„Wir stehen am Ende von 2.000 Jahren Zivilisation – unsere Kultur stirbt.“ Die Mahnung des niederländischen Rechtsphilosophen Andreas Kinneging hallt warnend durch den Lesesaal der Bibliothek des Konservatismus (BdK). Dennoch herrscht eine ausgelassene Stimmung an diesem Herbsttag in Berlin. Wer aus dem Fenster blickt, sieht das bunte Herbstlaub auf den Straßen. Immer wieder brechen Sonnenstrahlen wie im Kontrast zur ernsten geistigen Lageanalyse durch die Wolkendecke und tränken die Szenerie in einen satten Goldton.
Die hoffnungsvolle Atmosphäre des Tages überwiegt Zweifel der versammelten Festgesellschaft wegen der politischen Großwetterlage. Gefeiert wird das 10jährige Bestehen der Bibliothek des Konservatismus im Herzen der Hauptstadt. Kassandrarufe wie die des Hochschullehrers aus dem niederländischen Leiden scheinen die Hochstimmung der wohl etwas mehr als 80 geladenen Gästen nicht zu trüben. Im illustren Publikum gesichtet werden der Bestsellerautor Thilo Sarrazin, die Verfassungsrechtler Dietrich Murswiek und Ulrich Vosgerau. Eine Stimmung des „heiteren Pessimismus“ à la Friedrich Nietzsche liegt in der Luft. Die jüngsten Wahlerfolge von Parteien der rechten Mitte in Schweden und Italien waren Gesprächsthema in den Pausen und auf einem Podium.
Dem schier unaufhaltsamen Verfall der europäischen Kultur mit zu begegnen, lautet die Devise dieses Geburtstags. „Wir müssen Traditionskompanien bilden“, unterstreicht der Historiker Karlheinz Weißmann in einem Redebeitrag, „und die manchmal sehr schwere Entscheidung treffen, was wir von unserer Kultur retten wollen“. Das sei nicht zuletzt auch der besondere Sinn der Bibliothek des Konservatismus, die im November 2012 ihre Tore für den Besucherverkehr öffnete. Dies wurde auf der Tagung mehrfach bekräftigt: Europaweit ist die BdK ein Unikum. Es gibt in keinem anderen europäischen Land eine vergleichbare Einrichtung, die derart umfassend den Kosmos konservativer Geistesgeschichte in über 35.000 katalogisierten Werken zugänglich macht.
Das andere Deutschland in einem Lesesaal
Nach dem Festvortrag von Andreas Kinneging sitzen neben diesem auf dem ersten Podium Karlheinz Weißmann sowie die Althistoriker Egon Flaig und David Engels, als Moderator Bibliotheks-Leiter Wolfgang Fenske. „Längst ist die Bibliothek zu einem Kristallisationspunkt des Konservatismus in Deutschland geworden“, freut sich Letzterer zuvor in seinem Grußwort an die Runde, in der tatsächlich so ziemlich alles sitzt, was im konservativen Deutschland Rang und Namen hat.
Nach 10 Jahren Publikumsverkehr biete die BdK nicht nur studienbegleitende Seminare, hochkarätige Abendveranstaltungen – in den kommenden Wochen etwa mit vieldiskutierten Schriftstellern wie Uwe Tellkamp und Michael Klonovsky -, Seminare für Studenten und eine eigene akademische Schriftenreihe an. Mit den beiden Podcasts „Katechon“ und „Forum“ sei sie mittlerweile auch im digitalen Raum angekommen und erreiche noch mehr junge Interessenten. „Kein Hort musealer Verklärung“, sondern „ein Ausgangspunkt für Debatte und Aktion“, solle die BdK sein, betont auch JF-Chefredakteur Dieter Stein als Vorsitzender des Stiftungsrates der die BdK tragenden gemeinnützigen „Förderstiftung Konservative Bildung und Forschung“ (FKBF) in seiner Dankesrede.
Abenteuer Bibliothek
Dabei könne sich heute kaum noch jemand vorstellen, „unter welch abenteuerlichen Bedingungen die Gründung der Bibliothek damals vonstatten ging“. Die ursprüngliche Idee zur Bibliotheksgründung sei 2007 aus einem Gespräch zwischen Stein und dem FKBF-Gründer Caspar von Schrenck-Notzing ausgegangen – „einem der wichtigsten konservativen Publizisten der deutschen Nachkriegszeit“, so Stein.
Schrenck-Notzing habe sich damals gefragt, was in Zukunft aus seiner mehr als 15.000 Bände umfassenden privaten Forschungsbibliothek werden solle. Daraus entstand schließlich der Plan, die einmalige Sammlung für politische Bildungsarbeit im konservativen Milieu zu erhalten.
Doch zunächst wurden die Bücher ab 2009 behelfsmäßig in Räumlichkeiten der JUNGEN FREIHEIT zwischengelagert, denn weder das Personal noch eigene Räume schienen für die Bibliothek damals in Sicht. Für Stein waren es nicht zuletzt die mutige Entscheidungen von BdK-Leiter Wolfgang Fenske, sein Pfarramt für das Projekt aufzugeben, und sich ganz dem Aufbau der Bibliothek zu verschreiben.Von Berlin in die Welt
Doch nicht nur die Bibliothek in der Fasanenstraße unweit des Bahnhof Zoo wurden anläßlich dieses Jubiläums besprochen. Neben einer eher philosophisch gehaltenen Diskussionsrunde wurde auch der aktuelle Stand konservativer Politik eingehend diskutiert. Der Journalist Marco Gallina etwa bezeichnete die Erfolge des Mitte-Rechts-Bündnisses in Italien als „Früchte“, die auf dem „Acker“ von Kultureinrichtungen ähnlich der BdK gewachsen seien. Für alle Beteiligten stellte sich jedoch die nachdenkliche Frage: War dieser Wahlsieg nur ein kleines Strohfeuer oder vielleicht sogar der Beginn eines Lauffeuers von rechts?
We’re so delighted to be at the 10th anniversary celebration of @BdK_Berlin with @Dieter_Stein @434Italo, Martin Pröhle, Werner Patzelt. Danke, Wolfgang Fenske. @FantinoVienna pic.twitter.com/2Hr58g1qtP
— The European Conservative (@EuroConOfficial) October 8, 2022
Kämpferische Grüße aus dem europäischen Ausland überbrachte auch der Herausgeber der in Budapest hergestellten Zeitschrift The European Conservative, Mario Fantini. Die Wähler in westlichen Ländern würden von konservativen Parteien keine Kompromißhaltung mehr sehen wollen, sondern stärkere Prinzipientreue, so Fantini. Mit den Worten des katholischen Schriftstellers Gilbert Chesterton erinnerte er daran: „Es werden noch Schwerter gekreuzt um den Satz zu verteidigen, das zwei und zwei vier ergeben.“
Plädoyer für konservative Ironie
Der ehemalige ungarische Botschafter in Deutschland und der Schweiz Gergely Pröhle gemahnte bei so viel Kampfeslust zur Vorsicht. Politik beruhe immer auch auf Kompromissen mit anderen Parteien. „Man muß sich daran gewöhnen, mit jemanden am gleichen Tisch zu sitzen, den man nicht unbedingt zum Bier einladen würde“, gab er zu Bedenken.
Der Politikwissenschaftler Werner Patzelt schließlich versuchte in
seinem Wortbeitrag, derlei Widersprüche zwischen Fundamentalopposition
und Annäherung an den Mainstream im rechten Lager durch Verweis auf die
Notwendigkeit einer ironischen Weltsicht zu versöhnen. Konservative
müßten die Katastrophen der Zeit mit einem Augenzwinkern begleiten, um
nicht zu verzweifeln. Auch hier meldete sich der „heitere Pessimismus“
Nietzsches wieder, der auch im Herbst der europäischen Zivilisation noch
auf Sieg spielt. Das die Feiernden im Anschluß an den Festakt noch bis
in die späten Abendstunden fröhlich beisammensaßen, darf als Beleg dafür
angesehen werden, daß die BdK in ihrer ersten Dekade zu einem Ort des
lebendigen Austauschs zwischen Konservativen aus ganz Europa geworden
ist – ein Grund für Zuversicht. JF
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