Aber die Deutschen brauchen sie wie das Kind die Muttermilch. In diesem Zusammenhang ist besonders merkwürdig, dass die Filmserie "Heimat" von Edgar Reitz in Italien einen größeren Erfolg hatte als in Deutschland.
Die Briten brauchen auch keine Identitäre Bewegung, oder nur kaum (Komplexe haben sie eigentlich gar keine, aber sie machen eine Politik, die fast genauso irre ist wie die deutsche; anders gesagt: wir imitieren die Angelsachsen überschießend).
Die Spaltung des Westens ist auch daran ablesbar, dass sich sektenartige Initiativen bilden, die die Wahrheit für sich pachten. Ich bin unangenehm berührt, wenn gerade diejenigen, denen ich mich eigentlich nahe fühle und denen ich zugestehe, dass es ihnen um den Kampf gegen die Unwahrheit geht, beginnen, die Wahrheit auf ihre Fahnen zu schreiben. Das ist eine Anmaßung, die nicht gut enden kann und gilt z.B. für die italienische Zeitung "La Verità" (die sich ja genau wie die Prawda nennt; peinlicher geht es also nicht) und eben auch für diese Vollversammlung. Mag sein, dass Klaus Kelle diese Bezeichnung aus Ironie gewählt hat..., aber nur so halb und halb. Es ist kein gutes Symptom.
Wenn es schon ein halb und halb ironisch gemeinter Slogan sein muss, finde ich "Hauptquartier der Meinungsvielfalt" am treffendsten und sympathischsten.
Ohne Meloni und Höcke sind wir Verbrechern ausgeliefert, die nicht vor Menschenversuchen zurückschrecken und Sexualität, Klimaangst, Medizin und Ernährungslehre benutzen, um die Mehrheit zu unterjochen.
Gloria von Thurn und Taxis und Roger Köppel sind die Kerzen in der Finsternis. Beide haben Italien verstanden (im Gegensatz zu Dirk Schümer und Martin Mosebach) und daraus die richtigen Konsequenzen gezogen (im Gegensatz zu Markus Lanz und Sandra Maischberger). Die Italiener brauchen keine Identitäre Bewegung, weil in Italien jeder, ausnahmslos jeder, seit jeher identitär ist.
Das Buch von Kim de l’Horizon habe ich bis auf ein paar Passagen nicht gelesen und werde mich darum dazu nicht äußern.
Aber nachdem ich die Bilder der Preisverleihung gesehen habe, treibt mich die Frage um: Welches Frauenbild hat eigentlich Kim de l‘Horizon und mit ihm offenbar auch andere, wenn nicht die meisten non-binären Männer?
Immerhin retten sie das Wort Frau, das aus dem woken Wortschatz ja weitgehend eliminiert ist. Da man sie aber schlecht als menstruierende oder Personen mit Gebärmutter bezeichnen kann, sie sich aber nur zur Hälfte als Mann und zur anderen als, ja was? dann eben doch als Frau fühlen, muß man dieses Unwort notgedrungen zulassen. Vielen Dank!
Aber wie sieht die Frau im Innern oder in der Sehnsucht non-binärer Männer eigentlich aus? Grell geschminkt, lächerlich gekleidet, einem Zirkusgaul ähnlicher als einer Frau, es ist die Karikatur einer Frau, die Verhöhnung der Weiblichkeit auf offener Bühne, der sogar die Frauen im Publikum verzückt lächelnd applaudieren.
Während Weiße keine Dreadlocks tragen dürfen, sich in Musik, Kleidung, und Speisenzubereitung auf die eigene kulturelle Tradition beschränken sollen, Schwule nur noch von schwulen Schauspielern gespielt werden dürfen und eher ein unbegabter Fettwanst einen Fetten spielen darf als ein Begabter in einem Fettanzug, während also gegen die „kulturelle Aneignung“ an Irrsinn grenzende Kämpfe geführt werden, ist dieser Artenschutz für Frauen offenbar nicht vorgesehen. Nicht nur wurden sie von der queeren Transgemeinschaft verbal gekillt, auch ihr Bild, ihre Würde darf unter öffentlichem Applaus der Lächerlichkeit preisgegeben werden.
Als Thomas Neuwirth, ein bekennend schwuler Mann, als Conchita Wurst 2014 beim Eurovision Song Contest die Bühne betrat, sah das Publikum eine bärtige Frau in einem eleganten roten Kleid, eine Kunstfigur, die zwar irritierte, aber nicht lächerlich war, eigentlich sogar eine Hommage an die Schönheit der Frau.
Kim de l’Horizons Verkleidung ist keine Kunstfigur, das ist er selbst, und ich frage mich, welche Art von Frauen dafür eigentlich als Modell gedient haben.
Es scheint, als reiche die Vorstellungskraft non-binärer und anderer Transaktivisten über die sexuelle Funktion der Frau nicht hinaus, worin ohnehin die Anmaßung dieser Trans-und Queerbewegung liegt, deren Thema ja nicht der Mensch als soziales, nicht einmal biologisches, sondern ausschließlich als sexuelles Wesen ist, als sei unser ganzes Leben nur davon bestimmt, wer mit wem ins Bett geht und wir uns fortan jeden Menschen genau in dieser Lebenslage vorstellen sollen.
Gibt es eigentlich ein vergleichbares Zerrbild des Mannes durch non-binäre Frauen? Oder saugt nur der non-binäre Mann die Frau in sich auf und präsentiert sich als der einzige ganzheitliche Mensch der Zukunft, dem die Wissenschaft nur noch die Gebärfähigkeit erfinden muß? Monika Maron
Das ist ein großer Verlust für alle freiheitsliebenden Menschen. Vor ein paar Jahren (2013 oder 14) wurde ernsthaft erwogen, Servus.TV einzustellen, was dann glücklicherweise nicht geschah. Und jetzt? Ich hoffe sehr, Mateschitz ist es gelungen, eine Lösung zu finden, um testamentarisch festzulegen, dass der Sender in seinem Sinn weiterexistiert und um sicherzustellen, dass Personen seines Vertrauens sich durchsetzen können. Julius Caesar gelang es dank dem aufgeweckten Augustus durch sein bei den Vestalinnen deponierten Testament auch nach seinem Tod weiterzuregieren. Mateschitz persönlich hatte Roger Köppel für die Moderation von "Der Pragmaticus" ausgewählt.
Nicht 100% Wirksamkeit wurde behauptet, sondern 95%, wobei von allen Medien mit großer Reichweite und hoher Einschaltquote suggeriert wurde, es sei absolute Wirksamkeit gemeint, obwohl das von Pfizer mitgeteilte Ergebnis über die 40.000 Getesteten relative Wirksamkeit zum Gegenstand hatte. Weshalb relative Wirksamkeit so gut wie nichts aussagt, erfährt man hier.
In einem bezeichnenderweise von der Website "Afrique Asie" nachgereichten "Marianne"-Artikel vom 28.09.2022 liest der französische Anthropologe und Historiker Emmanuel Todd den Westlern die Leviten:
„Wie sieht uns der 'Rest der Welt'? Die Anthropologie sagt uns, dass er sich zu 75% zu vaterrechtlichen, nichtindividualistischen, wenig feministischen* und meist homophoben Familienwerten bekennt. Unsere ultraindividualistischen, feministischen und LGBT-Werte missfallen ihm. [.....] Die bittere Wahrheit ist, dass der Rest der Welt uns nicht mag. Dazu gedrängt, zwischen dem Westen und den Russen zu wählen, könnte er die Russen wählen.“
Lassen wir Eric Werner ("Antipresse", 23.10.2022) das letzte Wort:
„Ist ein geopolitischer Krieg nichts als geopolitisch, ist er bis zu einem gewissen Grad noch beherrschbar. Die Eskalation zum Äußersten steht nicht von vornherein fest. Ist er zusätzlich ideologisch, liegt der Fall ganz anders. Da wird es sehr schwierig, die Eskalation zum Äußersten zu vermeiden.“
Nur ein Trottel wie Steinmeier kann sich auf BBC-Umfragen berufen, um sich und Deutschland etwas einzureden. Allein die Tatsache, dass Deutschland die besten Bewertungen ausgerechnet aus Italien erhielt, zeigt wie unseriös die BBC-Umfrage sein muss. Besonders, wenn man aus der Zustimmung, "positiven Einfluss in der Welt" betreffend, Beliebtheit ableitet, wie es der weltfremde Megatrottel natürlich punktgenau vorhersehbar auch tut.
Derselbe Menschenschlag, der in den 70ern und 80ern ohne jegliche Evidenz blindlings behauptete - ohne jemals die Notwendigkeit zu verspüren, es zu belegen - alles, was nicht feministisch und sozialistisch sei, sei keine anthropologische Konstante, von der es nur lokale Abweichungen aufgrund besonderer Bedingungen gebe, sondern einer willkürlichen Verirrung geschuldet, macht heute mit derselben Unbefangenheit und unerbittlichen Allergie gegen Belege und wissenschaftliche Evidenz jedermann verrückt. Mit dem Unterschied, dass es früher nur Außenseiter - wie z.B. der schreckliche* Günter Amendt, der Anfang der 90er sogar im Nachmittagsprogramm des Fernsehens besorgte Mütter mit seinen auf Rosinen, die er sich aus maßgeschneiderten Statistiken herausgepickt hatte, fußenden Lügen verunsichern durfte - waren, die sich darauf versteiften, dem Rest der Welt ihr Evangelium auf Augen und Ohren drücken zu müssen, während es heute eine ganze Medienkaste ist, die aus "Individuen" (wenn man die Teilglieder eines Schwarms so bezeichnen kann) besteht, die aus freien Stücken den von diesen Außenseitern abgesonderten Seim aufsaugten. Kann eine didaktische Katastrophe innerhalb einer demokratischen Gesellschaft vollständiger sein? Ich will mich rühmen: Dass die Demokratie mit ihrer flachen, unseriösen, faden Rumdiskutiererei fragil ist, habe ich immer geahnt. Wie es der amerikanischen Demokratie gelang, vor allem bevor es das Fernsehen gab, so lange zu überleben, ist eine Frage, die mich seit über 50 Jahren beschäftigt.
* Ganz im Gegenteil erstaunlicherweise zu seinem Zwillingsbruder!
Dass ein Teil der BAFöG-Intellektuellen als schreckliche Spießer enden könnte, argwöhnte ich schon während meiner Schulzeit. Aber dass alle als solche enden würden und ihr Beispiel sogar Schule machen könnte, das ging weit über das hinaus, was ich mir in meinen pessimistischsten Momenten hätte vorstellen können.
Man meint, grotesker können die Kennzeichen einer Veränderung zum Schlechten in einem Rechtsstaat, in dem die Bürger in freien Wahlen bestimmen, wer regiert, nicht sein. Aber dann kommt noch hinzu, dass die FAZ unlesbar geworden ist, während die BILD lesenswert wurde.
Nach dem entsetzlichen Mord an der 12-jährigen Lola durch eine ausreisepflichtige Algerierin äußert sich auch Eric Zemmour: "Cette
histoire dépasse ses parents. C’est toute la France qui est concernée. …
Il y a une responsabilité de l’État. L’État, vous savez, on l’a appris
jadis quand on était étudiant, l’État fonde sa légitimité sur la protection
de tous. C’est pour ça que chacun d’entre nous a renoncé à se faire
justice soi-même. Si l’État ne fait plus son boulot, il y a un problème
majeur" ("Diese Geschichte geht nicht nur die Eltern an. Ganz Frankreich ist davon betroffen. ... Da gibt es eine Verantwortung des Staates. Der Staat hat, wie wir einst als Schüler lernten, seine Legitimität auf den Schutz von uns allen gegründet. Es geschah aufgrund dessen, dass jeder von uns darauf verzichtet hat, sich durch Selbstjustiz Recht zu verschaffen. Wenn der Staat seinen Job nicht mehr macht, dann haben wir ein Riesenproblem").
1983 sagte ich mir, sozusagen "unter zwei Augen" (weil man das nicht ungestraft einfach so sagen konnte damals in der roten Toskana), dass man es als Europäer wahrlich gut hat (solange es nicht durch irgendeine unvorhergesehene Verwerfung zu einem Nuklearkrieg an dem Ort käme, den ich als Auge des Orkans ansah: Europa. Den dort bestehenden, dauerhaft scheinenden Frieden sah ich nie als Ergebnis kluger Politik, sondern als Resultat von Erschöpfung einerseits, der ängstlichen Zurückhaltung gegenüber nuklearen Abenteuern andererseits - die aber erstens nicht ewig anhalten würde und zweitens sofort wegfallen würde, sobald nuklear abgerüstet würde - , drittens (was den Frieden in Europa betrifft) der Tatsache, dass die USA die Europäer an der Kandare haben (sobald sie uns uns selbst überlassen, ist der Frieden innerhalb Europas keineswegs mehr sicher) und letztlich des unverhofften Glückes), denn überall andernorts fehlte allzu viel zum Glück.
In Russland und China fehlten Freiheit und gesundes gesellschaftliches Miteinander (Isaak Sterns Film "Mozart in China" zeigte zusätzlich noch, wie barbarisch sich der Maoismus auf die Kulturpolitik ausgewirkt hatte). In Australien dürsteten alle gebildeten Menschen nach europäischer Kultur und litten darunter, dass die ältesten Baudenkmäler aus dem 19. Jahrhundert stammen, in den USA gab es zwar die demokratische Verve und die Vitalität des Jazz und der Filmkunst und auch etwas bedeutende Literatur, aber auch eine Form des Kapitalismus, die sich nicht mit Ludwig Erhard messen kann und abgesehen von Kalifornien, Florida, New England und New York und der herrlichen Natur Colorados immens viel schlechten Geschmack. Und in Afrika ruinierte der Postkolonialismus mehr als der Kolonialismus geschadet hatte. In Europa sollte man sich zwar dafür schämen, weiß zu sein (wegen der Schwarzen und der Indianer), Mann zu sein (wegen der Hominidinnen und ihrer Nachfahren), Deutscher zu sein (wegen der Juden), Italiener zu sein (wegen der Mafia), Europäer zu sein (wegen aller anderer Kulturen, die weniger geleistet haben und wegen des ach so bitterböhsen Kolonialismus), aber ich dachte bei mir "unter zwei Augen", dass ich lieber froh bin, Europäer zu sein, als mich dafür zu schämen.
Und jetzt sehe ich sehr ungern - nachdem die Wiedervereinigung mir viel Mut gemacht hatte, dass es auch zu einer klugen europäischen Einheit kommen könnte -, wie alles den Bach runtergeht, weil bereits die Generation Kohl, Stoiber, Waigel gar nicht so realistisch war, wie ich gedacht hatte, sondern viel zu blauäugig auf die vermeintlich selbstreinigende Natur von Marktmechanismen gesetzt hatte, die sich aber nur dort entfalten können, wo sie durch einen Rechtsstaat eingerahmt sind, der traditionell gewachsenem Konsens den Weg bahnt.
Was wurde uns nicht alles über Friedrich Wilhelm I. erzählt, um ihn zu verhöhnen und lächerlich zu machen. Aber die "langen Kerls" waren bereits eine wichtige Waffe im alten Rom, wo die kaiserliche Leibgarde unter anderem deshalb aus dem hohen Norden stammten, weil sie einen Kopf größer als die Italiener waren (obwohl sie im Durchschnitt damals nur 1,70 m maßen). Später gab es lange Kerls auch im oströmischen Reich.
Friedrich Wilhelm beschützte seine Bevölkerung jedenfalls besser als es die Politiker meiner Generation tun (ganz zu schweigen von den auf sie folgenden Generationen), die in ihrer Jugend alle von ihren Geschichtslehrern mit der Verhöhnung Preußens und speziell Friedrich Wilhelms zugedröhnt wurden.
Lest, was Jochen Klepper über den Vater Friedrichs des Großen schrieb! Und misstraut euren Geschichts- und Deutschlehrern, denn die Lage hat sich nicht gebessert, sondern weiter verschlechtert.
Die Kleine Braunelle (Prunella vulgaris) wurde heute als Blume des Jahres 2023 bekanntgegeben. Leonhart Fuchs schreibt 1543 in seinem berühmten Kräuterbuch:
"Braunell hat seinen namen daher / das diß kraut seer bewäret ist wider der Breüne im mund. Würdt von ettlichen Gottheyl genent. In den Apotecken würt sie Prunella geheyssen. Wie aber sölchs kraut bey den alten sey genent worden / und ob es denselbigen bekant sey gewesen oder nit / ist mir noch nit bewüßt."
Bis heute ist unklar, ob die Pflanze bereits in der griechisch-römischen Antike medizinisch verwendet wurde. Gut abgesichert ist die Verwendung im Spätmittelalter und der Frühneuzeit, vor allem bei der von Fuchs erwähnten Bräune (Diphtherie). Der Name dürfte sich aber eher von der Farbe des Fruchtstandes ableiten. Aber die wurde ja seit Paracelsus und dessen Signaturenlehre als wichtiges Indiz für Anwendungsmöglichkeiten angesehen. Paracelsus lehrte eben nicht nur kluge Einsichten wie die, dass es nur eine Frage der Dosis ist, ob etwas Gift ist oder nicht, sondern auch Dinge, die heute als mittelalterlich abqualifiziert werden, obwohl Paracelsus gar nicht im Mittelalter lebte, sondern zur Zeit von Kopernikus (beide studierten wahrscheinlich sogar gleichzeitig in Ferrara).
Und während wir Cora Stephan zuhören, um eine geteilte Zeit zu mitgeteilter Zeit zu machen, wollen wir darüber nachdenken, wie die Linke einen wundervollen demokratischen Aufbruch zunichte machte und heute, vor nichts haltmachend, alles Bewährte mit in den Abgrund stürzt.
Der israelische Historiker Martin van Creveld beschreibt die deutsche Wehrmacht
FOCUS: Herr Professor van Creveld, war die Wehrmacht, wie viele Kriegsteilnehmer meinen, die beste Armee der Welt?
van
Creveld: In Sachen Organisation, Training, Lehre, Taktik und
Operationskunst mag das stimmen. Die Wehrmacht hat dem Gegner stets
größere Verluste zugefügt, als sie selbst erlitt. Die Feldzüge der Jahre
1940-41 sind nahezu legendär geworden, nicht umsonst haben Offiziere
auf der ganzen Welt sie studiert. Aber der Krieg ist nicht auf der
operativen, sondern auf der strategischen Ebene entschieden worden. Hier
liegt das Versagen der Wehrmacht auf der Hand.
FOCUS: Weil sie
niemals, wie Sie in einem Aufsatz schreiben, im Stande war, einen
Offizier hervorzubringen, der das gesamte Spektrum des Krieges
überblicken konnte?
FOCUS: Herr Professor van Creveld, war die Wehrmacht, wie viele Kriegsteilnehmer meinen, die beste Armee der Welt?
van Creveld: In Sachen Organisation, Training, Lehre, Taktik und Operationskunst mag das stimmen. Die Wehrmacht hat dem Gegner stets größere Verluste zugefügt, als sie selbst erlitt. Die Feldzüge der Jahre 1940-41 sind nahezu legendär geworden, nicht umsonst haben Offiziere auf der ganzen Welt sie studiert. Aber der Krieg ist nicht auf der operativen, sondern auf der strategischen Ebene entschieden worden. Hier liegt das Versagen der Wehrmacht auf der Hand.
FOCUS: Weil sie niemals, wie Sie in einem Aufsatz schreiben, im Stande war, einen Offizier hervorzubringen, der das gesamte Spektrum des Krieges überblicken konnte?
van Creveld: Ja, im Gegensatz etwa zu den besten amerikanischen Kommandeuren, die im globalen Maßstab denken und politische Faktoren so gut wie militärische bewerten konnten. Das war übrigens ein Grund, warum Hitler den Bogen immer weiter spannen und Deutschland schließlich in eine katastrophale Niederlage führen konnte.
FOCUS: Hätte die Wehrmachtsführung strategisch gedacht, hätte sie sich auf diesen Krieg doch nie einlassen dürfen, oder? Dann ist Hitlers Größenwahn in gewissem Sinn die Ursache für die Leistung der Wehrmacht ...
van Creveld: Hätte Hitler Deutschland nicht in diesen Krieg geführt, niemand hätte erfahren, was für eine glanzvolle Kampfmaschine die Wehrmacht war, wohl wahr. Im Ernst: Das Prestige, das die deutschen Generäle genossen, war so hoch, dass sie es beinahe als Belästigung empfunden haben würden, über irgendetwas anderes nachzudenken als darüber, Krieg zu führen. Die Wehrmacht besaß keine Schulen für Offiziere oberhalb des Majorsrangs – das Produkt der Kriegsakademie war ein Oberstleutnant, dafür qualifiziert, als Divisionsstabschef zu dienen. Aus diesen Gründen war die oberste Ebene der Wehrmacht möglicherweise nicht so gut wie die der Amerikaner oder der Sowjets.
FOCUS: Ende der 90er-Jahre erschienen in einem deutschen Verlag zwei Bände mit Kurzporträts von Hitlers militärischer Elite. Es gab wohl keinen Beitrag, in dem der Begriff „Verbrechen“ nicht vorkam. War die Wehrmacht eine verbrecherische Organisation?
van Creveld: Jeder kann jeden einen Verbrecher nennen. In Nürnberg ist die Wehrmacht – im Gegensatz zur SS und zu anderen Nazi-Organisationen – nicht als kriminelle Organisation bezeichnet worden. Ohne Frage lieferte die Wehrmacht den Einsatzgruppen, deren Job es war, Juden zu erschießen, logistische Unterstützung. Ohne Frage waren zahllose Wehrmachtsangehörige, von der Spitze bis ins Glied, informiert über die Gräueltaten. Zu sagen, die Behandlung der sowjetischen Kriegsgefangenen sei inhuman gewesen, wäre eine Untertreibung, und zahlreiche deutsche Soldaten begingen im Partisanenkrieg Gräueltaten, indem sie die Unterschiede zwischen Guerilla, Nichtkombattanten und Juden oft ignorierten. Aber die Wehrmacht insgesamt als verbrecherisch zu bezeichnen – ich würde zögern, das zu tun.
FOCUS: Ende 1941 befand sich die Wehrmacht in der einzigartigen Situation, an der Ostfront mehr Kriegsgefangene zu haben als Angehörige. Inwieweit war das Massensterben in den Gefangenenlagern beabsichtigt und inwieweit Folge dieser chaotischen Lage?
van Creveld: Beides. Die gewaltige Zahl von Gefangenen war in der Tat ein großes Problem. Das entschuldigt aber nicht, dass deutsche Wachen auf russische Zivilisten schossen, die versuchten, den Gefangenen zu essen zu geben – und ebensowenig die schrecklichen Bedingungen, die in den Lagern herrschten.
FOCUS: Nicht nur die Wehrmacht hat Kriegsgefangene umgebracht – das tat auch die Rote Armee...
van Creveld: Die Wehrmacht hat nicht nur sowjetische Kriegsgefangene erschossen, sie ließ sie auch systematisch verhungern, sobald sie in Deutschland interniert waren. Und es war nicht Stalin, der den Kommissarbefehl erteilt und zu seinen versammelten Generälen gesagt hat, im kommenden Krieg gegen die Sowjetunion sollten sie ihre altmodischen Ideen von Ritterlichkeit vergessen.
FOCUS: Das verstand sich für Stalin von selbst. Hitler hat sich nicht an die Haager Landkriegsordnung gehalten, aber die Sowjetunion hat sie gar nicht erst beziehungsweise erst zwei Jahre nach Stalins Tod unterzeichnet. Welchen Anteil hatte der Kreml-Chef an der Eskalation des Krieges?
van Creveld: Wenn Sie darauf hinauswollen, dass er ebenso erbarmungslos war wie Hitler, stimme ich zu. In der gesamten Geschichte gab es keinen Führer, der die harte Tour besser beherrschte als Stalin. Ich bezweifle, dass er schon im Herbst 1941 angreifen wollte, wie manche Autoren behaupten. Ich habe aber keinen Zweifel: Früher oder später, wenn Deutschland in einen Krieg mit England und den USA verwickelt gewesen wäre, hätte er sich genommen, was er wollte. Nach den Ribbentrop-Molotow-Gesprächen im November 1940 zu urteilen, wären das Rumänien, Bulgarien, der Zugang zur Nordsee, die Dardanellen und wohl auch jene Teile Polens gewesen, die zu dieser Zeit unter deutscher Herrschaft standen.
FOCUS: Inwieweit musste sich die Wehrmachtsführung vom sowjetischen Aufmarsch im Sommer 1941 bedroht fühlen?
van Creveld: Sehr. 1941 war die Rote Armee die größte der Welt. Stalin mag, wie gesagt, nicht geplant haben, Deutschland im Herbst 1941 anzugreifen. Aber es wäre schwer zu glauben, dass er nicht die Gelegenheit genutzt hätte, dem Reich irgendwann in den Rücken zu fallen.
FOCUS: Was hätte die Wehrmacht im Sommer 1941 also tun sollen, außer anzugreifen?
van Creveld: Gute Frage. Ich sehe die Sache so: Zuerst hat Hitler Polen attackiert, weil er befürchtete, wenn er zu lange wartete, werde sich Deutschlands militärische und politische Situation verschlechtern. Als Nächstes attackierte er Dänemark und Norwegen, weil er dachte, die Westmächte würden es sonst vor ihm tun; dann die Benelux-Staaten, Frankreich und England, weil er glaubte, sie würden Deutschland sonst in einem langen Krieg zermürben; danach die Sowjetunion, weil er fürchtete, Stalin werde ihm früher oder später in den Rücken fallen, und am Ende die USA, weil sonst niemand mehr übrig war. Hätte er im Raumfahrtzeitalter regiert, er hätte zweifellos versucht, den Mond zu besetzen, um einer Attacke vom Mars zuvorzukommen. Und es würde eine Menge von Generälen gegeben haben, die diese Befehle ausgeführt hätten.
FOCUS: Es gibt eine Theorie, wonach große Reiche weniger aus Expansionsgier denn aus Angst entstehen. Rom etwa ist nach diesem Modell groß geworden, weil es einen Nachbarn nach dem anderen angriff, von dem es sich bedroht fühlte – was im Falle Karthagos oder Germaniens ja nicht aus der Luft gegriffen war. Auf Hitler gedreht: War die Bedrohung, die er empfand, irgendwo real?
van Creveld: Hitlers Grundidee war: Deutschland wird entweder eine Großmacht oder – angesichts der erstaunlich an Wachstum zulegenden Sowjetunion auf der einen und der USA auf der anderen Seite – überhaupt keine Macht. Das war keine schlechte Prognose. Zu seinen Generälen sagte er im November 1937, der Krieg werde zwischen 1943 und 45 beginnen oder die neue Ausrüstung der Wehrmacht werde veraltet sein. Auch das war keine schlechte Prognose. Zuletzt haben wir bereits festgestellt: Hätte Hitler Stalin nicht angegriffen, hätte Stalin nahezu sicher an irgendeinem Punkt Hitler angegriffen. Möglicherweise ist die Lektion aus alledem einfach: Angst ist ein schlechter Ratgeber.
FOCUS: Sie sagen, Stalin hätte angegriffen. Wissen Sie, dass in Deutschland eine solche Meinung als Verharmlosung Hitlers gilt?
van
Creveld: Als Jude und Israeli, der Teile seiner Familie im Holocaust
verloren hat, darf ich wohl sagen, dass Hitler und das Dritte Reich
schreckliche Verbrechen gegen mein Volk begangen haben. Aber sie taten
noch anderes: Sie nagelten Generationen von Deutschen, die nach ihnen
kamen, an das Hakenkreuz, von dem herabzusteigen, wie ich fürchte, sehr
schwer sein wird. Mit anderen Worten: Was in Deutschland im Kontext
Ihrer Frage als angemessen gilt, ist nicht meine Sache. Es sind die
Deutschen, die das Hakenkreuz tragen müssen, nicht ich.
FOCUS:
Wann war der Krieg für die Wehrmacht nach Ihrer Meinung verloren? Nach
Dünkirchen? Mit dem Angriff auf die Sowjetunion? Vor Moskau?
FOCUS: Sie sagen, Stalin hätte angegriffen. Wissen Sie, dass in Deutschland eine solche Meinung als Verharmlosung Hitlers gilt?
van Creveld: Als Jude und Israeli, der Teile seiner Familie im Holocaust verloren hat, darf ich wohl sagen, dass Hitler und das Dritte Reich schreckliche Verbrechen gegen mein Volk begangen haben. Aber sie taten noch anderes: Sie nagelten Generationen von Deutschen, die nach ihnen kamen, an das Hakenkreuz, von dem herabzusteigen, wie ich fürchte, sehr schwer sein wird. Mit anderen Worten: Was in Deutschland im Kontext Ihrer Frage als angemessen gilt, ist nicht meine Sache. Es sind die Deutschen, die das Hakenkreuz tragen müssen, nicht ich.
FOCUS: Wann war der Krieg für die Wehrmacht nach Ihrer Meinung verloren? Nach Dünkirchen? Mit dem Angriff auf die Sowjetunion? Vor Moskau?
van Creveld: Das sind die Wendepunkte, die man so nennt. Es gibt eine Reihe von interessanten neuen Publikationen zu dieser Frage. Einige meinen, wäre 1944 die Invasion der Normandie gescheitert, dann hätte Deutschland den Krieg im Osten gewonnen, weil es eine Million Mann von der Westfront dorthin hätte versetzen können. In diesem Fall wären wahrscheinlich Heidelberg und Göttingen statt Hiroshima und Nagasaki von den ersten Atombomben getroffen worden.
FOCUS: Die Entscheidung über den Kriegsausgang fiel in Los Alamos; Stalingrad und Kursk waren Marginalien?
van Creveld: Ich würde noch weiter gehen: Stalingrad, Kursk und der Rest waren kleine Brötchen. Hiroshima markiert das Ende einer tausendjährigen historischen Periode. Während dieser Zeit wurde der Krieg größer und größer – bis zu jenem Zeitpunkt 1943, als die Wehrmacht zusammen mit der Waffen-SS über neun Millionen Soldaten umfasste. Sie war dafür geschaffen, konventionelle Kriege zu führen. Diese Art von Krieg kann heute nur noch gegen kleine und unbedeutende Staaten geführt werden, die selber keine Nuklearwaffen herstellen können – wie der Irak.
FOCUS: Die Einführung der Atomwaffen hat die konventionell geführten Kriege zwar eingeschränkt, aber keineswegs beendet. Inwieweit war die Wehrmacht nach dem Zweiten Weltkrieg anderen Armeen ein Vorbild?
van Creveld: Ich kann hier nicht annähernd darlegen, was alles nach 1945 über die Wehrmacht geschrieben worden ist. Während des Kalten Krieges war der Westen eher geneigt, von ihr zu lernen, als der Osten.Der Höhepunkt war um 1975 erreicht, als die USA den Vietnamkrieg verloren hatten und nach einem Nachfolgemodell suchten. Die Suche endete 1991, als ihr Sieg über Saddam Hussein die Amerikaner überzeugt hatte, dass sie von niemandem mehr lernen müssen.
FOCUS: Und Israel?
van
Creveld: In Sachen Strategie, Organisation, Doktrin und dem Verhältnis
zwischen den drei Waffengattungen ähnelte keine Armee des 20.
Jahrhunderts mehr der Wehrmachtals die israelische. Wir in Israel
können das jedoch nicht eingestehen. Als der Militärverlag Maarachot
vor etwa 30 Jahren eine Übersetzung der Memoiren von Dönitz
(Oberbefehlshaber der deutschen Kriegsmarine – d. Red.) herausbrachte,
gab es so starke Proteste, dass das Projekt gestoppt werden musste.
Nebenbei: Die Ausbildung israelischer Offiziere lässt sich nicht mit
jener der Wehrmacht vergleichen; das direkte Lernen gilt nur für
Situationen, wo ähnliche strategische Probleme zu ähnlichen
militärischen Lösungen führen.
FOCUS: In ihren Memoiren haben
verschiedene Wehrmachtsgeneräle geschrieben, durch die ständigen
Eingriffe Hitlers in den Kampfverlauf sei ihnen gewissermaßen ihr ganzer
Krieg vermasselt worden. Zu Recht?
van Creveld: In Sachen Strategie, Organisation, Doktrin und dem Verhältnis zwischen den drei Waffengattungen ähnelte keine Armee des 20. Jahrhunderts mehr der Wehrmacht als die israelische. Wir in Israel können das jedoch nicht eingestehen. Als der Militärverlag Maarachot vor etwa 30 Jahren eine Übersetzung der Memoiren von Dönitz (Oberbefehlshaber der deutschen Kriegsmarine – d. Red.) herausbrachte, gab es so starke Proteste, dass das Projekt gestoppt werden musste. Nebenbei: Die Ausbildung israelischer Offiziere lässt sich nicht mit jener der Wehrmacht vergleichen; das direkte Lernen gilt nur für Situationen, wo ähnliche strategische Probleme zu ähnlichen militärischen Lösungen führen.
FOCUS: In ihren Memoiren haben verschiedene Wehrmachtsgeneräle geschrieben, durch die ständigen Eingriffe Hitlers in den Kampfverlauf sei ihnen gewissermaßen ihr ganzer Krieg vermasselt worden. Zu Recht?
van Creveld: Die Generäle sahen sich selbst als die besten der Welt. Nachdem der Krieg verloren war, hatten sie ein Problem. Warum also nicht die Niederlage auf Hitler schieben, der sich nicht mehr verteidigen konnte? Die Wahrheit ist wohl ein bisschen anders. Als Hauptverantwortlicher für die Entfesselung und Führung des Krieges war Hitler ohne Frage auch der Hauptverantwortliche für die Niederlage. Schaut man aber, was die meisten Generäle während des Krieges von sich gaben, findet man, dass selten einer Hitlers Führungsanspruch in Frage stellte. Dönitz etwa notierte nach einem Treffen im Juli 1943: „Niemand kann das besser machen als der Führer.“ Während der letzten Kriegsmonate kam es wiederholt vor, dass Generäle mit dem Vorsatz zu Hitler gingen, ihm endlich die Wahrheit über die Lage zu sagen. Beinahe ebenso regelmäßig kamen sie begeistert zurück. Denn Hitler verglich die Situation mit derjenigen Friedrichs des Großen, beschwor die politischen Differenzen zwischen Deutschlands Feinden, oder er redete von den Wunderwaffen, die bald eingesetzt werden würden. Und die Generäle ließen sich überzeugen.
FOCUS: Andererseits haben alle drei Heeresgruppenchefs an der Ostfront gegen Hitlers Kriegsführung protestiert, so dass er sie Ende 41/Anfang 42 ablöste, und Erich von Manstein hat Hitler sogar mitunter bescheinigt, seine operativen Ideen seien Unsinn ...
van Creveld: Mit Ausnahme der UdSSR - mit Stalin streiten war zu gefährlich - gab es solche Debatten in allen Krieg führenden Staaten. Im Speziellen ist es nicht sicher, dass Hitlers „Keinen Schritt zurück“-Befehl Ende 1941 ein Fehler war. Zu dieser Zeit waren keine Stellungen vorbereitet; wäre der Rückzug genehmigt worden, wäre das Ergebnis möglicherweise die völlige Auflösung gewesen. Ich stimme zu, dass es sehr schwer ist, nachträglich die Verantwortung zuzuweisen. Dennoch würde ich die Argumente der deutschen Generäle gegen Hitler nicht überbewerten.
FOCUS: Apropos Manstein: War der Mann ein Genie, ein Kriegsverbrecher, beides?
van
Creveld: Er war gewiss ein Genie, obwohl er lediglich die Gelegenheit
besaß, es auf operativem Niveau zu zeigen. Ob er zu einem großen
Strategen hätte aufsteigen können, wissen wir nicht. Andererseits ist
Hitlers berüchtigter Kommissarbefehl in der Armee, die er kommandierte,
ausgeführt worden. In Mansteins Verantwortung fällt außerdem – da stimme
ich der Biografie meines Kollegen Marcel Stein zu – die Tolerierung,
wenn nicht aktive Unterstützung des Genozids auf der Krim, solange
dieses Gebiet unter seinem Befehl stand.
FOCUS: An Mansteins 80. Geburtstag
kam die Bundeswehr mit Brimborium zum Gratulieren. Inzwischen hat sie
jede Verbindung zur Wehrmacht gekappt. Was finden Sie angebrachter?
van Creveld: Er war gewiss ein Genie, obwohl er lediglich die Gelegenheit besaß, es auf operativem Niveau zu zeigen. Ob er zu einem großen Strategen hätte aufsteigen können, wissen wir nicht. Andererseits ist Hitlers berüchtigter Kommissarbefehl in der Armee, die er kommandierte, ausgeführt worden. In Mansteins Verantwortung fällt außerdem – da stimme ich der Biografie meines Kollegen Marcel Stein zu – die Tolerierung, wenn nicht aktive Unterstützung des Genozids auf der Krim, solange dieses Gebiet unter seinem Befehl stand.
FOCUS: An Mansteins 80. Geburtstag kam die Bundeswehr mit Brimborium zum Gratulieren. Inzwischen hat sie jede Verbindung zur Wehrmacht gekappt. Was finden Sie angebrachter?
van Creveld: Nach allem, was wir über Manstein wissen, ist es ein Fehler, ihn zu feiern. Andererseits muss man vorsichtig sein. Die menschliche Natur ist nicht so beschaffen, dass jemand für die Erhöhung des staatlichen Erziehungsbudgets um ein halbes Prozent sein Leben aufs Spiel setzen möchte; nur große und kraftvolle Ideen können ihn dazu bringen. Eine Organisation wie die Bundeswehr, die ihre Aufgabe nur erfüllen kann, wenn Männer bereit sind, dem Tod ins Auge zu blicken, kann einfach ohne Tradition nicht existieren. FOCUS 2005 Nr. 15
Von Putinversteher Montesquieu: "Le véritable auteur de la guerre n’est pas celui qui la déclare, mais celui qui la rend nécessaire". (Zit. n. Maurice Paz, ''Revue d’Histoire moderne et contemporaine'', 1974) "Der wahre Verantwortliche des Krieges ist nicht der, der ihn erklärt, sondern derjenige, der ihn notwendig macht."
Zu Putinversteher Berlusconi: Bruno Vespa in RAI 1: "Berlusconi macht sich Putins Ansicht über den Ukrainekrieg zu eigen". Berlusconi
gelingt es immer noch, im richtigen Moment das Richtige zu sagen. Als
Oppositionspolitiker war er schon immer unübertreffbar. Jetzt ist er
Opposition zur eigenen Koalitionspartnerin, herrlich. Er hat tatsächlich ins selbe Horn wie
SuperRosché gestoßen, nur ohne Roschés apologetische Eiertänze. Und
jetzt toben alle Moralapostel und Säulenküsser. Oberwokestrolch Enrico Letta verkündet gefasst und fußstampfend mit Stentorstimme das Selbstverständliche: "Wir werden diese Regierung nicht unterstützen!". Ich hoffe nur, es bleibt dabei, dass
Tajani Außenminister wird (der hat sich sofort von B distanziert:
"getrennt marschieren, vereint schlagen" als Commedia dell'arte). Deutsche Reporter haben nichts besseres im Sinn, als in Putins Geburtstagsgeschank an Berlusconi einen Verstoß gegen die EU-Sanktionen zu sehen; offenbar ist die deutsche Neigung, sich durch widerwärtige Peinlichkeit lächerlich zu machen, unaufhaltbar. Die sollten lieber darüber nachdenken, dass Italien 200 oder 250 Milliarden Euro als Recovery Fund zur Verfügung zu stellen, so ist, als wolle man einen Alkoholiker mit einem Fass Wodka heilen, und was das für die Schuldenunion bedeutet, von der Merkel wortwörtlich sagte, "solange sie lebe", werde es die nie geben, die sie dann aber unter der Hand doch einführte.
Es ist eine unglaubliche Geschichte, die sich vor einigen Tagen im EU-Parlament abspielte.
Die Pfizer Managerin Janine Small, verantwortlich für internationale Märkte, gab bei Hearings unverfroren und mit einem Verlegenheitslachen auf Fragen von Abgeordneten zu Protokoll, dass der Covid-19-Impfstoff von Biontech/Pfizer nie darauf getestet worden war, ob er die Übertragung des Virus stoppt. Kurt W. Zimmermann
Vince
Ebert verkörpert die erfrischende Gegenstimme im aktuellen
Krisenorchester. Sein Blick ist realistisch, aber nicht trübsinnig,
seine Aussagen humoristisch, aber fern von Leichtsinn. Vince Ebert,
studierter Naturwissenschaftler, nimmt die Krisen unserer Zeit ernst und
an, blickt aber optimistisch darüber hinaus — wie es der Titel seines
neuen Buchs nicht besser untermalen könnte: «Lichtblick statt Blackout».
Darin befasst sich Ebert, ein 54-jähriger
Physiker, mit der Energiekrise. Besser gesagt: mit der gescheiterten,
weil illusorischen, ja schöngefärbten Energiewende. Ebert, der zehn
Jahre lang das ARD-Format «Wissen vor acht» moderierte, analysiert
faktenbasiert, wissenschaftlich, frei von moralisierenden Einflüssen der
Apokalyptiker-Klimachöre.
Trübsal ist bei Ebert Fehlanzeige: Trotz
den bevorstehenden Herausforderungen – ein Winter mit knapper, teurer
Energie – blickt er zuversichtlich in die Zukunft. Wir haben den
Wissenschafts-Comedian in Berlin getroffen.
Weltwoche: Herr Ebert, wenn Sie an den Winter denken, wie ist Ihnen da zumute?
Vince Ebert:
Gerade wird Satire zur Wirklichkeit: «Das Netz ist der Speicher», «Die
Sonne schickt uns keine Rechnung» – das kann ich selbst als Satiriker
kaum toppen. Stellen Sie sich vor, das sagen offizielle Politiker.
Vielleicht ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, um als Satiriker ernster zu
werden.
Weltwoche: Herr Ebert, wenn Sie an den Winter denken, wie ist Ihnen da zumute?
Vince Ebert:
Gerade wird Satire zur Wirklichkeit: «Das Netz ist der Speicher», «Die
Sonne schickt uns keine Rechnung» – das kann ich selbst als Satiriker
kaum toppen. Stellen Sie sich vor, das sagen offizielle Politiker.
Vielleicht ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, um als Satiriker ernster zu
werden.
Weltwoche: «Zu zweit duschen, um Strom zu sparen»: Das hätte früher auf der Bühne sicher funktioniert.
Ebert:
Ganz sicher! Vor zehn Jahren habe ich einen Artikel veröffentlicht mit
dem Titel: «Die Hirnabschaltung in Deutschland». Denn als Physiker war
mir klar, was für ein Desaster auf uns zukommt. Damals, als die
Energiewende beschlossen wurde, haben das nur wenige ernst genommen.
Dass die Lage nun so dramatisch ist, hätte aber auch ich nicht gedacht.
Weltwoche: Für wie dramatisch halten Sie die Lage?
Ebert:
Wenn ich vor Wissenschaftlern spreche, vor Unternehmern und
Mittelständlern, sage ich schon: «Hey, wir müssen aufpassen, dass wir
nicht nach unten durchgereicht werden.» Wenn der Strom zu teuer wird
oder sogar fehlt, wirkt sich das fundamental auf unsere Wirtschaftskraft
und unsere Innovationsfähigkeit aus. Das bereitet mir Sorgen.
Weltwoche: Wo genau liegt das Problem?
Ebert:
Wir Deutsche sind eigentlich Tüftler. Die Ingenieurskunst ist genial,
made in Germany weltberühmt. Andererseits sind wir Romantiker: 19.
Jahrhundert, die Natur wurde beseelt. In den letzten Jahren sind wir
wieder zu sehr ins Romantische gekippt. Heisst, durch diesen
unglaublichen Wohlstand, den wir geschaffen haben, wuchs die Naivität,
das Wunschdenken wurde überproportional gross, dass wir uns gar nicht
mehr die Mühe machen, sie mit der Realität abzugleichen. Dabei ist es
trivial, dass die Energiewende, so wie wir sie aufgegleist haben, nicht
funktionieren kann – unsere Energiespeichersysteme und
Pumpspeicherkraftwerke reichen für vierzig Minuten Strom. Lediglich mit
Wind und Sonne gehen uns dann die Lichter aus. Nur hiess es bisher
immer: Ja, ja, so schlimm wird’s ja wohl nicht kommen. Und jetzt haben
wir den Salat.
Weltwoche: Viele schieben die Misere auf den Ukraine-Krieg, mit Putin als Übeltäter. Ist es so einfach? Wie sehen Sie das?
Ebert:
Der Krieg war nur Katalysator, nicht Auslöser. Die Fehler passierten
vor zehn Jahren. Was wir seither energiepolitisch tun, führt dazu, dass
das ganze Energiesystem fragiler wird. Irgendwann braucht’s nur einen
kleinen Anstoss, und das Kartenhaus fällt zusammen. Wäre das nicht der
Ukraine-Krieg gewesen, hätte ein anderes Ereignis dazu geführt. Im
Finanzmanagement sagt Ihnen jeder Investment-Berater, man solle das
Portfolio breit streuen, Risiken vermeiden, diversifizieren. Wir fahren
aber seit Jahren auf eine Einbahnstrasse zu, wir schalten Atomkraftwerke
ab, wollen auf Kohle verzichten, und der einzige Back-up, den wir
anstreben, ist Gas — das wir importieren. Diese Abhängigkeit fällt uns
jetzt komplett auf die Füsse.
Weltwoche: Wie beurteilen Sie die Sanktionen gegen Russland?
Ebert: Da muss ich passen. Als Naturwissenschaftler kann ich das politisch-ökonomisch nicht beurteilen.
Weltwoche: . . . und aus energiepolitischer Sicht?
Ebert:
Da ist es schon absurd! Dass Herr Habeck und Herr Scholz unlängst auf
der ganzen Welt unterwegs waren, um Gas zu erbetteln, teilweise in
Länder reisten, in denen Homosexuelle an Baukränen aufhängt und Frauen
wie Haustiere behandeln werden.
Weltwoche: Doppelmoral.
Ebert:
Der Punkt ist: Wir hätten mit Fracking-Gas eine Möglichkeit, um uns zu
versorgen. Deutschland hat ein Schiefergasvorkommen, das für mehr als
dreissig Jahre reichen würde. Es gäbe also technische Möglichkeiten, um
das gegenwärtige Problem zu puffern. Nur sehen wir Fracking als
Risikotechnologie an. Schade!
Weltwoche: Könnte Fracking Europa retten?
Ebert:
«Retten» ist ein grosses Wort. Zumindest wäre es eine von vielen
technologischen Möglichkeiten, um unabhängiger zu werden. In meinem Buch
lege ich dar, dass die Methoden inzwischen deutlich umweltschonender
sind als früher. Es wird sogar an «Clean Fracking» geforscht, das ganz
auf Chemikalien verzichten soll. Wissenschaftlich sind das tolle
Möglichkeiten, aber die Politik lehnt sie aus ideologischen Gründen ab.
Und das, obwohl es aus diesen Kreisen ja immer heisst: «Follow the
science.»
Weltwoche: Wie lautet Ihr Gebot der Stunde für den Ukraine-Krieg?
Ebert:
Wenn wir nicht dauerhaft in einen Energiemangel rutschen wollen, führt
nichts daran vorbei, die drei Kernkraftwerke weiterlaufen zu lassen, auf
unbestimmte Zeit. Ich bin sogar der Meinung, wir sollten die drei
bereits stillgelegten reaktivieren, technisch wäre das möglich, das
würde Druck vom Kessel nehmen. Aber auch das wird aus ideologischen
Gründen nicht gemacht, leider. Dann bräuchte es in den nächsten fünf,
zehn Jahren ein vollständiges Umdenken bezüglich unseres
Energiehaushalts. Ich bin nicht per se gegen Erneuerbare, aber wir
müssen begreifen, dass es nach derzeitigem Stand der Technik unmöglich
ist, eine Industrienation komplett ökologisch zu transformieren.
Weltwoche: Wer ist für die Energiekrise eigentlich verantwortlich?
Ebert:
Auslöser war sicher der überhastete Atomausstieg von Frau Merkel,
praktisch im Alleingang. Jetzt ist es aber zu einfach, zu sagen: Frau
Merkel ist der Dämon. Sie entschied zwar, aber fast alle im Parlament
haben mitgemacht. Aus der Opposition, aus der FDP, kam kein Veto, auch
der Bundespräsident hat sich nicht eingeschaltet, keine Debatte, nichts.
Weltwoche: Worin liegt der grosse Irrtum des Atomausstiegs? Wo sehen Sie den Denkfehler der Energiewende?
Ebert:
Dass es auf einer physikalischen und technischen Ebene nicht
funktionieren kann. Man ist durch den Ausstieg vom Dach gesprungen und
hoffte, bis zur Landung fliegen zu lernen. Unter vier Augen war das
vielen Protagonisten auch klar. Öffentlich Stellung zu beziehen, war
ihnen dann offenbar zu riskant. Eine Mischung aus Mitläufertum,
Gruppendruck und der Angst, in eine dubiose Ecke gestellt zu werden.
Dazu kommt dieser deutsche Drang, die Welt retten und als die Guten
dastehen zu wollen. Das ist fatal, weil es eine Utopie ist. Und jede
Utopie hat bis zum heutigen Zeitpunkt das Gegenteil dessen erreicht, was
sie sollte. >>>
Weltwoche: Wenn Sie oberster Berater der Bundesregierung wären . . .
Ebert: Ach Gott!
Weltwoche: Wie lautete Ihr Plan, um ein Industrieland wie Deutschland mit genügend Energie zu versorgen?
Ebert:
Kurzfristig, klar, die Stilllegung und Abschaltung von Kernenergie
sofort rückgängig machen. So. Aber mittelfristig müssen wir
technologieoffener werden. Und zwar in allen – auch den unerwünschten –
Bereichen. Mein Lieblingsbeispiel ist eine Forschungsgruppe aus Berlin,
die hat einen Dual-Fluid-Reaktor entwickelt, der zwar noch nicht
marktreif ist, aber ein sogenannter Kernreaktor der vierten Generation.
Die laufen mit Atommüll.
Das heisst, wir könnten unseren radioaktiven Abfall verwerten. Das
Endprodukt würde so wenig strahlen, dass wir kein Endlager bräuchten,
man könnte die Dinger in Serie bauen – klein, kompakt, billig, etwa von
der Grösse eines LKW, mit denen man eine Stadt mit 100 000 Einwohnern
mit Strom versorgen kann. Diese Technologie steht kurz vor der
Kommerzialisierung. Deutschland könnte in die ganze Welt verkaufen –
aber, Sie ahnen es, genau dieses Know-how wandert ab. Die Berliner Dual
Fluid Inc. ist mittlerweile ein kanadisches Unternehmen. So was schmerzt
mich als deutscher Naturwissenschaftler.
Weltwoche: Gutes Stichwort: Welchen Einfluss hat die Migration auf die Energiekrise?
Ebert:
Bei dem Thema denkt jeder sofort an Menschen, die aus schlecht in
hochentwickelte Länder einwandern. In Deutschland haben wir inzwischen
das Problem, dass es einen massiven Braindrain ins Ausland gibt. Unsere
genialen Leute – Wissenschaftler, Ingenieure, Facharbeiter – wandern ab.
Weg! Wir reden von etwa 180 000 Hochqualifizierten pro Jahr, die ins
Ausland abwandern, übrigens auch in die Schweiz. Für ein Land, das
praktisch keine Rohstoffe hat, ist das verhängnisvoll.
Weltwoche:
Sechzig bis 70 Prozent der Bevölkerung befürworten aktuell Atomstrom.
Jene könnten, wenn sie die Energiepolitik als oberste Priorität ansehen,
eigentlich nur die AfD wählen, um nicht enttäuscht zu werden. Richtig?
Ebert:
Es ist ein grosses Drama, dass sämtliche etablierten Parteien die
Kritik an der Energiewende tabuisiert und sogar als moralisch
verwerflich stigmatisiert haben. Damit hat man bei vielen Bürgern genau
das Gegenteil erreicht: kompletten Widerstand und Vertrauensverlust in
demokratische Prozesse. So treibt man die Menschen in extreme Richtungen
und Flügel. Wir brauchen daher wieder eine offene Debattenkultur, denn
sonst werden sich immer mehr aus Protest abwenden und irgendwelchen
Scharlatanen hinterherlaufen.
Weltwoche:
Sie schreiben in Ihrem Buch: «Richtiges wird nicht falsch, nur weil es
vom Falschen gesagt wird.» In Deutschland ist es umgekehrt: Falsches
wird richtig, nur weil es vom Guten gesagt wird.
Ebert: Ja, so scheint es.
Weltwoche: Warum ist das so?
Ebert:
Weil das Gefühl, auf der richtigen Seite zu stehen, so angenehm ist.
Und weil es bisher irgendwie ja noch funktioniert hat. Das menschliche
Gehirn ist sehr gut darin, sich in die eigene Tasche zu lügen. Deswegen
glauben selbst viele gebildete Menschen an kostenlose Energie, an das
Ende von Gier und an ein romantisches «Zurück zur Natur». Ohne zu
bedenken, dass ein «Zurück zur Natur» eben auch Hungersnöte, Beulenpest
und Hämorrhoiden bedeutet.
Weltwoche: Politiker warnen vor dem Blackout. Ist das ein Szenario, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen?
Ebert:
Hier kommt meine positive Nachricht: Das deutsche und das europäische
Stromnetz werden extrem gut gewartet. Da arbeiten ein paar tausend
fähige Fachkräfte, die mit aller Kraft versuchen, die Stromversorgung
aufrechtzuerhalten. Ein Riesen-Job, Chapeau! Doch Vorsicht: Wenn wir im
Winter in eine Energiemangellage rutschen, werden gewisse Industrien
sukzessive runtergefahren. Es läuft also auf einen brownout
hinaus, was im Umkehrschluss heisst: Die Basisenergie ist gesichert.
Die grossen Energiefresser – Aluminiumhütten, Stahlbetriebe,
Papierfabriken – werden in diesen Phasen allerdings abgeschaltet.
Weltwoche: Wenn Energie knapp wird, steigen die Preise. Wann reisst der Geduldsfaden in der Bevölkerung?
Ebert:
Mir scheint die Toleranzgrenze absurderweise sehr, sehr hoch. Aber ohne
ein vollständig ausgefülltes behördliches Formblatt gehen viele
Deutsche eben nicht auf die Strasse. (Lacht)
Wenn allerdings die Energiepreise noch höher steigen, so dass es die
Leute wirklich spüren, nicht nur die ärmeren, sondern auch der
Mittelstand, dann weiss ich nicht, was passiert.
Weltwoche: Im Osten demonstrieren bereits Tausende.
Ebert:
Ich weiss, ich weiss. Ich beobachte aber eher die unternehmerischen
Schicksale, da stehen viele vor der Entscheidung: Werk schliessen oder
ins Ausland abziehen.
Weltwoche: Aber wenn sich die Preisspirale weiterdreht, knallt’s irgendwann.
Ebert:
Günstige Energie ist das Schmiermittel für sozialen Zusammenhalt. Wird
Energie zu teuer, sinkt die Wirtschaftsleistung, die Sozialleistungen
können nicht mehr bezahlt werden und irgendwann kommt es zu
Verwerfungen. Diese hohen Energiepreise sind ein Pulverfass. Das Prekäre
ist, es sind nicht einfach mal eben ein paar Arbeitsplätze betroffen.
Das geht in allen Bereichen an die Substanz. Viele, die die DDR noch
erlebt haben, wissen, wie das aussieht, wenn ein Staat pleite geht.
Weltwoche: Ein Wort zu den Medien: Die warnen vor «Umweltkatastrophen» und «Klimanotstand». Was reizt Journalisten an der Apokalypse?
Ebert:
Es geht in die gleiche Richtung wie: Warum schauen wir
Katastrophenfilme? Kuschelig, mit einem Glas Wein in der Hand. Das
Gruseln fasziniert. Es ist wie bei einem Verkehrsunfall, da kann man
auch nicht wegschauen. Und natürlich kann man sich über dieses Thema
auch definieren. In meinem Buch schreibe ich ganz klar, dass der
menschengemachte Klimawandel wissenschaftlich unbestritten ist.
Allerdings steht im Weltklimabericht kein Wort von «Apokalypse»,
«Katastrophe», «Untergang». Die Berichte beschreiben in sachlichem Ton,
dass der Klimawandel natürlich negative Auswirkungen haben wird, aber
von einem Point of no Return oder einem «Mad Max»-Szenario ist dort nicht die Rede.
Weltwoche: Rücken Sie das Bild gerade: Wie schlimm steht es wirklich um unseren Planeten?
Ebert:
Viele denken, der Klimawandel ist wie ein Meteorit, der auf die Erde
zufliegt, und dann, wenn er einschlägt, ist alles vorbei. Wenn man diese
Weltklimaberichte intensiv liest, ist der Klimawandel eher wie eine
chronische Erkrankung. Wie Diabetes zum Beispiel. Diese muss man
natürlich behandeln, aber damit kann man leben, wenn man sich anpasst.
Es bedeutet nicht das Ende der Welt.
Weltwoche:
Zu Ihnen: Sie moderierten bis im März die ARD-Sendung «Wissen vor
acht». Wie haben Sie sich, als Kritiker der Energiewende, beim
öffentlich-rechtlichen Rundfunk verstanden gefühlt?
Ebert:
Die Wissenschaftskommunikation hat sich in den letzten Jahren sehr
verändert. Fakten vermischten sich mehr und mehr mit Appellen und
Weltanschauungen. Wenn Sie sich heute eine Wissenschaftssendung
anschauen, finden Sie kaum einen Moderator, der objektiv und wertfrei
über ein Phänomen spricht. Ständig ist eine Meinung, eine Warnung darin
verpackt, eine gesellschaftspolitische Message: «Der Kollaps ist nah’»,
«Wir müssen umsteuern!» — so was. Das ist per se nicht zu verurteilen,
aber ich wünsche mir eine klarere Trennung zwischen Fakten und
Meinungen. Grundsätzlich geht es ja in der Wissenschaft nicht um
Meinungen. Wissenschaft erklärt, wie bestimmte Zusammenhänge
funktionieren. In der Kernphysik können Sie ausrechnen, wie viel
Energie bei einer Kernspaltung freigesetzt wird. Es geht nicht darum, zu
sagen, ob Kernenergie gut oder schlecht ist.
Weltwoche: Wie reagierte Ihr Umfeld, die Zuschauer, wenn Sie unliebsame Fakten angesprochen haben?
Ebert:
Wenn ich zum Beispiel aufzeige, dass Kernenergie die Energieform ist,
die bisher am wenigsten Todesopfer gefordert hat,dann stutzen schon
einige. Ich versuche jedoch, mein Publikum nicht zu missionieren. Es
geht mir darum, verblüffende, seriös recherchierte Zusammenhänge
aufzuzeigen, auf deren Basis die Leute ihr eigenes Weltbild auf
Stichhaltigkeit überprüfen können. Viele schätzen das und sagen:
«Mensch, wenn ich zum Ebert geh’, kriege ich Fakten, über die ich sonst
nie nachgedacht habe.» Das ist für mich ein Kompliment, das ist, was ich
will: zum Nachdenken anregen. Mehr nicht. Ich habe die Wahrheit
schliesslich auch nicht gepachtet. Zuzugeben, dass man sich täuschen
kann, ist die Grundlage von Wissenschaft und nicht zuletzt: Der Kern
einer aufgeklärten Gesellschaft. Die Erkenntnis, dass Wissen immer
unvollständig ist.
Weltwoche: Warum glauben Sie trotz allem an Deutschland?
Ebert:
Weil es eine unfassbar grosse, schweigende Mehrheit gibt, die spürt,
dass es so nicht weitergehen kann, die unter der politischen Lähmung
leidet, die gerne mehr machen würde, die sich in ihrer Kreativität
unterdrückt fühlt. Meine grosse Hoffnung ist, dass diese Beklemmung
irgendwann entfesselt wird. Denn wenn man die Leute machen lässt, die
akribischen Tüftler und Ingenieure, dann haben wir ein Riesenpotenzial.
Das ist genau das, was mich schmerzt: Wir könnten es! Aber die Politik
muss die Leute auch machen lassen.
Weltwoche: Als Naturwissenschaftler, aber auch Komiker: Ihre wichtigste Botschaft für Deutschland?
Ebert: Legt eure ideologischen Scheuklappen ab. Das tut auch nicht weh.
Weltwoche: Was wissen Sie über die Schweiz?
Ebert:
Die Diskussionen sind ähnlich, die grüne Bewegung ist gross, die
Probleme mit der Energiewende sind die gleichen. Viele Jahre in
Wohlstand haben dazu geführt, dass man mit grosser Naivität grundlegende
Dinge wie Strom oder die warme Dusche als selbstverständlich ansieht.
Ich glaube aber, dass eure kleinen Strukturen, das politische System mit
den Volksentscheiden, ein Vorteil sind. Für mich ist die Schweiz, wenn
ich mir eine Demokratie wünschen könnte, ein Musterbeispiel. Wenn ich
mir ein Modell wünschen könnte, sehe ich die Schweiz nahe dran.
Weltwoche: Wäre das Schweizer System in Deutschland möglich? Muss Deutschland verschweizern?
Ebert:
Natürlich wäre das möglich! Ich fände das wünschenswert, weil es die
Leute zu mehr Selbst- und Eigenverantwortung befähigen würde. Die
Deutschen meckern zwar ständig über die Politik, sagen dann aber
trotzdem bei jedem noch so kleinen Problem: Die Politik muss da jetzt
was tun – statt selber anzupacken. Es wird immer sofort die
Verantwortung abgeschoben. Wir begeben uns damit wie kleine Kinder
freiwillig in eine Abhängigkeit von einer Gruppe von Menschen, die dann,
seien wir ehrlich, völlig überfordert ist mit den, zugegeben, komplexen
Herausforderungen. Wir bürden unseren Politikern eine Verantwortung
auf, die sie gar nicht übernehmen können. Wir brauchen daher mehr Mut
zur Selbstverantwortung. Weltwoche
Vince Eberts neues Buch «Lichtblick statt Blackout» erschien im September beim DTV. 224 S., Fr. 24.90.