Stationen

Sonntag, 3. November 2024

Es ist ein Kampf gegen Titanen

Als jemand, der viele Jahre lang in Brüssel kunsthistorische Vorlesungen zur Rezeption und Instrumentalisierung der antiken Architektur im Neoklassizismus des 19. und 20. Jahrhunderts gehalten hat, ist es überaus ermüdend zu sehen, daß die leidige Debatte um die „Bauhaus“-Kritik der AfD-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt auf einem Niveau geführt wird, das eigentlich schon seit vielen Jahrzehnten überholt sein sollte; ein weiteres Zeichen für den erschreckenden Bildungsverfall der Bundesrepublik.

Da ist zunächst die Sache selbst: Daran zu erinnern, daß das „Bauhaus“ eine klare Mitschuld an der theoretischen und praktischen Entmenschlichung baulicher Lebensräume trägt, wie sie vor allem nach dem Krieg dazu geführt hat, das Werk der Bombardierungen freiwillig zu vollenden und jene gräßlichen, ebenso unpersönlichen wie kalten Stadtlandschaften zu schaffen, wie sie ganz Deutschland entstellen, sollte eigentlich kein Skandal sein, sondern ist seit Jahrzehnten mit guten Argumenten auf allen Seiten durchdiskutiert worden.

Das „Bauhaus“ hat hierfür aber keineswegs eine alleinige Verantwortung, wie durch die gegenwärtige Frontenstellung manchmal suggeriert wird, denn die Debatte zwischen Modernisten und Traditionalisten in der Architektur tobt schon seit dem späten 19. Jahrhundert in der ganzen abendländischen Welt, und es steht nirgendwo geschrieben, daß Adolf Loos mit seinem „Ornament und Verbrechen“, die von der Weimarer Republik subventionierte „Entstuckungswelle“ der 1920er oder Le Corbusier mit seinem gräßlichen Ideal der „Wohnmaschine“ einen wie auch immer gearteten absoluten Wahrheitsanspruch verkörpern.

Ganz im Gegenteil zeigt das vor allem von Architekten wie Léon Krier oder Quinlan Terry vertretene „Neue traditionelle Bauen“ ebenso wie der Erfolg bei der Rekonstruktion historischer Innenstädte in den letzten Jahren, daß die Zeit der alleinigen ästhetischen Deutungshoheit des Modernismus zu Ende geht und der entfesselte Rationalismus sich in den Augen der meisten Menschen, zumindest was ihren eigenen privaten Lebensraum angeht, ad absurdum geführt hat.

Auch eignet das Bauhaus sich kaum zum einseitigen, unbescholtenen „Märtyrer“ antifaschistischen Kampfes, denn auf der einen Seite ist seit Jahren gut erforscht, wie sehr auch das Bauhaus in die Unterstützung des Dritten Reichs verstrickt war (bis vor wenigen Wochen lief zu diesem Thema sogar eine Großausstellung der „Klassik-Stiftung Weimar“) und übrigens auch mit der stalinistischen Diktatur geliebäugelt hat.

Zum anderen war auch das nationalsozialistische Bauen alles andere als einseitig Blut-und-Boden-affin: Während die Wohnbauten im „Heimatstil“ und die Repräsentationsarchitektur in einem ursprünglich eher modernistischen, dann zunehmend barock überladenen Neoklassizismus gehalten waren, so wurden Zweckbauten selbstverständlich weiterhin in einem rein rationalistischen Idiom gehalten, das vollkommen den Idealen des Bauhaus entsprach.

Und die Leichtigkeit, mit der viele NS-Architekten vor 1933 modernistisch bauten und nach dem Krieg wieder zu ihrem ursprünglichen Idiom zurückfanden, gleichzeitig aber durchaus die auto-orientierten stadtplanerischen Kahlschläge der Weimarer Zeit und des Dritten Reiches fortsetzten, zeigt, wie fließend auch damals die Übergänge sein konnten. Daß „modernes Bauen“ demokratisch und „klassizistisches“ totalitär sei, ist ein seit langem überholter Mythos.

So verständlich aber eine Kritik am „Bauhaus“ scheint, so sehr kann man sich doch die Frage nach ihrem politischen Nutzen stellen. Man mag für neue Bauten mit guten Gründen eine Rückkehr zu menschlichen Proportionen und traditionalen Formen befürworten; das „Bauhaus“ gehört aber unweigerlich zur Geschichte der deutschen und europäischen Architektur dazu, ob wir wollen oder nicht, und sollte mit seinen Licht- und Schattenseiten konstruktiv gewürdigt werden.

Im Rückblick wurde hier zwar eine Entwicklung eingeleitet, die als überaus destruktiv gewertet werden kann. Aber aus der Perspektive des frühen 20. Jahrhunderts, das noch ganz unter dem Eindruck der oft geschmacklos überladenen und historistisch beliebig zusammengewürfelten Ornamente stand, welche auf Fassaden und Gebäude appliziert wurden, deren Konstruktionsweise und Funktion gänzlich anderen Imperativen folgten, hat das „Bauhaus“ wertvolle Anregungen für ein neues, integrales Bauen und eine Wertschätzung von Material und Zweckmäßigkeit geliefert, die damals abhanden zu kommen drohte.

Das „Bauhaus“ gehört zur Geschichte unserer Baukunst ebenso hinzu wie die Abstraktion zur Malerei oder die Atonalität zur Tonkunst, die allesamt ebenfalls tiefreichende Wurzeln hatten und reale Verknöcherungen aufbrechen wollten, dadurch aber auch die gesamte abendländische Kunst an ein „Ende“ führten, über das sie seitdem nicht mehr wirklich hinauskommt – eine Diskussion, die man schon 1947 in Thomas Manns „Doktor Faustus“ erschöpfend nachlesen konnte.

Die echte Frage, die sich nun stellt, ist nicht: „Wer war schuld?“, sondern: „Wie geht es weiter?“ Und aus dieser Warte ist es zwar höchst begrüßenswert, wenn ästhetische Fragen endlich in Parlamenten diskutiert werden. Es macht aber keinen Sinn, diese rein retrospektiv und destruktiv zu verhandeln oder gar das „Bauhaus“ gegen die angeblich gute alte Zeit des Wilhelminismus auszuspielen.

„Der Zeit ihre Kunst“, lautet das Motto der Wiener „Secession“, und das Fehlen einer eigentlichen Kunst des 21. Jahrhunderts, die über Pastiches, Moden, Tricks und „mutige Statements“ hinausgeht, zeigt in vielem eigentlich schon, in was für einer posthistorischen Ära wir bereits leben, denn ohne Kunst gibt es auch keine eigentliche und sinnvolle „Zeit“ im zivilisatorischen Verständnis.

Nun liegt es nicht an einer politischen Partei, eine solche Kunst auch selbst hervorzubringen, aber nachdem das Thema einmal berührt wurde, sollte es auch konsequent durchgeführt werden. Sollte die im „Bauhaus-Antrag“ geäußerte, im Prinzip hochwillkommene Sorge um die ästhetische Qualität des deutschen Bauens ernst gemeint sein, wäre der nächste Schritt eigentlich der Übergang von bloß retrospektiven Debatten zur konstruktiven Tat.

Sollte die AfD zur Verdeutlichung ihres eigenen architektonischen Anspruchs nicht eine repräsentative Parteizentrale bauen lassen? Kunstpreise ausloben? Einen eigenen Verlag nicht nur für Programmschriften, sondern auch Belletristik gründen? Ihre Büros mit eigens geförderter zeitgenössischer Kunst schmücken? Einen Konzertsaal errichten, in dem die Werke junger Komponisten aufgeführt würden? Ich fände das Resultat hochinteressant.   David Engels

In Italien kann man den Brutalismus halbwegs ertragen, weil es in vielen Städten noch so viele schöne Bausubstanz gibt. Das bewahrt die Italiener auch davor, zu vergessen, was Schönheit ist. In Deutschland dagegen kämpft man als Ästhet gegen titanische Trottel, größer als Windmühlen, denn das Elend fängt ja schon damit an, dass die Walhalla eigentlich Qualhalla heißen müsste. Dass die sogenannte Feldherrnhalle nichts anderes ist als eine Kopie der Loggia dei lanzi, wäre ja schon peinlich genug. Es gibt auch in Florenz ein paar neogotische Fakes, aber sie sind wenigstens recht geschmackvoll. Sir Temple Leader stellte das schöne Castello di Vincigliata in die Hügellandschaft. Neben den Gymnasien, die nach dem Zweiten Weltkrieg in architektonischer Hinsicht mit schlechtem Beispiel vorangingen, sind die katholischen Kirchen zu nennen, die nach dem Krieg so oft wie Raketenabschussbasen aussehen. Immerhin wurde die leibliche Himmelfahrt Marias im Morgengrauen des Sputnik verkündet, aber Cape Canaveral und Kosmodrom Plessetsk nachzuahmen, hätte nicht geschehen dürfen. Die Qualhalla ist eine einzige Peinlichkeit. Wenn man sie mit der Kirche Santa Croce in Florenz vergleicht erst recht, denn dort werden die Glorreichen ja nicht nur monumental verewigt, es liegen dort ja viele tatsächlich begraben, während die Qualhalla nur eine in Marmor gehauene Liste ist, die toter als tot ist. Aber auch hier sieht man sich gezwungen zu konstatieren, dass es seit Jahrhunderten ein nihilistisches Siechen in Deutschland gibt, denn die Unbekümmertheit, mit der viele bedeutende Burgen einfach geschleift wurden, ist erschreckend. Und die romantisierenden Rekonstruktionen des 19. Jahrhunderts sind frustrierend, weil sie quasi Disneyland vorwegnehmen. Es ist kein Zufall, dass Arnold Hausers Kunstgeschichte vor dem 19. Jahrhundert endet. Denn 1. passt Hausers Interpretationsschlüssel plötzlich nicht mehr und 2. brachte dieses Jahrhundert keine eigenständige Formensprache zuwege (bzw. nur in der Musik, der Malerei und der Dichtung). Die Französische "Revolution" (i.e. die turbulente Modernisierung und Verbürgerlichung der Monarchie) hat alles erschüttert. "In Beethoven hört man bereits die Katastrophe", sagte Andrei Volkonsky.

Der Impuls der Neogotik im 19. Jahrhundert war sinnvoll! Es gab ja im 19. Jahrhundert teils eine echte deutsche Renaissance des Mittelalters. Nach dem napoleonischen Schock eine heilsame Neigung! Die Brüder Grimm und Wagner sind Höhepunkte dieser Wiederentdeckung. In der Architektur ist das Märchenschloss Ludwigs II. ja auch, zumindest von außen gesehen, sehr gelungen, eingebettet wie es ist in die schöne Landschaft. Aber man spürt eben ständig die Absicht und ist verstimmt. Es ist viel zu märchenhaft. Ludwigs wahres Verdienst ist die Förderung Wagners. Schöner als Neuschwanstein ist die Burg des Götz von Berlichingen. Ganz zu schweigen von Burg Elz. Und es bleibt eine Schande, dass es so wenige schöne Burgen gibt, die überdauert haben und Trifels und Hohenstaufen geschleift wurden: Steinbrüche für die umliegenden Dörfer. An manchen Corpshäusern sieht man auch einen neogotischen Gestus, der gefallen kann. Aber unter dem Strich äffte das Großbürgertum auf diese Weise vor allem den Adel nach, als dieser begann seine Bedeutung in Europa zu verlieren. Die "mittelalterlichen" Uniformen, die die Verbindungen trugen (und tragen) sind ja eine Mode des späten 19. Jahrhunderts. Die Tradition, die sie verkörpern, ist etwas mehr als halb so alt wie die USA. Die meisten Verbindungen entstanden nach 1871. Wie die Fußballvereine! Wie diese sind sie eine Perpetuierung der Kleinstaaterei, deren Beendigung Deutschland Napoleon verdankt. In Deutschland wurde Bedeutungsverlust des Adels durch die Reichswiedergründung hinausgezögert. In Frankreich hatte mit Napoleon die Bourgeoisie einen Kaiser bekommen! In Deutschland war es umgekehrt: Der Kaiser hatte eine Bourgeoisie bekommen. Man sieht es an den Burschenschaften. Ursprünglich Kämpfer für die Demokratie wurden sie im Lauf des 19. Jahrhunderts immer antidemokratischer. Das 19. Jahrhundert ist ambivalent und verkorkst. Man merkt es auch an vielen Volksliedern, die damals entstanden. Neben den schönen Liedern tauchen immer wieder welche in den Liedersammlungen auf, die kränkeln. Die Qualhalla ist der Höhepunkt des Siechens. Man sollte eine Diskothek daraus machen! Mit griechischer Küche. Pulp Fiction, statt Disney. Die Befreiungshalle könnte den ganzen Marmorramsch aufnehmen. Die ist wenigstens dem Grabmahl eines germanischen Kaisers nachempfunden. 

Die Rekonstruktion des Stadtschlosses würde ich nicht als Disneyland abqualifizieren. Hier handelt es sich wirklich um historisch notwendige Rekonstruktion. Es ist wichtig, unterscheiden zu lernen, was abgewertet werden muss und was nicht. Man muss selbstverständlich abwerten, was aus Machtinteresse und der Absicht, Deutungshoheit zu erzwingen, überbewertet wird (das ist leider nicht nur das schauderhafte Bauhaus, sondern generell die deutsche Architektur, die außer dem Barock und etwas Gotik wenig sehenswertes vorzuweisen hat). An der Rekonstruktion im 19. Jahrhundert ist zu beanstanden, dass sie romantisiert und verklärt hat und dies unübersehbar ist. Nichts gege Historismus, wenn er gut umgesetzt wird, also nichts verfälscht, sondern "eine authentische Fälschung" ist, ohne so zu tun, eccht zu sein. Noch mehr ist zu beanstanden, dass überhaupt rekonstruiert werden musste, statt die historisch bedeutenden Stätten zu erhalten, wie es Italiener, Franzosen und Engländer seit Jahrhunderten tun. Also bei uns Deutschen wütet seit Jahrhunderten der Zwecknihilismus wie ein Krebsgeschwür. Wir haben ja auch auffallend wenige gute Maler hervorgebracht. Ich wäre gerne sehr viel weniger abwertend, aber man muss in Sachen Ästhetik ehrlich sein und darf sich nicht selber ein X für ein U vormachen unter dem Vorwand De gustibus non est... etc. Wir hatten einmal die beste Musik der Welt. Heute haben wir die schlechteste! In jeder Sparte!! Das Bauhaus wucherte im Fahrwasser von Schönberg und Kandinsky treibend. Zwei Genies, die sich verirrt hatten! Das ist durchaus abwertend gemeint.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.