Stationen

Mittwoch, 2. November 2011

Lothar Bossle



http://de.wikipedia.org/wiki/Lothar_Bossle

1977 wurde die Universität in Würzburg besetzt, weil Straussfreund Bossle in seinen Soziologievorlesungen Pinochets Zusammenpferchen von Oppositionellen im Fußballstadion mit den Worten rechtfertigte, in Chile sei es schön warm, und das sei nicht so schlimm. Strauss selber gefiel sich damals mit Bemerkungen, wie der, dass Südafrika kein Beispiel für Rassismus sei, denn es handele sich da mehr um eine Art religiösen Sendungsbewusstseins. Strauss mag in vielerlei Hinsicht ein tüchtiger Politiker gewesen sein, aber was zu viel ist, ist wirklich zu viel. Und ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie die Würzburger Universität von Berchem, dem damals jüngsten Rektor Deutschlands, zusammen mit der Polizei und ihren, für Situationen wie dieser geschulten, Schäferhunden geräumt wurde, indem man die gerade eben noch aufgebracht diskutierenden Studenten von zähnefletschenden Hunden in Angst und Schrecken versetzen ließ und rausjagte. Berchem hatte nicht den Anstand, mit den friedlich diskutierenden Studenten die Sachlage zu erörtern und irgendeine Plattform zu schaffen, auf der Bossle im Beisein der Medien und unabhängiger Experten seine Thesen hätte rechtfertigen können und müssen. Berchem war offensichtlich auch zu feige, um sich den Weisungen aus München zu widersetzen.

Ärgerlich war, dass die Gegner von Bossle, Strauss und Berchem, die Studenten, zwar friedlicher, aber nicht zivilisierter und demokratischer waren als diejenigen, über die sie sich zu recht ereiferten. Denn sie forderten ja gerade nicht, Bossle zur Rede zu stellen, seine Vorlesungen wissenschaftlicher Kritik auszusetzen und eventuell Disziplinarverfahren gegen ihn einzuleiten oder das Verfahren, durch das er zu seiner Professur gekommen war, unter die Lupe zu nehmen, sondern schlicht Lehrverbot. Ein geradezu spiegelbildlicher Demokratiedefizit. Es sind diese spiegelbildlichen Defizite, die einen - trotz vieler vorbildlicher Errungenschaften der politischen Kultur in Deutschland - immer wieder mal an Deutschland verzweifeln lassen können. Das Ende dieses Liedes ist noch lange nicht abzusehen. Immerhin lagen die Studenten in Würzburg damals zumindest "mit dem Herzen" richtig, wie aus dem Wikipediaartikel hervorgeht.

10 Jahre später erlebte ich eine Universitätsbesetzung in Siena, die nur ein vergleichsweise banales Unbehagen gegenüber gewissen Verwaltungsmaßnahmen zum Anlass hatte. Niemand kam auch nur auf die Idee, die Universität gewaltsam räumen zu lassen. Eine gewisse Anzahl Studenten übernachtete in der Universität, um den Status der Besetzung aufrecht zu erhalten, und der Rektor Luigi Berlinguer (damals noch KPI, später Kultusminister unter Prodi) kam, obwohl es im Vergleich zu Berchems Pflichtvernachlässigung um eine Lappalie ging, in die besetzte Aula Magna, um die Anliegen der Studenten anzuhören. "Mi è stato riferito che tra gli sudenti c'è un disagio" waren sein ersten Worte.

http://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Schäfer_(Colonia_Dignidad)

In den Ländern nördlich von Mexico und Italien hat eine Ansicht weite Verbreitung, derzufolge Militärregime typisch für irrationale südamerikanische Hitzköpfe sind, die ihre Gefühle nicht im Zaum halten können und deren impulsives Tun rational planende Verwaltung, Rechtsstaat und Demokratie von vornherein zum Scheitern verurteilt. Dieses südländische psycholabile Gezappel sei auch die Ursache für putschistische Versuchungen und die Neigung aller romanischen Länder zwischen sozialistisch-kommunistischen Hoffnungen und christlich-liberalistischem Raubtierkapitalismus zu pendeln. In Wirklichkeit agierten im Hintergrund der südamerikanischen faschistischen Militärregime fast immer Deutsche (nur die kommunistischen sind autochton), und in Deutschland gelang es Stresemann vor nicht allzu langer Zeit, einen Putsch vom alten Seeckt niederschlagen zu lassen. Das Wort "Putsch" stammt aus der Schweiz und nicht etwa aus Südamerika.

Die Colonia Dignidad ist nur das peinlichste Symbol all der zahlreichen deutschen Aktivitäten in Südamerika während der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Sie ist einzigartig in ihrer Abscheulichkeit, ein Einzelfall ist sie nicht.

Deutschlandfunk über Colonia Dignidad

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