Stationen

Dienstag, 7. August 2012

Nationalcharakter



"Jan Fleischhauer hat via "Spiegel online" auf die inzwischen zwar stets bestrittenen, indessen mit Händen zu greifenden Unterschiede der Nationalcharaktere hingewiesen und sich dabei eines steilen Exempels bedient: Ob sich jemand vorstellen könne, dass ein Unglücksmanöver wie jenes der "Costa Concordia" inklusive anschließender Fahrerflucht auch einem deutschen oder britischen Schiffsführer unterlaufen wäre? Man kenne den vom Kapitän verkörperten Typus aus dem Strandurlaub: ein Mann der großen Geste und sprechenden Finger. Im Prinzip harmlos, man sollte ihn nur nicht zu nahe an schweres Gerät lassen. Soweit Fleischhauer.

Nun ist heutzutage sofort jeder gern beleidigt, wenn mehr oder minder statthaft verallgemeinert wird (das Augenzwinkern dabei sieht nie jemand), weshalb sich immerhin u.a. der italienische Botschafter beschwerte. – Womit wir wieder bei den Nationalcharakteren wären: Ein deutscher Botschafter, so viel dürfte sicher sein, hätte sich im umgekehrten Fall nicht beschwert. Der Deutsche ist das Bespöttelt- und  Angepinkeltwerden schließlich schon von daheim gewohnt.

O sole mio!

 Angela Merkel erlebt gerade ihr finanzpolitisches 1914. Wieder eingekreist. Und wieder keine passablen Verbündeten. Und wieder Amerika auf der Seite der anderen. Und wieder keine vernünftige Diplomatie. Und wieder keine taugliche eigene Propaganda. Und wieder zahlreiche Sympathisanten der anderen im eigenen Land, ja sogar im eigenen Parlament. Und dabei so viel Wohlverhalten gezeigt, so viel historische Reuebekundungen, so viel symbolische Unterwerfungen, und zwar mit wachsender Intensität, je mehr das Dritte Reich zurückliegt, brav auf die Ostgebiete verzichtet (ohne im mindesten mit den Leiden der Ermordeten und Vertriebenen und dem Völkerrechtsbruch dahinter diplomatisch zu wuchern), inzwischen sogar brav auf deren Erwähnung verzichtet, alle Untaten des 20. Jahrhunderts auf den deutschen Scheitel gehäuft, auf die Mark verzichtet, bis heute auf Souveränität verzichtet, und das Militär ruiniert, und die Universitäten ruiniert, und das eigene Land in Schulden gestürzt, um den anderen Geld zu geben, und die genetische Wolfssubstanz brav mit Zuwanderern verdünnt  – und wieder umzingelt, und wieder sind die Bösen wir...

Man muss in Sachen EU nur ein einziges Gedankenexperiment anstellen: Wie würde der ganze Laden laufen, wenn Deutschland einfach nicht existierte? Nun, überhaupt nicht. Es gäbe ihn nicht. Die Idee einer bundestaatartigen Union wäre von vornherein als völlig absurd verworfen worden. Nur gegen Deutschland hat die EU einen Sinn, und sie wird nicht ruhen, bis das Land finanziell erdrosselt ist, bis der Streber endlich für immer am Boden liegt. – Dass Deutschland selber mitspielt, macht die Angelegenheit zumindest für spätere Historiker pikant. Die Streberei auch im Besiegtsein ist schließlich ein weiterer Beleg dafür, dass es sich um ein außergewöhnliches, aber auch außergewöhnlich närrisches Volk handelte. 


Als er noch Bundespräsident war, hat Wulff eine Rede zum 300. Geburtstag von Friedrich dem Großen gehalten. Darin lobte er unter anderem die tolerante Einwanderungspolitik Preußens. Das stand schließlich irgendwie in Zusammenhang mit seiner Aussage, der Islam gehöre zu Deutschland. Über das preußische Dienst-Ethos dagegen – im Idealfall verwendete ein friderizianischer Beamter einen Bleistift für die dienstliche, einen separaten für die private Korrespondenz – sprach Wulff nicht.

Wo Wulff recht hat, hat er's. In Preußen hätte es keine Proteste gegen Moscheen und kein Plebiszit über Minarette gegeben. Seit dem Potsdamer Edikt des Großen Kurfürsten von 1685 über die Aufnahme der in Frankreich verfolgten Hugenotten stand Brandenburg-Preußen für Religionsfreiheit und weitgehendes Asylrecht. „Wenn Türken und Heiden kämen und wollten das Land peuplieren, so wollen wir ihnen Moscheen und Kirchen bauen“, lautet eine viel zitierte Bemerkung Friedrichs. Die während des Siebenjährigen Krieges angeworbenen Bosniaken etwa erhielten nicht nur Wohnungen und Gebetsräume in Potsdam, sondern auch einen eigenen Heeres-Imam.

Allerdings hat Wulff in seiner Rede die Bedingungen unterschlagen, die Preußen seinen Zuwanderen stellte. Jedenfalls haben keine Hugenotten-Clans in Berlin mit Drogen und Prostituierten gehandelt, Schutzgeld erpresst und, wenn schon mal gegen sie ermittelt wurde, Justizbeamte bedroht. Keine Jugendgangs aus den Vierteln der Salzburger Protestanten machten nachts die Straßen unsicher und stürzten sich mit „Scheiß Preußen!“-Rufen auf Einheimische. Niemand kam nach Preußen mit der Idee im Kopf, sich sein Leben vom Staat sozialfinanzieren zu lassen, weil er keine 24 Stunden später wieder draußen gewesen wäre. Dieser Staat ließ seiner nicht spotten, was seine Attraktivität nicht minderte. Kurzum: Die preußische Einwanderungspolitik war in der Tat vorbildlich.

Das erwähnte der Präsident der Schnäppchenjäger leider nicht. Immerhin lobte er Friedrichs Maxime, in seinem Land dürfe „jeder nach seiner Facon selig werden“. Auch da vergaß der Bundespräsident freilich, darauf hinzuweisen, dass diese heutzutage ja vor allem ins Politische zu erweiternde Toleranz in seinen Kreisen gegenüber jenen deutlich nachlässt, die rechts von der CDU stehen." (Klonovsky)

Dass die EU nur gegen Deutschland einen Sinn hat, halte ich für eine optische Täuschung. Die von Bismarck verwirklichte Einung Deutschlands hatte ja schließlich auch nicht "gegen Preußen" einen Sinn und schon gar nicht nur gegen Preußen. Sie wurde damals vor allem als Schutz vor Frankreich propagiert (z.B. Ernst Moritz Arndt) aber auch als Schutz vor den Monarchen (z.B. Hofmann von Fallersleben, der auch unsere Nationalhymne schrieb). Dabei hatte eigentlich Napoleon die Einung Deutschlands ins Rollen gebracht, indem er dem deutschen Kleinstaatenindividualismus ein Ende machte, bzw. wenigstens die Zahl der Kleinstaaten drastisch reduzierte. Bismarck ging es darum, dieses postnapoleonische deutsche Land zwischen Frankreich und Russland das Schicksal Polens zu ersparen. Insgesamt kann man sagen, dass im Zeitalter von Telegraph und Lokomotive eben eine größere geografische Einheit zeitgemäß wurde. Ebenso ist im Zeitalter von Satelliten, Internet und Interkontinentalflügen und -raketen eine noch größere geographische Einheit von Vorteil, wenn man nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch und militärisch Gewicht haben möchte auf Kugel Earth.

Zum ersten Mal wird versucht, eine solche angemessenen und zeitgemäße, dem technischen Stand der Dinge entsprechende Gebietsvereinheitlichung nun ohne militärische Gewalt zu verwirklichen. Deutschland entstand durch preußische Eroberung, und Italien durch einen Eroberungszug Piemonts. Dass kleine Einheiten ihre Souveränität zu Gunsten einer größeren Einheit im Konsens abgeben, ohne durch den Druck einer Übermacht dazu gezwungen zu werden, ist unwahrscheinlich. Aber man versucht es. Sobald außerhalb Deutschlands jedoch deutscher Druck spürbar wird, macht das Wort vom Vierten Reich die Runde.

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