Montag, 16. Mai 2011
Unersetzlich
Norbert Bolz, Jan Fleischhauer und Thilo Sarrazin sind unersetzlich. So unersetzlich, wie einst Klaus Wagenbach.
Von einem Extrem ins andere. In den 70-ern konnte man in Deutschland den Beginn des Linkskonformismus (als Reaktion auf die NS-Zeit) erleben. Damals trat die Linke zu recht als vitaler Antikonformismus auf, und auch heute versteht sie sich immer noch als antikonformistisch, obwohl es sich bei diesem Anspruch seit langem nur um leere Gesten und verkalkte Phrasendrescherei handelt, und obwohl die Linke von Anfang an auf kaum überbietbare Weise intolerant war. Damals hätte sich am nächsten Tag in der Kantine oder Mensa von den Linken keiner mehr zu einem gesetzt, wenn man Kohl oder gar Strauss als tüchtig bezeichnet hätte oder ihnen auch nur gute Absichten zugebilligt hätte. Aber diese damalige, in Deutschland beobachtbare, Militanz stellte wenigstens den Stolz einer ebenso entschlossenen wie kleinen Minderheit dar, die sich etwas auf grundsätzlichen Argwohn gegenüber Macht, auf Vorsicht und Wachsamkeit zugute halten konnte. Dennoch war damals schon merkwürdig, dass diese Minderheit Berlinguer und generell die KPI, und sehr viel mehr noch als diese, Franco Piperno, Antonio Negri, Radio Alice, Pasolini und die Scuola di Barbiana von Don Milani verklärte und mit nach oben verdrehten Augen ehrfürchtig diese Namen hauchte....
Ich war als ich 1978 in Italien ankam sofort entsetzt über den unerwarteten Linkskonformismus in Italien, über diesen Brei aus Lucio Dalla, Francesco Guccini, Berlinguer, Pasolini und Nanni Moretti, der einem als nicht enden wollendes Geschwafel entgegenschlug, egal ob in der Casa del Popolo, wenn man Manifesto, La Repubblica oder Espresso aufschlug oder eine Talkshow von Berlusconis Sendern anschaute, und nicht nur die, die Maurizio Costanzo moderierte, sondern auch die, die Arrigo Levi moderierte. Das war damals absolut entsetzlich. Nur Armando Verdiglione konnte es gelingen, dem Ganzen noch eine Krone aufzusetzen. Dass ausgerechnet Bettino Craxi zu Verdigliones zahlenden Sympathisanten gehörte, sei nur als Beispiel dafür am Rande erwähnt, in welchem Maße in Italien die Wirklichkeit auch die bizarrste Fantasie übertreffen kann.
Das linke Geschwafel dieser überheblichen, ideologisierten Ignoranten, die mit lokalen KPI-Gemeinderäten, Kooperativen und Versicherungsgesellschaften verfilzt waren (und sind), war in 30 Jahren nie mehr als eine konformistische, stupide, völlig leere Karikatur dessen, was Rudi Dutschke in der Zeitschrift "Konkret" einmal als "italienische, freimütige Diskussionsbereitschaft" verklärt hatte (dass ihn das Gelaber italienischer Kommunisten noch beeindrucken konnte, obwohl er damals schon genau wusste, was für ein durchgeknallter Typ Feltrinelli war, ist nur deshalb entschuldbar, weil Dutschke durch Kopfschuss lobotomisiert in Italien erholsame Gastfreundschaft genoss) und Klaus Wagenbach ebenfalls immer wieder verherrlichte, z.B. indem er Pasolinis und Andreottis Meinungsaustausch im "Corriere della Sera" pries. Man muss sich vergegenwärtigen und in die Erinnerung rufen, dass während der deutschen Teilung die Linke in der BRD auf eine Weise geschnitten wurde, wie es heutzutage mit den Konservativen geschieht (und dass die extreme Rechte damals in Deutschland eine Art gutmütig wohlwollendes, geduldig duldendes Laissez-faire genoss, wie es in Deutschland heute leider die extreme Linke genießt). Vor diesem Hintergrund war Italien tatsächlich freimütig. Es gab in Italien Rede und Antwort zwischen Rechts und Links, so, wie einst Dahrendorf und Dutschke einmal öffentlich diskutierten (was der FDP aber nur schadete! so tief waren in der BRD damals die Gräben). Und es gab damals in Italien auch gemeinsame Initiativen (ähnlich wie im wiedervereinigten Deutschland Gauweiler mit Lafontaine... - auch das unmöglich in der BRD, solange Deutschland noch geteilt war).
Dennoch wunderte ich mich damals, 1980, dass man Italien so überbewerten und verkennen und idealisieren konnte. Mir jedenfalls reichte 1 Jahr Italien, um zu dem Schluss zu kommen, dass Klaus Wagenbach nicht alle Tassen im Schrank hatte und als Verleger der Leithammel einer ganzen Herde war, die ins selbe Horn wie er blökte. Gleichzeitig dachte ich, dass ein derartiger Linkskonformismus in Deutschland nicht möglich sein könnte. Wie habe ich mich da geirrt! 30 Jahre später ist es tatsächlich so weit. Inzwischen würde ich sogar sagen, das Geschäft hat sich für Wagenbach gelohnt. Denn er ist wirklich einer der besten Italienkenner Deutschlands, und so verlogen kann ein Kenner nur dann sein, wenn es ums Geschäft und ums Prestige geht. Es handelt sich hier um politische Sektiererei, bei der die Kasse klingelt.
Nota bene: Es ist jetzt in Deutschland einerseits fast so schlimm wie damals in Italien - aber eben nur fast, insofern Italien vor 20 Jahren kommunistischer und sehr viel weiter links war (mindestens jeder 5. wählte KPI) und zu großen Teilen auch heute immer noch ist... Man sei sich darüber im Klaren, dass in Italien das Meinungsspektrum - trotz Berlusconi - viel größer ist als in Deutschland. Den letzten Satz bitte nochmal lesen. Und danach bitte ein drittes Mal. Fest einprägen und nicht vergessen.
Mit dem Unterschied, dass sich in Deutschland heute - aus Angst als ewiggestriger Reaktionär abgestempelt zu werden oder gar als Nazi beschimpft zu werden - kaum jemand traut, der Linken zu widersprechen, weil sofort ein rufschädigendes mediales Mobbing beginnt. Man stelle sich nur vor, ein Journalist greife in Deutschland öffentlich Partei für Berlusconi! Es gibt wahrlich gute Gründe dafür, denn die linke Opposition Italiens ist keine gesunde Sozialdemokratie, sondern in der Mehrheit ein Agglomerat untereinander zerstrittener Bürokraten, das von Ex- Post- und Nochkommunisten dominiert wird, deren Unternehmerfeindlichkeit weltweit ihres Gleichen sucht. Aber ein Jornalist, der in Deutschland Partei für Berlusconi ergriffe, würde seine Gesellschaftsfähigkeit verspielen. Soviel Herdentrieb, Verdrehung der Tatsachen und freiwillige Gleichschaltung gab es in Deutschland nicht einmal, als Heinrich Böll freies Geleit für Ulrike Meinhof vorgeschlagen hatte. Der Konformismus des deutschen Jornalismus ist manchmal erbärmlich.
Das gab es in Italien nie in den letzten Jahrzehnten!!!... Vor 30 Jahren gab es diese Angst nicht und auch jetzt gibt es sie nicht (die Polarisierung ist heute nur stärker). Und insofern ist es andererseits in Deutschland jetzt tatsächlich schlimmer als in Italien, obwohl es sich eigentlich nur um Selbstzensur handelt (denn so grimmig, kleinkariert oder beschränkt manche Redakteure auch sein mögen, sie müssen keinem Medienmogul und keinem Zensor gehorchen). Dass wir uns gleichzeitig wichtigtuerisch über Italien ereifern, ist mehr als lächerlich und es ist eines "Kulturvolkes" (als das wir uns unausgesprochen verstehen, und uns viel drauf einbilden, obwohl das niemand zugibt) unwürdig. Es gibt in Italien einiges, worüber man sich ereifern könnte als Deutscher - und da die italienische Opposition zu dumm ist, um Berlusconi angemessen zu kritisieren, gäbe es auch in dieser Hinsicht viel zu tun. Aber statt dieses Land nach bundesdeutschen Gesichtspunkten zu durchleuchten, sind wir sogar zu feige, um zu unterstreichen, dass in Südtirol die Verwaltung funktioniert, obwohl dort dieselben Gesetze gelten, wie überall sonst in Italien. Was völlig fehlt, sowohl in den deutschen Medien wie in den italienischen, das ist ein deutscher Blick auf Italien. Und wenn ihn jemand wagt - wie Heinz-Joachim Fischer mit seinem Artikel über Napolitano und die italienische Justiz, die Deutschland zu Zahlungen in Milliardenhöhe verurteilen möchte, wegen der Massaker der SS oder wie der Spiegel mit seinem Titelbild der Pistole auf dem Spaghettiteller - dann wird sofort ein diplomatischer Zwischenfall daraus. Deutsche Auslandsreportagen über Italien, die diesen Namen verdienen würden (und einer Zeitung wie der FAZ würdig wären), kommen nicht zu Stande. Dass es bei diesen diplomatischen Zwischenfällen immer Deutschland war, das kuschte, ist besonders grotesk. Ausgerechnet mit Italien??? Wovor hat Deutschland eigentlich Angst??? Dass man in der Pizzeria nebenan unfreundlich bedient wird oder in den Sommerferien zu lange am Brenner Schlange stehen muss? Wenn man verarscht werden will, wird man erst recht verarscht.
Das Kernproblem der deutschen Berichterstattung über Italien ist folgendes: der jetzige deutsche Linkskonformismus kann kein Interesse daran haben, den einstigen italienischen Linkskonformismus, der das Erscheinen Berlusconis erst ermöglicht hat (um nicht zu sagen erzwungen), seinen deutschen Lesern zu erklären. Denn der damalige italienische Linkskonformismus war Taufpate und Ziehvater des heutigen deutschen Linkskonformismus. Letzterer wurde vor allem von Klaus Wagenbach und Thomas Schmid geschaffen und vorangetrieben, und eines der Treibhäuser war die sogenannte Toskanafraktion. Alles, was an Berlusconi gut ist, oder zumindest einmal war, und alles was seit Jahrzehnten an der italienischen Linken miserabel ist, wird daher den deutschen Lesern verschwiegen. Wie die Papageien plappern immer alle nach, was italienische Ex-, Post- oder Noch-Kommunisten ihnen vorkauen. Im deutschen Fernsehen sieht man praktisch nur den Sonderling Leoluca Orlando, der zwar einer der besten Männer Italiens ist, aber völlig allein ist und mal da, mal dort an einem Süppchen kocht. Rocco Buttiglione, der viel besser deutsch spricht als Orlando, sieht man in deutschen Sendungen meines Wissens nie, zumindest nicht so oft wie Orlando, obwohl Buttiglione ein rechtschaffener und hochintelligenter Mann ist und unter Berlusconi Minister war. Dieser Zustand der deutschen Medien ist unter aller Kritik. Der duckmäuserische Opportunismus der deutschen Journalisten ist erbärmlich: wer heute die Verdienste Berlusconis - es gibt sie tatsächlich! - in einem Leitartikel aufzählen würde, würde morgen geschnitten, oder müsste sich in Zukunft zumindest ununterbrochen rechtfertigen. Da ist es natürlich viel bequemer mit den Wölfen zu heulen, zumal in Deutschland alle Schmähtiraden über Berlusconi hören wollen! Denn sie passen ja so schön zu unserem eigenen Geltungsbedürfnis und dem Bild, das wir insgeheim von den Italienern haben. Rückgrat und intellektuelle Redlichkeit, wie Sarrazin sie gezeigt hat, ist erschreckend selten geworden.
(da ich nicht möchte, dass ein falscher Eindruck entsteht, möchte ich an dieser Stelle hervorheben, dass Wagenbach auch große Verdienste hat - zum Beispiel die Veröffentlichung der Werke von Johannes Bobrowski und den, mutig die Dinge beim Namen genannt zu haben, als Georg Rauch und Benno Ohnesorg von der Polizei ermordet wurden und diese Tatsache von der bundesdeutschen Justiz vertuscht wurde. Festzuhalten bleibt, wieviel die Beharrlichkeit eines einzigen Mannes bewirken kann, der beharrlich bleibt, sich hartnäckig gegen den Strom stemmt und zum Bezugspunkt nicht nur seiner Generation, sondern auch und gerade der etwas Jüngeren wird, die publizistisch tätig werden.)
Italien betreffend ist die Berichterstattung über das heutige Italien selbst in den Tagesthemen und der FAZ derartig stumpfsinnig, hochtrabend und sektiererisch, dass man den Eindruck bekommt, der Grund dafür, dass in Wikipedia nur 14% der Autoren Frauen sind, muss ebenfalls Berlusconis Medienmacht sein.
Ich habe in 30 Jahren - einschließlich Heinz-Joachim Fischers immer guten Artikeln, die jedoch Kentnisse und Verständnis immer schon voraussetzten - keinen einzigen deutschen Zeitungsartikel gelesen, der auch nur versucht hätte, Italien einem deutschen Leser schlüssig zu erklären. Das eigentlich Wesentliche wird immer ausgeklammert, obwohl es oft vermittelbar wäre, wenn sich nur immer alle Journalisten darum bemühen würden.
Aber ein stillschweigendes alle Zeitungen und Medien übergreifendes Kartell der Faulheit verhindert genau dies, weil es viel bequemer ist, Italien träumerisch zu verklären, dabei politische Schemata anzuwenden, die zu angelsächsischen Ländern, Verhältnissen, Verfassungen und der dazugehörigen Mentalität passen würden, gleichzeitig aber Italienklischees zu bedienen und die italienischen Eigenheiten (ganz zu schweigen von den Kernproblemen) dabei links (bzw. rechts) liegen zu lassen und auszuklammern, auszuklammern und noch einmal auszuklammern. Abgesehen davon, gibt es außer Klaus Davi vielleicht keinen einzigen deutschen Journalisten, der Italien wirklich versteht, Roberto Giardina schreibt soviel ich weiß nicht in deutschen Blättern, und Andrea Tarquini wird sich hüten, Einblicke zu gewähren: der bedient lieber das deutsche Geltungsbedürfnis, indem er seinen deutschen Kollegen, die ihn interviewen, charmant und elegant Honig ums Mündchen schmiert und gemeinsam auf den bösen Berlusconi herabschaut. Die deutschen Kollegen hören ihm wie hypnotisiert zu, als wenn sie eine Schlange betrachteten und sind amüsiert, geschmeichelt und zufrieden, obwohl sie gerade eben verarscht wurden. Es ist nicht zu fassen. Aber die Amerikaner sind genauso einfältig.
Die Klatschgeschichten und das Tauziehen zwischen Berlusconi und der Justiz sprechen Bände darüber, dass der italienischen Opposition bessere Themen schlicht und einfach fehlen (einmal abgesehen von Matteo Renzi und wenigen andern; der Mann ist gut, den Namen kann oder muss man sich merken, von dem wird man noch hören).
In Italien - vor allem in Süditalien - ist es völlig normal, dass 15-jährige Mädchen (mit Einwilligung der Eltern) mit 30 Jahre alten Männern ausgehen (und auch defloriert werden; was nicht an die große Glocke gehängt wird). Das wird euch in Deutschland allerdings kein einziger Italiener bestätigen!!! Und so einfältig (und aus italienischer Sicht taktlos), eine solche Frage zu stellen, könnte wiederum nur ein Deutscher sein.
Das sage ich jetzt nicht, um italienische Gebräuche, Berlusconis Laster oder gar Pädophilie zu rechtfertigen, sondern einzig und allein, um den Schleier der Heuchelei eine Sekunde lang zu lüften, damit wenigstens klar ist, vor welchem kulturellen Hintergrund hier überhaupt mit so harten Bandagen gekämpft wird, in der Absicht, Berlusconi auszuschalten.
Ein heute rares Beispiel für freimütige Meinungsäußerung ist Martin van Crefeld. Seine Erklärung des Zusammenhangs zwischen Meinungsfreiheit (und zwar de facto, nicht de lege!!!) und Undiszipliniertheit sollte man sich hinter die Ohren schreiben. Und sei es nur, um wiederum Italien zu verstehen (und natürlich Israel).
Dass irgendwann in Deutschland jemand wie Berlusconi ans Ruder kommen könnte und im disziplinierten Deutschland (wo es ohnehin prinzipiell viel weniger Meinungsvielfalt und noch sehr viel weniger grundsätzliche Skepsis gegenüber Macht gibt) Einfluss auf die Medien ausüben könnte (die Italiener sind viel zu unverlässig und undiszipliniert, um Zensur konsequent und effektiv durchzuführen), das ist eine sehr viel größere Gefahr als Berlusconi.
Noch wirkt Deutschland wie ein Schlaraffenland der Demokratie, in dem die Affen ruhig schlafen können und die Schafe friedlich über den Himmel ziehen. Aber Sarrazin mahnt zu Recht: "Weh uns, wenn sich die Verhältnisse, in denen wir uns so behaglich und selbstgerecht aufgehoben fühlen, einmal zu unseren Ungunsten ändern sollten. Wir werden uns dann wundern über den überbordenden Opportunismus und die kriecherische Feigheit rings um uns."
In Deutschland könnte man wirklich das Internet dazu verwenden, aus allen das zu machen, was Ernst Jünger als "gläserne Bienen" bezeichnete. Und es gibt sogar Leute, die es begrüßen werden, durchleuchtet zu werden, weil sie ein reines Gewissen haben und irrtümlicherweise davon ausgehen, dass das Durchleuchtungspersonal und seine Auftraggeber auf jeden Fall dieselben Werte, Beurteilungs- und Entscheidungskriterien hätten wie man sie selber hat, und dass es keine Technologie gibt, die per se schon das Aushöhlen der Verfassung begünstigt oder erschwert, sondern nur wertneutrale Technologien und mündige Bürger, denen die Verfassung und die Institutionen auf jeden Fall immer souveränes Entscheiden und Gestalten garantieren, egal, ob es Cybergewerkschaften gibt oder nicht.
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