Stationen

Dienstag, 13. Oktober 2009

Berlusconi

Italien.

95% der Delikte in Italien bleiben unbestraft.
Die Gefängnisse sind trotzdem überfüllt.
Ein Zivilprozess kann 20 Jahre dauern und dauert sehr oft 10 Jahre.
Die Juristenvereinigung Magistratura Democratica, die im Umfeld der KPI zustande kam, hat auch heute noch großen Einfluss und Mitglieder, die einst der KPI angehörten.
Die Aufgaben von Staatsanwalt und Richter sind in Deutschland völlig verschieden, aber in Italien sind die Aufgaben von Pubblico Ministero und Giudice sehr ähnlich, insofern der PM nicht einfach die These der Polizei zu verteidigen hat, sondern wie eine Art Vorinstanz bei der Untersuchung und Beweisaufnahme schon selber richtend entscheidet, ob ein Prozess geführt wird oder nicht. Der Staatsanwalt ist in Deutschland dem Justizministerium verpflichtet, der italienische Pubblico Ministero aber nur einem eigenständigen Richterparlament (in dem Personen sitzen, die ebenfalls sowohl als Richter tätig sein können wie als "Staatsanwalt"), so als wäre ein Stückchen der Exekutivgewalt in die Judikative gerutscht. Damit ist die Politisierung des Richterstands kaum vermeidlich. Es kann sogar vorkommen, dass der in der ersten Instanz die Anklage führende Pubblico Ministero in der zweiten Instanz als der urteilende Richter auftaucht.
Berlusconi möchte eine Trennung der Karrieren von Pubblico Ministero und Giudice, um ideologische Schulterschlüsse zwischen beiden zu verhindern.

Pessima res publica, plurimae leges, sagte Tacitus. In Italien gibt es zehn mal soviel Gesetze wie in Frankreich, und diese Gesetze sind ein derartiges Dornengestrüpp, dass ausländische Unternehmen keine Lust haben, in Italien zu investieren und italienische Unternehmer sie ständig umgehen und irgendwann dabei erwischt werden. Die italienische Justiz muss dringend reformiert werden.

Zum ersten Mal besteht Aussicht, dass nach einem Erdbeben die Opfer nicht nach 20 Jahren immer noch in Containern hausen, weil diesmal nach nur 6 Monaten schon viele neue, erdbebensichere Häuser stehen.
Bertolaso trat während der Regierung Prodi zweimal zurück, weil er von den zahlreichen Gysis und Lafontaines, die diese Regierung stützten, in seiner Arbeit bei der Müllbeseitigung in Neapel behindert wurde. Der Staatspräsident musste eingeschaltet werden, um ihn anzuflehen, seine Arbeit wieder aufzunehmen.
Am Tag nach Berlusconis Wahlsieg richtete er für Bertolaso ein eigenes Assessorat ein und machte sich zu seinem direkten Vorgesetzten, um die Entscheidungswege so kurz wie möglich zu halten, und nach einigen Monaten, hatte man das Müllproblem im Griff.

Zum ersten Mal wird eine vernünftige Schulreform angestrebt (Ministerin Gelmini).

Zum ersten mal sorgt ein fähiger Minister (Brunetta) dafür, dass die Verwaltung effizienter wird. Man braucht nur zur Post zu gehen, um mit eigenen Augen die enorme Wandlung zu sehen.


Die FAZ berichtet über all dies nicht, aber über Klatsch und darüber, dass das Verfassungsgericht gerade eine Vertagung (und angestrebte Verjährung) anstehender Prozesse verhindert hat. Glaubt man der deutschen Berichterstattung, ist Berlusconi ein besonders schwarzes Schaf in einer mehr oder weniger weißen Herde. Um im Bild zu bleiben, würde ich ihn als schwarz-weiß gescheckten Bock in einer eher dunkelgrauen Herde bezeichnen, in der Bertolaso eins der wenigen weißen Schafe ist. Aber dass Mangano, der Stallmeister von Berlusconis Gestüt, der auch seine Kinder zur Schule brachte, der Mafia angehörte, ist erwiesen! Mangano war befreundet mit Berlusconis rechter Hand Dell'Utri.... aber B. behauptet, nichts von Manganos Mafiahintergrund gewusst zu haben. Kann man ihm glauben?? Kann man Willy Brandt glauben, wenn er behauptet, nichts von Guillaumes Stasizugehörigkeit gewusst zu haben?? In Italien träte niemals jemand eines bloßen Verdachtes wegen zurück. Man würde es ja doch nur als Schuldgeständnis interpretieren und warum soll man freiwillig auf Macht verzichten??? Unvorstellbar.

Leoluca Orlando scheint der einzige Italiener aus Italien zu sein, den man manchmal im deutschen TV sieht. Warum wird Buttiglione, der sehr viel differenzierter argumentiert und besser deutsch spricht, nie eingeladen? Man könnte meinen, Orlandos Rolle sei diejenige Ciceros, der die Legalität der Republik vor Caesar schützen möchte. Leider spielte Orlando eine auch heute noch etwas undurchsichtige Rolle, als der Richter Giovanni Falcone noch tätig war, der mehr im Kampf gegen die Mafia geleistet hat als irgendein anderer Mensch, und in Sizilien ist das Normale meistens das Unglaubliche.





Nachtrag am 27. Januar

Inzwischen leben viele der Erdbebenopfer in ihren neuen Häusern. In Deutschland wird entweder überhaupt nicht darüber berichtet, oder es wird ausnahmsweise mal kühle Anerkennung geäußert, die in einem abschließenden flapsigen Nebensatz über die "favorisierte Betonlobby" aber sofort wieder abqualifiziert wird.

Nachtrag am 17. Februar

Inzwischen wird Bertolaso - mittlerweile kann man ihn als bestes Pferd in Berlusconis Stall ansehen - mit Dreck beworfen. Eine gerichtliche Untersuchung, die 2008 begann, führte im Sommer 2009 zur Telefonüberwachung von Personen, die in einem Dienstleistungsverhältnis zu Bertolaso standen. Statt Bertolaso umgehend über die Zwielichtigkeit dieser Personen zu benachrichtigen, um ihm die Möglichkeit zu geben, die Betreffenden in die Wüste zu schicken, wurde abgewartet, und jetzt, wo sich eine Nominierung Bertolasos - dessen Beliebtheitsgrad in einem nach ehrlichen Figuren dürstenden Italien - sofort nach Obama und Staatspräsident Napolitano rangiert - zum Minister abzeichnete, zückt die italienische Justiz einen Ermittlungsbescheid, um Bertolaso durch Rufmord auszuschalten. Wenn ich dasselbe in den letzten 16 Jahren nicht schon x mal - und fast immer gegen Berlusconi gerichtet - erlebt hätte, würde ich nicht an Kalkül denken. So aber ist die Politisierung weiter Sektoren der italienischen Justiz nicht zu übersehen. Es bleibt nur zu hoffen, dass sie sich an Bertolaso überhebt.

Das Schlimmste an dieser Geschichte ist, dass ich am Tag, als Berlusconi Bertolaso zu seinem Staatssekretär nominierte - das war der erste Regierungstag der jetzigen Legislaturperiode, der Tag nach der Wahl - schon dachte, dass sich früher oder später wahrscheinlich die jetzige Situation ergeben würde.

Die Klatschoffensive über Berlusconis Bettgeschichten wurde inzwischen zum Bumerang, weil 4 Carabiniere verhaftet wurden, die den Gouverneur Latiens erpresst hatten, der es mit Transvestiten trieb und Kokain nahm. Der Gouverneur gehört der linken Opposition an, trat unter Tränen zurück und verkroch sich einen Monat lang im Kloster von Montecassino. Die FAZ kommentierte, Italien werde vom Boulevard regiert. Es ist nicht zu fassen. Offensichtlich genügt es der FAZ, sich aus einer Unzahl interessantester Themen von enormer politischer, soziologischer und institutioneller Brisanz immer wieder Boulevardgeschichten herauszugreifen oder das, was sie schlicht nicht versteht, notfalls durch Boulevardgeschichten zu kaschieren und seit zehn Jahren immer nur ausnahmsweise die Wahrheit zu schreiben, wenn sie über eines der Schlüsselländer Europas schreibt (Thema, das nur im Feulleton ab und zu in wolkigen Beiträgen anklingt), weil sie ihr erhabener Hautgout und ihre lächerlichen linksliberalen Panikanfälle gegenüber Berlusconis Medienmacht, die er sich seit 16 Jahren hütet, über Gebühr auszuspielen - das wäre die eigentlich lehrreiche Nachricht, über die nachzudenken sich lohnen würde -, daran hindern richtig hinzuschauen.

Eine tatsächliche Restriktion des (immer noch sehr großen) Meinungsspektrums im italienischen Fernsehen gibt es erst seit der letzten Wahl, als die vielen Splitterparteien, die Prodi noch das Leben schwer gemacht hatten, nicht mehr ins Parlament kamen (auf Grund des Wahlgesetzes), dadurch ihr Recht auf Repräsentation im staatlichen TV verloren und auch für Berlusconis TV als flankierender Spiegeleffekt nicht mehr interessant waren.

Heinz-Joachim Fischer, der brandenburgische Vaticanist der FAZ, der bisher, so weit ich es überblicke, ausnahmslos gute Artikel über Italien schrieb, hielt sich während der Boulevardwelle letztes Jahr auffallend zurück. Er ist einer der vier oder fünf Italienkorrespondenten der FAZ, es erschien aber seit April 2009 ein halbes Jahr lang kaum mal ein Beitrag von ihm und über Berlusconi schon gar nicht. Ich kann mir das nur dadurch erklären, dass er Angst hatte, sich die Karriere oder den Lebensabend zu versauen, wenn er einen wahrheitsgetreuen Bericht über die Rahmenbedingungen dieser Hetzkampagne geschrieben hätte. Man könnte natürlich sagen, dass Berlusconis Medienmacht sich eben auch auf H.J. Fischer erstreckt.





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