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Montag, 3. März 2014

Alfano


Man sieht es ihm nicht an, aber Alfano ist einer der besten Redner Italiens. Seine Wortgewandtheit und Klarheit wirklich beneidenswert. Nur Berlusconi, Grillo und Renzi sprechen mit derselben spontanen Anschaulichkeit und sind dabei überdies auch noch witzig. Alfanos Sprache ist elegant und immer höflich, ohne aufdringlich zu wirken, seine Sarkasmen sind treffend, aber witzig ist er nie: er bringt nie jemanden zum Lachen. Überraschend an ihm ist, dass er nie dazu neigt, einen Sündenbock zu suchen. Das ist für Italien derart ungewöhnlich, dass es ihn geradezu einzigartig erscheinen lässt, zumal es ein katholischer Zug ist. 

Paradoxerweise ist sein Fehlen ein Anzeichen für 150%-ige Katholizität. Um den Sündenbockreflex nicht zu haben, muss man normalerweise eigentlich Kardinal sein, und selbst dann... zum Beispiel für Bertone würde ich die Hand nicht ins Feuer legen.

Als ich Alfano zum ersten Mal sah, war mein erster Gedanke "Das ist der Brückenkopf der Mafia in der Hauptstadt." Ich habe außer seinem Gesichtsausdruck aber kein einziges weiteres Indiz für diesen Verdacht. Trotzdem ist mein Verdacht so stark, dass mich wahrscheinlich nie etwas davon abbringen wird. Als ich erfuhr, er sei in Agrigent aufgewachsen, hat mich das zusätzlich bestärkt. Dass er unter den Hochzeitsgästen bei der Hochzeit der Tochter eines Bosses war, erfuhr ich erst heute. Aber es fällt für mich weniger ins Gewicht, als das, was ich in seinem Gesicht zu erkennen meine. Bin ich verrückt? Sind das nicht völli irrationale, aus der Luft gegriffene Mutmaßungen? Nein, ich bin nicht verrückt, und meine Mutmaßungen sind alles andere als irrational. Es ist "ratiomorphe Gestaltwahrnehmung", um es in der Terminologie von Konrad Lorenz zu sagen. Ich weiß natürlich, dass ich mich irren kann. Aber ich weiß auch, dass mich wahrscheinlich nie etwas von diesem Verdacht abbringen wird. So sehr ich ihn selber gerne los würde. Denn ich schätze ja Alfanos Klarheit, Folgerichtigkeit, Spontaneität, intellektuelle Fairness und Wendigkeit. Dennoch ist er mir unheimlich - wie alle Sizilianer, mit denen Berlusconi sich im Lauf der Zeit umgeben hat. Das Beunruhigendste an Berlusconi ist ja gerade die Tatsache, dass sich unter den Sizilianern in seiner Nähe kein einziger befindet, der vertrauenerweckend wäre. Und der einzige dieser Sizilianer, der nicht von einer düsteren Aura umgeben ist, sondern mit unbefangenem Freimut zu seinen kontroversen Entscheidungen steht - der hochgebildete Dell'Utri, der Berlusconis Partei aufbaute und lancierte, ist ausgerechnet auch der einzige, dem die Justiz eine enge Freundschaft zu einem Mitglied der "ehrenwerten Gesellschaft" nachweisen konnte.

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