Stationen

Freitag, 14. Oktober 2022

Nüchternheit ist noch seltener, als ich dachte

Heute beschäftigt sich ein Essay George Friedmans auf Cicero mit dem Kommandowechsel an Armeegeneral Sergej Surowikin. Die Analyse ist, wie stets bei Friedman, bestechend logisch:
1. Surowikins Ernennung ist aus zwei Gründen erfolgt: (a) um der Kritik aus den Reihen der russischen Falken, deren Galionsfigur Ramsan Kadyrow ist, den Wind aus den Segeln zu nehmen, (b) um die Moral der Truppe durch einen neuen lokalen Oberkommandierenden und eine partiell neue Taktik zu heben.
2. Der russische Kriegsplan war "von Anfang an" fehlerhaft, weil er von falschen Voraussetzungen ausging.
3. Wie kann, fragt Friedman, die russische Seite im Clausewitz'schen Sinne den Widerstandswillen des ukrainischen Gegners brechen? Er sieht zwei Wege: (a) die von Surowikin jetzt befohlene Feuerwalze über zivilen Zielen, (b) einen Angriff von der Peripherie her. Damit meint er einen Vorstoß von Belarus aus gegen den ukrainischen Westen. Friedman hält Weg b für den effektiveren, glaubt aber nicht, dass die russische und belarussiche Armee die Fähigkeiten haben, ihn durchzuführen. Die nukleare Option zieht Friedman nicht in Betracht.
4. Friedman betrachtet den Krieg (wie ich auch) als Stellvertreterkrieg der USA gegen Russland. Wegen des Ungleichgewichts in der Fähigkeit, Waffen und Munition auf den Kriegsschauplatz zu stellen, hätten die USA zu jedem Zeitpunkt die Initiative in dem Konflikt.
5. Er sieht eine wichtige Funktion des unter Surowikin herbeigeführten Strategiewechsels darin, den Russen den Glauben an die eigene Stärke zurückzugeben. Aus einer russischen Position der Schwäche heraus seien Verhandlungen undenkbar. Seine durchaus gewagte Hypothese: Grausamkeit könne die "Grundlage für eine Einigung" sein.
Vielleicht ist das zu optimistisch gedacht, es ist aber ein interessantes intellektuelles Experiment. Seit Clausewitz wissen wir um die Bedeutung der Dialektik im Krieg. Könnte es in diesem Krieg auch so sein?

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