von den Folgen verschobener und ausgefallener Operationen über die Verschlechterung der Lage psychisch Kranker und den Schäden für Kinder und Jugendliche bis zu den gesundheitlichen Konsequenzen von Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit und Wohlstandsverlust.
    Ein möglichst vollständiges Bild von Wirkungen und Nebenwirkungen ist nötig, um in Zukunft die Schäden zu mildern und einen Tunnelblick der Politik zu verhindern.
  8. Alle politisch Verantwortlichen sollten sich auf den Merkzettel schreiben (und bei jedem Auftritt und jeder Beratung mehrmals studieren): Nichts Unsinniges oder sogar Kontraproduktives fordern und beschließen. Klingt eigentlich selbstverständlich, ist es aber nicht. Es passiert, weil Politiker glauben, sie müssten irgendetwas tun oder fordern. Das sollen sie aber nicht.Jüngstes Beispiel: Karl Lauterbachs Idee einer Ausgangssperre ab 20 Uhr. Was wäre die Folge? Läden müssten dann schon gegen 19 Uhr schließen, folglich wäre das Gedränge in der letzten Stunde vor Schluss in den Supermärkten und anschließend in den öffentlichen Verkehrsmitteln noch größer als sonst. Die Gefahr, sich zu infizieren, liegt in geschlossenen Räumen etwa zwanzig- bis hundertmal höher als im Freien. Lauterbachs Forderung liefe also darauf hinaus, gerade jetzt, wenn es länger hell bleibt und wärmer wird, erst Menschenmengen draußen mutwillig zu verdichten, um die Leute anschließend mit Staatsgewalt dorthin zu schicken, wo das Infektionsrisiko nachweislich besonders hoch liegt. Falls der SPD-Politiker die jungen Leute im Blick hat, die draußen in Parks bei Getränken sitzen: Vertreibt die Polizei sie dort um 20 Uhr, dann würden die meisten nicht allein nach Hause gehen, sondern – das sagt schon eine durchschnittliche Lebenserfahrung, über die aber nicht jeder Berufspolitiker verfügt – in Wohnungen weiterfeiern, mit geringerem Abstand und mehr Infektionen. Lauterbach mit seinen Warnungen und Forderungen des Tages wird sich nicht ändern. Aber es ist sinnvoll, ihm und ähnlichen Lautsprechern deutlich weniger Aufmerksamkeit zu schenken. Nach Aussage von Gerhard Scheuch, dem führenden Aerosolforscher in Deutschland, gibt es keine wissenschaftliche Begründung für das Tragen von Masken im Freien, solange ausreichender Abstand möglich ist. Das gleiche gilt natürlich für viel absurdere Maßnahmen, etwa die (mittlerweile wieder gekippte) Pflicht zum Maskentragen beim Joggen in Hamburg oder die „Verweilverbotszone“ an der Düsseldorfer Rheinpromenade. Dieser alberne Politaktivismus nützt nicht nur nichts bei der Bekämpfung des Virus. Er schadet, weil er die ohnehin stark angeschlagene Autorität von Politikern und Exekutive noch weiter ruiniert.
  9. Eine minimale Selbstverpflichtung von Medien und Politikern lautet in Zukunft: Wenigstens nicht täglich auf die Panik-Kesselpauke dreschen. Das ständige Schlagzeilen über „die Mutante“, „Supermutante“ und „Horrorzahlen“ treibt einen Teil der Bevölkerung in eine dauerhafte Angstpsychose, und lässt einen anderen Teil abstumpfen. Das ständige Reden, Schreiben und Senden im dunkelroten Rhetorikbereich wirkt wie eine auf Dauer gestellte Sirene. Sollte irgendwann wirklich eine sehr viel gefährlichere Mutation auftauchen, dann lassen sich die Warnrufe nicht mehr steigern, um eine gestiegene Gefahr plausibel zu machen. Mutationen sind bei Viren normal; längst nicht jede Mutation muss automatisch gefährlicher sein als ihre Vorgänger.
    Schön wäre es auch, wenn Medien die Zahl erstens der positiv Getesteten von zweitens der der Infizierten und drittens der Erkrankten unterscheiden würden. Und auch nicht die zwangsläufig wegen der Meldepause während Feiertagen auf dem Papier steigende Totenzahl als „traurigen Rekord“ herauströten, wie es beispielsweise nach Weihnachten Spiegel Online praktizierte. Vielleicht klappt es ja zu Ostern, halbwegs sachlich zu berichten. Von drohender Überlastung des Gesundheitssystems sollten Politiker und Journalisten nur dann sprechen und schreiben, wenn sie tatsächlich konkret und flächendeckend bevorsteht. Selbst bei den bisherigen Höchstständen der Krankenhausbelegung war das bisher nicht der Fall.Auch hier gilt: Eine Dauerwarnung macht die Ängstlichen wahnsinnig, die restlichen taub.
  10. Auf einem zweiten Merkzettelchen sollte stehen: Bei Covid-19 handelt es sich um eine Viruskrankheit, die ernst zu nehmen ist. Aber Covid-19 ist kein „Weckruf“ gegen den „Turbokapitalismus“ (Entwicklungshilfe-Minister Gerd Müller), keine Chance für eine Gesellschaftstransformation (Klaus Schwab, Lisa Neubauer et al.) und keine wunderbare Gelegenheit zur klimafreundlichen Entschleunigung (ZDF). Das Virus ist ein mikroskopisch kleines Gebilde ohne Plan, Willen und Nervensystem, folglich ist es nicht der „Gegner“ (Jens Spahn), der „noch nicht müde ist“ (Lothar Wieler), erst Recht ist es kein Fingerzeig „von Mutter Natur, die uns in Stubenarrest schickt“ (Prinz Harry). SARS-CoV-2 ist nicht das erste Virus, das viele Menschen befällt, auch nicht das zehnte oder fünfzigste, sondern eines von vielen in der langen Kette von Viruserkrankungen. Und es wird nicht das letzte sein. Bei weitem gehört Covid-19 nicht zu den gefährlichsten Infektionswellen in der Geschichte von Menschen und Krankheitserregern. Die Pandemie ähnelt nicht der „Pest“, die „durch alle Ritzen kriecht“ (Markus Söder). Nicht einmal annähernd. Also noch einmal: Covid-19 ist keine Strafe, keine Chance, kein Zeichen. Das Virus ist ein Virus ist ein Virus. Es fällt auf, dass sich in keinem der Länder, in denen die Bekämpfung von Covid-19 bisher mit sehr geringen Opfern und Kollateralschäden gelungen ist, dieser hysterische Überbau aus Endzeitstimmung, Mutter-Natur-Kitsch und Great-Reset-Manifesten findet. Staaten wie Südkorea und Singapur behandeln das Virus einfach als Virus, ganz ohne ideologischen Überbau. Der Versuch, Covid-19 in die Raster von Parteipolitik und Weltdeutung zu quetschen, um damit einen politischen Geländegewinn herauszuholen, verbrennt ungeheure gesellschaftliche Ressourcen, die zur Bekämpfung des Virus und seiner Folgen gebraucht werden. Offenbar entstehen ganz ohne diesen Überbau die pragmatischsten Lösungen. Zu diesem Pragmatismus gehört auch die Erkenntnis, dass sich kein Lebensrisiko auf Null drücken lässt. Eine menschenleere Erde ist wesentlich wahrscheinlicher als eine virenfreie Welt. Wer der Logik der Risikominimierung um jeden Preis folgt, der dürfte den Lockdown nie wieder aufheben.   Wendt

 

Laut singen: Links zu sein bedarf es wenig

Michel Foucault, der Kritiker der Macht, der Entlarver aller Regeln, Sitten und Institutionen als Ausfluss von Repression, der schwule Philosoph, der davon überzeugt war, dass auch unsere Vorstellung von Sex, etwa die Klassifizierung in „normal” und „pervers”, Machtstrukturen repoduzierten, und der in Band 2 von „Sexualität und Wahrheit”, „Der Gebrauch der Lüste”, zur Rückbesinnung auf die erotisch ungezwungenere Antike riet, war ein Päderast (angeblich; es gilt die Unschuldsvermutung; er war schließlich kein Rechter). Wundert das ernstlich jemanden? Ein herrschaftslüsterner Intrigant wie Jürgen Habermas konnte sich doch auch eine Theorie des kommunikativen Handels ausdenken und vom „herrschaftsfreien Diskurs” phantasieren. Der Linke ist ja a priori der moralisch Überlegene, er arbeitet täglich so hart an der Verbesserung der Gesellschaft, dass ihm ein paar verschwiemelte Sonderkonditionen einfach zustehen.

Es gibt kein Laster, keine Niedertracht, keine Gemeinheit, die nicht mit einer linken Gesinnung harmonieren könnten. 



Michel Foucault, der Kritiker der Macht, der Entlarver aller Regeln, Sitten und Institutionen als Ausfluss von Repression, der schwule Philosoph, der davon überzeugt war, dass auch unsere Vorstellung von Sex, etwa die Klassifizierung in „normal” und „pervers”, Machtstrukturen repoduzierten, und der in Band 2 von „Sexualität und Wahrheit”, „Der Gebrauch der Lüste”, zur Rückbesinnung auf die erotisch ungezwungenere Antike riet, war ein Päderast (angeblich; es gilt die Unschuldsvermutung; er war schließlich kein Rechter). Wundert das ernstlich jemanden? Ein herrschaftslüsterner Intrigant wie Jürgen Habermas konnte sich doch auch eine Theorie des kommunikativen Handels ausdenken und vom „herrschaftsfreien Diskurs” phantasieren. Vielleicht ist es im Gegenteil sogar harmonisch. Der Linke ist ja a priori der moralisch Überlegene, er arbeitet täglich so hart an der Verbesserung der Gesellschaft, dass ihm ein paar verschwiemelte Sonderkonditionen einfach zustehen. 

Es gibt kein Laster, keine Niedertracht, keine Gemeinheit, die nicht mit einer linken Gesinnung harmonieren könnten.

Dienstag, 30. März 2021

Unter Drostens Fittichen

 

Der Ton ist jetzt ein bisschen bissiger

 

Korruption - Made in Germany

 

Montag, 29. März 2021

1945

Zu den besonderen Umständen der deutschen Lage nach 1945 gehörte die Teilung des Landes in zwei Gebiete, dann Staaten, unter der bleibenden Vormundschaft der Siegermächte. Während die DDR gegenüber der Sowjetunion keinerlei Operationsspielraum hatte, war das im Fall der Bundesrepublik anders. Schon aus diesem Grund gab es Pläne, die Spaltung durch eine Neutralisierung Gesamtdeutschlands zu überwinden. Entsprechende Ideen zogen ihre Plausibilität nicht nur aus der Sorge vor einem Zusammenstoß der Supermächte auf deutschem Gebiet und der Angst vor einem deutsch-deutschen Bruderkrieg, sondern auch aus der Vorstellung, daß es politisch klug wäre, in Mitteleuropa einen neutralen „Gürtel“ zu schaffen, der von der Schweiz und Österreich (ab 1955) über Deutschland bis nach Schweden und Finnland gereicht hätte.

Eine gewisse, aber nie ausschlaggebende Resonanz fanden solche Pläne bei SRP und DRP. Dasselbe galt im Prinzip für die bürgerlichen Parteien, auch wenn der CDU-Politiker Jakob Kaiser anfangs den Gedanken verfocht, daß ein neutrales Deutschland als „Brücke“ zwischen Ost und West fungieren könnte, und der FDP-Vorsitzende Thomas Dehler Sympathie für die Idee gesamtdeutscher Neutralität erkennen ließ.

Nichts davon genügte, um den Westbindungskurs Adenauers zu konterkarieren. Gegen den wandte sich konsequenter nur die SPD, die sowohl den Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl wie den Beitritt zur NATO als Fehler betrachtete, da diese Art der Integration in den amerikanischen Block die Herstellung der nationalen Einheit immer unwahrscheinlicher machte.

Offizielle Stellen bekämpften Neutralisten

Es schwang bei den Sozialdemokraten auch ein gewisser pazifistischer Unterton mit, wie er ähnlich in der „Ohne-mich-Bewegung“ zum Ausdruck kam, die gegen den Aufbau der Bundeswehr protestierte. Nur vertrat die Sozialdemokratie ihre Vorstellungen eher zögernd und defensiv. Das war der Hauptunterschied zu den linken Neutralisten, die sich zuerst unter Führung des CDU-Dissidenten Gustav Heinemann in der Gesamtdeutschen Volkspartei (GVP) zusammenfanden, aber bei Wahlen genauso scheiterten wie der von dem ehemaligen Reichskanzler und Zentrumspolitiker Joseph Wirth gegründete Bund der Deutschen (BdD) oder die kryptokommunistische Deutsche Friedensunion (DFU).

Eine Ursache für die Erfolglosigkeit war die Massivität, mit der die neutralistischen Gruppierungen durch die offiziellen Stellen bekämpft wurden. Man unterstellte ihnen – oft zu Recht – das Geschäft Moskaus zu betreiben und im Fall einer Neutralisierung Deutschlands dessen faktische Eingliederung in den Ostblock anzustreben. Hinzu kam, daß die Bevölkerung in ihrer großen Mehrheit scharf antikommunistisch eingestellt war und das politische Irrlichtern der Neutralisten mit Mißtrauen beobachtete. Diese Skepsis wandte sich auch gegen diejenigen, die von rechts her für eine Neutralisierung eintraten.

Die älteste „nationalneutralistische“ Gruppierung der Nachkriegszeit war die Deutsche Gemeinschaft (DG). Sie bildete sich 1949 aus der Deutschen Union (DU) und ließ schon an ihrem Führungspersonal erkennen, daß sie als Versuch zu verstehen war, eine Allianz zwischen verschiedenen Strömungen der nicht-konservativen Rechten zu bilden. Dieser Umstand erklärt weiter, warum in der Führung nicht nur Anhänger, sondern auch ausgesprochene Gegner des NS-Regimes eine Rolle spielten.

Neutralist Haußleiter knüpfte an Konservative Revolution an

Eine Zwischenstellung nahm der Vorsitzende August Haußleiter ein, der schon als Jugendlicher unter dem Einfluß von Ideen der Konservativen Revolution gestanden hatte, nach 1933 in Konflikt mit Funktionsträgern des Systems geriet und 1946 zu den Mitbegründern der CSU gehörte, für die Christlich-Sozialen in den bayerischen Landtag einzog und sogar zum Vorstand der Partei gehörte. Auf Grund interner Konflikte verließ Haußleiter die CSU 1949 und schloß sich der DU an. Er war nicht nur ein begabter Redner, sondern wollte auch eine möglichst geschlossene Weltanschauung für die Deutsche Gemeinschaft entwickeln.

Anstecknadel der Ohne-mich-Bewegung in Form eines „Kommißstiefels“, erste Hälfte der 1950er Jahre Foto: Archiv des Autors
Anstecknadel der Ohne-mich-Bewegung in Form eines „Kommißstiefels“, erste Hälfte der 1950er Jahre Foto: Archiv des Autors

In deren Zentrum stand die Vorstellung, daß man bestimmte Ideen der Zwischenkriegszeit – vor allem die eines „deutschen Sozialismus“ – wiederbeleben und den gewandelten Umständen anpassen könnte. Haußleiter verknüpfte das Modell einer nationalen Basisdemokratie mit der Neutralisierung Gesamtdeutschlands, das sich auch in Verteidigung seiner kulturellen Identität gleichweit von den beiden Supermächten entfernen sollte. Einen besonderen Akzent erhielten diese Vorstellungen durch Haußleiters Antiimperialismus, der letztlich darauf hinauslief, dem wiedererstandenen Reich die Funktion einer Führungsmacht aller unterdrückten Völker zu übertragen. Die Parallelen zwischen solchen Ideen und denen der Nationalrevolutionäre der Weimarer Zeit lagen auf der Hand.

Eine wichtige Frage war für die DG, ob man auch Anhänger eines – mehr oder weniger bereinigten – Nationalsozialismus der Hitlerzeit in die Partei aufnehmen sollte. Nach dem Verbot der SRP liebäugelte die Führung der Gemeinschaft jedenfalls mit dem Gedanken, deren Anhänger und Wähler zu gewinnen. Das entsprechende Vorgehen erwies sich aber als kontraproduktiv. Die DG geriet noch stärker unter staatlichen Druck und war zudem Übernahmeversuchen der Ultras ausgesetzt.

Otto Strasser versuchte politisches Comeback

Obwohl die letztlich verhindert werden konnten, versank die DG bis zum Ende der 1950er Jahre in der Bedeutungslosigkeit. Sie hatte auch zuvor nur zeitweise und regional begrenzt gewisse Erfolge erzielen können, etwa im Bündnis mit anderen rechten Kleinparteien wie dem BHE. Das Wirtschaftswunder und die Verfestigung der Teilung entzogen dem Programm der DG nach und nach jede Resonanz. Indes boten Basisdemokratie, Antiamerikanismus und Antiimperialismus Anschlußmöglichkeiten nach links. Das erklärt die eigenartige weitere Entwicklung, die dazu führte, daß die DG 1965 in die Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher (AUD) eintrat, die noch einmal die Neutralisten aller Couleur zu sammeln suchte.

Damit war man zwar erfolglos, entdeckte aber seine Sympathie für die APO. Haußleiter trieb diesen Kurs voran, der später zur massiven Unterstützung der Bürgerinitiativen und der Umweltschutzbewegung führte und damit endete, daß die AUD zu jenen Organisationen gehörte, die 1980 die Bildung der Grünen auf Bundesebene verwirklichten. Haußleiter wurde als einer der Sprecher der neuen Partei gewählt und übernahm die Leitung der Parteizeitung. Zwar mußte er in der Folge seinen Posten wegen einer Kampagne räumen, die ihm unterstellte, daß er „Nationalsozialist“ (gewesen) sei, aber 1986 zog er über die Liste seiner Partei in den bayerischen Landtag ein.

Wenigstens für kurze Zeit fand eine zweite nationalneutralistische Gruppierung neben der DG ein erhebliches Maß öffentlicher Aufmerksamkeit: die Deutsch-Soziale Union (DSU), oft einfach Strasser-Partei genannt, nach ihrem Vorsitzenden Otto Strasser. Bis 1955 hatten die Besatzungs-, dann die westdeutschen Behörden zu verhindern gewußt, daß Strasser ins Land zurückkehren durfte. Er galt als besonders gefährlich, da er mit Nachdruck behauptet hatte, den wahren und mithin unbelasteten Nationalsozialismus zu vertreten.

Strasser ging ins Exil

Während sein Bruder Gregor Strasser als Reichsorganisationsleiter der NSDAP Hitler – trotz erheblicher Skrupel – treu geblieben war, hatte Strasser die Partei 1930 verlassen. Das geschah nicht etwa, weil er ihr Programm für zu radikal hielt, sondern weil er glaubte, daß es nicht radikal genug sei. Der Vorwurf des „Nationalbolschewismus“ war zwar polemisch gemeint, aber in der Sache zutreffend.

Obwohl es in der Partei, vor allem in der SA, eine erhebliche Sympathie für Strassers linke Variante des Nationalsozialismus gab, gelang ihm keine Spaltung der NSDAP. Nur eine kleinere Gefolgschaft konnte er in der Kampfgemeinschaft Revolutionärer Nationalsozialisten (KGRNS), später umbenannt in Schwarze Front (SF), zusammenschließen. Nach der Machtübernahme Hitlers wurde die SF als eine der ersten Gruppierungen verboten. Während sich ein Teil ihrer Mitglieder dem neuen Regime anpaßte und ein anderer in den Widerstand ging, mußte Strasser aus Deutschland fliehen. Er hielt aber längere Zeit an der Vorstellung fest, daß Hitler rasch abgewirtschaftet haben werde und er dann mit einer „zweiten Revolution“ seine Ideen umsetzen könnte.

Ausgabe der DSU-Parteizeitung und Auftritt Strassers auf einer Parteiveranstaltung Foto: Wikimedia Commons, Urheber: SchwarzerFront - Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0
Ausgabe der DSU-Parteizeitung und Auftritt Strassers auf einer Parteiveranstaltung Foto: Wikimedia Commons, Urheber: SchwarzerFront – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0

In der Tschechoslowakei bildete Strasser sogar eine Exil-Regierung und forderte seine Anhänger im Untergrund auf, den Zusammenhalt zu bewahren. Das Reichssicherheitshauptamt ging gegen sie allerdings mit äußerster Härte vor und zerschlug die meisten Zellen der Schwarzen Front. Strasser selbst mußte Ende der 1930er Jahre über die Schweiz und Frankreich nach Portugal fliehen. Von dort ermöglichte ihm die britische Regierung die Ausreise nach Kanada.

Strasser enttäuschte seine Anhänger

Daß er auch nach Kriegsende in Übersee bleiben mußte, hatte mit der Befürchtung der Siegermächte zu tun, daß Strasser zur Leitfigur eines neuen deutschen Nationalismus werden könnte, dem schlecht der Vorwurf zu machen war, ein „Hitlerismus“ zu sein. Diese Sorge teilte man auch in der Regierung Adenauer, weshalb Strasser nichts anderes blieb, als bis zum Bundesverwaltungsgericht Klage zu führen, um schließlich seine Wiedereinreise zu erzwingen.

Während der ganzen Zeit hatte Strasser Kontakt mit ehemaligen Kadern der Schwarzen Front gehalten, die darauf brannten, den „Strasserismus“ endlich in die Tat umzusetzen. Die Bedeutung dieser Veteranen wurde auch daran deutlich, daß die Symbolik der 1956 gegründeten DSU mit Hammer und Schwert ganz bewußt die der SF zitierte.

Enttäuscht waren allerdings viele der Veteranen von der Art und Weise, in der Strasser seine Weltanschauung verändert hatte. Zwar beharrte er auf dem Begriff des „deutschen Sozialismus“, der aber nur noch auf Schaffung einer korporativen Ordnung und der Rückkehr zu christlichen Werten beruhen sollte. Die Unschärfe des Programms führte dahin, daß sich die Propaganda der DSU ganz auf den Aspekt der Wiedervereinigung durch Neutralität konzentrierte. Womit man allerdings noch weniger Resonanz fand als die DG. Die DSU scheiterte schon bei der Bundestagswahl von 1957 kläglich, 1960 trat Strasser vom Parteivorsitz zurück, zwei Jahre später wurde die Partei aufgelöst.   Weißmann

 

Da soll noch mal einer sagen, sie sähe nie ihre Fehler ein

 


Jonas Franz sagt, er könne nicht mehr

Ich bin Arzt, eigentlich robust konstituiert – aber zunehmend fassungslos.

Frei nach Miloš Zeman, dem Präsidenten der Tschechischen Republik, denke ich nur noch dies: “Falls Sie in einem Land leben, in dem Virologen, Pharmakonzerne und PR-Firmen bestimmen, was Medizin ist, jedoch echte Experten sozial vernichtet werden, dann haben Sie das volle Recht zu sagen, dieses Land wird von Idioten regiert.”

Und nein, ich bin weder Corona-Leugner und schon gar kein Impfgegner. Mich begeistert das Prinzip “Impfen” schon immer und ich bin ausreichend ausgebildet, um zu verstehen, warum Sars-CoV-2 weder ein harmloses “Schnupfenvirus” ist noch die Lungenpest. 

Doch was wir seit über einem Jahr erleben, ist an Wahnsinn nicht zu überbieten.

Längst weiß man, dass Sars-CoV-2 bereits zum Zeitpunkt der militärischen Sportweltspiele in Wuhan im Frühherbst 2019 dort kursierte. Teilnehmer aus Südeuropa berichteten danach sogar in den allgemein genutzten Medien: “Als wir in Wuhan eingetroffen sind, sind wir alle erkrankt” (Quelle: https://sportschau.de/mehr-sport/wuhan-corona-miltaerfestspiele-superspreader-100.html).

Ein Hamburger Professor, der nun geschmäht wird, hat einwandfrei nachgewiesen, dass Sars-CoV-2 wahrscheinlich im September aus dem obskuren Hochsicherheitslabor für Viren in Wuhan freigesetzt wurde.

In Italien tobte schon im Dezember 2019 eine Welle an Pneumonien unter der älteren Bevölkerung. Man tat es mit einem Achselzucken ab, das “legendäre” italienische Gesundheitssystem denkt selten weit.

Was dann im Januar 2020 in China geschah, dem ist ebenfalls mit Logik nicht mehr beizukommen. Erst ließ man die Sache laufen, dann die halbe Bevölkerung Wuhans abreisen, um schließlich die Stadt in ein Gefängnis zu verwandeln und Bilder des Grauens zu produzieren. Kein Medium hat jemals ernsthaft gefragt, was aus den abgereisten Millionen wurde? Alle spontangesundet auf ihren Zugfahrten und Flügen quer durchs Land? Keine sonstigen Wuhans in China? Alle mirakulös mit einem Schuss Kommunismus geheilt?

Überhaupt China: versorgte die Welt mit “Studien” und “Rat”, die dazu führten, dass in Italien wohl mehr Menschen an einer falschen Behandlung (viel zu frühe künstliche Beatmung mit zu viel Druck) starben als am Virus. Erst dem einfachen New Yorker Krankenhausarzt Dr. Cameron Kyle-Sidell, einem der wenigen wahren Helden dieser Pandemie, fiel dies während der dortigen Horrortage auf. Er rief mit einfachen Worten auf YouTube die Fachwelt um Hilfe. Denn er hatte das Offensichtliche verstanden: die chinesischen Behandlungsempfehlungen waren tödlich und Covid-19 ist keine primäre Pneumonie, sondern vor allem eine systemische Endotheliitis. Das ist eine Entzündung der Auskleidung der Blutgefäße im ganzen Körper. Sein Wirken hatte tatsächlich Erfolg und prompt sank die Fallsterblichkeit nach Ignorieren des chinesische Guideline- und Studienmülls. Statt einen Orden zu erhalten, versank Kyle-Sidell im allgemeinen Geschnatter.

Denn das Märchen von der Lungenentzündung und den lebensrettenden “Ventilatoren” war schon längst in den Köpfen festgefressen. Daran änderten auch fantastische Arbeiten Schweizer Pathologen und amerikanischer Biologen wenig. 

Ebenso wurde so ziemlich alles ignoriert, was man über Coronaviren schon seit den 1960ern weiß: sie treten in gemäßigten Gefilden in Wellen meist im Winter auf und sie mutieren. Man kann sich mehrfach infizieren, Herdenimmunität und Coronaviren sind also ein “schwarzer Schimmel”. Sie sind über Aerosole bestens übertragbar, machen ältere Patienten exponentiell kränker und haben eine Vorliebe für ACE2-Rezeptoren. Impfungen kann man anstreben, sie taugen aber aus all diesen Gründen nicht als Dauerlösung. Doch die Fachwelt benötigte Monate, um das kleine Einmaleins der Coronaviren neu zu entdecken – und tat dann so als hätte Kolumbus gerade Amerika entdeckt. Dabei hätte ein Blick ins Lehrbuch genügt.

Spätestens im Mai 2020 war also klar, dass Sars-CoV-2 gekommen ist, um zu bleiben. Und dass aufgrund des Basiswissens über Coronaviren deutlich wurde, dass nur 

– umfassende Aufklärung

– Vermeidung von Menschenansammlungen in mit Aerosolen gesättigten Räumen 

– eine gesunde Distanz zu anderen Menschen

– Schnelltests für Jedermann 

– und effektive Medikamente 

ein lebenswertes Leben mit dem Virus ermöglichen würden, bis eines Tages eine Mutante das Geschehen bestimmen wird, die weniger aggressiv ist.

Nichts davon wurde umgesetzt. Nichts! Bis zum heutigen Tag!

Idiotensichere Schnelltests standen bereits im Juni bereit, aber noch im Dezember wurden ein paar Menschen in Laschets NRW gejagt, weil sie es gewagt hatten, solche Tests privat weiterzugeben. In den U.S.A. waren sie gar nicht erst erhältlich und auch der Irrsinn, die Abstriche nicht mehr durch den Mund, sondern schmerzhaft durch die Nase zum Dogma zu erklären, hatte nur einen nachvollziehbaren Grund: Abschreckung um Selbsttestungen zu vermeiden. Die Staaten wollten offenbar die Kontrolle der Testergebnisse nicht aus der Hand geben (als wären die Menschen alle zu doof, um mit einem positiven Ergebnis umzugehen) und die Labore verdienten sich mit den PCRs dumm und dämlich.

Und dann die Impfungen. Gütiger! Ja, nett sie zu haben, aber sie lösen das Problem nicht. Man kann Coronaviren mit ihren launigen Mutationen nicht aus der Welt impfen. Geht einfach nicht, werden Sie sehen. 

Was man aber sehr wohl kann, ist das Virus aus der Welt zu testen. Denn das jederzeitig prüfbare Wissen, ob man positiv ist oder nicht, ist der Königsweg. Schließlich will keiner absichtlich seine Mitmenschen krank machen. Dass diese Idee sogar von Harvard-Experten kam, geschenkt, der Milliardenzug Impf-Express hatte den Bahnhof schon verlassen. Und jetzt fühlen sich alle bestätigt, weil in Israel und in Großbritannien die Impfungen wirken. Natürlich tun sie das! Aber für wie lange? Zu welchem Risiko? Zu welchem Preis?

Hätten Wissenschaft und Politik noch alle Tassen im Schrank, wären bereits ab Mitte 2020 jeder vietnamesische Reisbauer und jeder Eskimo mit endlos vielen Schnelltests beliefert worden. Außerdem würden zahlreiche wirksame und schon vorhandene (patentfreie!) Medikamente nicht mit albern designten Studien für unwirksam erklärt, während Oma Hiltrud und Tante Helga bis Nikolaus auf AstraZeneca warten, weil man Massenimpfungen in großen Ländern schlicht nicht mal eben schnell hinbekommt. Auch das war absehbar. Und das Schönste ist, dass Oma und Tante gleich wieder den nächsten Termin ausmachen können, weil Sars-CoV-2 dann schon längst weiter mutiert ist und die Damen froh sein können, wenn die Wirkungen der ersten Impfreihe bei den künftigen Mutanten kein tödliches Antibody-Dependent Enhancement (ADE) auslöst.

Was ist also zu tun?

Nun, das was jeder normale Mensch bei einem zwar gefährlichen, aber doch ziemlich normalen Coronavirus eben so tun sollte:

1. Schnelltests für jeden Anlass!

2. Das strikte Vermeiden von Aufenthalten in Aerosol-geschwängerter dicker Luft!

3. Das Absagen von Massenveranstaltungen!

4. Ein gesunder Abstand ohne Handschlag und ohne alberne Schickimicki-Küsschen!

5. Die systematische Erprobung patentfreier Arzneien in Warp Speed!

6. Die Ausstattung von Hausarztpraxen mit Schnelltests auf das Virus, die Gerinnung und andere wichtige Indizes unter Umgehung der Labore!

7. Echte Ärzte, nicht Physiker, Chemiker, Mathematiker und Biologen sollten die Politik beraten!

Und vor allem braucht es endlich fachbereichsübergreifende Leitlinien und Behandlungen, denn Covid-19 ist eine systemische Erkrankung und in erster Linie eine Endotheliitis.

So einfach wäre es. Stattdessen erleben wir einen Unsinn nach dem nächsten.

Ich kann nicht mehr.     Reitschuster

 

Besser grau als allzu bunt

 

Samstag, 27. März 2021

παροιμία gegen Paranoia

 παροιμία

Eine Vertagung, immerhin!

Res publica et non publica

 Perle

 

Freitag, 26. März 2021

Der italienische Volkscharakter


Donnerstag, 25. März 2021

Alessandro Barbero erzählt Dantes Leben




Philipp Stein hat mit Höcke gesprochen

 – und zwar ungekürzt, ehrlich, ohne politische Scheuklappen und ohne den Drang, ihn ständig zu unterbrechen. Denn dafür steht das neue Format „Wendezeiten“: Gespräche mit Anstand, mit Inhalten. Ohne das Gekeife, Gehaue und Gesteche der bundesdeutschen Talkshows. 

1% lässt jene ausreden, die sonst ständig unterbrochen werden.

 

 

 

Stunden und Tage

Mittwoch, 24. März 2021

Rednerin des Jahres und Bloggerin des Universums

"Sätze zu einem schwarzen Loch der Rhetorik zu vertiefen, die nicht nur nichts ausstrahlen, sondern auch jeden Sinn in ihrer Nähe verschlucken, diese Fähigkeit braucht Jahre, um zu reifen."    Wendt

Im Inzidenz-Starrsinn gefangen

Neuer Handlungsspielraum

Johann Peter Hebel

Ähnlich wie Kleist wird Hebel kaum noch beachtet. Ersteren mögen unsere Medien nicht, weil er der Inbegriff des Preußischen ist, der andere wurde zum Kinder- und Jugendautor abqualifiziert, weil er zu viel Sympathien für die Franzosen und ihre Revolution zeigte. Der Franzose Éric Rohmer verfilmte Kleist immerhin so außerordentlich gut, dass der Film sogar das literarische Original übertrifft. Es ist einer der ganz wenigen Fälle, in denen der Film tatsächlich besser ist als das Buch. Und das will was heißen! Denn "Die Marquise von O." ist ein literarisches Meisterwerk.

Hebel hätte es verdient, ebenfalls von Rohmer verfilmt zu werden. Hebel bietet Stoff für einen Episodenfilm nach italienischem Vorbild.

Was folgt, ist eine Rezension, die Goethe über Hebels "Alemannische Gedichte" schrieb.

 

Der Verfasser dieser Gedichte, die in einem oberdeutschen Dialekt geschrieben sind, ist im Begriff, sich einen eigenen Platz auf dem deutschen Parnass zu erwerben. Sein Talent neigt sich gegen zwei entgegengesetzte Seiten. 

An der einen beobachtet er mit frischem, frohem Blick die Gegenstände der Natur, die in einem festen Dasein, Wachstum und Bewegung ihr Leben aussprechen und die wir gewöhnlich leblos zu nennen pflegen, und nähert sich der beschreibenden Poesie; doch weiß er durch glückliche Personifikationen seine Darstellung auf eine höhere Stufe der Kunst heraufzuheben. 

An der andern Seite neigt er sich zum Sittlich-Didaktischen und zum Allegorischen; aber auch hier kommt ihm jene Personifikation zu Hülfe, und wie er dort für seine Körper einen Geist fand, so findet er hier für seine Geister einen Körper. Dies gelingt ihm nicht durchaus; aber wo es ihm gelingt, sind seine Arbeiten vortrefflich, und nach unserer Überzeugung verdient der größte Teil dieses Lob. Wenn antike oder andere durch plastischen Kunstgeschmack gebildete Dichter das sogenannte Leblose durch idealische Figuren beleben und höhere, göttergleiche Naturen, als Nymphen, Dryaden und Hamadryaden, an die Stelle der Felsen, Quellen, Bäume setzen, so verwandelt der Verfasser diese Naturgegenstände zu Landleuten und verbauert auf die naivste, anmutigste Weise durchaus das Universum; so dass die Landschaft, in der man denn doch den Landmann immer erblickt, mit ihm in unserer erhöhten und erheiterten Phantasie nur eins auszumachen scheint. 

Das Lokale ist dem Dichter äußerst günstig. Er hält sich besonders in dem Landwinkel auf, den der bei Basel gegen Norden sich wendende Rhein macht. Heiterkeit des Himmels, Fruchtbarkeit der Erde, Mannichfaltigkeit der Gegend, Lebendigkeit des Wassers, Behaglichkeit der Menschen, Geschwätzigkeit und Darstellungsgabe, zudringliche Gesprächsformen, neckische Sprachweise, so viel steht ihm zu Gebot, um das, was ihm sein Talent eingibt, auszuführen. Gleich das erste Gedicht enthält einen sehr artigen Anthropomorphismus. Ein kleiner Fluss, »die Wiese« genannt, auf dem Feldberg im Östreichischen entspringend, ist als ein immer fortschreitendes und wachsendes Bauermädchen vorgestellt, das, nachdem es eine sehr bedeutende Berggegend durchlaufen hat, endlich in die Ebene kommt und sich zuletzt mit dem Rhein vermählt. Das Detail dieser Wanderung ist außerordentlich artig, geistreich und mannichfaltig und mit vollkommener, sich selbst immer erhöhender Stetigkeit ausgeführt. Wenden wir von der Erde unser Auge an den Himmel, so finden wir die großen leuchtenden Körper auch als gute, wohlmeinende, ehrliche Landleute. Die Sonne ruht hinter ihren Fensterläden; der Mond, ihr Mann, kommt forschend herauf, ob sie wohl schon zur Ruhe sei, dass er noch eins trinken könne; ihr Sohn, der Morgenstern, steht früher auf als die Mutter, um sein Liebchen aufzusuchen. Hat unser Dichter auf Erden seine Liebesleute vorzustellen, so weiß er etwas Abenteuerliches drein zu mischen, wie im »Hexlein«, etwas Romantisches, wie im »Bettler«. Dann sind sie auch wohl einmal recht freudig beisammen, wie in »Hans und Verene«. Sehr gern verweilt er bei Gewerb und häuslicher Beschäftigung. »Der zufriedene Landmann«, »Der Schmelzofen«, »Der Schreinergesell« stellen mehr oder weniger eine derbe Wirklichkeit mit heiterer Laune dar. »Die Marktweiber in der Stadt« sind am wenigsten geglückt, da sie beim Ausgebot ihrer ländlichen Ware den Städtern gar zu ernstlich den Text lesen. Wir ersuchen den Verfasser, diesen Gegenstand nochmals vorzunehmen und einer wahrhaft naiven Poesie zu vindizieren. Jahres- und Tageszeiten gelingen dem Verfasser besonders. Hier kommt ihm zugute, dass er ein vorzügliches Talent hat, die Eigentümlichkeiten der Zustände zu fassen und zu schildern. Nicht allein das Sichtbare daran, sondern das Hörbare, Riechbare, Greifbare und die aus allen sinnlichen Eindrücken zusammen entspringende Empfindung weiß er sich zuzueignen und wiederzugeben. Dergleichen sind: »Der Winter«, »Der Jänner«, »Der Sommerabend«, vorzüglich aber »Sonntagsfrühe«, ein Gedicht, das zu den besten gehört, die jemals in dieser Art gemacht worden. Eine gleiche Nähe fühlt der Verfasser zu Pflanzen, zu Tieren. Der Wachstum des Hafers, bei Gelegenheit eines »Habermuses« von einer Mutter ihren Kindern erzählt, ist vortrefflich idyllisch ausgeführt. Den »Storch« wünschten wir vom Verfasser nochmals behandelt und bloß die friedlichen Motive in das Gedicht aufgenommen. »Die Spinne« und »Der Käfer« dagegen sind Stücke, deren schöne Anlage und Ausführung man bewundern muss. Deutet nun der Verfasser in allen genannten Gedichten immer auf Sittlichkeit hin, ist Fleiß, Tätigkeit, Ordnung, Mäßigkeit, Zufriedenheit überall das Wünschenswerte, was die ganze Natur ausspricht, so gibt es noch andere Gedichte, die zwar direkter, aber doch mit großer Anmut der Erfindung und Ausführung, auf eine heitere Weise vom Unsittlichen ab-und zum Sittlichen hinleiten sollen. Dahin rechnen wir den »Wegweiser«, den »Mann im Mond«, »Die Irrlichter«, das »Gespenst an der Kanderer Straße«, von welchem letzten man besonders auch sagen kann, dass in seiner Art nichts Besseres gedacht noch gemacht worden ist. Das Verhältnis von Eltern zu Kindern wird auch von dem Dichter öfters benutzt, um zum Guten und Rechten zärtlicher und dringender hinzuleiten. Hieher gehören »Die Mutter am Christabend«, »Eine Frage«, »Noch eine Frage«. Hat uns nun dergestalt der Dichter mit Heiterkeit durch das Leben geführt, so spricht er nun auch durch die Organe der Bauern und Nachtwächter die höheren Gefühle von Tod, Vergänglichkeit des Irdischen, Dauer des Himmlischen, vom Leben jenseits mit Ernst, ja melancholisch aus. »Auf einem Grabe«, »Wächterruf«, »Der Wächter in der Mitternacht«, »Die Vergänglichkeit« sind Gedichte, in denen der dämmernde, dunkle Zustand glücklich dargestellt wird. Hier scheint die Würde des Gegenstandes den Dichter manchmal aus dem Kreise der Volkspoesie in eine andere Region zu verleiten. Doch sind die Gegenstände, die realen Umgebungen durchaus so schön benutzt, dass man sich immer wieder in den einmal beschriebenen Kreis zurückgezogen fühlt. Überhaupt hat der Verfasser den Charakter der Volkspoesie darin sehr gut getroffen, dass er durchaus, zarter oder derber, die Nutzanwendung ausspricht. Wenn der höher Gebildete von dem ganzen Kunstwerke die Einwirkung auf sein inneres Ganze erfahren und so in einem höheren Sinne erbaut sein will, so verlangen Menschen auf einer niederen Stufe der Kultur die Nutzanwendung von jedem Einzelnen, um es auch sogleich zum Hausgebrauch benutzen zu können.

Der Verfasser hat nach unserem Gefühl das »fabula docet« meist sehr glücklich und mit viel Geschmack angebracht, so dass, indem der Charakter einer Volkspoesie ausgesprochen wird, der ästhetisch Genießende sich nicht verletzt fühlt. Die höhere Gottheit bleibt bei ihm im Hintergrund der Sterne, und was positive Religion betrifft, so müssen wir gestehen, dass es uns sehr behaglich war, durch ein erzkatholisches Land zu wandern, ohne der Jungfrau Maria und den blutenden Wunden des Heilands auf jedem Schritte zu begegnen. Von Engeln macht der Dichter einen allerliebsten Gebrauch, indem er sie an Menschengeschick und Naturerscheinungen anschließt. Hat nun der Dichter in den bisher erwähnten Stücken durchaus einen glücklichen Blick ins Wirkliche bewährt, so hat er, wie man bald bemerkt, die Hauptmotive der Volksgesinnung und Volkssagen sehr wohl aufzufassen verstanden. Diese schätzenswerte Eigenschaft zeigt sich vorzüglich in zwei Volksmärchen, die er idyllenartig behandelt. Die erste, »Der Karfunkel«, eine gespensterhafte Sage, stellt einen liederlichen, besonders dem Kartenspiel ergebenen Bauernsohn dar, der unaufhaltsam dem Bösen ins Garn läuft, erst die Seinigen, dann sich zugrunde richtet. Die Fabel mit der ganzen Folge der aus ihr entspringenden Motive ist vortrefflich, und ebenso die Behandlung. Ein Gleiches kann man von der zweiten, »Der Statthalter von Schopfheim«, sagen. Sie beginnt ernst und ahnungsvoll, fast ließe sich ein tragisches Ende vermuten; allein sie zieht sich sehr geschickt einem glücklichen Ausgang zu. Eigentlich ist es die Geschichte von David und Abigail, in moderner Bauertracht nicht parodiert, sondern verkörpert. Beide Gedichte, idyllenartig behandelt, bringen ihre Geschichte als von Bauern erzählt dem Hörer entgegen und gewinnen dadurch sehr viel, indem die wackern naiven Erzähler, durch lebhafte Prosopopöien und unmittelbaren Anteil als an etwas Gegenwärtigem, die Lebendigkeit des Vorgetragenen zu erhöhen, an der Art haben. Allen diesen innern guten Eigenschaften kommt die behagliche naive Sprache sehr zustatten. Man findet mehrere sinnlich bedeutende und wohlklingende Worte, teils jenen Gegenden selbst angehörig, teils aus dem Französischen und Italienischen herübergenommen, Worte von einem, von zwei Buchstaben, Abbreviationen, Kontraktionen, viele kurze, leichte Silben, neue Reime, welches, mehr als man glaubt, ein Vorteil für den Dichter ist. Diese Elemente werden durch glückliche Konstruktionen und lebhafte Formen zu einem Stil zusammengedrängt, der zu diesem Zwecke vor unserer Büchersprache große Vorzüge hat. Möge es doch dem Verfasser gefallen, auf diesem Wege fortzufahren, dabei unsere Erinnerungen über das innere Wesen der Dichtung vielleicht zu beherzigen und auch dem äußeren technischen Teil, besonders seinen reimfreien Versen, noch einige Aufmerksamkeit zu schenken, damit sie immer vollkommener und der Nation angenehmer werden mögen! Denn sosehr zu wünschen ist, dass uns der ganze deutsche Sprachschatz durch ein allgemeines Wörterbuch möge vorgelegt werden, so ist doch die praktische Mitteilung durch Gedichte und Schrift sehr viel schneller und lebendig eingreifender. Vielleicht könnte man sogar dem Verfasser zu bedenken geben, dass, wie es für eine Nation ein Hauptschritt zur Kultur ist, wenn sie fremde Werke in ihre Sprache übersetzt, es ebenso ein Schritt zur Kultur der einzelnen Provinz sein muss, wenn man ihr Werke derselben Nation in ihrem eigenen Dialekt zu lesen gibt.* Versuche doch der Verfasser, aus dem sogenannten Hochdeutschen schickliche Gedichte in seinen oberrheinischen Dialekt zu übersetzen. Haben doch die Italiener ihren Tasso in mehrere Dialekte übersetzt. Nachdem wir nun die Zufriedenheit, die uns diese kleine Sammlung gewährt, nicht verbergen können, so wünschen wir nur auch, dass jenes Hindernis einer für das mittlere und niedere Deutschland seltsamen Sprech- und Schreibart einigermaßen gehoben werden möge, um der ganzen Nation diesen erfreulichen Genuss zu verschaffen. Dazu gibt es verschiedene Mittel, teils durch Vorlesen, teils durch Annäherung an die gewohnte Schreib- und Sprechweise, wenn jemand von Geschmack das, was ihm aus der Sammlung am besten gefällt, für seinen Kreis umzuschreiben unternimmt, eine kleine Mühe, die in jeder Sozietät großen Gewinn bringen wird. Wir fügen ein Musterstück unserer Anzeige bei und empfehlen nochmals angelegentlich dieses Bändchen allen Freunden des Guten und Schönen.

*Oder man macht es wie Edoardo De Filippo, der Shakespeare ins Neapolitanische übersetzte.

Sonntagsfrühe
 
Der Samstig het zum Sunntig gseit:
»Jez hani alli schlofe gleit;
sie sin vom Schaffe her und hi
gar sölli müed und schlöfrig gsi,
und's gohtmer schier gar selber so,
i cha fast uf ke Bei me stoh.«

So seit er, und wo's Zwölfi schlacht,
se sinkt er aben in d' Mitternacht.
Der Sunntig seit: »Jez ischs an mir!«
Gar still und heimli bschließt er d' Tür;
er düselet hinter de Sterne no,
und cha schier gar nit obsi cho.

Doch endli ribt er d' Augen us,
er chunnt der Sunn an Tür und Hus;
sie schloft im stille Chammerli;
er pöpperlet am Lädemli;
er rüeft der Sunne: »d' Zit isch do!«
Sie seit: »I chumm enanderno!« –

Und lisli uf de Zeche goht,
und fründli uf de Berge stoht
der Sunntig, und's schloft alles no;
es sieht und hört en niemes goh;
er chunnt ins Dorf mit stillem Tritt
und winkt im Guhl: »Verrot mi nit!«

Und wemmen endli au verwacht
und gschlofe het die ganzi Nacht,
se stoht er do im Sunne-Schi'
und luegt eim zu de Fenstern i
mit sinen Auge mild und guet
und mittem Meien uffem Hut.

Drum meint er's treu, und was i sag,
es freut en, wemme schlofe mag
und meint, es seig no dunkle Nacht,
wenn d' Sunn am heitere Himmel lacht;
drum isch er au so lisli cho,
drum stoht er au so liebli do.

Wie glitzeret uf Gras und Laub
vom Morgetau der Silberstaub!
Wie weiht e frische Maieluft,
voll Chriesi-Bluest und Schleche-Duft!
Und d' Immli sammle flink und frisch,
sie wüsse nit, aß's Sunntig isch.

Wie pranget nit im Garte-Land
der Chriesi-Baum im Maie-Gwand,
Gel-Veieli und Tulipa
und Sterneblume nebe dra,
und gfüllti Zinkli blau und wiiß,
me meint, me lueg ins Paredies!

Und's isch so still und heimli do,
men isch so rüehig und so froh!
me hört im Dorf kei Hüst und Hott;
e Gute Tag! und Dank der Gott!«
und 's git gottlob e schöne Tag!
isch alles, was me höre mag.

Und 's Vögeli seit: »Frili jo!
Potz tausig, jo, er isch scho do:
Er dringtmer scho im Himmels-Glast
dur Bluest und Laub in Hurst und Nast!«
Und 's Distelzwigli vorne dra
het 's Sunntig-Röckli au scho a.

Sie lüte weger 's Zeiche scho,
der Pfarer, schint's, well zitli cho.
Gang, brechmer eis Aurikli ab,
verwüschet mer der Staub nit drab,
und Chüngeli, leg di weidli a,
de muesch derno ne Meje ha!             Goethezeitportal
   

Dienstag, 23. März 2021

Am 2. Dezember 2020

 "Wenn man jetzt mal überlegt, die Pandemie wird uns ja wirtschaftlich zurückwerfen, und wo kommen wir da raus, wo kommt China raus, wo kommt Südkorea raus, wenn die alle mal viel besser, äh, die Masken tragen und, äh, nicht so viel, ähm, äh, ‚Querdenker’-Demos haben, sondern, äh, derweil schon wieder wirtschaftlichen Aufschwung, dann fragt sich, wo Europa landet nach dieser Pandemie. Das wird noch mal ’ne Neuordnung, äh, der … Regionen sein, glaube ich."   Angela Merkel

Das heißt, wenn ich sie recht verstanden habe: Der zu erwartende wirtschaftliche Ein- bis Zusammenbruch Deutschlands wird nicht den sog. Maßnahmen geschuldet sein, sondern den sog. Menschen. Nicht die Corona-Politik der Bundes- und Landesregierungen wird ihn erzeugt haben (oder gar Merkel persönlich), sondern wir. Weil wir viel schlechter die Masken tragen und so viel ‚Querdenker’-Demos haben. Wohlgemerkt statt wirtschaftlichen Aufschwung, denn für den müssten wir ja arbeiten statt demonstrieren gehen.

Es gibt Anekdoten und historische Beschreibungen, die nicht der Wahrheit entsprechen, aber gleichsam überwahr sind und die Verhältnisse trefflich erfassen. 

Ihnen gegenüber stehen Klischees oder sogar Denunziationen, die ganze historische Epochen ranzig machen wollen. Und dazwischen existieren unendlich viele Abstufungen. Es ist oft nicht leicht zu entscheiden, ob eine Überlieferung eher in diese oder in jene Richtung tendiert.


Endlich mal eine klitzekleine gute Nachricht

 Das Truppendienstgericht Süd in Koblenz hat das gegen einen Soldaten des Kommandos Spezialkräfte (KSK) verhängte Verbot, den Dienst auszuüben und die Uniform zu tragen, aufgehoben. Die im Dezember 2019 durch den Kommandeur der Eliteeinheit angeordneten Maßnahmen seien rechtswidrig, so die Richter in ihrem Beschluß.

Der Berufssoldat im Rang eines Oberstabsfeldwebels war seinen Vorgesetzten im November 2019 vom Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD) zur sogenannten Verdachtsperson in der Bundeswehr gemeldet worden, da gegen ihn „vorhaltbare Erkenntnisse mit Bezug zum Extremismus“ vorlägen. Begründet wurde dies unter anderem mit Profilbildern in Messengerdiensten wie WhatsApp. Dort habe der Betreffende unter anderem ein brennendes Sonnenrad sowie den Schriftzug „Zero Tolerance“ verwendet. Zudem habe er laut anonymen Auskunftspersonen „skurrile“ Inhalte auf Facebook gepostet und beispielsweise Beiträge der AfD geteilt. Außerdem wurde ihm vorgehalten, ein sogenannter Reichsbürger zu sein.

In Befragungen durch den Militärischen Abschirmdienst hatte der Soldat stets betont, daß er ein Fan Norwegens sei und sich deswegen mit nordischer Mythologie befaßt hatte. Aus diesem Interesse rührten auch seine Tätowierungen. Der Nachrichtendienst bewertete dies jedoch als nicht glaubwürdig und sah in den verwendeten Motiven den Ausdruck „einer tief verwurzelten inneren rechtsextremistischen Haltung“.

Im Dezember 2019 durchsuchten Feldjäger das Dienstzimmer sowie persönliche Sachen, das Auto und das private Mobiltelefon des Oberstabsfeldwebels. Die Durchsuchungen verliefen ohne Ergebnisse. Nach einer schriftlichen Anhörung ordnete der Kommandeur des Kommandos Spezialkräfte, Brigadegeneral Markus Kreitmayr, gegen den zuvor mehrfach sicherheitsüberprüften Kommandosoldaten ein Dienstausübungs- und Uniformverbot an. Begründet wurde dies damit, daß insbesondere wegen einer tätowierten Odalrune „begründete Zweifel an seiner Einstellung zur verfassungsmäßigen Ordnung“ bestünden. Auch vor dem Hintergrund einschlägiger Presseberichte bestehe die „Gefahr der massiven Beeinträchtigung des Ansehens der Bundeswehr in der Öffentlichkeit“.

Mit seinem Beschluß gab das Koblenzer Truppendienstgericht der Beschwerde des Portepeeunteroffiziers recht. Demnach, so die Richter, lagen bereits zum Zeitpunkt der gegen den Soldaten verhängten Maßnahmen keine ausreichenden Umstände vor, begründete Zweifel an dessen Einstellung zur verfassungsmäßigen Ordnung zu hegen. Auch enthielten seine Tätowierungen keine Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, im „Umgebungszusammenhang der Runen“ entstehe „kein spezifisch nationalsozialistischer Zusammenhang“, heißt es in der Begründung. Die Motive der nordisch-germanischen Mythologie enthielten Symbole, die gerade keine Verwendung in rechtsextremistischen Kreisen finden würden.   JF

Mit der Entscheidung des Koblenzer Truppendienstgerichts hat die Bundeswehr eine erneute juristische Niederlage gegen ein Mitglied des Kommandos kassiert.

Unterdessen hat Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) disziplinare Vorermittlungen gegen KSK-Kommandeur Kreitmayr wegen des Verdachts auf Verletzung der Dienstpflichten eingeleitet. Hintergrund ist die sogenannte Munitionsamnestie.  „Wie jeder Soldat hat Brigadegeneral Kreitmayr ein faires und transparentes Verfahren verdient, das auch seine Motive und die Hintergründe berücksichtigt“, sagte die Ministerin. Für sie sei klar, „daß die Kultur der systematischen Mißachtung von Regeln beim Umgang mit Munition vor der Übernahme des Kommandos durch General Kreitmayr auch Fragen an die Kommandoebene des KSK“ sowie an die zuständige Dienstaufsicht aufwerfe. Während der disziplinaren Vorermittlungen bleibe Kreitmayr auf seinem Kommandeursposten.

Heinrich von Kleist

 


Ja, ich weiß, es ist kein zeitgenössisches Portrait. Aber dieser Maler war ein einfühlsamer Leser!

Fallada

 

Warum Fallada? Diese Frage werden Erik Lehnert und ich beantworten, ein paar Hinweise können wir aber schon geben:

Da ist Falladas Landvolkroman Bauern Bonzen und Bomben - Stammhörer unserer Literaturgespräche erinnern sich sicherlich daran, daß wir auf diese wichtige Bewegung schon einmal ausführlich hinwiesen, und zwar in unserer Sendung über Ernst v. Salomon. Sein (antiquarisch unerschwinglich teurer) Roman Die Stadt thematisiert die Landvolkbewegung auf ganz andere Art als Falladas Werk.

Dann: Wer eine Ahnung davon bekommen möchte, wie der wirtschaftliche Zusammenbruch samt Hyperinflation 1922/1923 die Strukturen traf und Millionen Deutsche ins Elend stürzte, muß Wolf unter Wölfen lesen. Lehnert hat dieses Werk in unserem Buch im Haus nebenan bereits empfohlen; in unserem Live-Gespräch werden wir es ebenfalls ausführlich behandeln.

Ein Drittes: Fallada war ein Bestseller-Autor - sein Roman Kleiner Mann, was nun? hat ihn weltberühmt gemacht, und bis heute sind sämtliche seiner Werke verfügbar. Das ist bisweilen erstaunlich, und darüber wird zu reden sein.

Wir sprechen mit Hans Fallada natürlich wieder über einen Autor, der die Weimarer Republik und die berühmten zwölf Jahre miterlebt und durchlitten hat, der das Land also nicht verließ, sondern schreibend zurechtzukommen versuchte unter veränderten kulturpolitischen Bedingungen.

Bis auf Armin Mohler und Joachim Fernau war jeder der Autoren, über die wir sprachen, in diese Jahre der inneren und äußeren Entscheidung verstrickt, und was wir uns am Blick auf sie auferlegen sollten, ist Abstand zu jener billigen, nachgereichten Moral, mit der heutige Leser und Biographen es besser wissen. Das wäre vielleicht sogar einmal ein polemisches Projekt: "Ratschläge für Verstorbene"...

Fallada: Er war da ab und an ein Chamäleon, und nach dem Krieg schrieb er gewohnt stilsicher und in der gewohnt rasenden Geschwindigkeit den Widerstandsroman der kleinen Leute: Jeder stirbt für sich allein.

Die genannten Romane und gute Literatur über Fallada finden Sie zur Vor und Nachbereitung hier in unserem Bücherschrank.

Jedenfalls: Stoff genug für anderthalb Stunden. Schalten Sie ein, diesmal - wie oben erwähnt - eine halbe Stunde später (auf vielfachen Wunsch), also um 19.30 Uhr. Hier nochmal der Link: Kanal Schnellroda (am besten abonnieren!).  Götz Kubitschek

Montag, 22. März 2021

Die Cancel Kanzlerin

 


 

1974 mit den Eltern in Rom

In Trastevere in einem Restaurant sangen, im Stehen, zwei Männer - der eine von beiden begleitete phantasievoll mit der Gitarre - wundervolle, zeitlos schöne, wie aus der Zeit gefallene Lieder. Unvergesslich.

Erst sehr viele Jahre später wurde mir klar, dass es sich um Neapolitaner gehandelt haben musste. Wer diese schöne Musik hören möchte, muss Radio Napoli hören. Dort werden unter anderem auch diese ewig schönen Lieder immer wieder mal gespielt.

Sonntag, 21. März 2021

Junge Leute mit Temperaturerhöhung und Grandezza

Martin Sellner & Miro Wolfsfeld

"Unsere Hoffnung ruht in den jungen Leuten, die an Temperaturerhöhung leiden, weil in ihnen der grüne Eiter des Ekels frißt, in den Seelen von Grandezza, deren Träger wir gleich Kranken zwischen der Ordnung der Futtertröge einherschleichen sehen." Ernst Jünger



Kranke Nation

Es ist der exakt um 180 Grad gedrehte Manichäismus der Nazis, ein gegen die eigenen Vorfahren gekehrter Moralherrenmenschendünkel. Und natürlich ist es das letzte Interessante und Exklusive, das der Gegenwartsdeutsche in negativer Prahlerei der Welt noch über sich mitteilen kann. Was wären die Deutschen heute denn, wenn sie nicht einmal als die bußfertigen Nachkommen des Teufels auftreten könnten? Sie haben doch nichts anderes mehr. Sogar die D‑Mark hat man ihnen weggenommen, und in den nächsten beiden Generationen werden diejenigen, deren Eltern ethnische Deutsche sind, zur Minderheit im eigenen Land. Dann ist leider auch Sense mit der Vergangenheitsbewältigung, dann ist ihr Zweck erfüllt, dann werden sich sogar die frühvergreisten Tanten bei der Zeit einen neuen Mond zum Anheulen suchen müssen.  MK 

Nachdem 2006 bei der Fußball-WM endlich einmal ein unbefangener Umgang mit der deutschen Flagge beobachtet werden konnte und in den darauf folgenden Jahren im deutschen Fernsehen ein erfreuliches, wiedererwachtes Interesse an der Geschichte der Deutschen, ja 2000 Jahre nach der Varusschlacht sogar an der Geschichte der Germanen und an vorgermanischen Kulturen wie der, die die Scheibe von Nebra geschaffen hatte, zum Ausdruck kam, dachte ich, Deutschland sei über den Berg und endlich auf dem Wege der Besserung.

Aber ich habe mich geirrt.

Es ist der exakt um 180 Grad gedrehte Manichäismus der Nazis, ein gegen die eigenen Vorfahren gekehrter Moralherrenmenschendünkel. Und natürlich ist es das letzte Interessante und Exklusive, das der Gegenwartsdeutsche in negativer Prahlerei der Welt noch über sich mitteilen kann. Was wären die Deutschen heute denn, wenn sie nicht einmal als die bußfertigen Nachkommen des Teufels auftreten könnten? Sie haben doch nichts anderes mehr. Sogar die D‑Mark hat man ihnen weggenommen, und in den nächsten beiden Generationen werden diejenigen, deren Eltern ethnische Deutsche sind, zur Minderheit im eigenen Land.

Samstag, 20. März 2021

Der Zahn der Zeit

Es war Anfang März 2020. Nach einem anstrengenden Arbeitstag begann um 20 Uhr die jährliche Sitzung eines gemeinnützigen Vereins, für den ich mich seit rund 20 Jahren ehrenamtlich engagiere. Bei der Arbeit des Vereins geht es um Kinder mit einer speziellen Behinderung. Er bietet Therapien und Informationsveranstaltungen an, berät Eltern, Kitas und Schulen u.v.m. Ich helfe bei der Beratung und Vertretung, halte Fachvorträge im Bereich Recht und Bildung; aktuell bin ich außerdem Rechnungsprüfer des Vereins. 

Wie üblich wurde die Tagesordnung abgearbeitet, mittlerweile wurde es spät, und alle waren gedanklich schon auf dem Heimweg. Nur noch der TOP „Verschiedenes“ stand auf der Liste. Auf die Frage, ob es irgendetwas zu besprechen gäbe – wovon niemand ausging – meldete sich überraschend die ursprüngliche Gründerin des Vereins zu Wort. Früher war sie für die Grünen politisch aktiv, aufgrund ihres fortgeschrittenen Alters nun aber sowohl in der Politik wie im Verein nur noch passives Mitglied. Sie hatte erkennbar etwas Gewichtiges auf dem Herzen:

Die Mutter eines im Verein therapierten Kindes hatte ihr mitgeteilt, dass man Kinder nicht mehr dort behandeln lassen könne, weil im Vorstand ein AfD-Mitglied tätig sei. 

Wer sollte das sein?

Überraschung machte sich breit. Die unsanft von der Vision eines schönen Glases Wein in die traurigen Gefilde der Politik Beförderten schauten sich alarmiert und verdutzt an. Wer sollte das sein? Das grüne Urgestein brannte sichtlich darauf, den Pranger zu bestücken und der Oscar ging – Tusch und Konfetti – an mich! Bühne frei, Auftritt des Bösewichts!

Im ersten Moment war ich überrascht, im zweiten befremdet. Grundsätzlich ist die politische Gesinnung eines jeden Vereinsmitglieds oder beruflich/karitativ dort Tätigen vollkommen egal, sie geht schlicht niemanden etwas an. Aus gutem Grund gehören freie, gleiche und geheime Wahlen zu den grundlegenden Prinzipien von Demokratien, damit jeder ohne Furcht seine politische Entscheidung treffen kann. Wusste die Gute eigentlich, was sie da verschrottet, indem sie von mir eine Offenlegung erwartete? 

Mein erster Impuls war, aus reiner Renitenz mit „Ja, und?“ zu antworten und mich über das anschließende Schauspiel der Aufgescheuchten zu amüsieren. Aber es war spät und ich bezweifelte, dass irgendeiner meinen Sinn für Humor teilen würde. Außerdem machen Lügen eine schlechte Situation nicht besser, also sagte ich ebenso friedlich wie wahrheitsgemäß, dass ich weder in der AfD war noch bin, im Übrigen als Rechnungsprüfer nicht im Vorstand des Vereins. Mehr allerdings sagte ich nicht.

Lautes Schweigen

Es folgte eine Pause, das Schweigen war laut. Erwartet wurde wohl, dass ich mich echauffiere, verbal so viel Raum zwischen mir und dem Teufel in Parteigestalt wie möglich lege. Das war mir klar und ich hätte völlig ehrlich sagen können, dass ich diverse Auffassungen der AfD nicht teile. Aber ich sagte nichts. Hetzjagden lehne ich ab, da mache ich nicht mit. Offenbar sah man mir das Ende meiner Geduld sehr deutlich an, jedenfalls begannen einige Mitglieder, den peinlichen Moment eilig zu überspielen. 

Es kristallisierte sich die naheliegende Frage heraus, wie die Mutter (der Name wurde nicht genannt) darauf gekommen sei. Auch mich interessierte, welche meiner zahlreichen Schandtaten auf mich zurückgefallen war. Darauf schien das grüne Urgestein nur gewartet zu haben, nun ließ sie die Bombe platzen: 

Ich hatte die Gemeinsame Erklärung 2018 unterschrieben, sogar als eine der Erstunterzeichnerinnen!

Wumms, das schlug ein! Oder genauer gesagt, hätte einschlagen sollen. Dummerweise lief die Sache aber nicht nach Plan. Statt zerstört am Boden zu liegen, war ich amüsiert. Die anderen waren nicht empört, sondern schlicht ratlos. Sie hatten nicht die leiseste Ahnung, wovon überhaupt die Rede war. Wer in der politischen Blase lebt, denkt wirklich, Politik sei im Leben der meisten Menschen wichtig. Welch fataler Irrtum!

Alles in einer Hand

Das grüne Urgestein musste also erst einmal die Schwere meines Verbrechens erklären. Das gelang nur halb, aber immerhin. Dann erklärte sie triumphierend, dass sie – sich ganz offenbar nicht nur als Ankläger, sondern zugleich als Gericht fühlend – die Anschuldigung nachgeprüft habe, diese sei wahr. Damit schien ihr die Verwerflichkeit bewiesen. Außerdem habe sie festgestellt, dass ich zahlreiche andere höchst bedenkliche Sachen geschrieben hätte, was von einem empörten Blick in meine Richtung begleitet wurde.

Munter räumte ich als Angeklagte alles ein. Die irritierten Anwesenden, nun quasi als Geschworenengericht fungierend, bemühten sich, mein Verbrechen zu erfassen. Dabei zeigte sich die kuriose Überzeugung nahezu sämtlicher Anwesenden, dass Deutschland wegen des Asylgrundrechts in der Verfassung gezwungen gewesen sei, alle Migranten aufzunehmen. Es sei unsere Pflicht und damit alternativlos. Ich persönlich fand es hochinteressant, zu erfahren, welcher Eindruck durch die Berichterstattung in der Öffentlichkeit als Tatsache implementiert worden war.

Ganz ruhig zitierte ich Art. 16a GG, der nicht nur in Absatz 1 den grundsätzlichen Anspruch auf Asyl garantiert, sondern auch über einen Absatz 2 verfügt, der diesen erheblich einschränkt. „Auf Absatz 1 kann sich nicht berufen, wer aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist.“

Da die meisten Migranten auf dem Landweg einreisen, war selbst den juristischen Laien klar, dass dann ein Anspruch auf Asyl nicht besteht. Sie fingen an, sich zu wundern.

Das glaube ich nicht!

Wie beim Tennis gingen nun die Augen zur Gegenseite, dem grünen Urgestein als Anklägerin. Ihre Reaktion verblüffte mich komplett. Sie sagte empört: „Das glaube ich nicht!“ Nach einer kleinen Pause fügte sie hinzu: „Darüber könnten wir stundenlang diskutieren, aber das bringt jetzt nichts, lassen wir das Thema.“

Wie bitte? Sie glaubte es nicht? Was in Art. 16a GG steht, ist keine Frage des Glaubens, sondern des Wissens, den Wortlaut kann jedermann selbst nachlesen. Mir lag auch schon die spitze Bemerkung „Wer lesen kann, ist klar im Vorteil“ auf der Zunge oder der Hinweis, dass ich Jurist und nicht Theologe sei. Aber als ich sie perplex anschaute, wurde mir klar, dass es für sie tatsächlich eine Glaubensfrage war. Es hätte nichts geändert, wenn ich ihr die Richtigkeit meiner Ausführungen schwarz auf weiß bewiesen hätte. Sie hätte es dennoch nicht „geglaubt“. 

Es ist ernsthaft ihr tiefer Glaube, dass der Staat verpflichtet ist, alles Leiden zu vermindern ohne Ende und dass ihm dieses auch möglich ist. Er ist allmächtig und allwissend, hat nicht nur die Macht, sondern geradezu die Pflicht, Menschen wie Marionetten zu führen um sie „zum Guten“ zu zwingen. Um der Erlösung Willen heiligt der Zweck die Mittel. Ihr missionarischer Eifer ist dabei in jeder Hinsicht grenzenlos. 

Der Sinn des Lebens

Von diesem Glauben ist das grüne Urgestein durchdrungen und nichts, was dagegen gesagt wird, hat die Chance, Gehör zu finden. Alles in ihr würde sich dagegen wehren, denn es würde die Grundfesten ihres Glaubens zerstören, ihr Halt und Orientierung nehmen, ja sogar noch schlimmer: den Sinn des Lebens. Ihre Weigerung, die Diskussion weiterzuführen, war meines Erachtens nicht nur dem Umstand geschuldet, dass sie dabei möglicherweise den Kürzeren gezogen hätte, sondern reiner Selbstschutz.

Während mir diese Gedanken durch den Kopf gingen, lief die Diskussion weiter, nur mit halbem Ohr hörte ich, wie jemand meinte, dann könnten wir im Protokoll aufnehmen, dass die Frage besprochen und festgestellt worden sei, dass keiner bei der AfD sei. Da meldete sich ein Vorstandsmitglied zu Wort, eine junge Psychologin. Nein, sagte sie, so ginge das nicht. Sie würde darauf bestehen, dass mein Name im Protokoll erschiene, denn sonst stünden alle anderen unter Generalverdacht. Dies begleitete sie mit einem höchst giftigen Blick in meine Richtung.

Wieder richteten sich alle Blicke auf die Anklagebank. Wieder reagierte ich nicht den Erwartungen entsprechend. Statt mich dagegen zu wehren, stimmte ich ihr zu. Sie hatte recht, man muss negative Konsequenzen fürchten, auch berufliche, wie ich aus eigener Erfahrung weiß. Wer sich so verhält wie ich, muss bereit sein, die Konsequenzen zu tragen, aber Dritte, die sich nicht dafür entschieden haben, sollten nicht in Mitleidenschaft gezogen werden. Daher stimmte ich ihr zu, eine klare Kennzeichnung sei nötig. 

Der Elefant im Raum

Was ich nicht sagte, aber nahelag und mir unwillkürlich durch den Kopf ging, war der Gedanke, man müsse solche Menschen wie mich am besten auch äußerlich sichtbar kennzeichnen. Dann sind die anderen gewarnt, können leichter Abstand halten. So etwas hatten wir schon einmal. Offenbar gingen diese Gedanken nicht nur mir durch den Kopf, ich hatte den Eindruck, dass plötzlich der sprichwörtliche Elefant im Raum stand. Nur die junge Psychologin schien ihn nicht zu bemerken, sie war viel zu erfüllt von selbstgerechter Empörung und dem Eifer, möglichst viel Raum zwischen uns zu legen. Die Anderen hingegen bemerkten ihn sehr deutlich. Das grüne Urgestein schaute plötzlich ganz entsetzt, sie stotterte, nein, nein, das wolle sie nicht, wirklich überhaupt nicht, das sei doch nicht nötig, mein Name solle nicht erwähnt werden.

Eingeprägt hat sich mir dabei der Blick, mit dem sie mich anschaute. Sie schien einerseits entsetzt, andererseits verwirrt, rätselnd. Es war vielleicht die blitzartige Erkenntnis, wohin ihr Verhalten führte, aber auch der Umstand, dass ich aus ihrer Sicht eigentlich denkbar ungeeignet für die Rolle des Bösewichts war. Anders als die neu hinzugekommene Psychologin kennt sie mich seit Jahren und weiß sehr genau, dass mir menschliches Leid absolut nicht gleichgültig ist, ich sogar für Benachteiligte selbst dann eintrete, wenn es an meine Substanz geht. Wieso gehörte ich dann zu den Bösen, den „Rechten“? Und was wäre gewesen, wenn sie überzeugt gewesen wäre, dass ich zu „den Bösen“ gehöre?

Die Antwort auf die Frage, was ins Protokoll kommt, habe ich nicht mehr so ganz mitbekommen. Der unrühmliche Abend endete kurz darauf, alle wollten nur noch weg. Ein Protokoll habe ich bis heute nicht erhalten.

Sehr nachdenklich fuhr ich nach Hause. Drei Gedanken beschäftigten mich: Erstens, dass niemand die entscheidenden Fragen gestellt hatte. Zweitens die Erkenntnis, dass unsere westlichen Gesellschaften auf Sand gebaut sind, weil ihr Fundament, nämlich ein säkularer Staat, eine Illusion ist. Drittens – was folgt daraus?

Niemand hatte das Tribunal hinterfragt. Als Angeklagte war ich in der Position der Ohnmacht, hätte es also nicht wirksam tun können. „Lahme Verteidigung“ wäre der Eindruck gewesen. Die Steuerung in solchen Situationen haben die Machthaber, also Ankläger und Richter. Sie bestimmen das Stück, das gespielt wird, und die Tonart. Daher kommt der Spruch „Der Fisch stinkt vom Kopf her“. Von diesen aber fragte nicht einer, ob ein solches Tribunal berechtigt sei. Dass die Masse aufgepeitscht wird, um den Stab über jemanden zu brechen, scheint mittlerweile normal zu sein. Wie viele Stufen der Kultur und Zivilisation muss man heruntergepurzelt sein, um das für normal zu halten?

„Jemand musste Josef K. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet.“ Mit diesen Worten beginnt „Der Process“ von Franz Kafka. Es sind berühmte Worte des 1915 geschriebenen Romans, der als wohl bedeutendstes Werk des 20. Jahrhunderts gilt. Es wird die Untersuchung des Verbrechens geschildert, bei welcher die Zuschauermenge in zwei Gruppen geteilt ist, die Linken und die Rechten. Als Josef K. bemerkt, dass der Richter der Menge Zeichen gibt, sieht er sich umstellt. Bis zum Schluss weiß niemand, was Josef K. eigentlich vorgeworfen wird. Dennoch wird er hingerichtet. „Wie ein Hund, sagte er, es war, als sollte die Scham ihn überleben.“ Das sind zugleich die letzten Sätze des Romans, der viele Interpretationen ermöglicht. Eine davon ist, dass Kafka die kommenden fatalen Entwicklungen antizipierte. Die Scham überlebte tatsächlich.

Entfernt mich!

Ich hatte nichts Böses getan. Aber es half mir nichts, denn die Herrschenden haben ihre eigene Ethik. Danach bin ich böse. Also gibt es ein Tribunal, denn ich gehöre entfernt. Das Verhaltensmuster ist identisch, es wiederholt sich.

Was mir an diesem Abend aber erst so richtig bewusst wurde und seitdem ernsthaft an mir nagt, ist die Erkenntnis, dass es sich wirklich um Glaubensfragen handelt. „Das glaube ich nicht“ war der Kernsatz. Er war völlig ernst gemeint. Die Divergenz unserer Glaubensgrundsätze war das Problem.

Die Nähe politischer Ideologien zu religiösen Sekten hatte ich schon früher bemerkt. Beim Thema Klimawandel ist die Ähnlichkeit zu Endzeitsekten mittlerweile vielen aufgefallen. Auch deshalb hatte ich über Gustave Le Bon geschrieben, der in seinem Grundlagenwerk „Psychologie der Massen“ ausdrücklich darauf hinweist, dass die Ideen der Massen stets religiöse Züge annehmen. Er räumte ganz explizit mit dem Irrtum auf, dass man nur dann religiös sei, wenn man eine Gottheit anbetet. Religiös ist man immer dann, wenn man sich einem Wertesystem unterordnet, das als Maßstab des Handelns und Denkens dient. Konkret nannte er den Sozialismus. 

Le Bon behauptet sogar, dass eine Ideologie die Masse überhaupt nur dann bewegt, wenn sie religiös ist, sonst entfalte sie keine Wirkung. Daher könne eine Masse nicht durch Vernunft gelenkt werden, sondern die Vernunft müsste erkennen, dass es nur mit einer Religion funktioniere.

Zwar wollen die Massen die Worte der Gottheit und Religion, von denen sie so lange beherrscht wurden, nicht mehr hören, aber zu keiner Zeit sah man sie so viele Bildwerke und Altäre errichten, wie seit einem Jahrhundert.“, so schrieb Le Bon schon 1895.

Politik als Spielplatz religiöser Sektierer

Wenn aber Le Bon recht hat, was ich für überwiegend wahrscheinlich halte, dann trägt das Fundament der westlichen Gesellschaften nicht. Die Trennung von Kirche und Staat setzt zwingend voraus, dass beide vorhanden, verschieden und ergo trennbar sind. Noch mehr, die Trennung muss vollzogen sein. Die Vernichtung der Bedeutung der Religion, bei uns im Wesentlichen des Christentums, hat paradoxe Wirkung. Nicht der Vernunft wurde zum Sieg verholfen, sondern die Politik wurde unmittelbar zum Spielplatz religiöser Sektierer. Dann aber ist der Staat nicht säkular. Und er ist absolut, alles vereinigt sich in einer – seiner – Hand.  In dem Spiel des Lebens sind wir Stufen der Zivilisation zurück gerutscht Richtung Anfang.

Le Bon führte weiter aus, dass die Institutionen die Macht nicht begrenzen könnten, sondern diese seien umgekehrt Ausfluss der Grundstimmungen im Volk. Dies scheint zu stimmen, denn das Recht hat nicht nur in den letzten Dekaden, sondern auch im letzten Jahrhundert als Korrektiv versagt. Genau betrachtet, sind legendäre Schauprozesse sogar älter und geradezu fundamental für die jüdisch-christliche Entwicklung. Sie entsprangen Situationen, in denen der Glaube vom Staat usurpiert wurde.

Jesus kritisierte die enge Kollaboration der jüdischen Eliten mit der römischen Staatsmacht, ebenso wie Martin Luther die finanziell lukrative Verquickung der katholischen Kirche mit den Herrschenden. Auch heute wieder ist die christliche Kirche finanziell abhängig und agiert als verlängerter Arm der Staatsmacht. Nicht anders und insoweit nicht besser als früher ist die Wissenschaft ebenso abhängig vom Staat. Nichts hat sich geändert oder wesentlich verbessert, alles, was zu recht an der Religion kritisiert wurde, nicht zuletzt der fehlende wissenschaftliche Diskurs, ist heute genauso problematisch wie in längst vergangen geglaubten Zeiten.

Der Staat als Herr statt Diener

Wird der Staat zur Kirche, ist er nicht säkular. Eigentlich einfach. Staatsgläubigkeit mit all ihren zahlreichen, Konfessionen ähnelnden Erscheinungsformen, seien sie rot, grün oder identitär, zerstört das Fundament der westlichen Gesellschaften. Der Staat kann nur dann säkular sein, wenn die Bürger sozusagen anderweitig fromm sind. Glauben sie an den Staat, geht es um Religion und Kirche. Dann ist das Gegenteil von dem erreicht, was das Ziel des Westfälischen Friedens und der späteren Aufklärung war. *

Man hat die absolutistische Monarchie beseitigt und den König geköpft, aber die Grundstimmung der Masse ändert sich nicht so schnell. Ist sie seit Jahrhunderten oder sogar Jahrtausenden Unterwerfung gewöhnt, dann wird der Staat immer zum Herrn und nicht zum Diener der Bürger werden, ganz gleich in welcher Regierungsform. Dass dies das absolute Gegenteil des Menschenbildes des Grundgesetzes ist, ist dann völlig egal. 

Unterstellt, die derzeitigen politisch-ideologischen Entwicklungen sind als Glaubenskämpfe zu bewerten, dann steht uns nichts Gutes bevor. Der Dreißigjährige Krieg begann als Glaubenskrieg – an diesem Punkt mochte ich nicht weiterdenken. Der Gedanke war zu furchtbar. 

Zu Hause angekommen, erzählte ich meinem Mann von dem Abend und versuchte, meinen Kummer im Wein zu ertränken. In den nächsten Tagen schrieb ich die Geschichte auf, um sie aus dem Kopf zu bekommen, aber auch, damit die Erinnerung nicht die Tatsachen verändert. Der Vorfall ließ aber meine Gedanken nicht los.

Dann kam Corona 

Ohne dass sie etwas Böses getan hatten oder eine Gefahr für andere waren, wurde Millionen Menschen die Freiheit genommen. Es gab keinen Prozess und keinen Richter, Verordnungen reichten. Wie ein Hund wurden sie an die Leine genommen, die nach Belieben gestrafft wurde und wird. Kaltherzig ließ man Sterbende allein, Einsame, Kranke und auch das Wohlergehen von Kindern kümmerte nicht. Die Vulnerablen wurden nicht geschützt, aber Existenzen vernichtet. Nichts, was Spaß machte oder auch nur von Ferne an Kultur erinnerte, ist erlaubt. Arbeitsdrohnen gleich muss die Bevölkerung schuften, aber Vergnügungen und Hochkultur sind den Jakobinern ein Dorn im Auge. Ihre Herrschaft kennt weder Güte noch Weisheit. Im Gegenteil, kalt und anmaßend richten sie über Leben und Tod, damals wie heute.

Wieder einmal ist das Verhaltensmuster identisch.

Was könnte ein Ausweg sein? Immer neue Parteien, die ihre Vorstellung von der Welt anderen aufzwingen wollen? Eher nicht. 

Der einzig gangbare Weg ist zu versuchen, Religionsfreiheit zu gewähren. Hier kann man auf einen bekannten Lösungsansatz zurückgreifen, der in der Vergangenheit funktioniert hat. Verhaltensmuster kann man auch im Positiven kopieren.

Die Menschen sind verschieden, es wäre weder gütig noch weise, jemandem, der Halt braucht, diesen zu nehmen. Umgekehrt ist es ebenso wenig gütig oder weise, Menschen, die ihre Freiheit wie die Luft zum Atmen brauchen, diese abzuschnüren. Es gibt daher unterschiedliche Anforderungen an den Staat, die sich in entsprechenden Glaubensgrundsätzen widerspiegeln. Niemand darf diese auf Kosten anderer durchsetzen. Daher bedarf es unterschiedlicher Angebote, die den jeweiligen Bedürfnissen gerecht werden. 

Die Staatsgläubigen auf dem Weg zur Erlösung

Der Staat heutigen Formats ähnelt mehr einem Versicherungsunternehmen als einem Staat traditionellen Zuschnitts. Nicht mehr die Basisdienstleistungen wie Sicherheit und Ordnung stehen im Vordergrund, sondern Absicherung gegen Risiken. Zusätzlich vermittelt er Staatsgläubigen neben dem moralischen Kompass die Chance, durch gemeinschaftliche Handlungen so etwas wie spirituelle Erlösung zu erfahren. Christen haben bekanntlich einen eigenen moralischen Kompass und können Erlösung nur durch eigene Handlungen, die auf freier Entscheidung beruhen, erlangen.

Versicherungsunternehmen bieten für gewöhnlich unterschiedliche Tarife an, vom günstigen Basis- über Standard-Tarif bis hin zum „Rundum-Sorglos-Paket“. Es ist sicherlich nicht trivial, diesen Gedanken auf ein Staatswesen zu übertragen. Der Gedanke erscheint zunächst fremd, fast schon verrückt. Möglich und machbar ist es aber durchaus. Für sämtliche versicherungsähnlichen Leistungen des Staates jedenfalls ist es sogar recht einfach möglich. Traditionelle Dienstleistungen wären der Basis-Tarif, wer mehr staatliche Dienstleistungen möchte, muss entsprechende dazu buchen. Warum nicht? Dann lebt jeder in seiner Gemeinschaft entsprechend seinen Vorstellungen und lässt andere ihren eigenen Weg gehen. Das gemeinsame Fundament wären dann die Basisdienstleistungen, für die alle zusammen einstehen.

Praktisch die größte Schwierigkeit dürfte es sein, den missionarischen Eifer der Staatsgläubigen zu bremsen, deren alleinseligmachender Anspruch den des Papstes deutlich übersteigt. 

Es erscheint mir aller Mühe wert, dies ernsthaft zu versuchen. Denn wenn die Staatsgläubigkeit triumphieren sollte, wird dies ebenso katastrophal enden wie in der Vergangenheit. Das letzte Jahrhundert sollte Mahnung genug sein. Daher wäre es sinnvoll, diesmal auf Vorspulen zu drücken, den Krieg zu überspringen und gleich zum Frieden überzugehen. Das grundlegende Prinzip des Westfälischen Friedens ist allgemein gültig, es lautet Religionsfreiheit mit gleichberechtigtem Nebeneinander unterschiedlicher Religionen. Die moderne Variante garantiert dies auf der Basis unveräußerlicher Menschenrechte. 

Es wird Zeit, neue Wege zu gehen.    Annette Heinisch

* Naturam expelles furca, tamen usque recurret! 


Neue Wege, auf denen uns das Böckenförde-Dilemma begeleiten wird.