Letzte Woche feierte die Journalistin Anja Reschke den 60. Gründungstag
der Sendung Panorama, die sie selbst seit 20 Jahren moderiert.
Diese Jubiläen waren der Anlaß für ein Interview mit Reschke, in dem
sie sich selbst als kritische, unabhängige und gewissenhafte
Journalistin darstellte und unter anderem mich als Gegenbild aufbaute.
Sie behauptete, ich hätte wörtlich folgende Losung ausgegeben:
Wir möchten nicht am Diskurs teilnehmen, wir möchten ihn zerstören.
Normalerweise halten wir es hier ja mit Gottfried Benn, dem es völlig
egal war, ob ihm einer "Sex mit Stubenfliegen" (so seine Wortwahl!)
andichtete. Aber die Behauptung, ich wolle nicht am Diskurs teilnehmen,
sondern ihn zerstören (und hätte dies sogar als Losung ausgegeben, also
Menschen, die schon etwas länger oder auch erst seit kurzem in diesem
Land leben, dazu aufgefordert, nicht mehr miteinander zu sprechen, schon
gar nicht öffentlich): Dies mir zu unterstellen (dem nach allen Seiten
offenen Dorfbrunnen der Neuen Rechten), schlug dem Faß den Boden aus.
Unterlassungsaufforderung also: Anja Reschke (diese lebende Ikone
journalistischer Äquidistanz, unabhängig bis auf die paar Kröten, die
aus dem öffentlich-rechtlichen Säckel ihr ausbezahlt werden) solle
fortan so Schlechtes, mich Verkennendes nicht mehr über mich behaupten
dürfen und habe dafür zu sorgen, daß es dort, wo es schon
hunderttausende Leser gefunden habe, getilgt würde, verbunden mit einer
Richtigstellung.
Alles in allem kein ungewöhnlicher Vorgang, jeder kann sich mal
irren, kann einen raushauen, ohne nochmal genau nachgeschaut zu haben,
ob Diskurszerstörung oder Konsensstörung gemeint war, ob also der
Diskurs (ab jetzt: die Auseinandersetzung, das Gespräch, der Streit)
abgelehnt oder eben nur in seiner um echt alternative Meinungen
erweiterten Form für interessant befunden werde.
Letzteres natürlich, darauf wiesen wir Frau Reschke anwaltlich
höflich hin, bloß: Sie sah es nicht so. Die beiden Zeitungen, die das
Reschke-Interview auch online gebracht hatten, lenkten sofort ein und
tilgten das Falschzitat, indem sie es durch eine schwammige Formulierung
ersetzten. Der Hinweis, daß da zuvor eine miese Unterstellung gestanden
hatte, unterblieb freilich.
Dafür kam ein Anwaltsschreiben, in dem die seit 2007 empört zitierte Passage aus meinem Büchlein Provokation (zum Glück vergriffen) erneut herhalten mußte:
Und so sind denn auch die Provokationen vieler Künstler,
Quer-, In- und Vordenker von der Sorte Provokation, über die wir
sprechen, zu unterscheiden. Für jene ist Provokation der Versuch, eine
Einladung an die Futtertröge zu erhalten. Für uns ist Provokation keine
Verkaufsstrategie, und die Hoffnung auf den Einbau in den satten Diskurs
gäbe all unser Tun der Lächerlichkeit preis. Unser Ziel ist nicht die Beteiligung am Diskurs, sondern sein Ende
als Konsensform, nicht ein Mitreden, sondern eine andere Sprache, nicht
der Stehplatz im Salon, sondern die Beendigung der Party.
Das kursiv markierte ist jener unvollständige Satz, den die Kanzlei
zitierte, um Reschkes Unterstellung zu rechtfertigen. Bloß wäre selbst
dann, wenn man Sätze ganz zu lesen und zu verstehen nicht fähig ist, die
richtige Zitierweise eben diese gewesen und nicht die erfundene
"Losung" aus dem Interview. Man sollte aber als kritische, tolle
Journalistin auf sensiblem Feld überhaupt nicht verkürzt zitieren. Für
die Doofen dieses Berufsstands:
Ich trinke nie Alkohol
ist etwas anderes als
Ich trinke nie Alkohol vor dem Mittagessen.
oder? Gut. Und weil hier einer nicht nie Alkohol trinkt, sondern zum
und ab dem Mittagessen vielleicht sogar jede Menge, ist die aus drei
Wörtern bestehende Einschränkung "vor dem Mittagessen" eigentlich eine
Ausweitung vielleicht sogar ins Exzessive hinein.
Zurück zum Dorfbrunnen:
Unser Ziel ist nicht die Beteiligung am Diskurs, sondern sein Ende
ist etwas völlig anderes als
Unser Ziel ist nicht die Beteiligung am Diskurs, sondern sein Ende als Konsensform.
Und vor allem: Es könnte sogar die Ausweitung des Gesprächsbedarfs
bis ins Exzessive hinein sein, denn stellen wir uns einmal vor, es gäbe
plötzlich echte Debatten. Die Konsensdiskurse, dieses 4 gegen 0 bei
Maischberger oder Will, dieses Gerede mit nur einer Meinung, dieses
Diskurs-Gespiele, Debattenvortäuschen, Mündigkeitstheater - es wäre
abgelöst. Das ist es, dessen Ende nicht nur ich mir wünsche, sondern die
vielen Millionen Leute ebenso, die trotz des Dauerfeuers aus den
Panoramakanonen von Reschke und Co. ihr Kreuzchen dort gemacht haben, wo
sie die dringend notwendige Ergänzung und Aufmischung des "Diskurses"
vermuten.
Leute wie Reschke betreiben, was sie uns unterstellen:
Diskursverhinderung. Indem sie die Lüge verbreiten, wir hätten kein
Interesse an einem Gespräch, einer Auseinandersetzung, einem
Wortgefecht, in dem sich tatsächlich einmal zwei oder vier Leute mit
ganz unterschiedlichen Auffassungen duellieren, stehen sie selbst als
die Wächter der Demokratie, der Meinungsfindung, der offenen
Gesellschaft und der Gesprächsbereitschaft da. Dabei sind sie vor allem
eines: Umbauhelfer und Sturmgeschütze der Cancel Culture.
Ich saß ja nun gestern mit meinem Anwalt vier Stunden über dem
Schriftsatz, der am Donnerstag unseren Sieg vor Gericht in Halle an der
Saale hätte herbeiführen sollen. Aber dann flatterte auf den Abend die
gerichtliche Nachricht ein, daß Frau Reschke nun doch den Rechtsstreit
nicht mehr fortsetzen wolle, sondern die Unterlassung unterzeichnet
habe.
Damit die Arbeit an unserem Schriftsatz nicht ganz umsonst war, hier die entscheidenden Auszüge:
-- -- --
Der Antragsteller wird zum Beleg für seine möglicherweise
mangelnde Bereitschaft zum Diskurs mit folgender Aussage aus seinem Buch
"Provokation" (2007) zitiert:
Unser Ziel ist nicht die Beteiligung am Diskurs, sondern sein Ende als Konsensform.
Das vollständige Zitat, immer noch ohne den davor und danach ganze Buchseiten umfassenden Kontext lautet:
Unser Ziel ist nicht die Beteiligung am Diskurs,
sondern sein Ende als Konsensform, nicht ein Mitreden, sondern eine
andere Sprache, nicht der Stehplatz im Salon, sondern die Beendigung der
Party.“
Das entscheidende, vom Antragsteller auf Nachfrage stets
erläuterte, von politischen Gegnern stets unterschlagene Wort lautet
"Konsensform". Der Antragsteller ist der Auffassung, daß über
wesentliche Themen öffentlich nicht debattiert werden sollte, indem man
beispielsweise in einer Talkrunde vier Teilnehmer mit grundsätzlich
derselben Auffassung sprechen lassen sollte. Das Motto der
Diskursbeteiligung des Antragstellers ist "Konsensstörung", also das
Einbringen alternativer, streitbarer, nicht von vornherein auf den
Konsens ausgerichteter Auffassungen und Standpunkte. Daß es ihm darum
geht und nicht um die Zerstörung des Diskurses, zeigen die folgenden
drei (von noch viel mehr möglichen) Punkten.
1. Der Antragsteller hat im August des
vergangenen Jahres den Erlös aus dem Verkauf einer Festschrift für eine
Veranstaltung bereitgestellt, auf der er und einige seiner Mitarbeiter
dezidiert mit weltanschaulich links verortete Wissenschaftlern ins
Gespräch kommen wollen. Bisher ist es dem Antragsteller nicht gelungen,
geeignete Gesprächspartner aufzutreiben. Die Absagen weisen im Tenor
stets auf das Phänomen der sogenannten Cancel Culture hin, das in den
vergangenen Monaten in der politischen Kultur kontrovers diskutiert
wurde: Man wolle sich durch eine Zusage zur Diskussion mit dem
Antragsteller nicht den Mechanismen der Cancel Culture aussetzen. Cancel
Culture herrscht dort, wo Vertreter abweichender Meinungen nicht mehr
am Diskurs beteiligt werden sollen. Prominente Beispiele der jüngeren
Zeit, die zu Diskussionen über die Legitimität der Cancel Culture
führten, sind:
+ die Ausladung des Malers Axel Krause von der Leipziger Jahresausstellung 2019,
+ die Löschung eines Beitrags von Dieter Nuhr zum 100. Jahrestag der Deutschen Forschungsgemeinschaft im Frühjahr 2020 und
+ die Ausladung der der Kabarettistin Lisa Eckhart vom Harbour-Literatur-Festival in Hamburg, ebenfalls 2020.
Cancel Culture als Diskussionsverhinderungsstrategie lehnt der
Antragsteller nicht zuletzt deshalb ab, weil er selbst, wie soeben
ausgeführt, Leidtragender dieser Machttechnik wurde.
+ So hat auf Druck von Politik und Medien der ehemalige
Innenminister des Landes Sachsen-Anhalt, Holger Stahlknecht, seine
Zusage zu einer öffentlichen Debatte mit dem Antragsteller in Magdeburg
im November 2016 wieder zurückziehen müssen.
+ Ebenso konnte eine Diskussion des Antragstellers im Rahmen der
Studienstiftung des Deutschen Volkes im Februar 2019 nicht durchgeführt
werden. Unter dem Titel "Diskurs(-), Feindschaft und das Politische"
sollte der Antragsteller sich in einer Arbeitsgruppe den Fragen von
Studenten stellen und danach an einer Podiumsdiskussion teilnehmen. Der
öffentliche Druck, medial inszeniert von der Frankfurter Rundschau, war
so groß, daß sich die Studienstiftung zuletzt sogar für die Einladung
entschuldigte.
2. Der Antragsteller war im April 2019 neben
Hendryk M. Broder und zwei weiteren Diskussionsteilnehmern zu Gast in
der Talkshow "Hangar 7" des österreichischen Senders Servus TV. Er nahm
diese Einladung so selbstverständlich an, wie er auch Einladungen zum
Talk in deutschen Fernsehsendern annehmen würde.
3. Der Antragsteller hat vor wenigen Wochen ein
Buch veröffentlicht, das zwei Briefwechsel mit den Professoren Armin
Nassehi und Claus Leggewie dokumentiert: Nassehi, ich und Leggewie, kaplaken 75.
Diese Briefwechsel mit eher linksstehenden Persönlichkeiten sind in den
Medien vielzitierte Belege für die Diskussionsbereitschaft des
Antragstellers. Und mehr: Gerade an dieser Diskussionsbereitschaft wurde
von den politischen Gegnern scharfe Kritik geübt: Man warf Nassehi und
Leggewie wiederum ihre Bereitschaft zur Diskussion vor, weil man im
Dialog eine Form von Öffnung für die Denkweise des Antragstellers sah
und sieht.
Zusammengefaßt: Die Behauptung der Gegenseite, der Antragsteller
habe die Losung ausgegeben, den Diskurs zu zerstören, entbehrt jeder
Grundlage. Erschwerend kommt hinzu, daß "Losung" mehr ist als eine
persönliche Meinung. Die Gegenseite hat damit behauptet, der
Antragsteller habe nicht nur selbst kein Interesse am Diskurs, sondern
habe darüber hinaus seine Leser und Zuhörer dazu aufgefordert, den
Diskurs zu zerstören.
Diese Unterstellung hat vor dem Hintergrund der Mechanismen der
Cancel Cultur, aufgrund der Prominenz und der medialen Reichweite der
Gegenseite und der bisher nicht erfolgten Gegendarstellung die
Diskurswilligkeit des Antragstellers öffentlich ins Gegenteil verkehrt –
ein Beispiel für die subtile Zerstörung des Diskurses.
-- -- --
Dem ist nicht viel hinzuzufügen, es steht hier wie immer fürs Protokoll. GK