Stationen

Mittwoch, 5. Oktober 2022

Weshalb ich immer das Zeitlose anpeilte

Blätter wehen vom Baume,
Lieder vom Lebenstraume
Wehen spielend dahin;
Vieles ist untergegangen,
Seit wir zuerst sie sangen,
Zärtliche Melodien.

Sterblich sind auch die Lieder,
Keines tönt ewig wieder,
Alle verweht der Wind:
Blumen und Schmetterlinge,
Die unvergänglicher Dinge
Flüchtiges Gleichnis sind.   (H.H.)



In den 70er Jahren fragte ich mich immer, wo die vor Lebendigkeit strotzenden Weltverbesserer ihre stete Unzufriedenheit, ihren illusorischen Elan und ihre weltfremde Gier nach Projekten und utopischen Plänen hernahmen. Ich dachte im Stillen ständig, ich wäre schon froh, wenn ich mich wenigstens darauf verlassen könnte, dass das damalige gesellschaftliche Gleichgewicht dauerhaft bliebe...

"Der Progressive denkt immer an morgen, der Konservative an übermorgen". Giuseppe Prezzolini

"Alles Große ist zeitgemäß und gleichzeitig unzeitgemäß und zeitlos". Ernst Jünger


Unsere Lehrer bezeichneten Schillers "Glocke" kurzerhand als antiquiert und überholt. Aber beim Lesen dieses Gedichts stellte sich mir immer die Frage, was daran wirklich überholt sei, was daran hingegen zeitlos sei und was wirklich nicht. Was mich in späteren Jahren sehr überraschte, war allerdings, dass diese Frage schon zu Schillers Zeiten auftauchte und dass Friedrich Schlegel und Caroline Schelling die Meinung meiner Lehrer offenbar teilten und sich über Schillers "Glocke" sogar halb totlachten. Mein konservatives Empfinden ist also gar nicht dem Unbehagen in einer schnelllebigen Zeit geschuldet, sondern einer viel grundsätzlicheren Seelenverwandtschaft mit Schiller. Da mich eine solche aber auch mit Schlegel verbindet, wäre ich zu deren Zeit genauso unschlüssig gegenüber dem Gedicht gewesen wie heute.

Aber diesen beiden

fühlte ich mich, trotz einiger ihrer bekennerischen Übertreibungen, sofort verbunden. Lange Zeit waren sie, zusammen mit "Ich liebe dieses Land" von Chris Roberts, fast das einzige, womit ich meinen Patriotismus inmitten der bundesrepublikanischen antipatriotischen Befindlichkeit unterfüttern konnte. Dass Thomas Friz wegen eben dieser bekennerischen Übertreibungen von Neonazis brutal zusammengeschlagen wurde, ist typisch für ein Land, das seit (vermute ich) 1918 aus dem Lot geraten ist. Es ist die Kehrseite der Tatsache, dass Olaf Scholz wie ein kleiner Schuljunge daneben steht, während Biden ankündigt, die USA würden im Falle eines Angriffs seitens der Russen Nordstream 2 ein Ende bereiten und der wortlos anhört, wie Biden auf Anfrage einer Journalistin, wie er das denn bewerkstelligen wolle, bekräftigt, dass die USA Mittel und Wege finden würden, um dies zu tun. Inzwischen wissen wir, worin diese "Mittel und Wege" bestehen.

Italia felix! Denn dort braucht man keine Identitäre Bewegung, weil selbst in den auch dort antipatriotistischen 80er Jahren ein JEDER Italiener identitär war wie heute auch. Dort gab man sich zwar sehr antipatriotistisch, aber man war gleichzeitig patriotisch. Um diesen scheinbaren Widerspruch auch nur zu bemerken, musste man allerdings ein sehr feines Sensorium für kognitive Dissonanzen besitzen.

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