Stationen

Samstag, 18. Mai 2013

Biglott, 1/2 sprachlos, 1/2 gesichtslos

Es gibt eine Reihe von Persönlichkeiten, die eigentlich sowohl in Deutschland wie in Italien Leitartikel schreiben könnten, weil sie beide Länder sehr gut kennen. Es sind nicht viele, aber es gibt sie und es gab sie.

Aber sie alle fühlen sich ausnahmslos überfordert von der Aufgabe, in beiden Ländern einen Fuß im Steigbügel zu halten. Nicht einmal Peter Ustinov sah sich dieser Aufgabe gewachsen und schwieg daher in den italienischen Medien, während er in Springers "Welt" gerne immer wieder mal seine geistreichen Betrachtungen veröffentlichte. Was ist mit Mario Adorf, Markus Lanz, Giovanni Di Lorenzo, Hans Magnus Enzensberger, Beda Romano, Thomas Schmid, Klaus Wagenbach, Klaus Davi, Roberto Giardina, Johannes Agnoli? Marco Politi? Nichts! Und das, obwohl ich hier nur Namen von Männern genannt habe, die sich tatsächlich beiden Ländern verbunden fühlen und nicht, wie Dirk Schümer, am liebsten aus ganz Italien ein zweites Mallorcien mit Venedig als Hauptstadt machen würden.

Roberto Giardina hat in "La Nazione" eine Seite, wo er den Italienern Deutschland fast wie ein anthropologischer, soziologischer Reiseleiter erklärt. Er macht seine Sache sehr gut, aber er veröffentlicht in Deutschland nur Bücher, und die handeln mehr von Deutschland als von Italien. Beda Romano ist derjenige, der sich am meisten bemüht, den Italienern deutsche Denkart beizubringen und tritt bei diesem Bemühen sogar in die Fußstapfen seines Vaters. Infolgedessen sind seine Artikel das einzige wirklich Herausragende in dieser Hinsicht, und es ist erfreulich, dass er in "Il sole 24 ore" schreibt. Klaus Davi müht sich ab, so etwas wie calvinistische Ethik in die italienischen Talkshows zu tragen, macht sich dadurch aber nur zu einer Art buntem Pferd mit Hörnern. Ein Faschingsnietzsche, der meines Wissens nicht mal in der Schweiz veröffentlicht.

Lilli Gruber und Michelle Hunziker sind die einzigen, die sowohl im öffentlichen deutschen wie im italienischen TV gearbeitet haben. Aber erstere wechselt ihre Double Face Jacke, sobald sie bei Vipiteno-Sterzing einen der beiden demokratischen Sektoren verlässt und bediente in Deutschland nur unsere Klischees über Italien. Und war es dann auch bald müde, in Deutschland zu arbeiten. Und letztere besitzt die Gabe gänzlich unverbindlicher Eleganz und Belanglosigkeit, die es ihr - wie zuvor den Kessler Zwillingen - ermöglicht allen zu schmeicheln, ohne je eine Unwahrheit zu sagen, egal ob im ZDF oder in Berlusconis Sendern oder in La7 oder Rai oder wo auch immer.

Selbst zwischen Frankreich und Deutschland sind die Mentalitätsunterschiede so groß, dass es kein Zufall ist, dass diejenigen, die am aktivsten an der deutsch-französischen Verständigung beteiligt sind, nicht selten Juden sind. Nur das jüdische Bürgertum scheint die zur Vermittlung nötige Äquidistanz gewährleisten zu können. Ich nenne hier nur Alfred Grosser und Daniel Cohn-Bendit. Zwischen Italien und Deutschland gab es diesen Austausch nie, weil bereits innerhalb Italiens die Kohäsion auf christdemokratischer und kathokommunistischer Unverbindlichkeit beruht und seit De Gasperi und Adenauer sich dieses Modell auch zwischen den beiden Staaten als unverbindliche Koexistenz bewährt hat. Im Elsass gab es keine Bombenanschläge wie in Südtirol. Südtirol ist die einzige Region Italiens, wo die viel beklagte italienische Verwaltung funktioniert, obwohl die Gesetze dort dieselben sind wie überall in Italien. Die Unterschiede zwischen den beiden Völkern sind letztlich immer zu groß, um wirklich angesprochen zu werden. Markus Lanz ist deutschstämmig und wird in Italien auch in Zukunft wahrscheinlich genauso viel arbeiten wie Louis Trenker und Vico Torriani, nämlich gar nicht. Die ebenfalls deutschstämmige Lilli Gruber beklagt zwar im Gespräch mit Maischberger den italienischen Machismus - weil wir und Frau Maischberger genau das von ihr hören wollen - aber für Frauen ist es 1. in Fragen der Weltanschauung und der politischen Gesinnung sehr viel leichter, fünfe gerade sein zu lassen, und 2. ist es bisher für eine linke Journalistin eben doch immer noch bequemer, sich in den italienischen Medien zu positionieren. Trotz Berlusconi, trotz allgemeinem Machismus, und obwohl auch in Deutschland die Generation 68 und danach die Generation Greenpeace die Medienlandschaft mittlerweile tiefgreifend geprägt haben.

Der Einzige, der alle paar Jahre einen guten Artikel im "Espresso" oder in "La Repubblica" - also in Blättern mit hoher Auflage und Breitenwirkung - geschrieben hat und auch in Deutschland eine umfangreiche publizistische Tätigkeit hinter sich hat, ist Hans Magnus Enzensberger. Aber er nahm in Italien nie zum aktuellen Tagesgeschehen Stellung, er fasste immer nur in kulturphilosophischen Betrachtungen zusammen, was er im Lauf der Zeit beobachtet hatte. Scharfsinnig, aber so distanziert und unverbindlich wie nur möglich. Grass ist nicht fähig, auf italienisch zu schreiben, aber er legte Wert darauf, dass sein Israelgedicht auch in Italien wie ein Leitartikel veröffentlicht wurde.

Eins der wenigen Foren, wo deutsche und italienische Autoren regelmäßig sowohl in Deutschland, wie in Italien und anderen Ländern ihre Stimme hören lassen, ist die von Federico Coen und Jaroslav Liem ins Leben gerufene Zeitschrift "Lettre International", die in ihrer transnationalen Ausrichtung und ihrer kosmopolitischen Aufmerksamkeit für nationale Besonderheiten sehr an den Fernsehsender "arte" erinnert, insgesamt aber dezidiert linksorientierter und soziologischer als dieser Sender ist und (leider) auch kein bisschen unterhaltsam zu sein beabsichtigt. Ihr deutscher Ableger erblickte vor 25 Jahren im Umfeld der TAZ das Licht der Welt, und die - jetzt der FAZ als Aushängeschild des linksliberalen Ethos dienende "Frankfurter Rundschau" - bezeichnet ihn als "die beste Kulturzeitschrift der Welt". In Deutschland ist nicht einmal bekannt, dass es sich hier um die Initiative eines italienischen Juden handelte! In Deutschland stieß sie sofort auf ein dauerhaftes Echo, während die Ur-Zeitschrift in Italien nach wenigen Jahren riskierte, eingestellt zu werden und nur deshalb gerade noch einmal überlebte, weil sie sich mehr und mehr jüdischen Themen zuwandte. Ihre Leserschaft ist in Italien schlicht und einfach außerhalb der jüdischen Gemeinde nicht gebildet genug für eine Veröffentlichung dieser Art. Dieser Bildungsmangel in Italien ist sicher auch einer der Gründe, weshalb man in Deutschland Federico Coens Verdienst schlichtweg vergaß. Aber das entschuldigt nicht, dass die "Frankfurter Rundschau" und die "Zeit"  sich in ihren (nebenbei gesagt etwas fragwürdigen) Lobeshymnen auf Lettre mit beispielloser Arroganz darüber hinwegsetzen, den inzwischen verstorbenen Federico Coen auch nur zu erwähnen. Wenn man schon "die beste Kulturzeitschrift der Welt" preist, sollte man entsprechend gut recherchieren, statt von Kreuzberg und protestantischer Askese zu faseln, so als pfiffe dort der alte Fritz mit seiner Flöte im Hinterhof herum. Wie nett, dass wenigstens Liehm noch erwähnt wird. Er ist ja auch noch nicht gestorben, obwohl die französische Ausgabe von Lettre, im Gegensatz zur italienisch-(jüdisch)en mittlerweile nicht mehr existiert.

Die serbische Ausgabe wurde sehr bald eingestellt, auch die kroatische Ausgabe existiert anscheinend schon seit Jahren nicht mehr. So ist Lettre am Ende vor allem ein deutsch-jüdisches Projekt. Unser Land grenzt eben an neun andere Länder und ist das pulsierende - oder soll ich besser sagen das verdauende? - Zentrum des Kontinents, und die Juden sind durch die Diaspora mit noch mehr Nationen umkränzt und das wehende Ruach des Kontinents. Aus vielerlei Gründen sind Deutsche und Juden wie siamesische Zwillinge.

Man kennt einander immer noch sehr wenig in Europa. Die Veröffentlichungen der UE und affine, wie zum Beispiel ADESSO, am Ende aber auch Lettre, gerade auch Lettre, sind alle ein bisschen wie koffeinfreier Kaffee, Aspartam, Ritalin, Antiagressionstraining in Corleone, homosexuelle Eltern, Sojafleisch, italienische Zuverlässigkeit, alkoholfreies Bier, deutsche Spontaneität, Jesus ohne Beschneidung, Vestalinnen ohne Jungfräulichkeit, fernsehfreier Samstag, Sonntag ohne Tatort, zionistische Palästinenser, tolerante Faschisten, integrierte Moslems, kastrierte Männer, promovierte Zigeuner, Fußballerinnen im allgemeinen und Pinocchio mit Stubsnase.

Deutschland

Italien




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