Stationen

Montag, 28. Februar 2022

Israelische Ärzte auf dem Weg in die Ukraine

 


Eine interessante Lagebeurteilung findet man hier. Besonders interessant Maximilian Krah ab 1:32:30

Früchte aus Mutter Erde



 
Die Erdnuss, Arachis hypogaea
Selbstverständlich kultivierten wir in unserem ehemaligen Botanischen Garten auch Erdnusspflanzen zum Staunen und zur Bildung unserer Besucher. Allein ihr Name sollte doch schon zum Grübeln und Nachdenken reizen, denn welche Früchte wachsen denn schon in der Erde? Es ist ja weder eine Rübe noch eine Knolle, die wir aus der Erde ernten, sondern eine Frucht, die aus einer Blüte entstanden ist. Blüht die Erdnusspflanze denn unterirdisch…?
 
Mmhh.. warum eigentlich nicht unterirdisch blühen? Man könnte sich als Pflanze doch von unterirdisch lebenden Tieren bestäuben lassen. Ihr zweifelt? Ich habe schon so viel botanische Besonderheiten gesehen, dass es mich nicht verwundern würde. Aber so ist es hier tatsächlich nicht. Aber wie denn nun?
Hülse oder Nuss?
Geduld, erst mal zur Botanik und zum botanischen Namen. Carl von Linné hat den Namen aus dem in der Antike bei Plinius erwähnten lateinischen Pflanzennamen „arachidne“ hergeleitet, der damals wohl für eine mediterrane Platterbsen-Art galt. Und wie eine solche Platterbse gehört auch die Erdnuss zur Familie der Hülsenfrüchtler mit schmetterlingsförmigen Blüten.
Da sich - im Gegensatz zu den Hülsen von Erbse, Bohne und Linse - die Früchte der Erdnuss aber nicht öffnen, um ihre Samen zu entlassen (wäre ja auch unsinnig, wenn man eh schon unter der Erde ist) ist die Erdnuss tatsächlich keine Hülse sondern eine Nuss (Botanischer Definitionskram).
Der Artname „hypogaea“ leitet sich von den griechischen Wörtern für „unten“ und „Erde“ ab. Warum diese Wortwahl erfahrt Ihr beim Weiterlesen…

Die Erdnusspflanze hat ihre Blüten durchaus überirdisch an der Basis in den Achseln von Seitentrieben. 
 

 
Nach der Bestäubung wächst ein Stielchen unterhalb des Fruchtknotens in die Länge und treibt diesen in die Erde. 
 
Hier wurde einer der Fruchtknoten an seinem Stiel aus der Erde gezogen


Erst unterirdisch beginnt der Fruchtknoten zu einer Frucht heranzureifen. Wunder der Natur: Mutter Erdnuss bringt Ihre Samen selbst in die Erde.

Wenn Ihr dies selbst erleben wollt, besorgt Euch ungeröstete Erdnüsse aus der Zoohandlung (Papageienfutter). In einem Blumentopf am Fenster ausgesät (Nüsse dabei unbedingt in der Schale lassen) keimen die Babys sehr willig… und nun heißt es beobachten, was ich Euch oben schilderte. Und zeigt es Euren Kindern und Enkeln. Dieses Wunder des Lebens… viel Spaß und Erfolg dabei!
Leider, leider glaubt unsere Landesregierung aus cDU und sPD bis heute, dass uns Saarländern solch eine Bildungsstätte, wie sie andere Bundesländer mehrfach betreiben (etwa 90 Mal in Deutschland), nicht zustehen soll, wegen unserer „Bettelarmut“ und der 50 Cent Kosten pro Bürger und Jahr… Welch eine tatsächliche Armut im Geiste… Und dies zu Zeiten des globalen Artensterbens, des Klimawandels und einer viralen Pandemie, wo Aufklärung der Allgemeinheit über die ökologischen Zusammenhänge in der globalen Natur so dringlich wäre... Welch eine fatale Politik....
Gut, dass wir bald die Wahl haben 
Fotos und Text: Wolfgang Stein, Universität des Saarlandes

 

Als der alte Volksglaube noch Blüten trug…



So hoch wie nur möglich musste man über das Sonnenwendfeuer springen, um eine unserer ältesten Kulturpflanzen zu animieren, besonders hoch zu wachsen:
der Lein.
Neben unseren diversen Getreidearten und der Kartoffel ist der Lein wohl eine unserer kulturhistorisch bedeutsamsten Pflanzen. Dabei ist dieses auch als Flachs bezeichnete ein- bis zweijährige Kraut bereits derart lange in menschlicher Kultur, dass man heute weder seine eigentliche Heimat noch die Herkunft seines Namens eindeutig herleiten kann. Der ursprüngliche Wortstamm „lin“ lässt sich sowohl im Germanischen (althochdeutsch: lîn) als auch im Griechischen (linon), im Lateinischen (linum) sowie im Slawischen (z.B littauisch: linai) finden. Der gemeingermanische Begriff Flachs kann vielleicht auf das griechische „plékein“ (deutsch: flechten) zurückgeführt werden.

Als Wildblume tritt der Lein (botanisch: Linum usitatissimum) eigentlich nur dort in Erscheinung, wo er als Faser-, Saat- oder Ölpflanze im Feldanbau gehalten wird. Hier gelingt es einigen Pflanzen, in nahe Getreidefelder, Gärten, auf Schuttplätze oder an Wegränder auszubrechen. Bleibt der Anbau aus, verschwindet der Lein nach wenigen Jahren auch aus der freien Natur.

Die zur Blütezeit himmelblauen Felder waren unseren Vorfahren noch ein vertrauter Anblick, ebenso das Bild der nach der Ernte aufgebauten Flachsbündel auf dem Feld. Über Jahrtausende war das aus der Pflanze gewonnene Leinen, neben dem Hanf und der Wolle unsere wichtigste Naturfaser, wobei insbesondere das deutsche Leinen weltweit einen sehr guten Ruf hatte. Allerdings war die Gewinnung der Faser in alter Zeit mit erheblichem Arbeitsaufwand verbunden. Einige der dabei anfallenden Arbeitsschritte, wie das Raufen, Riffeln, Brechen, Schwingen und Hecheln, sind uns heute noch geläufige Begriffe, wenn auch zum Teil mit abgewandelter Bedeutung.
Die Fahrt ins Blaue...  Gemäß einer heute strittigen Version sollte diese Redewendung einen Ausflug aus der Stadt hinaus zu den himmelbauen Feldern bedeuten. Heute neigen die Sprachexperten dazu, das Blau als naheliegende Seen zu interpretieren. Schade, ich empfinde die erste Version romantische

Mit dem Ende des 18. Jahrhunderts verlor der Flachs zunehmend an Bedeutung. Eine andere Naturfaser, die Baumwolle, überrollte aus Amerika die europäischen Märkte. Durch die dortigen billiger gewordenen Ernte- und Verarbeitungsmethoden (Einsatz von Sklaven und Maschinen) wurde dieses Garn auch hierzulande bezahlbar. Zudem hatte diese Faser einige vorteilhafte Eigenschaften (leichtere Färbbarkeit, keine Neigung zum Knittern). Erst seit 1986 wird Leinen wegen seiner zunehmenden Bedeutung als nachwachsender Rohstoff in Deutschland wieder angebaut.

Neben den aus den Stängeln gewonnenen Fasern ist das aus der Saat gepresste Leinöl von hohem Wert, nicht nur als Speiseöl. Auch als Polieröl zum Härten von Holzoberflächen oder zur Herstellung des Linoleums (aus dem Lateinischen, wörtlich: Leinöl) als Bodenbelag findet es Verwendung. Die Leinsamen
selbst dienen als Ganze, in gequetschter oder abgekochter Form als heilbringendes Mittel bei diversen Verdauungsstörungen. 
 
Selbstverständlich hatte eine so bedeutsame Pflanze auch Eingang ins Brauchtum unserer Ahnen gehalten, insbesondere im so genannten Saat-Aberglauben.
„So hoch man springt, so hoch soll der Flachs werden“ glaubte der Volksmund. Sei es nun der Bauer beim Fastnachtstanz, die Hausfrau vom Tisch herunter oder ein mutiger Sprung des Burschen über das Sonnenwendfeuer, je höher man sprang, desto besser sollte die Leinernte werden.
Die Leinsaat galt, wie viele Kornfrüchte, als Symbol für Fruchtbarkeit. Und nur die Frau, als Trägerin der menschlichen Fruchtbarkeit, sollte dies dem Lein während dessen Aussaat vermitteln können. Und so hatten gefälligst die Frauen diese Arbeit zu erledigen. Waren wir Männer je um Ausreden verlegen?
Foto und Text: Wolfgang Stein, Universität des Saarlandes

 

“But if Ukraine is to survive and thrive, it must not be either side’s outpost against the other – it should function as a bridge between them.” Kissinger


This article was first published in the Washington Post on March 5, 2014 and whether or not you agree, it raises and suggests many points:
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Subject: Kissinger on Ukraine
How the Ukraine crisis ends
By Henry A. Kissinger
 
Public discussion on Ukraine is all about confrontation. But do we know where we are going? In my life, I have seen four wars begun with great enthusiasm and public support, all of which we did not know how to end and from three of which we withdrew unilaterally. The test of policy is how it ends, not how it begins.
Far too often the Ukrainian issue is posed as a showdown: whether Ukraine joins the East or the West. But if Ukraine is to survive and thrive, it must not be either side’s outpost against the other – it should function as a bridge between them.
Russia must accept that to try to force Ukraine into a satellite status, and thereby move Russia’s borders again, would doom Moscow to repeat its history of self-fulfilling cycles of reciprocal pressures with Europe and the United States.
The West must understand that, to Russia, Ukraine can never be just a foreign country. Russian history began in what was called Kievan-Rus. The Russian religion spread from there. Ukraine has been part of Russia for centuries, and their histories were intertwined before then. Some of the most important battles for Russian freedom, starting with the Battle of Poltava in 1709, were fought on Ukrainian soil. The Black Sea Fleet – Russia’s means of projecting power in the Mediterranean – is based by long-term lease in Sevastopol, in Crimea. Even such famed dissidents as Aleksandr Solzhenitsyn and Joseph Brodsky insisted that Ukraine was an integral part of Russian history and, indeed, of Russia.
The European Union must recognize that its bureaucratic dilatoriness and subordination of the strategic element to domestic politics in negotiating Ukraine’s relationship to Europe contributed to turning a negotiation into a crisis. Foreign policy is the art of establishing priorities.
The Ukrainians are the decisive element. They live in a country with a complex history and a polyglot composition. The Western part was incorporated into the Soviet Union in 1939, when Stalin and Hitler divided up the spoils. Crimea, 60 per cent of whose population is Russian, became part of Ukraine only in 1954 , when Nikita Khrushchev, a Ukrainian by birth, awarded it as part of the 300th-year celebration of a Russian agreement with the Cossacks. The West is largely Catholic; the East largely Russian Orthodox. The West speaks Ukrainian; the East speaks mostly Russian. Any attempt by one wing of Ukraine to dominate the other – as has been the pattern – would lead eventually to civil war or breakup. To treat Ukraine as part of an East-West confrontation would scuttle for decades any prospect to bring Russia and the West – especially Russia and Europe – into a cooperative international system.
Ukraine has been independent for only 23 years; it had previously been under some kind of foreign rule since the 14th century. Not surprisingly, its leaders have not learned the art of compromise, even less of historical perspective. The politics of post-independence Ukraine clearly demonstrates that the root of the problem lies in efforts by Ukrainian politicians to impose their will on recalcitrant parts of the country, first by one faction, then by the other. That is the essence of the conflict between Viktor Yanu­kovych and his principal political rival, Yulia Tymo­shenko. They represent the two wings of Ukraine and have not been willing to share power. A wise U.S. policy toward Ukraine would seek a way for the two parts of the country to cooperate with each other. We should seek reconciliation, not the domination of a faction.
Russia and the West, and least of all the various factions in Ukraine, have not acted on this principle. Each has made the situation worse. Russia would not be able to impose a military solution without isolating itself at a time when many of its borders are already precarious. For the West, the demonization of Vladimir Putin is not a policy; it is an alibi for the absence of one.
Putin should come to realize that, whatever his grievances, a policy of military impositions would produce another Cold War. For its part, the United States needs to avoid treating Russia as an aberrant to be patiently taught rules of conduct established by Washington. Putin is a serious strategist – on the premises of Russian history. Understanding U.S. values and psychology are not his strong suits. Nor has understanding Russian history and psychology been a strong point of U.S. policymakers.
Leaders of all sides should return to examining outcomes, not compete in posturing. Here is my notion of an outcome compatible with the values and security interests of all sides:
• Ukraine should have the right to choose freely its economic and political associations, including with Europe.
• Ukraine should not join NATO, a position I took seven years ago, when it last came up.
• Ukraine should be free to create any government compatible with the expressed will of its people. Wise Ukrainian leaders would then opt for a policy of reconciliation between the various parts of their country. Internationally, they should pursue a posture comparable to that of Finland. That nation leaves no doubt about its fierce independence and cooperates with the West in most fields but carefully avoids institutional hostility toward Russia.
•It is incompatible with the rules of the existing world order for Russia to annex Crimea. But it should be possible to put Crimea’s relationship to Ukraine on a less fraught basis. To that end, Russia would recognize Ukraine’s sovereignty over Crimea. Ukraine should reinforce Crimea’s autonomy in elections held in the presence of international observers. The process would include removing any ambiguities about the status of the Black Sea Fleet at Sevastopol.
These are principles, not prescriptions. People familiar with the region will know that not all of them will be palatable to all parties. The test is not absolute satisfaction but balanced dissatisfaction. If some solution based on these or comparable elements is not achieved, the drift toward confrontation will accelerate. The time for that will come soon enough.




Eine Querdenkerin

Auf vielerlei Art haben die sowjetischen Machthaber kritische Literaten bestraft, im Fall der Petersburger Dichterin Anna Achmatowa durch versuchtes Verschweigen. Achmatowa, geboren 1889, wurde schon durch ihre ersten Gedichtbände in der russischen Intelligentsia berühmt. Mit den Bolschewiki verband sie nichts, sie war die Tochter eines adligen Offiziers, aufgewachsen im eleganten Lyzeum von Zarskoje Selo, das rund ein Jahrhundert zuvor der rebellische Alexander Puschkin besucht hatte, den sie seit ihrer Jugend bewunderte. Sie erlebte die bürgerliche Revolution von 1905 und die Hoffnungen auf ein besseres, pro-europäisches, vielleicht sogar demokratisches Russland, die durch die Oktoberrevolution ruiniert wurden.

Sie hätte vor oder in den ersten Jahren nach der Revolution emigrieren können, doch sie blieb in Russland. Ihre Gedichte wurden als antikommunistische Provokation empfunden, weil sie statt der verordneten revolutionären Haltung das Gegenteil zum Ausdruck brachten: Trauer um die Opfer und die verpasste Gelegenheit einer echten Wende in Russlands Geschichte. Obwohl Stalin sie aus einer seltsamen Scheu heraus nie verhaften ließ, verdichtet sich in ihrer Biographie, was die Sowjetunion ihren Künstlern seit 1917 an Unterdrückung, Armut und Verschweigen, an Deportation, Exil und „Liquidierung“ zugemutet hat.

Ihr erster Mann, der Dichter Nikolaj Gumiljow, wurde schon 1921 auf Lenins Befehl erschossen. Ihre Jugendfreunde flohen in den Westen, Sinaida Hippius, Georgij Iwanow und die vom Unglück verfolgte Marina Zwetajewa, oder wurden, wie Mandelstam und Narbut, während der „Großen Säuberungen“ im Archipel GULag umgebracht. „Belaste nicht dein Herz mit Erdenhoffnung“, schrieb die Zurückbleibende in ihrem manchmal antipodischen Stil, „häng nicht am Liebsten, nicht am Hain“. Bis auf ihr Leben verlor sie alles, selbst das Dutzend Blätter, auf denen der italienische Maler Modigliani sie gezeichnet hatte – eins ist übrig wie durch ein Wunder.

Anna Achmatowa war nicht nur Russlands größte Dichterin, sondern zudem eine schöne Frau. „Sie sah einfach überwältigend aus“, schrieb ihr Schüler und Verehrer Joseph Brodsky, der Literatur-Nobelpreisträger von 1987, im amerikanischen Exil, „dunkelhaarig, hellhäutig, mit den blassen graugrünen Augen der Schneeleoparden, schlank und unglaublich geschmeidig – so wurde sie ein halbes Jahrhundert lang von einer Vielzahl von Künstlern skizziert, gemalt, modelliert, fotografiert. Die ihr gewidmeten Gedichte würden mehr Bände füllen als ihre eigenen gesammelten Werke“.

Zwischen 1922 und 1940 wurde keine Zeile von ihr veröffentlicht

Denn sie schrieb relativ wenig, nur dann, wenn sie sich von einer höheren Inspiration beseelt fühlte, wenn „einfach sich diktierte Zeilen legen hin auf mein Heft, das weiß ist wie der Schnee“. Und veröffentlichte noch weniger, doch hierbei waren irdische Mächte im Spiel, der kulturpolitische Apparat der stalinistischen Sowjetunion, der Anna Achmatowa Schweigen auferlegte. Zwischen 1922 und 1940 wurde keine Zeile von ihr veröffentlicht. In der Großen Sowjet-Enzyklopädie von 1926 wurde sie als Beispiel dekadenter Literatur aufgeführt, ihre mystischen und erotischen Metaphern als Gefahr für die sowjetische Jugend. Ihre Gedichte kursierten im Samisdat und blieben gerade wegen ihres zu dieser Zeit vollkommen ungewöhnlichen Tons im Gedächtnis. Währenddessen ließ Stalin ihren zweiten und dritten Mann in die sibirischen Lager deportieren, schließlich auch ihren einzigen Sohn.

Sie stand, um ihrem Sohn ein Lebensmittelpäckchen zu bringen, in der langen Warteschlange vor einem Leningrader Gefängnis, als eine in Lumpen gekleidete Frau sie ansprach, „leise, denn dort sprachen alle im Flüsterton: 'Könnten Sie das hier in Worten beschreiben?' Und ich sagte: 'Ja, kann ich'.“ Tatsächlich, sie fand Worte für das Unsägliche, für den Massenmord am russischen Volk, begangen von seinen eigenen Herrschern im Namen des „Fortschritts“ und der „Revolution“.

Das Poem Requiem, ihre unsterbliche Hinterlassenschaft, konnte damals nicht einmal auf Papier geschrieben werden, es wäre ein sicheres Todesurteil gewesen. Sie hat das Reqiuem zwei Jahrzehnte lang mündlich bewahrt, zwei Freundinnen, Nadeshda Mandelstam und Lydia Tschukowskaja, lernten die Strophen mit ihr auswendig: eine von den dreien, hofften sie, würde Stalins Massenmord an Russlands Intellektuellen überleben.

Unter so extremen Bedingungen ist Literatur kaum jemals entstanden. Anna Achmatowa verbrachte ihr Leben in Armut, zuzeiten verfügte sie nicht einmal über eine eigene Wohnung. Manchmal ernährte sie sich tagelang von trockenem Brot und Tee. Ihr später Triumph, die Ehrendoktorwürde der Universität Oxford, die Reden, die sie mit Sappho verglichen, die Nominierung zum Nobelpreis, die verschämte Rehabilitierung in der Sowjetunion, blieben für sie eher äußerliche Ereignisse nach ihren unerhörten Verlusten: die Menschen, die sie liebte, verschwanden in Stalins Lagern oder kehrten erst nach jahrzehntelanger Haft von dort zurück. Wie lässt sich eine solche Zeit überstehen? Der amerikanische Dichter Robert Frost, einer ihrer letzten Besucher, nannte sie „hoheitsvoll, aber unsagbar traurig.“

Schlangen vor den Buchhandlungen

Es wäre eine Illusion, zu glauben, man hätte damals in Russland allgemeine Achtung gewonnen, wenn man als Kritiker oder Gegner Stalins galt. Der Diktator erfreute sich großer Beliebtheit. Die sklavische Verehrung für ihn hält bis heute an: Noch immer gibt es in Russland hunderte Stalin-Denkmäler. Stalin war nicht nur ein in alle Bereiche des Privaten eindringender Despot, er war Volksheld und in weiten Kreisen der Armee, der Partei und der Systemtreuen „wie ein Vater“ beliebt. Seine Härte, seine Grausamkeit im Umgang mit Gegnern und Kritikern gaben seinen Anhängern ein Gefühl der Stärke. Seine katastrophalen Fehler, seine Verantwortung für den Tod von Millionen Menschen, seine Gnadenlosigkeit – all das wurde ihm nachgesehen, diesem Gefühls stärkender Übereinstimmung zuliebe. Manche Menschen werden erst glücklich im Mitläufertum. Bei Stalins Tod am 5. März 1953 standen Tausende auf den Straßen und weinten. Nach Angaben des französischen Stalin-Biographen Maximilien Rubel kamen bei der Beerdigung, zu der hunderttausende Moskauer und aus allen Landesteilen Zugereiste zum Kreml strömten, 500 Menschen im Gedränge ums Leben.

Achmatowas Requiem konnte erst 1987 vollständig in Russland veröffentlicht werden; als es erschien, bildeten sich Schlangen vor den Buchhandlungen. Es gilt heute als die bekannteste Dichtung über den Stalin-Terror. Die Dichterin hatte Russlands unvorstellbare Tragödie durchmessen wie spätantike Chronisten die Trümmer der alten Welt. Horaz, Ovid, Shakespeare und die Bibel waren ihre Begleiter, sie hat Zeit ihres Lebens an die Kraft der Literatur und die Macht der Worte geglaubt:     

Chaim Noll

„Es rostet Gold, verwest der Stahl zu Staub.
Zerbröckelt Marmor, ist bereit zum Tod.
Am dauerhaftesten auf Erden ist die Trauer.
Es überlebt: das königliche Wort.“

 

Wie lange wird die heilsame Wirkung des Putin-Schocks währen?

1914, 1939, 1989, 2001 – bei diesen Jahreszahlen wissen nicht nur Historiker, dass sie für Zäsuren stehen. Für Ereignisse, die den Gang der Geschichte plötzlich beschleunigten und auf drastische Weise änderten. Für Wendungen, die Wirkung weit über das jeweilige Jahr hinaus entfalteten. Die Reihe wurde am Donnerstag um das Jahr 2022 erweitert. Es ist zur Chiffre für die Rückkehr des Krieges nach Europa geworden, des Krieges als Mittel einer imperialistischen und chauvinistischen Politik.

Der Mann, der dem Jahr schon im Februar den Stempel „annus horribilis“ aufgedrückt hat, heißt Wladimir Putin. Er ist Präsident der Russischen Föderation und von dem Gedanken beseelt, als eine der großen Figuren in die stolze russische Geschichte einzugehen – als der Führer, der Russland wieder groß und mächtig gemacht und ihm in der Welt den Respekt verschafft hat, den es verdient. Man darf Putin zutrauen, dass er selbst noch Stalin übertreffen will.

Mit dem Krieg, den der russische Präsident in der Ukraine führt, die für ihn eine Missgeburt der Geschichte ohne Existenzberechtigung ist, rückt Putin zweifellos auch aus westlicher Sicht Stalin näher. Doch das Ansehen und das Wohlergehen Russlands in der freien Welt mehrt Putin mit seinem Überfall nicht. Die Russen werden für den Wahn ihres Präsidenten bitter büßen müssen. Vielleicht kommt sogar der Tag, an dem er selbst bereut, in diesen Krieg gezogen zu sein. Aber darauf kann der Westen jetzt keine Hoffnungen setzen. Die Mehrheit des russischen Volkes glaubt Putins grotesker Propaganda. Die Minderheit, die gegen seinen Wahn demonstriert, erfährt, was Putin unter Re­spekt versteht: Angst.

In Putins Universum gilt nur das Gesetz des Dschungels

Putin hat Russland zum Paria der Staatengemeinschaft gemacht, der sich künftig mit Lobpreisungen aus Diktaturen wie Belarus begnügen muss. Selbst Viktor Orbán schloss sich der Kritik an Moskau an. Die kümmert Putin und die anderen, die mit ihm in seiner Regimeblase leben, offensichtlich wenig. Im Kreml spottete man, der Westen werde sich schon wieder beruhigen – wie er es nach dem Georgienkrieg getan habe und auch nach der Annexion der Krim.

Putin und seine Spießgesellen leben in einer anderen Welt und in einer anderen Zeit als der Westen. In ihr zählen Vertrauen, Verständigung und Verträge nichts. In Putins Universum gilt nur ein Gesetz, das des Dschungels: Die großen Bestien fressen die kleineren, am liebsten aber die wehrlosen Ziegen und Schafe. Die Welt, wie Putin sie sieht, gehört dem Stärksten, dem Brutalsten. Die Regeln, die sie sich gegeben hat, um auch die Schwächeren zu schützen, sind für ihn nur Blendwerk für die Dummen, die Naiven.

Dazu zählt er all jene im Westen, die auf die Macht des Multilateralismus setzen, auf die „soft power“ des moralischen Vorbilds, auf den Sieg der Vernunft. Also auch die Deutschen und ihre Regierungen. Putins Geschichts- und Politikverständnis unterscheidet sich so fundamental von den Überzeugungen Nachkriegsdeutschlands, dass man sich fragen muss: Wie konnten unsere Kanzler und Außenminister glauben, mit ihm ließe sich gemeinsame Sache machen? „Wir wurden eiskalt belogen“, sagt Außenministerin Baerbock. Das kann nicht erst ihr widerfahren sein. Man hat sich in Berlin schon lange von ihm belügen lassen – und sich dann auch noch der Selbsttäuschung hingegeben.

Dass man Putin doch brauche! Das Hauptargument zur Begründung der Kollaboration mit ihm lautete: Sicherheit gebe es nur mit, nicht gegen Russland. Nur zusammen mit Moskau könne man die vielen Konflikte in der Welt eindämmen. Hat der Kreml aber wirklich Interesse an einer sichereren und besseren Welt? Moskaus Macht beruht vor allem auf der Fähigkeit, Unheil zu stiften und zu vergrößern. Putin führte sie regelmäßig vor. Auf diese Weise hat der Kreml den Westen schon oft erpresst, immer wieder mit Erfolg.

Putins jüngstem Erpressungsversuch mit gleichzeitiger Geiselnahme konnte sich der Westen jedoch nicht mehr beugen. Putin verlangte von den in der EU und der NATO vereinigten Ländern, Prinzipien abzuschwören, deren Preisgeben einer Selbstaufgabe gleichgekommen wäre. Die Grundsätze der staatlichen Souveränität, der territorialen Integrität und das Gewaltverbot, das Russland als ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrats ganz besonders hochhalten müsste, haben Europa zu einer Epoche des Friedens und der Stabilität verholfen, die einmalig ist in seiner Geschichte – einmalig war, wie man jetzt sagen muss.

Zäsur: Am Donnerstag ist der Krieg nach Europa zurückgekehrt. Reuters

Angesichts der Motive, mit denen Putin seine Aggression begründete, muss man ohnehin davon ausgehen, dass er nicht wirklich damit rechnete, die NATO werde seine Forderungen erfüllen. Während die Führer der westlichen Welt im Kreml noch um Frieden baten, bereitete der KGB-Mann – in Russland sagt man: einmal KGB, immer KGB – schon seinen Feldzug vor. Gelernt ist eben gelernt: Die „Maskirovka“ gehört zu den Paradedisziplinen der Moskauer Desinformationskunst, auf die man im Westen so oft hereinfiel.

Wie lange wird die heilsame Wirkung des Putin-Schocks währen?

Besonders in Deutschland galt in Politik und Wirtschaft die Devise: Was jucken uns die Lügen und die Propaganda, wenn das Gas fließt und der Rubel rollt. In keiner Partei hatte man damit so wenig Schwierigkeiten wie in der SPD. Schröder, der selbst am Tag von Putins Überfall meinte, von Fehlern auf beiden Seiten sprechen zu müssen, ist nicht der einzige Sozialdemokrat gewesen, der sich zu Putins nützlichem Idioten machte. Aber er ist gewiss derjenige, der dafür am meisten Geld bekommt.

Jetzt herrscht freilich sogar in den Reihen der SPD Heulen, Zähneklappern und, noch verhalten, Selbstanklage wegen der Naivität der vergangenen Jahre. Die ganze deutsche Linke muss jetzt vieles von dem aufessen, was sie bisher im Brustton der Überzeugung von sich gegeben hat. Die kürzeste Kehrtwende in Sachen Was-kümmert-mich-mein-Geschwätz-von-gestern legte Gregor Gysi hin: „Alles, was ich immer gesagt habe, ist an dem Tag gestorben, an dem ein völkerrechtswidriger Krieg beginnt.“ Nicht einmal mehr auf die Nibelungentreue der AfD kann Putin sich jetzt noch verlassen.

Doch wie lange wird die heilsame Wirkung des Putin-Schocks währen? Wie lange hält der Burgfrieden, wenn die Energiepreise explodieren, die Wirtschaft leidet und der Streit darum losgeht, auf wessen Kosten die Stärkung der Verteidigungsfähigkeit gehen soll, für die jetzt plötzlich fast alle sind? Die Republik, die schon mit dem Kampf gegen die Pandemie und die Klimaerwärmung ausgelastet schien, geht politisch und wirtschaftlich schwierigen Zeiten entgegen, von denen niemand weiß, wie lange sie dauern werden.

Deutschland ist, wie Baerbock sagte, „in einer anderen Welt aufgewacht“. Man muss es noch deutlicher sagen: Deutschland ist, aufgeschreckt von Putins Kanonendonner, aufgewacht im Zweiten Kalten Krieg, auf den es weder mental noch militärisch vorbereitet war, obwohl er nicht erst in dieser Woche begonnen hat. Putin wird, solange er an der Macht ist, diesen Krieg mit allem führen, was ihm geeignet dazu erscheint, den Westen zu schwächen und zu spalten: mit der Gaswaffe, mit Cyberangriffen, mit subversiven Aktionen aller Art. Er hat in seinen Reden und Aufsätzen für jeden erkennbar dargelegt, dass er sich in einem epochalen Kampf gegen den Westen und dessen Modell der liberalen Demokratie wähnt. Seit Hitlers „Mein Kampf“ hat kein Kriegstreiber mehr sein Weltbild so offen und unmissverständlich dargelegt wie Putin.

Die Ampelkoalition wird nicht nur in der Energiepolitik ihre Prämissen und Prioritäten ändern müssen. Ein Paradigmenwechsel ist auch in der Außen- und Sicherheitspolitik unvermeidlich. Denn selbst der Überfall auf die Ukraine ist noch nicht das Schlimmste, mit dem man bei Putin rechnen muss. Er drohte dem Westen unverhohlen mit einem Atomschlag für den Fall, dass die NATO auf die Idee käme, der Ukraine militärisch zur Hilfe zu kommen. Das hatte das westliche Bündnis schon lange zuvor kategorisch ausgeschlossen. Die rote Linie ist für die NATO die Ostgrenze des Bündnisgebiets. Doch wer wollte bei einem Mann wie Putin, der einer völlig anderen Rationalität folgt, jetzt noch die Hand dafür ins Feuer legen, dass er die Entschlossenheit und Geschlossenheit der NATO-Staaten nicht auch noch im Baltikum prüfen will?

Stalin übertreffen: Wladimir Putin will als eine der großen Figuren in die russische Geschichte eingehen. SPUTNIK POOL

Putin ist nicht der Mann, der zum Rückzug bläst, wenn er in Schwierigkeiten gerät – in die er sich mit dem Feldzug in der Ukraine gebracht hat und weiter bringen wird, was er auch im eigenen Land zu spüren bekommen könnte. Im Zweifel sucht er sein Heil in der Eskalation. Sein Regime ist zur Sicherung seiner Herrschaft ohnehin darauf angewiesen, einen äußeren Feind vorweisen zu können – in Russlands Kampf um „Leben und Tod, um unsere historische Zukunft als Volk“.

Weder die Flötentöne der Friedensdiplomatie noch die Androhung von wirtschaftlichen Sanktionen haben Putin davon abhalten können, bei der Verfolgung seiner historischen Mission in der Ukraine einzufallen. Den Verschwörungstheoretiker im Kreml beeindruckt man nur mit militärischer Macht und der Entschlossenheit, sie im Ernstfall auch einzusetzen.

Deutschland muss sich mit der nuklearen Frage befassen

Die Europäer müssen daher nun mit aller Kraft die militärische Abschreckung stärken. Sie müssen in ihre konventionellen Streitkräfte investieren, in Quantität und Qualität. Das gilt in besonderer Weise für die Bundeswehr, wie es der so verzweifelt wie zornig klingende Offenbarungseid des Heeresinspekteurs unterstrichen hat. Die Bundeswehr ist nach Jahren der Schrumpfung und der einseitigen Ausrichtung auf strapaziöse Auslandseinsätze nur bedingt abwehrbereit.

Putins Kreuzzug gegen den Westen zwingt Deutschland aber auch, sich mit einer Frage zu befassen, die es, auch hier unter Verweis auf die eigene Vergangenheit, als für alle Zeiten beantwortet betrachtete: die nukleare. Die Erfahrung mit Donald Trump zeigte den Europäern jedoch, dass es keine Ewigkeitsgarantie für den atomaren Schutzschirm Amerikas gibt. Frankreichs Abschreckungsarsenal ist zu schwach, um Russland davon abhalten zu können, seinen Willen mit der Androhung von Nuklearschlägen durchzusetzen. Mit dieser Drohkulisse sicherte der Kreml schon die Eroberung der Krim ab und nun auch den Angriff auf die restliche Ukraine. Wenn die Europäer sich nicht dem – von Peking aufmerksam verfolgten – Versuch Moskaus beugen wollen, um Russland herum eine Zone reduzierter Souveränität zu schaffen, dann muss Europa zu einer Atommacht werden, die diesen Namen verdient. Ohne Deutschlands Beteiligung wird das nicht möglich sein.

Dagegen wird sich freilich ein Proteststurm erheben, der sogar noch die Empörung über Putins Einmarsch übertreffen könnte. Die ersten Abwehrstellungen werden schon bezogen. Rolf Mützenich, der Vorsitzende der SPD-Fraktion im Bundestag, begründete seine anhaltenden Zweifel an der nuklearen Abschreckung damit, dass sie schließlich auch im Fall der Ukraine nicht gewirkt habe. Dem muss man widersprechen. Sie hat sehr gut funktioniert, allerdings zu Putins Gunsten.  Köhler

"Putin ist nicht der Mann, der zum Rückzug bläst, wenn er in Schwierigkeiten gerät". "Im Zweifel sucht er sein Heil in der Eskalation." Ich hätte ja nicht einmal gedacht, dass er in Schwierigkeiten geraten könnte!! Dass die Ukrainer ihm welche bereiten könnten. Und dass er offenbar viel schwächer ist, als ich dachte, - siehe Luttwaks Analyse - beruhigt mich nicht, im Gegenteil. Mit der Eskalation wird er schließlich nicht warten, bis Deutschland aufrüstet. Mit einem starken Putin könnte man verhandeln (jemand wie Trump könnte es), mit einem Putin, der in einer Sackgasse gelandet ist, nicht. Im Moment sieht es aus, als sei die Finlandisierung noch das geringste unserer Probleme. Luttwak ist erstaunlich optimistisch. Für mich ist jetzt alles unvorhersehbar.


Sonntag, 27. Februar 2022

Reden wir über den Westen und Frau Merkels Salat



Den von CDU und SPD unter Merkel angerichteten Salat haben wir nun. Und das auch, weil wirklich alles getan wurde, um den so wenig kriegslüsternen US-Präsidenten Donald Trump zu erniedrigen und lächerlich zu machen.

Der berühmte britische Historiker Niall Ferguson meinte in einem Interview vor wenigen Monaten: „Im Westen hat Merkel Putins Sache bestens gedient. Zugespitzt kann man sagen: Merkel ist Putins beste Agentin. Mit dem Bau der Erdgas-Pipeline Nord Stream 2 hat Deutschland eingewilligt, sich bei der Energieversorgung vollkommen von Russland abhängig zu machen." Damit hatte Ferguson zweifelsohne recht, nur vergaß er zu erwähnen, wer die Zeche von Putins bester Agentin zu zahlen hat: die Ukraine.

Würde man sich Geopolitik als ein Vabanquespiel vorstellen, so verhängte die Ex-Kanzlerin vorne heraus irgendwelche halbherzigen Sanktionen gegen Russland, während sie Putin hintenrum hofierte. Nord Stream 2 hatte dabei nicht nur die Funktion eines deutschen Geldsegens für Russland, es katapultierte auch die Ukraine von einem der strategisch wichtigsten Energierouten-Länder an den Rand der Bedeutungslosigkeit. Hatten die USA unter Donald Trump noch versucht, Nord Stream 2 zu verhindern und vor allem: die in der NATO vereinbarten Ausgaben Deutschlands einzufordern, bissen sie dabei bei CDU und SPD jedoch auf deutschen Granit. Die Presse sekundierte pflichtschuldigst, weil es ja der Gottseibeiuns Trump war, der die Deutschen so böse unter Druck setzte.

Die moralische Besoffenheit über die Energiewende verstellte lange den Blick auf die fatale Außenpolitik der schrecklichen Kanzlerin. Hier zu betonen, dass die CDU in den letzten 15 Jahren federführend war und damit jeden ihrer alten Werte verriet, ist zwar müßig und redundant, aber wichtig, wenn man dieser Gurkentruppen-Partei auch nur ein Wort noch glauben will. Jahrelang weigerte sich Merkel entgegen aller Solidar-Adressen höchstpersönlich, militärisches Gerät, Helme oder Kevlarwesten an die Ukraine zu liefern; und selbst als die baltischen Länder der Ukraine Kriegsgerät aus DDR-Beständen vermachen wollten, untersagte Deutschland diese Lieferungen. Die Frage muss also erlaubt sein: Das ukrainische Militär erst zu boykottieren und wehrlos zu halten, dann mit einer Ostsee-Pipeline die gesamte Ukraine in die geopolitische Bedeutungslosigkeit abzudrängen, könnte man wie genau nennen: verrückt, irrsinnig, dämlich oder schlicht: einen Angriff Putins so richtig schön herausfordernd?

Der von CDU und SPD unter Merkel angerichtete Salat

Den von CDU und SPD unter Merkel angerichteten Salat haben wir nun. Und das auch, weil wirklich alles getan wurde, um den so wenig kriegslüsternen US-Präsidenten Donald Trump zu erniedrigen und lächerlich zu machen, wo es nur ging.

Dass die Euro-Zone ihrem Selbstverständnis nach ein unter deutsch-französischer Herrschaft stehendes Gegengewicht zu den USA hätte sein sollen, fällt den Europäern nun also krachend auf die Füße. Statt zu agieren, eilen sie seit mehr als einem Jahrzehnt von einer planlosen Rettung zur nächsten. Nach sieben Jahren Euro kam der erste Bruch mit der Finanzkrise 2008, die zu den berühmten „Bankenrettungen" führte. Danach folgte die Notwendigkeit, ein halbes Dutzend europäische Länder zu „retten", in dessen Folge dann Millionen von asiatischen und afrikanischen „Flüchtlingen" gerettet werden mussten.

Verbunden wurden all diese Rettungen durch das ständig mitschwingende Überthema „Rettung vor der Klimaapokalypse", das jederzeit aus der Schublade geholt werden konnte. Dieser planetarische Rettungsmechanismus wurde dann kurzfristig abgelöst durch die „Rettung" des Gesundheitswesens und die „Rettung" vor dem Covid-Tod. Nachdem auch diese Krise langsam in sich zusammengebrochen ist und den Blick auf die Verantwortlichen freistellt, war die Notwendigkeit einer noch größeren Krise förmlich mit Händen zu greifen. Die hat der Westen nun mit dem Krieg in der Ukraine.

Natürlich trägt der Westen keine Schuld daran, dass Russland die Ukraine überfällt. Das wäre ungefähr eine ähnliche Täter-Opfer-Umkehr, wie der Frau im Minirock vorzuwerfen, sie trüge Schuld an der Vergewaltigung. Die trägt immer noch der Vergewaltiger. Und trotzdem gibt es im Privaten ein paar gute Ratschläge, die auch geopolitisch gelten. Im Minirock nachts und allein durch die dunkelsten Viertel einer Stadt zu laufen, ist zumindest kein sehr valider Ratschlag. Genauso ist es geopolitisch eher wenig hilfreich, ein Land an der Grenze zu Russland mit hoher geopolitischer Relevanz erst zu entwaffnen und ihm dann die geopolitische Relevanz zu entziehen.

Hirnverbrannte Akklamationen

Und genau hier kommt die Blödheit eines Westens zum Tragen, der eben nicht mehr robust, interessengeleitet und pragmatisch agiert, sondern nach an den Haaren herbeigezogenen moralischen Bullerbü-Kriterien. Es erschüttert nämlich ein bestimmtes geistiges Fundament bis in die letzten Verästelungen, wenn man darauf hinweist, dass leider immer noch „das Gesetz des Stärkeren" wenn nicht gilt, dann zumindest wirksam ist, auch wenn es der westlichen Hochmoral nicht passt. Nach dem Weltbild des westlichen Bullerbü muss eine Frau nämlich auch nachts nackt durch die dunkelsten Viertel einer Stadt laufen können, ohne belästigt, geschweige denn vergewaltigt zu werden. Und die Rolle der nackten Frau hat man der Ukraine zugedacht und wundert sich nun über den Ausgang.

Vollends absurd wird es, wenn man sich vor Augen führt, dass Deutschland die Ukraine seit dem hybriden Krieg Putins 2014 sieben lange Jahre im Stich gelassen hat, die autarke Energieversorgung mit einer wundersamen Energiewende aufgegeben wurde und all überall das Bullerbü-Modell des Westens als universal gültig und allein seligmachend abgefeiert wurde – nach dem russischen Überfall auf die Ukraine aber „Frieden und Freiheit in Europa kein Preisschild haben“ (Annalena Baerbock) und Deutschland bereit sein muss, „große Opfer zu bringen". Was wiederum nichts anderes heißt als Rezession, Inflation und wirtschaftlicher Niedergang. Diese berühmte Politik der letzten 15 Jahre, die vom Ende her gedacht worden sein soll, sollten sich unsere Damen und Herren Politiker inklusive der sekundierenden Medienschaffenden alsbald in die Haare schmieren.

Der Geist des Westens atmet die etwas komödiantische Überzeugung, durch hirnverbrannte Akklamationen ließen sich Biologie, Chemie, Physik einfach aushebeln. Und auch Kriege ließen sich allein durch das Ausrufen der höheren Moral verhindern. Dass es Staaten, Länder, ja sogar Bevölkerungen gibt, die davon nichts oder nur wenig halten, passt in das universalistische Bullerbü des Westens nicht hinein, weswegen die Überraschung nach dem rasanten Fall Afghanistans wenige Tage nach dem Abzug der westlichen Streitkräfte auch so groß war. Das Gequake von „feministischer Außenpolitik" und weltweiten Gender-Lehrstühlen ist eben einer Schönwettermoral geschuldet, die wie ein Kartenhaus zusammenbricht, wenn die brutalen Gesetze der eher männlich dominierten Welt es anpusten.

Nun rächt sich, seine Armeen in Transgender-kompatible Kindergarteneinrichtungen verwandelt und seine Energiesicherheit in die Hände von Potentaten gelegt zu haben, in der Hoffnung, Geldflüsse seien ein Stillhalteabkommen und könnten das Gesetz des Stärkeren aushebeln. Ebenfalls rächt sich nun, die eigene Bevölkerung mit Transferleistungen ruhig und geschmeidig gehalten zu haben, weswegen die Einstellung zum Normalfall geworden ist, die Drecksarbeit machten wahlweise die Amerikaner (im Außenpolitischen) oder die berühmten Flüchtlinge (im Innern der Gesellschaft). Statt den moralischen Herrenreiter zu geben, sollten sich der Westen, die EU und Deutschland ehrlich machen und zugeben, dass allein die sozialstaatliche Notwendigkeit, immer neue Menschen als Arbeitssklaven ins Land zu holen, zwangsläufig zur Folge hat, dass sich dieser Westen ständig weiter ausdehnen muss. 

Moralischer Furor und geistig-imperialer Charakter Bullerbüs

Natürlich hat in der westlichen Gutmenschen-Moral der Gedanke nach imperialer Ausdehnung keinen Platz. Dass dieser imperiale Charakter des Westens nicht mit Panzern und Flugzeugträgern daherkommt, sondern mit Hilfe von Milliardengeldern und demokratisch ganz und gar nicht legitimierten Vorfeldorganisationen wie Stiftungen, NGOs und ThinkTanks, ändert am imperialen Charakter nur wenig. Und wenn dann Staaten, Länder, Bevölkerungen die vorgeblichen Annehmlichkeiten des Westens ablehnen, weil ihnen die Angst vor dem Klimatod und Transgender-Politik nicht ganz so wichtig sind, dann tritt der moralische Furor und der geistig-imperiale Charakter Bullerbüs ganz unverblümt hervor.

Es dürfte niemandem entgangen sein, welche Anstrengungen dieser bigotte Bullerbü-Westen unternommen hat, selbst Länder, die sich ihm zugehörig fühlten, zu erniedrigen und aus dem Kreis der „Wertegemeinschaft" ausschließen zu wollen, sofern sie sich weigern, moralisch zu parieren. Die Polen und Ungarn können ein Lied davon singen, und wer im Umgang zwischen ihnen und der EU nicht sehr deutlich die Insignien des moralischen Imperialismus erkannte, der gehört ganz sicher zu denen, die das deutsche Bundesverfassungsgericht noch für eine politisch unabhängige Institution halten. Sicher, die Deutschen erheben keinen territorialen Anspruch mehr auf Ostpreußen, aber sie erheben einen moralischen Anspruch, den ein Ostpreußen gefälligst zu exekutieren habe.

Wer an diesem moralischen Herrenreitertum Kritik äußerte, die apokalyptische Sehnsucht geißelte, die die westlichen Länder in Form von Klimaangst und Coronapanik ereilt hatte, und auf die jeder Freiheit Hohn sprechenden Cancel-Wellen der westlichen Eliten hinwies, der wird nun in den Sack mit den Putin-Freunden gesteckt. Denn wieder einmal ist der Westen angehalten, stramm solidarisch „zusammenzustehen" und die Krise „gemeinsam zu meistern". Gott, wie man dieser Kriegs- und Solidarrhetorik langsam müde ist.

Dass eine strukturell „feministische Politik", wie sie der Bullerbü-Westen vertritt, zu Krieg führt, mag nur die verwundern, die noch nicht von eben dieser feministischen Politik weggecancelt wurden. Die Macho-Attitüde eines Donald Trump mag strukturell wenig feministisch sein, im Umgang mit einem Potentaten wie Putin, der vor keinem schmutzigen Krieg zurückschreckt, könnte aber eine wie auch immer für toll befundene Toleranz viel weniger zählen als das breitbeinige Cowboy-Gehabe, das keinen Zweifel daran lässt, dass rote Linien existieren. So sehr Trumps Antwort auf den Nordkoreaner Kim Jong-un, sein roter Knopf sei größer, von den Aufgeklärten und Medieneliten müde belächelt wurde, so darf man doch vermuten, dass genau diese Sprache dazu geführt hat, dass das Nordkorea-Problem eingedämmt wurde. Ästhetisch mag man an dieser Sprache herumkritteln, faktisch hat sie aber zu einer Einhegung geführt und nicht zu einem heißen Krieg.

Neben all den menschlichen Dramen und den Verwüstungen kann man Putin durchaus persönlich übelnehmen, dass er Armeen zusammenziehen, Panzer rollen und Menschen erschießen lässt zu einem Zeitpunkt, an dem der Westen aus dem Corona-Desaster hätte etwas lernen können. All die Lügen und Verstrickungen, die todbringende Forschung, die totalitäre Politwissenschaft, die Überreaktionen, die volkswirtschaftlichen Schäden, die Kinderquälerei, die Verfolgung Andersmeinender – all das muss der Aufarbeitung weiter harren, weil Putin einen Anlass bietet, den der Westen sich nicht entgehen lassen kann, um wieder seinen Platz an der moralischen Sonne einzunehmen.   Vahlefeld

 

Im neuen Kalten Krieg gegen Russland und China ist der militärisch impotente Westen der grosse Verlierer

Russlands Präsident Putin droht gerade Finnland und Schweden. Sollten sie der Nato beitreten, wütet der Kreml, drohten „politische und militärische Konsequenzen“. Derweil tobt in der Ukraine ein Bodenkrieg, der die Frage aufwirft, ob sich der entfesselte Kreml-Herrscher mit seiner Invasion, die in diesem Ausmaß viele überrascht, verkalkuliert hat.

Unsere Politiker und Medien schießen sich auf Putin ein. Sie sehen in ihm den alleinigen Schuldigen, den fürchterlichen Diktator und Aggressor. Einige Zeitungen glauben anhand seiner wilden Fernsehauftritte, demagogisch unterlegt mit fratzenhaften Porträtbildern, bereits Züge des klinischen Wahnsinns zu erkennen. Putin, der neue Hitler?

Krieg ist wieder eine Realität in Europa. Der überwunden geglaubte Kalte Krieg zwischen dem Westen und dem Osten ist zurück. Die Welt formiert, verbetoniert sich wieder in festgefügte Blöcke. Man spürt es in der Luft. Jedes um Differenzierung bemühte Wort wird lauernd als falsche Parteinahme gedeutet. Man ist entweder einer von „uns“ oder einer der anderen, also ein Feind.

Die Weltwoche macht hier nicht mit. Sie steht für ein nonkonformistisches, blockfreies Denken, das sich in die Frontenbildung nicht hineinziehen lässt. In bester schweizerischer Tradition haben wir das Ziel friedlicher Koexistenz und der schlussendlichen Verständigung. Das Privileg der Neutralität eröffnet die Möglichkeit einer über das Kriegsgetümmel hinausweisenden Übersicht.

Was jetzt auf der Welt passiert, ist die Folge tragischer Fehler auf beiden Seiten. Natürlich ist Putin der unmittelbare Aggressor. Er hat ohne akute Bedrohung den souveränen Staat Ukraine überfallen und bedroht jetzt die ganze westlich-europäische Ordnung. Nichts rechtfertigt diesen brutalen Bruch des Völkerrechts und die Vergewaltigung des historisch leidgeprüften ukrainischen Volks.

Ich kann allerdings dem Westen große Vorwürfe nicht ersparen. Unter Führung der Amerikaner wurde nach dem Fall der Berliner Mauer die große Chance verpasst, Russland zu einem Verbündeten zu machen. Die Kommunisten waren weg, Putin strebte nach Westen, doch die Amerikaner, die Nato und die EU dehnten ihre Macht, ohne die Russen einzubeziehen, immer weiter nach Osten aus.

War es ein Plan? Oder Leichtsinn? Vielleicht beides. Die Russen jedenfalls fühlen sich nicht ernst genommen und schlagen jetzt mit voller Kraft zurück. Gewaltsam holen sie sich die Nato-freie Pufferzone, die man ihnen auf dem Verhandlungsweg nicht zugestehen wollte. Wo der russische Vorstoß endet, hängt ab von der Gegenwehr des Westens.

Natürlich muss auch die Nato- und EU-Osterweiterung differenziert gesehen werden. Die einst sowjetisch geknechteten Länder im Osten Europas wollten dem russischen Einfluss entkommen. Sie drängten in die EU, in die Nato. Wie hätte man ihnen diesen Wunsch abschlagen können? Der Fehler des Westens war, dass er die russischen Interessen und Warnungen überheblich in den Wind schlug.

Aus der Geschichte haben wir gelernt: Es kommt nie gut heraus, wenn man ein Land demütigt und seine Schwäche ausnützt. Das haben die siegreichen Alliierten nach dem Ersten Weltkrieg gegenüber Deutschland getan. Das hat der Westen, das haben die Amerikaner nach dem Kalten Krieg gegenüber Russland getan. Kränkungen rächen sich. Meistens werden sie mit blutigen Zinsen zurückbezahlt.

Es gab warnende Stimmen auch im Westen, von Anfang an. Am berühmtesten ist die Kritik des großen amerikanischen Diplomaten George F. Kennan, der 1997 die Nato-Ostausweitung als den „verhängnisvollsten Fehler“ der US-Aussenpolitik seit dem Mauerfall bezeichnete. Ihn unterstützten in einem offenen Brief an Präsident Clinton über 40 namhafte US-Politiker, Militärs und Diplomaten.

Kennans Worte waren leider visionär: „Die amerikanische Machtausdehnung bis an die Grenzen Russlands lässt erwarten, dass die nationalistischen, antiwestlichen und militaristischen Tendenzen in der Meinung Russlands entzündet werden, dass sie einen schädlichen Einfluss auf die Entwicklung der Demokratie in Russland haben, dass sie die Atmosphäre des Kalten Krieges in den Beziehungen zwischen Osten und Westen wiederherstellen und die russische Aussenpolitik in Richtungen zwingen, die uns entschieden missfallen werden.“

Erstaunlich lange blieben die Russen duldsam. Den Bruch brachten die westlichen Einmischungen in die Ukraine. Kann man es den Russen verargen, dass sie die Aussicht auf US-Atomraketen vor der eigenen Haustür in Alarm versetzen musste? Selbst die Deutschen, die es hätten besser wissen müssen, schickten ihren damaligen Aussenminister Steinmeier nach Kiew, um die Ukrainer mit dem Geld und den Waffen des Westens zu locken.

Man kann hier rückblickend nur von epochalen Dummheiten sprechen. Das westliche Ausgreifen nach Osten war doppelt fahrlässig. Zum einen blendete man die russischen Sicherheitsinteressen sträflich aus. Zum anderen frönte man einer linksgrün inspirierten Politik der steten militärischen Selbstentwaffnung. Es ist immer gefährlich, einen Bären zu reizen. Ihn ungeschützt zu reizen, ist selbstmörderisch.

Nochmals: Nichts davon rechtfertigt Putins Verhalten, aber der Westen hat nach Georgien erneut einem Land aus der alten russischen Einflusssphäre in Eurasien falsche Hoffnungen auf eine Annäherung gemacht. Erst dadurch fühlten sich die westlich gesinnten Ukrainer ermutigt, die Konfrontation mit Moskau zu wagen. Auf beschämende Weise lässt sie der Westen nun im Stich.

Mit scheinheiligem Zorn schauen unsere Medien und Politiker auf die Ukraine. Sie übersehen das viel größere Unheil am Horizont. Durch die dumme, militärisch impotente Machtausdehnung nach Osten hat die westliche Seite die Russen in die Arme der Chinesen getrieben. Die neue Achse Peking-Moskau wird die westliche Ordnung erschüttern, möglicherweise aus den Angeln heben.

Die Tragik ist, dass sich der Westen das alles selber eingebrockt hat. Er ist der Architekt seines denkbaren Untergangs. Russland und China sind alles andere als natürliche Verbündete, eigentlich Feinde, aber die Kurzsichtigkeit des Westens hat sie zusammengeführt. Das ist hier das wahre Verhängnis. Niemals hätte sich der Westen die Russen zu Feinden machen dürfen.

Doch der Bär ist von der Kette, massiv gestärkt durch das mächtige, geduldige China. Gleichzeitig ist die westliche Seite so schwach wie nie. Die Amerikaner rannten in Afghanistan davon. Die EU wird von Neulingen regiert und einem feingliedrigen Franzosen. Biden, Boris, Baerbock und Macron stehen gegen Putin, Lawrow und Xi Jinping. Wer wettet noch auf diesen Westen?

Der frühere US-Präsident Donald Trump hatte die Gefahren klar erkannt. Deshalb mahnte er die Nato-Staaten, ihre Rüstung endlich hochzufahren. Gleichzeitig bemühte er sich um gute Beziehungen zu Putin. Die Medien verhöhnten, verketzterten ihn. Seine eigene Partei fiel ihm in den Rücken. Doch Trump lag richtig. Auch die Amerikaner brauchen starke Verbündete. Jetzt sind sie ziemlich allein.

Die geopolitische Erdachse verschiebt sich. Russland und China werden ihren Einfluss ausdehnen. Wer hindert die Chinesen noch daran, Taiwan einzustecken? Putin greift nach dem Balkan. Afrika ist auf dem Weg zu einer chinesischen Rohstoffkolonie. Das US-Imperium wankt wie einst das Römische Reich. Sogar Europa droht unter den Einfluss der russisch-chinesischen Seite zu gelangen.

Die Situation ist ernst. Putins Auftrumpfen entlarvt die Ohnmacht seiner Gegner. Vielleicht wachen sie jetzt auf. Der Westen muss wieder über Panzer, Energie und Wirtschaft sprechen statt über Windräder und Gendertoiletten. Die Zeiten werden härter. Solide politische Werte kehren zurück. Die rotgrüne Scheinwelt bricht zusammen. Das ist die gute Nachricht, aber auch die einzige.

Für die Schweiz gilt: Sicherheit und Freiheit unseres Landes müssen endlich wieder höchste Priorität bekommen. Der jahrzehntelange fahrlässige Raubbau an unserer Armee muss aufhören. Aufrüstung heißt die Devise. Der Kalte Krieg ist wieder da. Der Bundesrat muss zurück zur unbedingten, immerwährenden bewaffneten Neutralität der Schweiz.

In den Stürmen der Gegenwart darf die Schweiz keinesfalls Partei ergreifen. Die Sanktionen gegen Russland sind ein Fehler. Der Bundesrat muss das Gesuch für einen Schweizer Sitz im Uno-Sicherheitsrat sofort zurückziehen. Der Sicherheitsrat entscheidet über Krieg und Frieden. Seine Mandate sind bindend. Die Schweiz würde verarmen und zerrissen im neuen Kalten Krieg.

Neutralität ist anspruchsvoll. Der Druck, sich auf eine Seite zu schlagen, ist enorm. Widerstand braucht Kraft und Überzeugung, die Schönwetterpolitikern fehlt. Im Ton des Kolonialherrn fordert der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell die Schweiz bereits zur Teilnahme am Wirtschaftskrieg gegen die Russen auf. Der Bundesrat knickt weitgehend ein. Er scheitert an der ersten Bewährungsprobe unserer Neutralität.

Dabei wäre die Schweiz prädestiniert, zu einer Lösung beizutragen. Der Westen hat alles Interesse an guten Beziehungen mit Russland. Dazu gehört, dass man die eigenen Fehler sieht und die Sicherheitsinteressen Russlands endlich ernst nimmt. Nur eine strikt neutrale Schweiz kann helfen, den Beton der Kriegsfronten aufzubrechen. Eine Rückkehr zur friedlichen Koexistenz bleibt das Gebot der Stunde.   Roger Köppel

 

 

 

 

 


Protagonisten deutscher Dummheit und Überheblichkeit

 

Heusgen und Maas

Deutschland zahlt Russland für Energielieferungen denselben Betrag des russischen Militäretats. Dümmere Politik ist nicht möglich.

Die Führerin

 

 

Niemand verkörpert die neue Generation der woken, wohlstandsverwöhnten, anmaßenden, opportunistischen, narzisstischen, ignoranten, pseudomoralpredigenden, heuchlerischen, ignoranten, verantwortungslosen, unethischen Westler so perfekt wie Luisa Neubauer. Zu allem fähig, zu nichts nütze. Claudia Roth braucht sich um ihre Nachfolge keine Sorgen zu machen.

Luisas Beitrag zum Krieg in der Ukraine


Ein Juwel für diejenigen, die Latein verstehen

Carmen retrogradum (von 1727, zu finden in der Münchner Frauenkirche)

Principium bona mors vitae, falx invida messis,
horrida nox lucis fit modo perpetuae.
Perpetuae modo fit lucis nox horrida, messis
invida falx, vitae mors bona principium.

 

Was war vor 2 Jahren in Bergamo los?

 



 

Samstag, 26. Februar 2022

Nach einem Bericht der "New York Times"


 

Freitag, 25. Februar 2022

Here we are

Können Sie sich noch an dieses Vorurteil des Abendlandes erinnern, in Byzanz hätte man, während draußen bereits die Kanonen der Türken gegen die Stadtmauern Konstantinopels schossen, über das Geschlecht der Engel debattiert?
 

 

 

Dass ich das als Lutheraner nochmal schreiben würde! Aber Tatsachen soll man nicht leugnen, so wie derzeit Corona-Fakten verleugnet und Kritiker der Maßnahmen in DDR-Manier verleumdet werden. Nicht wenige Pastoren (die Berufsbezeichnung Hirte als Mogelpackung führend) sind ja geradezu stolz darauf, keine Präsenzgottesdienste und würdige Begräbnisse oder Hochzeiten mehr zu zelebrieren. Die Corona-Religion funktioniert bestens. Ähnlich wie statt Kreuz das Solardach auf dem Kirchengebäude.

Ja, „Rom“ hat wirklich etwas von Unfehlbarkeit: Im Vatikan herrsche Angst, „die deutschen Katholiken könnten evangelisch werden ... Man kriegt dort Gänsehaut,“ so DBK-Vorsitzender Bätzing. Dieser Satz ist unfehlbar Wahrheit. Das muss man auch als Lutheraner mal eingestehen. Denn was die Mehrheit des deutschen Klerus mit ihrem synodalen Holzweg tut, ist nichts anderes als der konzertierte Marsch in die Sackgasse der EKD. Die Zeitgeistlichen sind konsequent auf Titanic-Kurs. In den modischen Murmeltier-Fragen grüßen immer die gleichen Themen. Dabei wird alles eingesammelt, was auf der protestantischen Resterampe noch zu finden ist.

Nehmen wir das Frauenpriestertum: die Pastor*in_nen-Zahl der EKD stellt inzwischen jede Quote in den Schatten. Dennoch schwappt die Austrittswelle wie ein Tsunami über Luthers Lande. Die „Männerkirche“ EKD hatte 1950 stolze 41,2 Millionen Mitglieder, heute halbiert auf unter 20. Man mag von Frauen am Altar halten, was man will: ein Heilmittel ist das nicht. Und bekannte Bischöfinnen mussten entweder zurücktreten, sind nicht mehr angetreten oder wurden nicht wieder gewählt. Tolles Rezept also.

Auch die Kumpanei mit dem unter Antifa-Flagge segelnden Flüchtlings-Fährbetrieb der EKD schwemmt niemanden zurück in die Kirche. Im Gegenteil. Das Petrusamt protestantisch gesehen: statt Heiden tauft man lieber Schiffe, eine neue Ideologie vom Menschenfischen, dem berühmten Jesus-Auftrag für den Ex-Fische-Fischer Petrus. Man lässt auch die ins Land, von denen der Modemacher Karl Lagerfeld kurz vor seinem Tod sagte: „Man kann (als Deutsche) nicht Millionen von Juden töten und später Millionen ihrer schlimmsten Feinde holen.“ Die Verharmlosung des Islams und die Verniedlichung des Korans durch Klerikal-Funktionäre ist eine Beleidigung für den denkenden Menschen.

Zurück zu Bibel und Bekenntnis

Während jetzt der Prozess gegen einen Muslim in Dresden wegen einer Messerattacke auf ein homosexuelles Paar lief, fiel Bischöfen nichts besseres ein, als (aus Anlass des Ramadans) den Islam in höchsten Tönen zu loben und ein Klagelied über die Muslim-Feindlichkeit der Deutschen anzustimmen. Kein Wort zu den beiden schwulen Opfern von Dresden, die das Menschenbild des Islams büßen mussten. Keins! Auch keins zu der irren Anordnung des hessischen CDU(!)-Kultusministers, der seine (auch Religions-)Lehrer warnte, Mohammed-Karikaturen zu besprechen. Über Gott und Jesus dagegen kann der Spott nicht groß genug sein. Die Kapitulation vor dem Islam haben deutsche Bischöfe ja in Jerusalem vorbildhaft demonstriert: Weg mit dem Kreuz!

Und im Gleichschritt mit den klerikalen Kapitänen hisst man die Regenbogenfahne. Gender-Sprech ist jetzt offiziell im Funktionärsclub ZdK. Man denkt unwillkürlich an Walter Ulbricht (weniger an Jesus Christus): Die EKD „überholen ohne einzuholen“. Und die Geister, die ich rief ... Jetzt geht es nicht nur den Martin-Luther-Straßen an den Kragen, nein, im Rahmen des Cancel-Culture-Zirkus wird jetzt auch Johann Sebastian Bach von Links-Ideologen bekämpft. Der über Jahrhunderte viel gerühmte „Fünfte Evangelist“ im Sperrfeuer derer, die von den „christlichen“ Religionsbeamten verhätschelt werden. Wann ist die Bibel dran? Aber die in (selbst-)gerechter Sprache gibt’s ja bereits. Der Anfang vom Ende.

Mit ihrer Wackeldackel-Theologie, die zu allem Ja und Amen sagt, ist aus der bibel- und romtreuen Widerstandskirche unter Dyba, Meißner und Co. ein staatshöriger, ideologieanfälliger und willfähriger Kath-Prot(-estantismus) geworden, der im wahrsten Wortsinn zum Davonlaufen ist. Ja, das Vatikan-Verdikt hat etwas Unfehlbares, und ausgerechnet Bätzing verbalisiert es. Zwei sinkende Schiffe im Geleitzug auf dem Weg Richtung Eisberg. Das „Erfolgsmodell“ EKD als Blaupause für das Unternehmen Untergang.

Statt dass man die Lecks des Zeitgeistes mit ewigen Werten stopft: Zurück zu Bibel und Bekenntnis, zu Evangelisation und Mission, zur messerscharfen Kritik (à la Meisner und Dyba) an den grundgesetzwidrigen Übergriffen des Staates und scharfsinnigem Streit mit dem Islam. Nur Wahrheit wirkt werbend, Mode macht müde und mutlos. Lehre gegen die Leere! Als Markenkern das konkurrenzlos Wichtige, damit DBK nicht mit DRK oder Greta und AOK verwechselt wird. Sonst löst sich der deutsche Katholizismus bald nicht nur im rot-grünen Evangelischen auf, sondern wird gleich ganz von der grünen Sekte geschluckt. Bätzing und Baerbock statt Bedford. Wenn schon, denn schon. Na dann: Schiff ahoi und gute Fahrt!

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Tagespost.

 

Die mit Abstand beste Erörterung zur Lageerkennung

wie so oft bei ServusTV

Die Dekonstruktion der linken Mystifizierer

Inwieweit die geistige Landschaft in Großbritannien auch heute – im Zeichen der „woke“-Ideologe – noch von der einst sprichwörtlichen Liberalität geprägt ist, steht dahin. Immerhin hatte darin bis zu seinem Tod auch der Konservative Roger Scruton (1944–2020) als Philosoph, Autor zahlreicher Bücher – in der Spannweite von politischer Theorie, Ästhetik der Architektur bis hin zu Sex – als Kolumnist für Weine im linksliberalen „New Statesman“ sowie als Mitglied einer Regierungskommission für Städtebau noch einen anerkannten Platz. Im Jahr 2016 wurde er von Königin Elizabeth in den Ritterstand erhoben. Im Juli 2019 erfuhr Roger Scruton, dass er an Krebs erkrankt war. Er starb am 12. Januar 2020.

In den deutschen Feuilletons erschienen einige Nachrufe. Ansonsten ist der Name Scruton hierzulande nahezu unbekannt. Inwieweit das jetzt auf Deutsch erschienene Buch – der englische Titel lautet Fools, Frauds and Firebrands: Thinkers of the New Left – an der weitgehenden Unkenntnis etwas zu ändern vermag, steht dahin.

Eine Kritik vorab: Scrutons Kritik an den Fürsten der „Neuen Linken“ kommt in Teilen zu spät, denn die Karawane der neuesten Linken ist bereits weitergezogen. Wer liegt heute noch Jean-Paul Sartre zu Füßen, wen interessiert noch der strukturalistische Marxismus eines Louis Althusser? Und wie lange noch herrscht Habermas’ Diskurshoheit über seiner „erweiterten Bundesrepublik“? Welcher queere Studierende, dessen Identität auf seiner spezifischen, allgemein anerkannten Existenzweise beruht, möchte mit dem einst heiligen Begriff „Entfremdung“ noch etwas anfangen? Zu empfehlen ist das Buch allemal, weil es in der Übersetzung von Krisztina Koenen, die ein luzides Vorwort beigesteuert hat,  als Ideengeschichte des 20. Jahrhunderts – auch nach Kapiteln gesondert – gut zu lesen ist.

Das Buch – mit den verfremdeten Porträts von Adorno, Habermas, Horkheimer, Sartre, Foucault und Lukács auf dem Einband – ist verknüpft mit der Biographie des Autors. Einer sozialistischen Lehrerfamilie entstammend, erlangte Scruton ein Stipendium für Cambridge. Während der Arbeit an seiner Dissertation erlebte er mit seiner ersten, französischen Frau den Pariser Mai 1968. Empört von jenen Szenen, als vermeintlich revolutionäre Studenten („middle-class hooligans“) die Autos von zu bescheidenem Wohlstand gelangten Arbeitern in Brand steckten, verabschiedete er sich von linken Überzeugungen.   

Als Gegenstück zu Zeitschriften wie dem seit den 1960er Jahren einflussreichen „New Left Review“ gründete er den „Salisbury Review“, in dem er seine Kritik an linken Denktraditionen und speziell an führenden Figuren der Neuen Linken veröffentlichte. Das daraus entstandene Buch „Thinkers of the New Left“ (1985) war in Großbritannien ein Reinfall, wurde gleichwohl in mehrere Sprachen übersetzt und zirkulierte vor allem in Samisdat-Ausgaben unter Dissidenten in Polen und der Tschechoslowakei. Durch Reisen in Osteuropa knüpfte Scruton enge Kontakte mit diesen Oppositionellen, darunter Vaclav Havel, Exponent der „Charta ´77“. 1998 zeichnete ihn Präsident Havel mit dem Verdienstorden der Tschechischen Republik aus.

Linkes Neusprech und rechte Denktraditionen

Das Buch, in Teilen eine überarbeitete Version der älteren Aufsätze, erschien in England erstmals 2015 auf Anregung von Scrutons Verleger, er solle ein Buch schreiben, das Studenten das Leben erleichtern könnte. Daraufhin macht er sich daran, „die klebrige Prosa von Deleuze“ verdaulich zu machen, „die wahnsinnigen Zaubergesänge Žižeks“ zu entmystifizieren und zu verdeutlichen, „dass in Habermas´ Theorie der kommunikativen Aktion [nicht] mehr steckt, als seine eigene Unfähigkeit zu kommunizieren.“ (16)

Links – rechts: Explikationen der vermeintlich zeitlos gültigen Begriffe umrahmen als erstes und letztes Kapitel das Buch. Seine Position als Konservativer, der das Etikett „rechts“ (da „richtig“) nicht scheut, definiert Scruton im ersten Kapitel („Was ist links?“) in Abgrenzung zu all jenen, die sich selbst als Linke bezeichnen. (5) Diese teilen eine seit der Aufklärung bestehende Sichtweise auf die Welt, welche die bestehende Ordnung als unfrei, ungleich und ungerecht, als „Strukturen der Unterdrückung“ (Michel Foucault) infrage stellt. Auch wo die jeweilige Theorie der Befreiung nicht auf eine Utopie ziele, verhüllen laut Scruton autoritative Begriffe wie „Befreiung“, „soziale Gerechtigkeit“ – es fehlen die neuestlinken Kampfbegriffe „Homophobie“, „Patriarchat“, „Islamophobie“, „wokeness“, „whiteness“ etc. – innere Widersprüche und signalisieren mit dem Anspruch auf höhere Moral den Kampf um Macht.

Die Transformation der politischen Sprache bringt das Orwellsche „Neusprech“ hervor, laut Scruton vernehmbar bereits in den Parolen der Französischen Revolution. „Neusprech“ kennzeichnete die Etikettierungen, mit denen die Protagonisten der Zweiten Internationale ihre jeweiligen Gegner (Revisionisten, Reformisten, Zentristen etc.) belegten. In klassischer Verkehrung der Begriffe von Menschewiki und Bolschewiki kam Neusprech bei der Spaltung der russischen Sozialdemokratie (1903/1911) zum Vorschein. (28f.) „Wir begegnen Neusprech immer dann, wenn die wichtigste Aufgabe der Sprache, die Beschreibung der Realität, durch den rivalisierenden Zweck der Machtausübung über die Wirklichkeit ersetzt wird.“ (29).

Zu den „Wörtern respektabler Herkunft“, die durch „Neusprech“ zur Klassenkampfparole degenerierten, gehört für Scruton der „Kapitalismus“. Folglich gehört der Marxismus in all seinen Varianten zu seinen Lieblingsfeinden. Das „durchtriebenste Charakteristikum des Marxismus [sei,] dass er sich als Wissenschaft verkaufen konnte.“ (35) Andernorts trägt Scruton seine Kritik weniger polemisch vor, indem er auf den in der Marx’schen Preistheorie fehlenden Faktor der Nachfrage verweist. Er stützt sich dabei auf all jene Autoritäten, welche die Marx’sche Ökonomie – gegründet auf die „objektivistische“ Arbeitswerttheorie und die Trias von Gebrauchswert, Tauschwert und Mehrwert – samt Gesellschaftstheorie von Anbeginn kritisiert haben, obenan die Vertreter der Österreichischen Schule von Eugen Böhm-Bawerk über Friedrich August von Hayek bis zu Ludwig von Mises. (27, 231, Fn.2) Hinzu kommen Denker wie der englische Jurist und Historiker Frederic William Maitland (1805–1906), Max Weber, Werner Sombart und Raymond Aron.

Der Glaube an die universelle menschliche Natur

Zu recht kennzeichnet Scruton auch das Marx’sche Denken, das mit dem „utopischen Sozialismus“ der Frühsozialisten aufräumen wollte, in seiner „wissenschaftlich“ begründeten Zielrichtung des Geschichtsprozesses als utopisch. Während der „späte“ Marx auf  eine Beschreibung der kommunistischen Zukunft verzichtet, entwirft er in der 1845/46 entstandenen Frühschrift „Die deutsche Ideologie“ die utopische Vorstellung des nicht entfremdeten, der Arbeitsteilung enthobenen Lebens. Dort steht der viel zitierte Satz, in Zukunft werde es dem Menschen möglich sein, „heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren.“ (zit. 25) Sofern mit Ironie begabt, mögen „linke“ Kritiker und „rechte“ Bewunderer Scrutons vermerken, dass der – auch mit Einkünften aus der japanischen Tabakindustrie – materiell höchst erfolgreiche Sir Roger auf seiner Farm „Scrutopia“, gelegen im südwestenglischen Wiltshire, für sich selbst genau dieses utopische Ideal verwirklichen konnte.

Da alles fließt, sind Konservative stets in der Verlegenheit, zu erklären, was es festzuhalten und zu bewahren gilt. Scruton verficht einen Konservativismus in britischer Tradition. Als Ahnherr gilt Edmund Burke, Verteidiger der Rechte der Kolonisten in Amerika (rights of Englishmen) und Feind der Französischen Revolution. Nicht nur für englische und/oder amerikanische Konservative – etwa auch für Hannah Arendt – sind die Glorreiche Revolution von 1688 und die Amerikanische Revolution von Ursprung und Verlauf her grundsätzlich verschieden von der ins Totalitäre mündenden Revolution in Frankreich.

Scruton bekennt sich als Platoniker, in der politischen Theorie lässt er indes nur den späten Platon der „Gesetze“ (nomoi) gelten. Im übrigen verfährt er eklektisch. Er verteidigt die englisch-schottische Aufklärung mit ihrem Glauben an die universelle menschliche Natur und die Vernunft gegen die „postmodernen“ französischen Destruktionisten und den „relativistischen Guru“ Edward Said (325, 328f.) Zu den vielen Quellen seines Denkens zählen Samuel Taylor Coleridge, Joseph de Maistre, Hegel, Dostojewski, John Ruskin und T.S. Eliot.

Für Scruton besteht Konservativismus aus „einer Politik der Sitten, der Kompromisse und der entschiedenen Unentschiedenheit (Hervorh. H.A.). Für Konservative seien politische Zusammenschlüsse wie Freundschaften: Sie haben kein übergeordnetes Ziel und ändern sich Tag für Tag, der unvorhersehbaren Logik einer Konversation folgend.“ Extremisten sind in „einer konservativen Allianz“ unwillkommen, sie sind „isoliert und sogar gefährlich.“ (24)

Protagonisten der englischen New Left

Ungeachtet des provokativen Buchtitels und seiner Lust an Polemik begegnet Scrutons den meisten der kritisierten Autoren mit Fairness. Das gilt etwa für das zweite Kapitel, wo er – ungeachtet der Überschrift „Missgunst in Großbritannien“ – den Historikern Eric Hobsbawm und Edward P. Thompson Anerkennung zollt. Hobsbawms Werke seien fesselnd zu lesen. Hingegen verfehle seine strikt „materialistische“ Analyse, der „Klassenkampf“ als zentrale Kategorie seiner marxistischen Geschichtsschreibung, die vermeintlich ideologiekritische Abwertung von Nation und Tradition (Eric Hobsbawm – Terence Ranger: The Invention of Tradition, 1983) die historische Wirklichkeit. Die reale Bedeutung der „Nation für sich“ – gegenüber der von Intellektuellen internationalistisch herbeigeträumten „Klasse für sich“ – habe sich in der Opferbereitschaft des britischen Volkes im Kampf gegen Nazi-Deutschland erwiesen. (57) Entsprechend ablehnend erwähnt Scruton auch Benedict Anderson und Ernest Gellner, die beiden anderen Kritiker der Nation als einer modernen „Erfindung“, sprich Fiktion. (56)

Hinsichtlich der Biographie Hobsbawms, der aus Deutschland fliehen musste, äußert Scruton Verständnis für dessen antifaschistischen Überzeugungen. Das rechtfertige aber keineswegs die ideologische Einseitigkeit – etwa in der Glorifizierung der „Massen“ – und die blinden Flecken in seiner Geschichtsschreibung. „Als ich Das Zeitalter der Extreme las, war ich erschüttert darüber, dass das Buch nicht mindestens so sehr als Skandal empfunden wurde wie David Irvings Leugnung des Holocaust. Ich war gezwungen, erneut zu erkennen, dass Verbrechen der Linken nicht wirklich Verbrechen sind, und dass jene, die sie mit Schweigen übergehen, dies immer mit den besten Motiven tun.“ (60)

Mit Lob wird E.P. Thompson bedacht, und dies nicht etwa nur deshalb, weil er – anders als Hobsbawm, der bis zur Selbstauflösung der CPGB sein Parteibuch behielt – nach dem Ungarnaufstand 1956 die kommunistische Partei verließ, sondern weil er „einen wunderbaren, für empirische Fakten empfindlichen, investigativen Geist [besaß]... Eloquent und wirkmächtig betonte er die Verpflichtung aller Historiker, ihre sauberen Theorien zu verwerfen, wenn sie den Tatsachen widersprachen.“ (66) Thompson bewies intellektuelle Redlichkeit in der Auseinandersetzung mit neulinken „Scharlatanen“ wie Louis Althusser, was nicht zufällig mit dem von Perry Anderson betriebenen Ausschluss aus dem New Left Review zusammenfiel. (66)

Mit scharfer Kritik wendet sich Scruton im siebten Kapitel („Der weltweite Kulturkampf der Neuen Linken von Gramsci bis Said“) gegen Perry Anderson, der als radikaler firebrand und als langjähriger Herausgeber (1962–1983) des New Left Review – anders als sein Bruder Benedict – auf eine akademische Karriere verzichtete. Es geht dabei nicht allein um Andersons Abwertung konservativer Repräsentanten der britischen Kultur, etwa des Literaturkritikers Frank R. Leavis. „Wer Leavis ablehnt, lehnt auch Burke, Coleridge, Arnold, Hazlitt, Ruskin und Eliot ab, all jene, die kritische Präsenz in unserer nationalen Kultur gezeigt haben.“ (311). Mit seiner Kritik an nicht-marxistischen „weißen Einwanderern“ (wie Lewis B. Namier, Ludwig Wittgenstein, Karl Popper und andere), die wie eine Welle „die flachen Gebiete des englischen intellektuellen Lebens [überrollte“] (zit. 310), habe Perry Anderson das Bild einer „kulturellen Verschwörung“ vermittelt und dabei „einen langen Weg auf einem bekannten und verwerflichen Pfad zurückgelegt.“ (312)

Für deutsche Leser informativ sind Scrutons Ausführungen zu hierzulande weniger bekannten britischen Autoren wie Christopher Hill, dem Historiker des englischen Bürgerkriegs, zu dem Soziologen Ralph Milliband (Vater der Labour-Politiker  Edmund und David Milliband) sowie zu dem Kulturtheoretiker Raymond Williams, im britischen Bildungswesen einflussreicher Vermittler der Philosophie Gramscis. (292ff.) Bezüglich Christopher Hill, der während der letzten zwei Kriegsjahre Beamter im Außenministerium war und nach dem Krieg Mitglied der Historikerzelle der KP in Oxford, erinnert Scruton an den Verdacht, Hill habe – wie die notorischen „Cambridge Five“ – zum Netz sowjetischer Spione gehört, die Stalin „brauchte, um die Übernahme Osteuropas vorzubereiten.“ (45f.)

Von amerikanischen liberals über Sartre zur französischen Nonsens-Maschine

Weniger ergiebig erscheint das dritte Kapitel, wo Scruton – er lebte und lehrte mehrere Jahre in den USA – den einst berühmten keynesianischen Ökonomen John Kenneth Galbraith und den Rechtsphilosophen Ronald Dworkin, als Protagonisten des amerikanischen liberalism, aufs Korn nimmt. Nicht anders als für amerikanische Konservative ist liberalism für Scruton identisch mit socialism. An Galbraith rügt er dessen ironisch herablassende Kritik am consumerism als Kennzeichen der – von Galbraith keineswegs abgelehnten – kapitalistischen Industriegesellschaft, an Dworkin dessen linksliberale Interpretation der amerikanischen Verfassung.

 

Der in New York und London lehrende Dworkin (1931–2013) gehörte zu den Vorkämpfern der „positiven Diskriminierung“ (in den USA bekannt als affirmative action), welche soziale Gerechtigkeit und mehr Gleichheit – equity als Schlüsselbegriff anstelle von equality im Sinne von Rechtsgleichheit – vermittels Quoten erzielen will. (101) Inwiefern diese Praxis zur Radikalisierung des liberalism im Zeichen von identiy/diversity, queerness und wokeness beigetragen hat, muss offen bleiben. Der von Dworkin beförderten Tendenz widersetzt sich Scruton wie folgt: „Für einen Konservativen ist es eine Frage des gesunden Menschenverstandes, dass die ununterbrochene Liberalisierung und die ständige Umänderung der Gesetze, um sie dem Lebensstil der New Yorker Elite anzupassen, irgendwann zu einer Gefahr für die Gemeinschaft werden würde.“ (98)

Im folgenden, 57 Seiten langen Kapitel – das erste von drei über die Welt der französischen Linken – setzt sich Scruton mit dem Emanzipationsbegriff bei Sartre und Foucault auseinander. Er eröffnet Kapitel mit einer Betrachtung über den französischen Katholizismus, der einerseits seit dem Ersten Weltkrieg eine Renaissance im Zeichen des renouveau catholique erlebte, andererseits durch den atheistischen Nationalismus eines Charles Maurras sowie durch Vichy kompromittiert war. Unter anderen Vorzeichen traf dies auf die französische KP  und deren keineswegs unbefleckte Rolle vor und während der Résistance zu.

Vor diesem Hintergrund übte seit den dreißiger Jahren der russische Emigrant Alexandre Kojève (Aleksandr V. Koževnikov, 1902–1968) – später als hoher französischer Staatsbeamter einer der Wegbereiter der westeuropäischen Einigung unter „lateinischer“ Ägide – als Vermittler der Hegelschen Dialektik auf die französischen Intellektuellen – von Georges Bataille, Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir über Raymond Aron und Jacques Lacan bis zu Maurice Merleau-Ponty – große Faszination aus. Wie Sartres einstiger Freund Aron feststellte, füllte der Marxismus bei den linken Intellektuellen die Lücke, die das Schwinden der Religion hinterlassen hatte.

„Mephisto der westlichen Philosophie“

Für Sartre und andere ging es fortan um den Widerspruch zwischen der Vision der radikalen Freiheit des seiner selbst bewussten Individuums und um dessen Wahrnehmung der gesellschaftlich bedingten „Entfremdung“, der säkularen Version des biblischen Sündenfalls. Die Auflösung des Widerspruchs fand Sartre in seinem von Edmund Husserl und Martin Heidegger inspirierten Existenzialismus. Unnachsichtig gegenüber dem politischen Sartre und dessen Fehlleistungen – von der dürftigen Teilhabe an der Résistance, der vermeintlich kritischen Haltung vis-à-vis der KP über die Bewunderung für Fidel Castro bis zur Rechtfertigung der Morde des palästinensischen Terror-Kommandos bei den Olympischen Spielen in München 1972 – lässt ihn Scruton als „komplexen Denker“ gelten. (121) Er hält zwar nichts von Sartres „Authentizitätskult“, betrachtet ihn jedoch als den „großen Verneiner, [den] Mephisto der westlichen Philosophie.“ (128) Dazu ein weiterer rühmender Satz: „Die Beschreibungen des sexuellen Verlangens sind Sartres eindringlichsten Betrachtungen und beispiellos in der philosophischen Literatur.“ (129)

Die „synthetisierende Poesie seines Stils erhebt sich über den Schlamm linker Texte wie ein Adler über den Sumpf“, heißt es über Foucault. (152) Doch geht es nicht um dessen literarische Begabung, sondern um den Inhalt seiner Werke, id est um das Konzept der befreienden Gewalt. Foucaults Herrschaftstheorie, seine Fixierung auf die Bourgeoisie als Verursacherin aller Unfreiheit, erst recht seine Rechtfertigung der terreur in der Großen Revolution ist mehr als fragwürdig. Theoretisch untauglich findet Scruton den Begriff der épistèmes für Wissensstrukturen als subtilen Herrschaftsinstrumenten. Es handelt sich um kaum anderes als eine Neuauflage der Marx’schen Ideologiekritik. Dass Foucault sich für die Iranische Revolution und das Mullah-Regime begeistern konnte, wird durch seine Sympathie für die polnische Solidarność nicht aufgewogen.

Bei den späten Schriften Foucaults gewann Scruton den Eindruck, dass dieser sich „normalisiert“ habe. Sein Resümee: Er habe immer den Eindruck gehabt, „dass Foucaults aggressive linke Einstellung keine Kritik der Wirklichkeit, sondern ihre Abwehr war, es war die Weigerung zu akzeptieren, dass die Normalität – trotz aller ihrer Mängel – das Einzige ist, was wir haben.“ (170)

Dass der nie endende Weg der Befreiung von „Nonsens in Paris“ markiert ist, zeigt Scruton vor allem im sechsten Kapitel, wo er – vergnüglich zu lesen – gegen die teils verblichenen, teils noch leuchtenden Sterne des Pariser Intellektuellenhimmels – Louis Althusser, Gilles Deleuze, Jacques Lacan, Jacques Derrida usw. – polemisiert. Als Produzent von Neusprech, identisch mit  hochgestochenem Nonsens, steht der Psychiater und Psychoanalytiker Lacan obenan. Der „shrink from hell“ (= Seelenklempner aus der Hölle“) – so der englische Philosoph und Neurowissenschaftler Raymond Tallis – und serielle Verführer traktierte nicht nur zehn Klienten in einer Stunde, sondern faszinierte mit seinen auf die Wandtafel des Hörsaals geworfenen mathèmes – eine mit mathematischen Chiffren angereicherte Adaption des von Kojève übernommenen Begriffs des „Anderen“ (l´Autre)die Studenten des Pariser Mai ´68. In Lacans Zauberkasten fand Scruton folgendes Zitat: „[Es ist] nicht mehr nötig, auf den veralteten Begriff des Masochismus zu rekurrieren, um den Sinn der Wiederholungsspiele zu begreifen, in denen die Subjektivität die Beherrschung ihrer Gottverlassenheit und die Geburt des Symbols hervorbringt.“ (Zit. 256).

Mit Nonsens-Zitaten zerlegt Scruton die mit dem Schlüsselbegriff des „Rhizoms“ (= Pilzgeflecht) auf Subversion der Macht der Bourgeoisie zielende Theorie von Deleuze, der laut Foucault „le siècle Deleuze“ begründet hat. In Differenz und Wiederholung (dt. 1992) appliziert Deleuze Nietzsches Zarathustra als „den dunklen Vorboten der ewigen Wiederkunft“ wie folgt: „Die ewige Wiederkehr sondert aus, was, indem es den Transport der Differenz unmöglich macht, die Wiederkunft selbst unmöglich macht.“ (Zit. 261). In dem von Deleuze zusammen mit Félix Guattari verfassten Buch Tausend Plateaus – Kapitalismus und Schizophrenie (dt. 1992) geht es darum, die allenthalben unterdrückerischen, „binären Strukturen“ der westlichen Kultur bloßzulegen: „Unsere Semiotik des modernen Weißen Mannes, also des Kapitalismus, hat einen Vermischungszustand erreicht, in dem Signifikanz und Subjektivierung einander tatsächlich durchdringen.“ (Zit. 266).

Nachdem mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion für einen historischen Augenblick auch im Westen linke Theoriegebäude zusammengestürzt schienen, erhob sich laut Scruton im 21. Jahrhundert in Gestalt der „French theory“ erneut das „Monster aus der Tiefe“ (333) – eine Anspielung auf das Verwirrung und Verwüstung anrichtende „Tier“ (engl. „the beast“) aus der Johannes-Offenbarung. Scrutons Kritik an Alain Badiou und Slavoj Žižek  zielt auf deren Geschichtsmetaphysik. Beide sind – unangefochten von Empirie und Historikern wie Francois Furet – unvermindert positiv fasziniert von der Revolution. Badiou spricht in Großbuchstaben von „dem EREIGNIS“ (358). Auch Žižek, Schüler Badious und Verehrer Lenins, findet eine Rechtfertigung für den „humanistischen Terror“ von Robespierre und St. Just im Gegensatz zum „antihumanistischen oder inhumanen“ Terror der Nazis. (371) Scruton: „Und so hat die Utopie erneut unangefochten die Stelle eingenommen, die die Theologie nicht mehr einnehmen konnte...“ (375)

„Bergab zu Habermas“

Im fünften Kapitel, übertitelt mit „Ödnis in Deutschland: Bergab mit Habermas“, seziert Scruton die deutsche Geisteslandschaft im 20. Jahrhundert. Die „transzendentale Obdachlosigkeit“ des Menschen und – nach eigenem Bekenntnis – der eigene Glaubensakt durch „Übertreten zum Marxismus“ (zit. 176) bildeten das große Lebensthema von György (Georg) Lukács (1885–1971), dem an seiner Herkunft leidenden Spross des deutsch-jüdischen Großbürgertums in der K.u.k. Monarchie. Mit seiner Kapitalismuskritik fand der von Hegel – und in seiner Jugend auch von Georges Sorel (!) - beeinflusste Lukács in Adorno einen Geistesgenossen. Mit Kultbegriffen der „Entfremdung“ und „Verdinglichung“ wirkte er als einer der Stichwortgeber der Achtundsechziger.

Scrutons Kritik an Lukács zielt – von dessen Agieren im Moskauer Exil und in Ungarn abgesehen –  auf dessen behaupteten Humanismus, einhergehend  mit intellektuellen Hochmut gegenüber allen „Nihilisten“, „Reaktionären“ und Nostalgisten“.  Erhellend sind zwei Zitate: „Die kommunistische Ethik macht die Akzeptanz der Notwendigkeit, böse Taten begehen zu müssen, zur wichtigsten Pflicht.“ (Zit. S.137)  Auf die Kritik der Grenznutzenschule an Marx reagierte Lukács mit bloßer Polemik: „Die ‚Grenznutzentheorie‘ der imperialistischen Periode ist der Gipfel der abstrahierenden und formalistischen Entleerung der Ökonomie.“ (Zit. 181). Die Soziologie hielt Lukács, in Heidelberg einer der Schüler Max Webers, für eine „neue Wissenschaft der Verfallszeit“, daraus entstanden, „dass die bürgerlichen Ideologen Gesetzmäßigkeit und Geschichte der gesellschaftlichen Entwicklung von der Wirtschaft getrennt erkennen wollen.“ (Zit. ibid.)

Lukács begriff sich – proklamatorisch in „Geschichte und Klassenbewusstsein“ (1923) –  als Vor-Denker und Interpret des den Kapitalismus überwindenden proletarischen Klassenbewusstseins. Auf ein Satzungetüm, in dem es darum geht, „die verdinglichte Struktur des Daseins praktisch zu durchbrechen“, antwortet Scruton: „Ach, was für ein Unsinn!“ (194)

Herbert Marcuses Suhrkamp-Bestseller-Bändchen „Kritik der repressiven Toleranz“ deklariert Scruton zu recht als Billigware. Schade, dass dort, wo er den Autoritäten der Frankfurter Schule ohne die von westdeutschen Linken gepflegte Ehrfurcht entgegentritt, eine Kritik von „Autorität und Familie“ – neben Marcuses Traktat die andere Bibel der westdeutschen 68er – fehlt. Seine These, dass Max Horkheimer in seiner „kritischen Theorie“ Kants kategorischen Imperativ mit marxistischen Kategorien in Gesellschaftskritik umformte (202), dürfte unter Linken sogar Zustimmung finden. Umgekehrt wird – wenngleich evident – der Befund auf Ablehnung stoßen, dass „fast alles, was er [Horkheimer] sagt“, auch in der Technikkritik von Ernst Jünger oder Martin Heidegger anzutreffen ist. (203)

Dialektische Taschenspielertricks

Als Konservativer äußert Scruton eine gewisse Sympathie für die Konsum- und Kulturkritik der Frankfurter Schule, hält jedoch fest, dass derlei Kritik auch bei dem christlichen Sozialkonervativen John Ruskin, bei Matthew Arnold, T.S. Eliot und F.R. Leavis zu finden ist. Adornos Aversion gegen den amerikanischen Kapitalismus – angeblich wesensverwandt mit dessen „totalitärer“ Version des Faschismus – hält er für „von Grund auf unehrlich“. (209) Auch missfällt ihm in den Schriften der Frankfurter Schule die „liturgische Stimme“. (204) Ein Text, in dem Adorno Johann Sebastian Bach zunächst „als altertümlichen Polyphoniker“ bezeichnet, endet in folgender Conclusio: „Das längst Vergangene wird zum Träger der Utopie des musikalischen Subjekt-Objekts, der Anachronismus zum Boten der Zukunft.“ (Zit. 207) Die Passage dient Scruton als Beleg für Adornos dialektische „Taschenspielertricks“. In dessen Weltdeutung stehe Bach „auf der richtigen Seite der Geschichte, nämlich auf der Seite, wo nach Utopia gesucht und wo – in objektiver Form – die echte Freiheit des Subjekts bewahrt werde.“ (207f.) Der Thomaskantor pries das Evangelium der christlichen Erlösung, nicht der Utopie.

Siebenundzwanzig Seiten sind Habermas, dem letzten –- von Horkheimer anno 1961 abgelehnten – Repräsentanten der Frankfurter Schule gewidmet. Dass Habermas’ – vermeintlich „universalistische“, von Fall zu Fall abgewandelte – Sozialphilosophie einen biographischen Hintergrund in dessen Nazi-Jugend hat, wird nur beiläufig erwähnt. (172) Dass es sich dabei – und um Habermas’ lautes Bekenntnis zur westlichen „Umerziehung“ – um das spezifische , psychologisch verwurzelte, erkenntnisleitende Interesse handelt, steht nicht im Zentrum von Scrutons kaustischer Kritik. Auch fehlt ein Kommentar zu Habermas’ Agieren im sog. „Historikerstreit“ sowie zu dessen sonstigen autoritären Auftritten im deutschen Kulturbetrieb.

Scruton belässt es nicht bei Sprachkritik an Habermas’ Prosa („unentwirrbares Geschwafel“, 212), sondern unterzieht sich der Mühe der Analyse dessen, was dieser zunächst als Kritiker der „Legitimitätsprobleme im Spätkapitalismus“ (1973) – ein von Sombart entliehener, Endzeit signalisierender Terminus –, sodann als Theoretiker des „kommunikativen Handelns“ (1981), zuletzt als Protagonist einer „transnationalen Demokratie“ in assoziativer Weitschweifigkeit zu Papier gebracht hat. Den illustren Begriff der „Emanzipation“ verknüpft der spätere Habermas mit der „idealen Sprechsituation“ im „herrschaftsfreien Diskurs“, danach (1996) – von Scruton unerwähnt – mit der Abstraktion der „deliberativen Demokratie“. Habermas „streift um das alte Thema des Gesellschaftsvertrags herum, ohne die Kant’sche Frage zu stellen, ob der hypothetische Vertrag ausreicht, um die Legitimität zu sichern, und ob ein gerade gültiger Vertrag seine Geltung verlieren kann.“ (221)

Scruton legt Modus und Impetus der Habermas’schen Begriffsflut offen: Habermas operiert mit Tautologien (Zitat:„Ein Argument enthält Gründe, die in systematischer Weise mit dem Geltungsanspruch einer problematischen Äußerung verknüpft sind. Die >Stärke< eines Arguments bemisst sich, in einem gegebenen Kontext, an der Triftigkeit der Gründe...“ [219]), sein „herrschaftsfreier Diskurs“ begründet den eigenen Herrschaftsanspruch. Scruton spricht aus, was in den deutschen „Diskursen“ – von ein paar ironisch Begabten abgesehen – keiner wagt zu sagen:    Habermas’ „deliberative“ Diskurspraxis, zusammengesetzt aus „informierten Teilnehmern“, ist ein autoritäres Unternehmen. Mit dem Griff zum Telefon dirigiert er die Feuilletons.

Das Emanzipationsversprechen hat praeceptor Germaniae occidentalis Habermas neuerdings in seinen Projekten der „transnationalen“ europäischen Integration verpackt. „Habermas [vermeidet] die Erörterung der echten Fragen, vor denen wir stehen, und empfiehlt uns, sie zu diskutieren, nur um eine Diskussion zu vermeiden. Ich befürchte, beim neuen Europa geht es genau darum.“ (228) Das europäische Projekt wird seit langem von der Brüsseler Bürokratie vorangetrieben, ohne dass hierzulande deren ehedem noch beklagtes „demokratisches Defizit“ auf vernehmbaren Widerspruch stößt. Die europäische Praxis kommentiert Scruton, Befürworter des Brexit, wie folgt:  „Tatsächlich war es Hegel, der Ideologe der >bourgeoisen [recte: bürgerlichen] Gesellschaft<, der die Beamten als die wahre Oberklasse identifiziert hat.“ (227)

Die Liebe zur Totalität

In den 1960er Jahren entdeckten westeuropäische Linke von Antonio Gramsci (1891–1937), dem nach qualvoller Haft verstorbenen Märtyrer des italienischen Kommunismus, als vom Stalinismus unbefleckte Autorität und als Quelle der Inspiration. In den 1948–1951 erstmals veröffentlichten „Gefängnisheften“ sann Gramsci über den Industriekapitalismus im Zeichen des Fordismus, über die italienische Geschichte und insbesondere über die Niederlage des italienischen Sozialismus, den Aufstieg und Sieg des Faschismus unter dem revolutionären Ex-Sozialisten Benito Mussolini nach. Für Hobsbawm war Gramsci „ein außerordentlicher Philosoph, ein Genie vielleicht, aber mit Sicherheit der originellste Denker des zwanzigsten Jahrhunderts in der westlichen Welt.“ (Zit. 278) Rühmende Worte fand auch Norberto Bobio (nach spätem – von Scruton unerwähntem – Bekenntnis in jungen Jahren Faschist) für Gramscis „Person und Werk“. (Ibid.)

Von Gramsci, der den „Vulgärmaterialismus“ attackiert hatte, kamen die neuen linken Leitbegriffe, obenan die „kulturelle Hegemonie“ und die „Zivilgesellschaft“. Bedauerlicherweise kommt in der Kritik von Scruton, dem aus der englischen Geschichte die „civil society“ – die Antithese zum monarchischen Absolutismus der Stuart-Könige – vertraut ist, Gramscis unklarer Begriff der società civile – als „Zivilgesellschaft“ der omnipräsente Terminus der zeitgenössischen lingua politica – nicht vor. Seine Kritik zielt auf das kulturrevolutionäre Konzept sowie auf den Elitebegriff Gramscis, dem ein Bündnis der Intellektuellen mit den „Massen“ vorschwebte. Durch einen neuen, aus der veränderten Alltagskultur erwachsenen „historischen Block“ – nicht mehr durch das Proletariat als historisches Subjekt – wollte Gramsci das sozialistische Endziel zu verwirklichen. Zum maßgeblichen revolutionären Subjekt avancierten bei Gramsci die Intellektuellen (was bis heute dessen „Philosophie der Praxis“ nicht nur bei linken Intellektuellen höchst attraktiv macht).

Mit seiner Betonung des kulturellen Faktors (id est des „Überbaus“) „überzeugte [er] seine Anhänger, dass revolutionäre Praxis und theoretische Korrektheit identische Merkmale seien und dass Lernen gleich Weisheit und Weisheit gleich das Recht zu herrschen sei.“ (280) Unter Bezug auf Eric Voegelin klassifiziert Scruton Gramscis Denken – und die Attraktivität von „Gramscis Art des Linksseins in katholischen Ländern, insbesondere in Italien“ – als eine säkulare Variante der christlichen Häresie der Gnosis. (Ibid.)

Gramsci war unter anderem von Georges Sorel beeinflusst, der Lenin und Mussolini zu erfolgreichen Praktikern seiner Theorie – id est des „Mythos“ der revolutionären Gewalt – erklärte. Sein elitäres Führungskonzept, enthalten im Begriff der „Hegemonie“, war von Machiavelli entliehen. Nicht zufällig lautet der Titel einer der Gefängnisschriften „Der moderne Fürst“ (leider sinnstörend übersetzt mit „Prinz“ [284 Fn. 9, 286, 289]). Der „moderne Fürst“ ist die Partei, geführt von der Avantgarde der Intellektuellen. (286) Dass Gramscis Vision von der Harmonie der „Massen“ und der Intellektuellen eine Fiktion ist und hinter dem Führungsanspruch der Intellektuellen die Figur des charismatischen Führers aufscheint, liegt auf der Hand.

Scruton weist nicht nur Gramscis schlichte Unterscheidung von historisch integren „Massen“ und den  inferioren Trägern des Faschismus – „der untersten Schicht der italienischen Bourgeoisie“ (Gramsci, zit. 290) – zurück. Er arbeitet Züge in Gramscis Denken heraus, die in den neulinken Diskursen gerne ignoriert werden: die „tiefe, strukturelle Gemeinsamkeit von Kommunismus und Faschismus“ (wobei er – keineswegs allein – eine Gleichsetzung des Nationalsozialismus mit dem italienischen Faschismus für „höchst fragwürdig“ erklärt). (281) In ihrer „Unbedingtheit“ zur Durchsetzung ihrer gegensätzlichen Ziele – hier Macht um im Dienste der Menschheit, dort Macht um der Macht willen – ist der psychologische Impetus identisch. Beide versuchen, eine Massenbewegung zu organisieren und unter Führung der Partei Staat und Gesellschaft zu einer „totalen“ Einheit zu verschmelzen. (282) „Der Kommunist teilt die tiefe Verachtung des Faschisten gegenüber jedweder Opposition... Doch die Frage der Opposition ist die alles entscheidende Frage in der Politik“, schreibt Scruton. (287) Im Hinblick auf Gramsci wäre indes noch einmal zu prüfen, ob dessen angestrebter „historischer Block“ die Existenz einer Opposition zuließe oder nicht. Jedenfalls gehört zur Geschichte der Linken ihre Aufspaltung in Fraktionen, in Gemäßigte und Radikale, Pragmatiker und Verwalter der reinen Lehre, nicht zuletzt der Abfall von Renegaten.

Auch bei  Gramsci taucht  der Begriff des fascio für das Proletariat als einer idealen Einheit auf – ein von den italienischen Sozialisten des 19. Jahrhunderts entworfenes Bild. (282, 291). Natürlich steckt in dem Wort fascio (= Bund, Verband)“) noch nicht Gestalt und Praxis der faschistischen Kampfbünde. Nichtsdestoweniger erkennt Scruton in der von Neomarxisten, aber auch von Sartre, etablierten – und ritualisierten – Kategorie der „Totalität“ eine Geistesverwandtschaft zu dem von Giovanni Gentile, dem abtrünnigen Croce-Schüler und Chefintellektuellen des italienischen Faschismus, propagierten „totalen Konzept des Lebens“. Scruton: „Die Rhetorik der Totalität verbirgt die Leere im Herzen des Systems, wo eigentlich Gott hingehörte.“ (136)

Relativismus als neuestlinker Dogmatismus

Amerikanische Konservative unterschiedlicher Couleur, die mit dem Namen Gramsci womöglich wenig anfangen können und auch von Marx (und den Marxismen) nicht allzuviel wissen, nennen das, was sich seit mehr als zwanzig Jahren an den Universitäten und in den Medien abspielt, als „Kulturmarxismus“.  Auch Scruton spricht von „Gramscis Kulturrevolution“, die in die USA transferiert, „zum kulturell zersetzenden Wurm“ wurde.  (331)    

Scruton verweist auf die Paradoxie des von Propheten der Postmoderne verkündeten Destruktionismus: die für kulturrelativ, machtbesetzt, „kolonialistisch“ usw. erklärten Denktraditionen der westlichen Kultur werden im Zeichen der political correctness durch das postmoderne Curriculum allumfassender Gleichwertigkeit – mit Ausnahme der „alten weißen Männer“ als neues Hassobjekt anstelle der Bourgeoisie – ersetzt. Es handelt sich um nichts anderes als um eine theoretisch ungeordnete, nichtsdestoweniger absolute Gültigkeit beanspruchende Dogmatik, über deren Einhaltung die akademischen Wächter der neuen Orthodoxie befinden.

Scruton geht noch einen Schritt weiter. Die links-progressistischen Relativisten gehören zum Lager des Liberalismus – ein mittlerweile auch auf die europäischen Liberalen ausweitbarer Begriff des liberalism. Unter dem Signum der Beliebigkeit von Meinungen und Freiheit der Lebensstile praktiziert der von hegemonialen Kulturlinken besetzte Liberalismus Zensur über die Kritiker des ideologischen Absolutismus. (330)   

Die Herrschaftstechnik der neuesten – und  früherer – Linken bestehe darin, für konservative Kritiker ihrer Ideologie die Beweislast umzukehren. Niemand, so schließt Scruton, habe dies „klarer erkannt als der reformierte Totalitäre Platon.“ (397) Er wisse aber, dass sein Versuch, die Beweislast umzukehren, von seinen linken Gegnern niemals angenommen werde. (398) Mit dieser  resignativ klingenden Feststellung, die von „Linken“ als Hochmut ausgelegt wird, scheint Scruton die tiefe Spaltung, die in der amerikanischen Gesellschaft aufgebrochen ist und auch in Europa zu erkennen ist, als unabänderlich hinzunehmen, ohne noch auf eine Überwindung der ideologischen Gegensätze zu hoffen.  Herbert Ammon

Roger Scruton: Narren Schwindler und Unruhestifter. Linke Denker des 20. Jahrhunderts, München (FinanzBuch Verlag) 2021, 410 Seiten