Am Freitag, dem 14. Oktober um 13.24 Uhr, erklang zum ersten Mal der Ruf des Muezzins der Ditib-Moschee in Köln. 1986 ist Hellen Vaziry aus dem Iran nach Deutschland geflohen. Damals war sie in Teheran Studentin der Elektrotechnik. Nach der Revolution 1979 durfte sie aus politischen Gründen nicht weiter studieren und sollte sich beim berüchtigten Evin-Gefängnis zur Verhaftung melden. Heute ist sie IT-Entwicklerin und liebt ihre neue Heimat. Was hält sie vom Muezzin-Ruf in Köln?
Hellen, was hast du gedacht, als du davon gehört hast, dass die Ditib-Moschee den Muezzin rufen lassen will?
Ich
habe gedacht: Sie sind wieder da. Wieder sind die Islamisten in
Deutschland ein Stück weitergekommen. Fast 40 Jahre lang hatte ich sie
aus meinem Leben verbannt. Köln ist meine Heimat, ich liebe diese Stadt –
nun macht sie mir Angst. Wenn so etwas wie ein Muezzin-Ruf genehmigt
werden soll, warum fragt eine Stadtverwaltung dann nur nach
Lärmbelästigung, nicht aber nach der tiefen Bedeutung, die dieser Ruf
hat?
Und was bedeutet der Muezzin-Ruf?
Seit der
Islamischen Revolution unter der Führung von Khomeini im Iran wurde
dieses Freitagsgebet auf zentralen Plätzen in den Städten zum
politischen Akt, zu dem die jeweilige Tagespolitik verkündet wurde. Jede
Moschee kann jeden Tag etwas rufen, es aber am Freitag zu tun, das hat
eine tiefe politische Bedeutung. Zu meiner Zeit in Teheran wurden am
Freitag neue Gesetze der Scharia erlassen, zum Beispiel neue
Restriktionen für Frauen. Hoch hinab vom Minarett sollte der Ruf
symbolisieren: Die Scharia ist von Allah gewollt, ein Gesetz aus dem
Himmel, es steht über allem.
Dass wir uns der Sittenpolizei und der Scharia zu unterwerfen haben. Er ist die lautstarke Verkündung einer neuen Gesellschaftsordnung, in der der Mann über der Frau steht und die Frau sich zu verhüllen hat, unsichtbar wird. Hier in Köln wie in vielen anderen deutschen Städten leben Frauen, die unter dem Klang vom Muezzin-Ruf in iranischen Gefängnissen gefoltert worden sind. Dieser Ruf sollte die Folterknechte zu besonderer Härte ermutigen. Und den Gefolterten sollte er sich zusammen mit den Schlägen einbrennen, sie brechen. Auch wussten alle Frauen einer Stadt: Jetzt werden wieder manche von uns geschlagen, ja gefoltert. Der Ruf ging den Frauen damals durch Mark und Bein, es ist ein Ruf des Schreckens. In Deutschland leben viele tausende Frauen, die vor den Islamisten geflohen sind. Dass sie diesen Ruf hier in Deutschland hören müssen, ist unmenschlich.
Was sagt der Text?
Allah ist groß. Ich bezeuge,
dass es keinen Gott gibt außer Allah. Ich bezeuge, dass Muhammad der
Gesandte Gottes ist. Komm zum Beten. Komm zur Erlösung. Komm zu besten
Taten. Allah ist groß. Es gibt keinen Gott außer Allah.
Also ein Glaubensbekenntnis?
Ja. Ein Bekenntnis
zum islamischen Allah. Ein Mantra, das mit einer schönen Stimme
verinnerlicht werden soll, am besten schon ab Kindesalter. Übrigens:
Selbst in den meisten islamischen Ländern ist der Muezzin-Ruf durch den
Lautsprecher verboten - in Köln aber nun erlaubt.
Der Muezzin-Ruf wäre also nicht mit Kirchengeläut zu vergleichen, wie viele hier in Köln glauben?
Nein.
Es ist kein Glaubensakt, sondern ein politischer Akt. Die
Ditib-Moschee, die ja direkt von dem stramm islamistischen Erdogan
abhängig ist, hat bewusst den Freitag ausgewählt. Dass der Ruf angeblich
nur für wenige Minuten und wegen des Straßenlärms kaum zu hören sei,
ist eine lächerliche Ausrede der Ditib, eine Verschleierung. Es geht um
die Bedeutung des Rufes, nicht um seine Dezibel-Zahl! Dass er jetzt auch
hier in Köln gerufen wird, wird in der Türkei sehr laut zu vernehmen
sein.
Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland,
Aiman Mazyek, will den Muezzin-Ruf zum Ausdruck von Respekt und Zeichen
der Toleranz erklären.
Toleranz für wen? Toleranz für
Islamisten? Und für die Häscher in der Türkei und Mörder im Iran? Meine
Mutter war eine streng gläubige Muslimin, sie hat jeden Tag fünf Mal
gebetet. Der Muezzin-Ruf hat sie erschüttert, der hat nichts mit ihrer
Religion zu tun. Auch die meisten gläubigen Frauen wollen diesen Ruf
nicht hören, die anderen schon gar nicht. MuslimInnen sind nicht per se
für die Scharia – so wie auch nicht alle gläubigen Christen für
christliche Fundamentalisten sind oder für den Vatikan. Aufgeklärte
säkular lebende MuslimInnen sind in Deutschland in der Mehrheit, aber
eine extremistische Minderheit wird als ihre Stimme akzeptiert.
Natürlich nicht. Wir wollen keinen Muezzin-Ruf! Kein Kopftuch! Keine Scharia! Wir wollen einfach in Freiheit hier leben. Religionsfreiheit bedeutet für uns, frei vom Terror der Islamisten zu sein! Mouhanad Khorchide und Lale Akgün haben sich kritisch dazu geäußert, benennen den Ruf klar als Signal des politischen Islam – trotzdem erschallt er, mitten in Köln. Ich frage mich, warum die Ditib-Moschee, die bekanntermaßen der verlängerte Arm von Erdogan ist, hier schalten und walten kann, wie sie will. Die Türkei ist aus der Istanbul-Konvention ausgestiegen. Soll das Akzeptieren der Propagierung von Unterdrückung und Gewalt gegen Frauen und Mädchen etwa ein Zeichen der Toleranz sein? In der Türkei gibt es viel stärkere säkulare Kräfte als im Iran, dort funktioniert die Islamistische Propaganda nicht so leicht wie in köln.
Durch die Geschehnisse in Iran geht vielen Menschen, die das Kopftuch bisher für ein Accessoire gehalten haben, ein Licht auf.
Ja,
hoffentlich! Ich kenne so viele Frauen und Mädchen hier in Deutschland,
die das Kopftuch nicht tragen wollen. Aber sie werden von ihrer Familie
dazu gezwungen. Ein Kopftuchverbot im Berufsleben oder in der Schule
würde viele Frauen schützen, vor allem die Mädchen. Glauben die
vermeintlich so toleranten Menschen wirklich, dass ein kleines Mädchen
gern ein Kopftuch trägt? Dass es gern im Burkini schwimmen geht, wenn es
überhaupt schwimmen darf? Wer Ja zum Kopftuch sagt, der muss auch Ja zu
sehr vielen anderen Dingen sagen, die Freiheit kosten. Ein Staat hat
die Aufgabe, Menschen zu schützen und nicht, sie aus falscher Toleranz
auszuliefern! Dass es sogar Menschen gibt, die die Burka, dieses
Stoffgefängnis für Frauen, erlauben wollen, schlägt dem Fass vollends
den Boden aus! Die Frauen - und Männer! - im Iran kämpfen mit dem
Einsatz ihres Lebens gegen diese Unterdrückung, deren größtes Symbol das
Kopftuch ist. Schon 14-jährige Mädchen gehen auf die Straße und
riskieren Peitschenhiebe, Verhaftungen, ja, ihr Leben! Und wir? Emma
Ich hätte ja nie gedacht, dass ich eines Tages mit der Emma am selben Strang ziehen könnte.
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